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13. Mit Gustav nach Malmö – Über den Sund nach Dänemark zurück

Vom Himmel strahlte wohlig wärmend die Frühlingssonne, in ihrem hellen Schein erglänzten Wald und Wiese. Eilig wandelten wir drei Knaben hinunter zum Meeresstrand.

Unsern Kahn fanden wir noch an seiner Stelle, und unberührt auch alle unsere Sachen. Flugs machten wir uns daran, das Boot ins Wasser hineinzuschieben. Das ging heute mit Leichtigkeit, denn jetzt half ja noch Gustav kräftig mit. Er war ein starker Junge, viel stärker als wir.

Als das Boot ins Wasser kam, wurde es förmlich wieder lebendig. Vorher im Gebüsch war es wie tot dagelegen. Nun aber fing es gleich zu schaukeln an; es wollte Bewegung haben.

Wir sprangen an Bord. Gustav stieß vom Ufer ab und übernahm die Führung. Er kannte am besten den Weg nach Malmö.

Anfangs ruderten wir. Gustav und ich nahmen jeder zwei Ruder; denn seit unserm Sieg über die »Wikinger« hatten wir ja vier Ruder. Valdemar wurde ans Steuer kommandiert. Gustav gab ihm die Richtung an, in der er steuern mußte.

So ging es mit vereinten Kräften gewaltig schnell dahin, zuerst eine kleine Strecke vom Ufer weg aufs Meer hinaus, dann nach links dem Strande entlang auf Malmö zu. In stürmischer Eile schoß unsere »Laura« wieder durch die Wellen. Die weite Wasserfläche glitzerte immer prächtiger im silberhellen Licht der Morgensonne.

Valdemar saß vergnügt am Steuer und hatte große Freude.

»Ist das aber eine Fahrt!« rief er mir zu. »So haben wir es gestern nicht gekonnt, Nonni!«

»Ja, Gustav hat aber auch viel Kraft!«

»O, das macht es nicht«, sagte der Junge bescheiden; »ich bin nur sehr ans Rudern gewöhnt.«

Nach und nach wurde der Wind stärker. Er wehte seitwärts von der Küste her. Ich wurde bald müde, und da ich es im Rudern nicht mehr lange mit Gustav hätte aufnehmen können, schlug ich vor, die Segel zu hissen.

Gustav, der auch sehr tüchtig im Segeln war, erklärte sich sofort damit einverstanden. »Mit diesem Seitenwind«, sagte er, »können wir Malmö ebenso schnell durch Segeln erreichen wie durch Rudern.«

Wir richteten den Mast auf und hißten die Segel. Das Steuer führte jetzt Gustav. Er wollte immer Beschäftigung haben und war immer aufmerksam gegen uns. Sonst aber benahm er sich etwas still und zurückhaltend.

Ich konnte das gut verstehen. Er dachte gewiß noch immer an unsere eigentümliche Begegnung am vorhergehenden Tag, und dieser Gedanke schien ihn zu bedrücken. Ich entschloß mich daher, offen mit ihm darüber zu sprechen.

Während unser Boot ganz allein vom Wind getrieben wurde, begann ich folgende Unterhaltung:

»Gustav, bist du gern mit uns gegangen?«

»O ja.«

»Das hat uns sehr gefreut, Gustav. Wenn wir dir nur auch etwas dafür geben könnten!«

»Das braucht ihr doch nicht«, erwiderte er. »Ich bin euch noch viel mehr schuldig als ihr mir.«

»Aber wofür denn, Gustav?«

»Weil ihr mir gestern abend so geholfen habt.«

»O das! – das war ja nichts! Du warst doch nicht der Schuldige! Du hattest uns ja nichts getan!«

Ein wenig lächelnd antwortete er: »Ich bin aber dabei gewesen, wo sie euch angegriffen haben.«

»Das ist wahr; aber du hast uns ja nicht einmal angerührt! Ich bin sicher, du hast uns nichts Böses tun wollen.«

»Nein, das wollte ich nicht, und es hat mir leid getan, daß die andern euch so mißhandelt haben.«

»Das habe ich gemerkt, Gustav. Wir sind dir darum auch gar nicht böse. – Nun sag aber, wie ist es euch denn gestern noch weiter gegangen? Hat der andere noch arg am Kopf geblutet?«

»Nein, aber wir haben ordentlich mit ihm gezankt, weil er so unvorsichtig ein fremdes Boot angegriffen hat. Du hättest ihn ja totschießen können.«

Hier brach ich dieses Gespräch ab, denn ich wollte Gustav nicht gern meine List mit den blinden Patronen verraten. Es schien mir passender, wenn es nicht herauskäme. Ich fuhr deshalb fort:

