Ludwig Thoma
Münchnerinnen
Ludwig Thoma

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Ein Boot näherte sich dem Steg, auf dem Resi und Paula jetzt standen, und ein Herr schwenkte die Mütze und grüßte lachend zu ihnen herüber.

»Kennst 'n du?« fragte Paula.

»Na... i glaub, der andere is der junge Mensch, der in der Bahn hinter uns g'sess'n is...«

»Jessas 'a... komm, geh ma!«

»Warum denn? Zu die Schlafbärn? Na... Paulilutscherl... sei doch net ung'schickt...«

»Gestatten die Damen... Ingenieur Jüngst... haben Sie nicht Lust zu einer kleinen Kahnfahrt?«

Frau Resi schaute in das braune, lachende Gesicht und fand Gefallen daran.

»Warum nicht?« sagte sie.

»Aber mir soll'n doch heimgehn...« drängte Paula.

»Ach wo! Sei doch net so übergewissenhaft! Mir bleiben halt net lang aus...«

»Bis zur Insel und wieder zurück«, sagte der Ingenieur...«

»Also, komm mit...«

Resi war schon in den Kahn gesprungen, Paula stieg etwas unbeholfen und ängstlich nach.

Und als sie sich niedergesetzt hatte, fragte sie noch einmal: »Meinst d' net doch?«

»Nein... nein...« sagte Frau Resi.

Mit kräftigen Ruderschlägen hatten die zwei jungen Leute den Kahn bald weit in den See hinausgetrieben.

»Eigentlich sind Sie jetzt unsere Gefangenen«, sagte Otto Jüngst mit fröhlichem Lachen. »Was wär's jetzt, wenn wir Sie recht lang nicht mehr an Ihre Herrn Ehemänner ablieferten?«

»Jessas... Sie wer'n doch kein solchen Spaß machen!« rief Paula entsetzt.

»Was wär eigentlich dabei?« fragte Resi übermütig. »Es ist erst noch die Frag, ob der Kummer gar so groß wär...«

»Nein... wirklich, ich schrei um Hilf...« Franz hörte zu rudern auf und wandte sich höflich an Paula, die ängstliche Augen machte.

»In einer halben Stund längstens sind Sie wieder am Steg. Ich garantier Ihnen dafür...«

»Aber g'wiß?«

»Wenn ich's Ihnen sag...«

Jüngst lachte.

»Das geht gut. Sie haben Angst vor uns, und der Benjamin da hat die größte Angst vor Ihnen...«

»Ach was...«

»Nur net leugnen! Er hat mich himmelhoch bitt, ich soll Sie nicht einladen...«

»Was fürchten S' denn gar so an uns?« fragte Resi.

»Nichts, ich hab mir gedacht, es könnt Sie am End beleidigen...«

»Ach, du lieber Gott!« Sie stieß einen langen Seufzer aus. »Es is a Kreuz auf der Welt. Die jungen Herrn lassen uns d' Langweil aus lauter Rücksicht, und die ältern aus... no ja... aus... sag'n ma... Überdruß...«

»Die armen Weiberln!« rief Jüngst.

»Sie Schlimmer! Ihnen tät i net trauen...«

»Das heißt, Sie täten mir trauen, daß ich Ihnen die Langweil vertreib...«

»Ihnen tät d' Rücksicht net weh...«

»Net arg, und jedenfalls weiß i net, was Überdruß is. Herrgott, wie man bei so was Nettem nur dran denken kann!«

»O mei, 's Feuer verfliegt schnell...«

»Is 's verflogen?«

»Von so was red't ma net...«

»O ja; wenn ma an heimlichen Kummer hat...«

»Sie sin aber wirklich schlimm...«

Frau Resi wurde sehr beweglich, sie rutschte auf ihrem Sitze hin und her, hielt die Hand vors Gesicht, guckte schelmisch durch die ausgespreizten Finger und schlug die Zunge heraus.