»Ja, das hätte er nicht tun sollen, Gustav. Hätte er uns in Ruhe gelassen, dann wären wir gestern noch nach Malmö gekommen. Aber es reut mich nicht, daß wir zu euch in den Wald verschlagen wurden, denn ich glaube jetzt, bei euch hat es uns noch besser gefallen, als wenn wir in Malmö hätten übernachten müssen.«

»Bist du noch nie in Malmö gewesen?«

»Nein, ich komme heute zum erstenmal hin. – Ist Malmö eine schöne Stadt?«

»Ja, aber nicht so schön wie Kopenhagen.«

»Das macht nichts, ich freue mich doch darauf, denn es ist für mich die erste schwedische Stadt, die ich sehe.«

»Dann glaube ich, daß es dir in Malmö gefallen wird.«

So sprachen Gustav und ich eine ganze Weile miteinander. Auf einmal rief laut der kleine Valdemar dazwischen:

»Gustav, ich sehe dort eine Menge Schiffsmasten! Dort links! Ist das nicht der Hafen von Malmö?«

Valdemar, der schon einige Male mit dem Schiff in Schweden gewesen war, hatte den Platz richtig wiedererkannt.

»Ja, das ist er«, sagte Gustav. »Wir sind jetzt bald dort.«

Ich wunderte mich sehr, wie schnell wir den Weg zurückgelegt hatten. Aber wir hatten ja kräftig gerudert und dann auch einen guten Seitenwind gehabt.

Ein Stück vor dem Hafeneingang steuerte Gustav plötzlich auf die hohe See hinaus.

»Warum steuerst du jetzt vom Ufer weg?« fragte ihn Valdemar.

»Damit wir am Hafen nicht zu scharf um die Ecke drehen müssen. Die Einfahrt ist nämlich etwas eng dort, da muß man vorsichtig sein. Wir könnten sonst mit einem ausfahrenden Schiff oder mit einem Boot zusammenstoßen.«

Gegenüber der Hafeneinfahrt drehte Gustav das Boot wieder nach dem Lande zu. Dadurch bekamen wir aber den Wind gegen uns und mußten die Segel einziehen.

»Jetzt wird es das beste sein, wenn ihr zwei rudert, damit ich steuern kann«, sagte Gustav. »Hier ist es gefährlich.«

Valdemar und ich nahmen jeder ein Ruder und ruderten nun voller Erwartung in den Hafen der Stadt hinein. Gustav steuerte so geschickt, daß wir ohne Gefahr an den eben herausfahrenden Dampf- und Ruderbooten vorbeikamen.

Drinnen im Hafen lagen überall herum Schiffe und Boote. Die meisten waren am Kai festgebunden. Es sah ungefähr so aus wie in Kopenhagen, nur daß hier alles viel kleiner war.

Gustav steuerte an den Schiffen und Booten vorbei nach einer Stelle am Ufer, wo eine Menge Kähne waren. Dort legten wir an und sprangen ans Land.

In der Nähe standen einige schwedische Knaben. Sie kamen gleich zu uns her und betrachteten neugierig uns und unser Boot. Es waren alle prächtige Jungen.

Einer von den kleinen Schweden zeigte mit der Hand auf unsern Kahn und rief: »Laura!«

»Ein schöner Name«, sagte ein anderer. »Woher mögen die wohl kommen?«

»O frag sie doch!« bat ein Kleiner.

Der Junge trat näher heran und fragte höflich:

»Wo kommt ihr her?«

»Von Kopenhagen«, antwortete ich.

»Von Kopenhagen?« wiederholten die Knaben voll Erstaunen und schauten einander an. Einer schüttelte den Kopf; er schien es nicht glauben zu wollen. Gustav rief ihnen daher auf schwedisch zu:

»Ihr dürft es schon glauben: die sind gestern abend von Kopenhagen herübergekommen.«

Jetzt schienen sie nicht mehr daran zu zweifeln, aber sie schauten uns mit noch viel größerer Neugierde an.

Bald kam auch ein Erwachsener. Dieser nahm unsern Kahn in seine Obhut. Gustav sagte uns, er sei ein Hafenbeamter.

So war nun alles in Ordnung, und wir konnten in die Stadt hineingehen.

Die Knaben, die jetzt wußten, daß wir Fremde waren, gingen in kurzer Entfernung hinter uns her, bis wir in eine der größeren Straßen einbogen; da verschwanden sie wieder.

Gustav führte uns dann durch die Stadt und zeigte uns die Sehenswürdigkeiten. Weil aber Kopenhagen viel größer und schöner war, machten die Straßen und Häuser wenig Eindruck auf mich.

Am meisten gefielen mir die fremden, neuen Menschen. Sie sahen etwas anders aus als die Dänen und sprachen nur Schwedisch. Sie waren fast alle groß und stattlich gebaut und hatten ein kraftvolles, vornehmes Auftreten. Ich fühlte mich gleich zu ihnen hingezogen.

Zuletzt glaubte ich, daß ich wohl ebenso gern in Schweden wie in Dänemark hätte wohnen mögen. –

Als wir wieder in die Nähe des Hafens zurückkamen, luden wir Gustav zu einer Erfrischung in einem schönen Gasthause ein. Wir bewirteten ihn dort reichlich mit dem Besten, was wir kannten: mit Schokolade und Kuchen. Ich bestand darauf, von dem Gelde, das ich so glücklich aus unserm Kampf mit den »Seeräubern« gerettet hatte, alle Kosten des kleinen Abschiedsmahles zu tragen.

Dann kehrten wir nach dem Hafen zurück. Hier bezahlte Gustav dem Beamten eine Kleinigkeit für die Aufbewahrung unseres Bootes.

Valdemar und ich nahmen jetzt Abschied von dem guten Jungen, mit dem wir auf so seltsame Weise bekannt geworden waren. Wir dankten ihm herzlich für seine freundlichen Dienste und baten ihn, er möge auch seine Eltern noch einmal von uns grüßen.

Gustav dankte uns ebenfalls; am meisten aber dafür, wie er noch einmal sagte, daß wir ihn bei seinem Vater so sehr in Schutz genommen hatten.

Dann sprangen wir ins Boot. Wir stießen ab und schwenkten die Mützen zum letzten Gruß an unsern lieben schwedischen Freund.

Während wir am Kai entlang zum Hafen hinausruderten, liefen oben auf dem Damm die munteren schwedischen Knaben mit und begleiteten uns, soweit sie konnten. Sie winkten uns alle mit den Händen und riefen laut:

»Glückliche Reise!«

» Takka so mycket!« (Vielen Dank!) erwiderten wir auf schwedisch.

Von draußen, wo das offene Meer anfing, sahen wir noch immer unsern Freund Gustav an der Abfahrtstelle stehen. Er schwenkte lebhaft mit seinem Taschentuch hin und her. Wir erwiderten seinen Gruß so lange, bis wir ihn nicht mehr sehen konnten. –

Unser Boot schaukelte nun bereits auf den Wellen des Sundes; wir fuhren wieder hinaus auf das große, herrliche Meer!

Je weiter wir uns von der Küste entfernten, desto stärker wurde der Wind. Er wehte gerade von der schwedischen Küste her. Wir pflanzten den Mast auf und hißten alle Segel, da ging es wie mit Sturmeseile fort gegen Dänemark.

»So schnell sind wir noch nie gefahren, Nonni, wie jetzt!« rief Valdemar mir zu. »Wir fliegen ja fast!«

Wir steuerten geradeswegs in der Richtung nach der Insel Saltholm; nur bisweilen, wenn wir einen großen Dampfer oder einen Segler sahen, bogen wir ein wenig aus unserm Kurs heraus und fuhren auf die Schiffe zu, um sie uns von der Nähe anzuschauen. Dabei winkten wir jedesmal den Seeleuten Grüße mit der Hand zu. Sie erwiderten immer sehr freundlich und schienen sich alle zu verwundern, daß wir zwei Knaben uns ganz allein hier draußen, so weit vom Lande weg, in einem Kahn herumtummelten.

Einmal waren wir ziemlich weit nach rechts von unserm Weg abgebogen, zu einem riesigen Dampfer hin, der westwärts gegen Kopenhagen lief. Er gefiel uns so sehr, daß wir uns entschlossen, die »Laura«, wenn es gehe, an ihn anzuhängen und uns von ihm bis gegen den Saltholm mitschleppen zu lassen. Er fuhr für einen Dampfer merkwürdig langsam, und so gelang es uns, ein langes Tau zu erhaschen, das weit über den hohen Schiffsrand herunterhing.

Es war ein Wagnis, doch es glückte.

Wir banden das Ende des Taues vorne an unserm Boot fest und zogen die Segel ein. Sofort schleppte das große Schiff uns hinter sich her. Wir brauchten uns in keiner Weise mehr um unser Fahrzeug zu kümmern; wir saßen nur da und betrachteten das stattliche, mächtige Schiff.

Es war ein englischer Dampfer aus London.

Ein paar von den Matrosen hatten uns bemerkt und kamen oben an den Schiffsrand. Bald gesellten sich noch andere hinzu. Zuletzt waren es eine ganze Anzahl Gesichter, die neugierig zu uns herabschauten. Sie riefen uns auch etwas zu, aber wir verstanden sie nicht. Andere gaben uns Zeichen.