Paula saß ruhig neben ihr.

Anfänglich hatte sie sich öfter umgewandt und ängstlich nach dem Ufer hinübergespäht; wie sich aber nichts zeigte, gewann sie Sicherheit und Gefallen an dem harmlosen Vergnügen. Sie wunderte sich ein wenig über die Vertraulichkeit, die sich so rasch zwischen Resi und dem jungen Herrn angesponnen hatte, aber sie war viel zu gutmütig, um das mißgünstig zu beurteilen.

Ihr selber paßte es gut, daß sie schweigen durfte.

Der jüngere Herr, der eigentlich die Unterhaltung mit ihr hätte führen sollen, redete nichts; zuweilen streifte er sie mit einem Blick, als wollte er etwas sagen und fände keinen rechten Anfang.

Wenn sie sich unbeobachtet glaubte, musterte sie sein Aussehen.

Es lag noch etwas Herbes, beinahe Trotziges in seinem Gesichte, aber die Augen verrieten die Schüchternheit, die die Ursache davon war.

Vielleicht war er heiter und unbefangen im Verkehr mit seinen Altersgenossen, Frauen gegenüber hatte er noch den unbeholfenen Ernst, in dem Achtung und Scheu liegen.

Darüber gab sie sich keine Rechenschaft, doch gefiel ihr die Zurückhaltung des jungen Menschen besser wie die unbekümmerte Art seines Freundes.

Der Kahn knirschte über feinen Kies und hielt.

Jüngst machte den Vorschlag, man solle auf der kleinen Insel landen, und als Paula ängstlich dagegen sprach, sagte Frau Resi schmollend, sie solle doch ein bißchen Courage haben und nicht sich und den andern den netten Nachmittag verderben; sie werde alle Schuld auf sich nehmen, wenn Herr Globerger brummte.

Da willigte Paula zögernd ein, blieb aber mit ihrem Begleiter im Kahne sitzen, während Jüngst und Frau Resi erklärten, sie wollten die Insel erforschen.

Sie waren den Blicken der beiden rasch entschwunden; von fernher klang heiteres Lachen herüber, dann hörte man nichts mehr als das leise Plätschern der Wellen.

»Hoffentlich kriegen Sie keine Unannehmlichkeiten«, sagte Riggauer nach längerem Schweigen.

»N... nein, so schlimm is es ja auch net... das heißt, wenn wir net gar zu lang wegbleiben; die Insel is a net groß, da müssen die zwei bald wiederkommen...«

»Wenn sie länger ausbleiben, fahr ich Sie allein hinüber...«

»Nein, das gäb erst recht ein Aufsehen, wenn ich allein daherkäm... was müßt sich der Resi ihr Mann denken?«

»Ja so... ist der kleine, dicke Herr mit der Glatze der Frau Resi ihr Mann?«

Paula wurde feuerrot.

»Nein... das ist der meinige... er is doch net so dick... finden Sie?«

Franz korrigierte sich rasch.

»Es is mir nur so vorgekommen. Genau hab ich ihn net g'sehn...«

Sie schwiegen.

Paula tauchte die Hand ins Wasser und plätscherte nachdenklich darin herum.

»Warum haben Sie eigentlich net wollen, daß Ihr Freund uns zum Schifferlfahren einladt?« fragte sie nach einer Pause.

Nun wurde Franz rot.