Auf einmal wurde eine lange Strickleiter an der Stelle, wo wir unser Boot festgebunden hatten, heruntergelassen, und ein Mann kletterte zu uns herab.

Wir zogen uns an dem Tau bis zu ihm hin, und so sprang er zu uns ins Boot herein. Er stellte uns allerlei Fragen, die wir aber nicht verstanden. Wir konnten ihm nur immer lachend mit einem Achselzucken antworten.

»Wahrscheinlich meint er, wir sind in Seenot«, sagte Valdemar.

Das glaubte ich auch. Wir suchten ihm deshalb durch Zeichen und Gebärden begreiflich zu machen, daß uns nichts fehle. Auch zeigten wir mit der Hand nach Westen, um ihm anzudeuten, daß wir auf dem Wege nach Kopenhagen seien.

Endlich schien er uns zu verstehen. Er grüßte freundlich, kletterte wieder die Strickleiter hinauf und verschwand.

Nach einer Weile zeigte er sich wieder oben an der hohen Reling, mit einigen goldgelben Apfelsinen in der Hand, und tat damit, als wolle er sie zu uns herunterwerfen. Wir breiteten schnell einen unserer Mäntel aus, um sie aufzufangen.

Jetzt begannen die prächtigen Früchte zahlreich wie von einem geschüttelten Baum auf uns herunterzufallen. Die guten Matrosen machten sich ein Vergnügen daraus, uns förmlich damit zu überschütten.

Wir klatschten in die Hände und dankten ihnen durch Zeichen für das köstliche Geschenk.

Dann aber fingen wir sogleich an, ein paar von den saftigen Goldäpfeln aus den Schalen zu lösen und zu verspeisen. Dabei führten wir die lustigsten Gespräche mit den fremden Matrosen oben auf dem Schiff. Es wurde munter hin und her gelacht. Die Matrosen riefen zu uns herunter und wir hinauf, und doch verstanden wir kein Wort voneinander. Aber gerade das war das Lustige.

Auf einmal rief Valdemar mir zu: »Nonni, wir sind ja schon am Saltholm vorbei!«

Unser heiteres Plaudern und Lachen hätte nicht jäher abgeschnitten werden können als durch diesen plötzlichen Ausruf Valdemars. Ich sprang auf und band in aller Eile unsern Kahn von dem Schiffstau los.

Der englische Dampfer lief seinen Weg weiter gegen Westen.

Valdemar und ich grüßten mit lautem Rufen hinauf zum Abschied. Dann hißten wir die Segel und steuerten südostwärts, zurück nach dem Saltholm. Als wir an der bekannten Stelle nahe bei der verlassenen Holzhütte landeten, war es ungefähr Mittag geworden.

Da fiel uns ein: Wir hatten ja noch keine Fische zum Braten!

Sofort kehrten wir wieder um. Wir fuhren ein Stück ins Meer hinaus und fingen in kurzer Zeit vier prächtige kleine Goldbutten.

Hocherfreut ob der glücklichen Beute ruderten wir zum Ufer zurück und zogen das Boot aufs Land hinauf.

Diesmal sorgten wir dafür, daß es uns nicht wieder von der Flut fortgeschwemmt würde; wir banden es sorgfältig an einem Steinblock fest. Dann setzten wir uns auf den grünen Rasen nieder und bereiteten uns wie zwei richtige »Robinsons« mit eigener Kunst ein Mittagsmahl.

Unsere Vorräte waren jetzt reichlicher als am vorhergehenden Tag, besonders für den Nachtisch. Rosinen und Datteln und Äpfel und Apfelsinen hatten wir übergenug, und der gesunde Knabenappetit fehlte am allerwenigsten.

Wir hielten eine köstliche Mahlzeit.

Nach dem Essen nahmen wir unsere Flasche und die von der schwedischen Waldhütte mitgebrachten Knochen und begaben uns auf den Weg zu unsern vierbeinigen Freunden, den Schafen und ihrem Wächter, dem Schäferhund. Wir fanden sie bald wieder. Die Schafe lagen zur Ruhe im weichen Gras. Einige schliefen, andere waren eifrig mit Wiederkauen beschäftigt.

Der Hund war nicht zugegen. – »Vielleicht hält er dort drinnen im Walde seinen Mittagsschlaf«, sagte Valdemar.

Ich schlug deshalb vor, die Zeit zu benutzen und so schnell wie möglich unsere Flasche mit Milch zu füllen, solang weder der Hund noch ein Bock uns störten.

Gesagt, getan.

Die Tiere ließen uns ruhig zu sich hinkommen und schauten uns zutraulich wie alte Bekannte an. Mehrere Milchschafe standen sogar ganz bereitwillig auf, wie ich es haben wollte, und so konnten wir sie, eines nach dem andern, melken und uns beide an der herrlich duftenden Milch satt trinken.

Zuletzt füllten wir auch noch unsere Flasche bis obenhin.

Dann gingen wir mit den in das dicke Papier eingewickelten Knochen in das kleine Wäldchen hinein, um den Hund aufzusuchen.

Wir blieben stehen und riefen.

Im nächsten Augenblick kam laut bellend auch schon der Hund gesprungen.

Er schien sehr erstaunt über unsern Besuch zu sein. Anfangs setzte er eine strenge Miene auf. Da wir ihn aber sofort mit einem Knochen in der Hand begrüßten, war er im Nu wie umgewandelt. Er wedelte mit dem Schwanze und leckte sich das Maul.

Wir streichelten ihn freundlich und überließen ihm gleich den ganzen Knochenvorrat, damit er tüchtig seinen Hunger stillen könne.

Es war unser letzter Freundschaftsdienst für ihn. Voll Zufriedenheit kehrten wir jetzt zur Hütte zurück und brachten alle unsere Sachen wieder in den Kahn drunten am Meere.

Ehe wir abfuhren, legten wir uns noch ein Weilchen am sonnigen Ufer in das sammetweiche frische Gras, aus welchem schon farbenprächtige wilde Frühlingsblumen hervorleuchteten, und plauderten im Angesicht des azurblauen Sundes von den vielen Erlebnissen unserer abenteuerlichen Reise.

Die schönsten davon hatten wir in dem trauten schwedischen Waldhäuschen und auf dem Saltholm gehabt, dieser einsamen, stillen Zauberinsel, die wir deshalb auch so überaus liebgewannen.

»Auf den Saltholm und nach Schweden gehe ich wieder einmal mit dir, Nonni!« schloß mit Begeisterung der kleine Valdemar die fröhliche Plauderei.

Wir sprangen auf, hüpften in unsern Kahn und stießen hurtig vom Strande ab.

Nach kurzem Rudern hißten wir die Segel und steuerten nun gerade auf Kopenhagen zu, dessen schlanke Türme wir bereits in der Ferne erblickten.

Je mehr wir uns der großen Stadt näherten, desto zahlreicher wurden die Schiffe um uns herum. Oft bogen wir auch hier von unserm Kurs ab, um uns die größten und schönsten von ihnen anzusehen.

Das machte uns immer eine besondere Freude. Es hielt uns nicht lange auf und brachte Abwechslung in unsere Fahrt.

Als wir die dänische Küste erreichten, war es noch ziemlich früh am Nachmittag.

Wir befanden uns gerade gegenüber dem königlichen Schlosse Charlottenlund, wenige Kilometer nördlich von Kopenhagen. Eine Menge Knaben und Mädchen fuhren mit Booten lustig auf dem Öresund hin und her. Wir zogen die Segel ein und grüßten das erste Boot in unserer Nähe. Es waren drei Knaben darin.

»Wo seid ihr gewesen?« riefen sie uns entgegen.

»In Schweden!« antworteten wir.

»In Schweden!? – Mit diesem Boote da seid ihr in Schweden gewesen!? – Das glauben wir nicht!«

»Doch, wir sind in Malmö gewesen. Gestern morgen sind wir vom Neuhafen abgereist. Dann waren wir auf dem Saltholm, da haben wir zu Mittag gekocht und sind dann nach Schweden hinübergefahren. In Schweden haben wir in einer Waldhütte übernachtet. Heute morgen sind wir dann nach Malmö gesegelt. Jetzt waren wir wieder auf dem Saltholm, und von da kommen wir eben zurück.

Voll Staunen schauten die Knaben bald sich und bald uns an. Schließlich glaubten sie uns doch und riefen nun auch andere Boote herbei. Diese kamen von allen Seiten gerudert, bis zuletzt eine ganze kleine Flotte um uns versammelt war.

Den Herankommenden riefen die drei Knaben schon von weitem zu: »Die beiden da sind in Schweden gewesen! Sie sind mit dem Kahn über den Sund gefahren!«

»Über den ganzen Sund? – Das ist nicht möglich!«

»Doch, fragt sie nur selbst!«

Und nun drängten sich die Boote so nahe heran, daß wir uns kaum noch bewegen konnten. Wir wurden bestürmt mit Fragen:

»Wie ist es gewesen? – War es schön?«

»Ja, prachtvoll! Die Schweden waren sehr freundlich mit uns, und wir haben auch vieles erlebt!«

»Was zum Beispiel? Erzählt uns!«

»Vor Malmö sind wir von Seeräubern überfallen worden!«

»Von Seeräubern?«

»Ja, sie wollten uns alles wegnehmen!«

»Was habt ihr dann gemacht?«

»Wir haben mit unserm Revolver auf sie geschossen und haben ihnen ihr Bootstau abgenommen und zwei Ruder und haben sie in die Flucht getrieben!«

Das schien den meisten wieder unglaublich; sie riefen:

»Wo sind die Ruder? Zeigt sie uns!«

Wir nahmen die schwedischen Ruder und hielten sie stolz in die Höhe.