»Ach Gott... nicht wollen! Ich hab nur g'meint, es könnt Sie am End beleidigen... Es is eigentlich gegen mein Prinzip...«

»Mit Damen verkehren?«

»Nein... aber Damen anreden, denen man nicht vorgestellt is!«

»Was haben S' Ihnen gedacht, wie wir gleich eing'stiegen sind. Am End' halten S' uns für recht leichtsinnig?«

»Nicht die Spur! Nein, wirklich net!«

»Wenn ich allein gewesen wär, hätt ich mich auch net traut. Aber meine Freundin hat mir so zug'redt... Sie dürfen Ihnen fei nichts Schlechts denken...«

»Das würde ich mir nie erlauben...«

»Aber der andere Herr glaubt vielleicht...«

»Nein, er macht nur gern seinen Spaß... und es gibt ja Leute, die tun so, als wenn sie an keine Tugend mehr glauben könnten...«

»Aber Sie gehören net zu denen?...«

»Nein... ich bin der Ansicht, daß man nicht das Recht hat, was Schlimmes zu glauben, solang man nicht Beweise hat.«

»Wissen S', die Welt is so schlecht. Die bricht allawell gleich den Stab über eine Frau...«

»Ich beteilige mich grundsätzlich nicht an solchen Urteilen... obwohl...«

»Was meinen S'?«

»No ja, man hat auch seine Erfahrungen, aber das darf man eben nicht verallgemeinern.«

»Was haben Sie für Erfahrungen?«

»Das kann ich Ihnen als Frau nicht so sagen...«

»Bitt schön, erzählen S'! Bitte... bis die zwei kommen...«

»Es is nix so Merkwürdiges oder so was Besonderes...« Franz seufzte. »Ich bin eben auch einmal in meinem Glauben betrogen worden...«

»Ach, gehen S'!« Paula sagte es sehr mitleidig. »Waren S' recht unglücklich?«

»Anfangs schon. Aber ich hab's überwunden.« Franz zog bei den Worten seine Stirne in Falten und blickte düster ins Leere.

Die Wunde schien nicht ganz vernarbt zu sein.

»Wenn Sie Vertrauen zu mir haben...« Sie zog die Hand aus dem Wasser und hielt sie ihm hin... »Ich mein', bei so was wird einem leichter, wenn man sich amal ausspricht...«

Er hielt ihre Hand in der seinen und fuhr spielend mit dem Daumen über ihre rundlichen Finger. Dabei verschob sich der Ehering, und ein heller Streifen zeigte sich in der rosigen Haut.

Sie patschte ihm auf die Finger und sagte drängend: »Jetzt erzählen S' aber doch!«

»Was is viel zu erzählen! Ich war eben einmal sehr töricht und glaubte an Treue...«

»War sie sehr hübsch?«

Franz nickte und machte Augen, als blickte er auf eine unabsehbare Reihe von Jahren zurück.

»War's eine Frau oder ein Mädel?«

»Nein, nicht verheiratet. Sie war in einem Geschäft angestellt, und wir haben uns kennen gelernt...«

»Wie lang sind Sie mit ihr...?«

»Wie?«

»Ich mein, wie lang Sie mit ihr gangen sind?«

»Über ein halbes Jahr...« Franz sagte es wieder so, als spräche er von einer endlos langen Zeit... »Ich habe nie daran gedacht, daß es einmal anders werden könnte«, fuhr er fort. »Wenn mir jemand einen Verdacht hätt einflößen wollen, ich hätt dazu gelacht, so fest überzeugt war ich... aber eines Tags hat mir ein Freund einen Brief von ihr gezeigt... Da habe ich nicht mehr zweifeln können...«

»Hat sie den Brief an Ihren Freund geschrieben?«

»Ja...«

»Das is aber gemein!«

»Vielleicht war ihre Natur so...«

»Nein, daß er den Brief verraten hat...«

»Das war ein Akt der Freundschaft... ich weiß, er hat es sehr ungern getan, er hat direkt mit sich gekämpft, aber wie er gesehen hat, daß ich mich immer mehr verrenne...«

»Ich find's doch gemein! Könnten Sie so was tun?«

»Ich weiß, daß es das oberste Gebot ist, diskret sein, aber wenn ich auf der andern Seite zusehe, wie mein bester Freund betrogen wird...«

»Für dös gibt's gar keine Entschuldigung... Das is doch das höchste Vertrauen, was eine Frau zu einem Mann hat, und das mißbrauchen! Nein, da gibt's wirklich keine Entschuldigung...«

Paula sagte es mit so eindringlicher Bestimmtheit, daß Franz dieses Problem nicht mehr als fraglich hinstellen wollte.