»Und der Revolver! Wo ist der? Könnt ihr einmal schießen damit?«

»Gewiß können wir das!« erwiderte ich, zog den Revolver aus der Tasche und feuerte einen krachenden Schuß in die Luft.

Das machte einen gewaltigen Eindruck. Die ganze Schar spendete uns lauten Beifall. Wir mußten immer auf neue Fragen Antwort geben. Wir erzählten von unserm Besuch auf dem großen Segelschiff und von den vielen Abenteuern auf der Insel Saltholm. Dabei zeigten wir auch die Flasche, die wir von dem fremden Steuermann zum Geschenk erhalten hatten. Sie war noch halb voll von der Schafsmilch.

Die kleinen Zuhörer konnten gar nicht genug staunen über unsere Berichte. Als wir von dem Saltholm erzählten, baten einige, wir möchten sie doch auch mitnehmen, wenn wir wieder einmal mit dem Kahn eine Reise nach Schweden machten.

Das versprach ich ihnen.

Nun stieg aber die Begeisterung aufs höchste. – »Wir gehen mit! – Ich auch! – Und wir auch!« riefen sie laut durcheinander.

Ich antwortete: »Also, dann fahren wir das nächstemal alle zusammen hinüber!«

»O ja, das machen wir! – Das wird großartig! – Dann werden aber keine Seeräuber es wagen, uns anzugreifen!«

»Und dann schlachten wir gleich ein ganzes Schaf auf dem Saltholm und braten es am Spieß!« fügte mit Eifer ein kleiner Knabe hinzu.

So wurden noch allerlei Pläne für unsern nächsten gemeinsamen Ausflug nach Schweden gemacht. In unserer Freude darüber dachten wir gar nicht daran, wie oder wann wir mit einer ganzen Flotte von Booten eine solche Reise ausführen könnten. –

Valdemar und ich nahmen jetzt Abschied von der fröhlichen Kinderschar und arbeiteten uns dann mit dem Bootshaken mühsam aus dem Gewirr der dichtgedrängten Boote hinaus.

Die letzte Strecke unseres Weges legten wir durch Rudern zurück. Da wir nicht zu eilen brauchten, fuhren wir langsam an den großen Schiffen auf der Reede vorbei und betrachteten wieder das lebhafte Treiben der vielbeschäftigten Seeleute.

Durch den inneren Hafen, wo eine Menge Fahrzeuge, große und kleine, uns begegneten, ruderten wir mit der größten Vorsicht.

Endlich erreichten wir den Neuhafen, von wo wir am vorhergehenden Morgen abgefahren waren.

Wir banden den Kahn am Kai fest, packten unsere Sachen zusammen und begaben uns sogleich zu Herrn Petersen, dem Eigentümer der »Laura«, um ihm unsere Rückkehr zu melden. Auch vergaßen wir nicht die beiden Ruder, die wir von den schwedischen »Wikingern« erbeutet hatten; wir wollten sie dem Manne zum Dank für die freundliche Überlassung der »Laura« als Geschenk bringen.

Herr Petersen empfing uns in der liebenswürdigsten Weise.

»Hab' ich es nicht gesagt!« rief er uns entgegen, als wir frisch und gesund mit unsern Paketchen und den beiden Rudern in seine Stube traten, – »hab' ich es nicht gesagt, daß es gelingen wird! Ja, man muß sich nur ein wenig auf das Segeln verstehen! – Aber was ist denn das! Was bringt ihr mir da mit?«

Er deutete verwundert auf die langen Ruder.

»Das ist ein Geschenk für Sie«, erwiderten wir.

»Aber wo habt ihr die denn aufgefischt?«

»Wir haben sie erobert! – in einem Kampf mit Seeräubern!«

Man kann sich denken, mit welchen Augen der alte Seebär uns bei diesen Worten anschaute! Er bat uns, Platz zu nehmen und ihm nun alle unsere Reiseerlebnisse vom Anfang bis zum Ende zu erzählen.

Wir übergaben ihm die Ruder und setzten uns. Dann begann sofort das Erzählen.

Von unsern Abenteuern auf dem Saltholm gefiel ihm am meisten, wie wir mit Hilfe des Floßes unsern verlorenen Kahn zurückgeholt hatten. – »Seht ihr, auf dem Meere braucht es nur Geschick und Verstand«, bemerkte er anerkennend.

Herzlich lachte er über meine Kriegslist mit dem Revolver; der freche Bubenstreich der jungen Burschen aber empörte ihn.

Als wir dann von unserm ersten Landungsversuch im Nebel mitten in den brandenden Wellen erzählten, und wie wir im letzten Augenblick die »Laura« von der gefährlichen Küste zurücksteuerten, da sagte er mit Nachdruck:

»Das habt ihr gut gemacht! Aber ein großes Glück war auch dabei. Wäret ihr zwischen die Steine in die Brandung hineingeraten, so wäret ihr unfehlbar verloren gewesen.«

Zuletzt berichteten wir noch von unserer Begegnung mit den vielen Kindern an der Küste draußen vor Kopenhagen. Hier fügte Valdemar voll Begeisterung hinzu:

»Das nächstemal fahren wir mit einer ganzen Flotte von Ruderbooten nach Schweden hinüber!«

Dieses Vorhaben billigte aber Herr Petersen nicht. »Nein, nein!« entgegnete er rasch, »daraus wird nichts! Das schlagt euch nur gleich aus dem Kopf! Ich gebe euch dafür auch mein Boot nicht!«

Ganz enttäuscht fragten wir: »Aber warum sollte denn das nicht gehen?«

»Warum? – Weil sicher die Hälfte der Kinder auf dem Weg verunglücken würde. Bedenkt doch, wenn ihr vom Nebel oder von einem Sturm überfallen würdet, oder ihr müßtet mit den vielen Kindern notlanden wie diesmal an der schwedischen Küste! Das gäbe das größte Unglück! Drum sage ich, laßt es sein. Ich glaube auch nicht, daß die andern Jungen alle mit Segeln auf dem offenen Meere umgehen können.«

Herr Petersen überzeugte uns jetzt beide von der Unausführbarkeit der geplanten Reise. Dagegen versprach er uns gerne seinen Kahn für weitere kleine Seefahrten, wenn wir uns immer genau nach seinen Ratschlägen richten wollten.

Wir dankten ihm herzlich für seine Freundlichkeit und verabschiedeten uns. –

Ich begleitete zunächst Valdemar nach Hause. Der Kleine konnte es vor lauter Freude kaum erwarten, bis er zu seiner Mutter kam, um ihr von unserer Reise zu erzählen. »Wie wird meine Mutter horchen, Nonni, wenn sie das alles erfährt!« sagte er.

Valdemar wohnte eine Treppe hoch. Ich mußte ganz schnell mit ihm hinaufspringen und ins Zimmer hineingehen. Als seine Mutter uns sah, war sie überaus glücklich, daß ihr Sohn so munter und fröhlich wiederkam.

Beim Erzählen unserer vielen Erlebnisse bemühte ich mich, die zwei Punkte, die vielleicht die Frau hätten erschrecken können, nämlich die Brandung an der schwedischen Küste und die Geschichte mit den »Seeräubern«, so harmlos wie möglich darzustellen. Um so mehr erzählten wir von unserm Aufenthalt in der schwedischen Waldhütte, und wie liebenswürdig die Schweden gegen uns gewesen waren.

Sie lobte uns sehr dafür, daß wir den armen Gustav von weiteren Schlägen gerettet, und daß wir ihn in Malmö mit Schokolade und Kuchen bewirtet hatten.

Valdemar sagte darauf: »Mutter, wenn wir das nächstemal nach Malmö fahren, dann machen wir wieder einen Besuch in der Waldhütte und laden Gustav ein, mit uns nach Kopenhagen zu kommen! Dann muß er bei uns über Nacht bleiben!«

»Gewiß, mein Junge, das muß er.«

Zum Schluß dankte mir die Dame noch, weil ich so gut für Valdemar gesorgt hätte. »Es freut mich«, fügte sie hinzu, »daß ihr so treue Kameraden zueinander seid.«

»Ja, Mutter, Nonni und ich, wir halten immer zusammen! Und jetzt darf ich noch ein Stück mit ihm gehen, nicht wahr?« bat lebhaft mein kleiner Freund.