»Eigentlich ja...« sagte er; »darin haben Sie recht. Wenn einer vor diesem Dilemma steht, muß er für sich das Vertrauen rechtfertigen. Nur möchte ich das bemerken: aus Geschwätzigkeit hat mein Freund sein Geheimnis nicht preisgegeben; er war eben empört... jedenfalls, ich hab Klarheit gewonnen, und insofern hab ich ihm dankbar sein müssen...«

»Hat sie's erfahren?«

»Das von dem Brief? Nein. Ich hab sie allgemein zur Rede gestellt und hab dabei kennen gelernt, wie alles Lug und Trug war, was sie sagte... Es war eine sehr schlimme Enttäuschung. Ich weiß nicht, ob ich überhaupt jemals wieder Vertrauen gewinnen kann...«

»Ach gehen S', das kommt von selber...«

»So schnell nicht. Ich bin eine Natur, die mit so was nicht fertig wird.«

»O mei, Enttäuschungen erleben wir alle...«

»Das schon. Aber wenn man sieht, daß man systematisch betrogen worden ist...«

»Verheirat waren S' ja nicht damit, und das andere, das werden S' bald vergessen haben...«

Franz schüttelte melancholisch den Kopf. Er wollte von seinem Unglücke nichts ablassen.

Aber Paula war nun gesprächig geworden.

»Was müßt da unsereins oft sagen! Wissen S', wenn die Enttäuschungen hintendrein kommen, wenn's zu spät is, wenn s' in der Ehe kommen, des is viel härter...«

»Allerdings...«

»Da muß man's dann einfach haben und aushalten...«

»Darf ich fragen...?« Franz stockte.

»Was meinen S'?«

»Ob das bei Ihnen der Fall ist?«

Sie wurde rot bis unter die Haarwurzeln.

»Nein! Das hab ich net sagen wollen. Mein Mann is ganz gut zu mir, aber... no ja... so wie man sich's als Mädel vorstellt, is es ja nie... Die Ideale gibt's eben net...«

»Die Ideale! Ich hab auch einmal daran geglaubt...«

»Sie glauben schon wieder dran, wenn die Betreffende kommt.«

»Ich würde mich fürchten, daß ich das gleiche noch einmal erleben müßte...«

»Ach gehen S', alle sin doch net gleich!«

Franz zog die Achseln hoch.

»Sehen S', jetzt glauben Sie auch an keine Tugend mehr, und vorhin haben S' doch g'sagt, daß man des nicht tun darf.«

»Das ist etwas anderes. Ich sage, daß ich prinzipiell nichts Unanständiges glaube von einer Frau, solang ich nicht die strikten Beweise habe. Aber ob ich persönlich noch einmal das tiefe Vertrauen fassen kann, das bezweifle ich...«

»Sie sind doch noch so jung!«

»Auf das kommt's nicht an. Eine einzige Erfahrung macht einen in der Beziehung... wie soll ich sagen... gereift...«

»Haben Sie s' noch allaweil gern?«

»Nein! Wenn ich einmal kein Vertrauen mehr haben kann, kann ich auch keine Liebe mehr fühlen... Aber, nicht wahr, das, was ich Ihnen gesagt habe, bleibt unter uns?«

»Selbstverständlich! Wem sollt ich denn was sagen?«

»Es wäre ja möglich g'wesen, daß Sie zufällig mit Ihrer Freundin... und ich möcht vor allem nicht, daß mein Vetter was hört... er macht oft Späß, die einen verletzen...«

»Von mir hört niemand was...«

Paula streckte ihre Hand zum Versprechen hin, und Franz hielt sie dankbar und nachdenklich in der seinen.


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