Die Frau erlaubte es ihm gern, und so wanderten wir bald wieder fröhlich durch die Straßen der Stadt bis an die großen Seen hinaus zur Dossering. Wir waren beide gar nicht mehr müde. Als wir voneinander Abschied nahmen, versprachen wir uns gegenseitig, daß unsere schwedische Reise nicht die letzte sein solle, die wir zusammen machten. –

Den Rest meines Weges bis zum Hause des Professors Gisli Brynjúlfsson legte ich in munterem Laufschritt zurück. Ich stürmte die Treppen hinauf und läutete an der Tür. Das Dienstmädchen, welches mir aufmachte, klatschte in die Hände, als sie mich wiedersah, und rief:

»Ah, da ist ja der kleine Nonni wieder! Jetzt komm aber nur schnell herein!«

Dann faßte sie mich am Arm und flüsterte mir leise ins Ohr: »Die beiden Damen sind bange um dich, Nonni! Sie fürchten, du hättest Schiffbruch gelitten auf dem Sund!«

Ich mußte laut darüber lachen und fragte das Mädchen:

»Ist der Herr Professor zu Hause?«

»Ja, Nonni, alle sind da. Mach nur schnell, damit sie sehen, wie frisch und gesund du aussiehst!«

Sie nahm mir Mütze und Überzieher und den Rest meiner Reisevorräte ab, ordnete rasch einiges an meinem Anzug und bürstete in aller Eile den Staub von meinen Kleidern. Dann schob sie mich in den Salon hinein und meldete dem Herrn Professor und den beiden Damen meine Ankunft.

Herr Brynjúlfsson, seine Frau und seine Mutter kamen fast gleichzeitig aus ihren Gemächern zu mir in den Salon. Die Damen waren vor Freude ganz aufgeregt. Sie zogen mich gleich zum Sofa hin, nahmen mich in ihre Mitte und behandelten mich mit einer so stürmischen Herzlichkeit, als wäre ich soeben von dem größten Unglück errettet worden.

Der Herr Professor begnügte sich damit, mir die Hand zum Gruß zu reichen. Er sagte nur:

»Es freut mich, Nonni, daß du wieder da bist. Ich habe dich um diese Zeit erwartet. Nachher kommst du auf mein Zimmer und erzählst auch mir etwas von deiner großen Reise.«

Dann ging er in sein Arbeitszimmer zurück.

Die Damen überschütteten mich nun förmlich mit Fragen. Ich mußte ihnen alles aufs genaueste erzählen. Da ich aber wußte, wie ängstlich sie waren, wagte ich nicht, ihnen auch die Gefahren unserer Reise vollständig zu beschreiben. Hingegen die schönsten Erlebnisse auf dem Saltholm, in der freundlichen schwedischen Waldhütte, die malte ich mit den lebhaftesten Farben aus.

Beide waren ergötzt von dem prächtigen Verlauf unserer Seefahrt und von meinem frischen Aussehen. Schließlich meinten sie selbst, daß eine solche Reise doch nicht so gefährlich sei, wie sie gedacht hätten.

Nachdem ich bei ihnen fertig war, ging ich zum Herrn Professor hinein, um noch einmal von vorne zu beginnen. Hier brauchte ich keine Vorsicht anzuwenden; ich erzählte ihm auch alle Gefahren, die wir bestanden hatten, ganz offen, ja diese am ausführlichsten und am grellsten.

Aber gerade die Schwierigkeiten, meinte der Professor, seien sehr nützlich für uns gewesen. »Das gibt Erfahrung! Das stählt den Mut!« sagte er. – »Übrigens waren die Gefahren nicht so schrecklich, kleiner Freund. Nur in der Brandung an der schwedischen Küste, dort hätte es ein schlimmes Ende nehmen können; doch ihr habt da eure Sache wirklich brav gemacht. – Das andere mit den Wikingern«, lachte er, »das war eine bloße Kinderei, ein Bubenstreich; für euch freilich kein angenehmer. Aber ihr habt die Burschen richtig nach Hause geschickt, wie sie es verdienten. – Und nun, mein Lieber, möchte ich noch hören: Wie haben dir denn die Schweden gefallen?«

»Die Schweden waren sehr liebenswürdig gegen uns, Herr Professor; sie haben mir sehr gut gefallen.«

»So, das freut mich, Nonni. Und weil diesmal alles so gut verlaufen ist, darfst du von mir aus, wenn du Lust hast, später wieder einmal eine größere Kahnfahrt machen.«

Mit diesem Versprechen, das mir am liebsten war, entließ mich der Professor.

Am folgenden Tag mußte ich zu Herrn Dr. Grüder in die Breitstraße zurückkehren, denn meine Ferien waren zu Ende.

Als ich von Professor Gisli Brynjúlfsson Abschied nahm, fragte ich ihn:

»Muß ich Herrn Dr. Grüder etwas von dem Ausflug sagen?«

»Nein, das brauchst du nicht, Nonni«, gab er lächelnd zur Antwort.

Ich hielt an dieser Entscheidung fest und habe nie in der Breitstraße etwas von meiner schwedischen Reise erzählt.

 


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