Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

4. Auf den Wällen von Kopenhagen – Valdemar und Karl

Als Dr. Grüder fort war und wir ihn unter den vielen Menschen auf der Straße bald nicht mehr sehen konnten, sagte Herr Foß zu mir:

»Nun, wie gefällt dir dein zukünftiger Hausherr?«

»Ich kann ihn schon gut leiden, Herr Kapitän. Er ist so freundlich. Wenn die andern deutschen Herren auch so sind wie er, dann werde ich leicht mit ihnen auskommen.«

»Sie werden alle gut mit dir sein, Nonni«, versicherte der Kapitän.

Und nach einer Pause fügte er noch hinzu: »Wahrscheinlich werden sie dich bald auch in die Schule schicken. Da mußt du aber dann fleißig sein.«

»Ja, das habe ich mir – vorgenommen, Herr Kapitän«, erwiderte ich mit einem leisen Seufzer.

Diese Wendung des Gespräches gefiel mir nicht, denn vor der Schule hatte ich ein gewisses heimliches Grauen. Ich war deshalb froh, als wir unsern Weg wieder fortsetzten.

Von der Breitstraße war jetzt nur noch ein kleines Stück übrig. Am Ende der Straße, dachte ich, müsse die Stadt aufhören, denn man sah dort hohe Bäume, grüne Rasenflächen mit Blumen und zierlichen Sträuchern, alles in den feurigen, goldnen Farben des Herbstes. Es sah schon von der Ferne prachtvoll aus.

Ich fragte den Kapitän, was das für eine Gegend sei. Er sagte:

»Das ist ›Grönningen‹, Nonni. Dort sind die alten Festungswälle und die Festungsgräben von Kopenhagen; sie sind aber jetzt in Anlagen verwandelt.«

Wir traten nun schon aus der Breitstraße hinaus, und gerade vor uns lag das lieblich-schöne Grönningen.

Mit Entzücken betrachtete ich die neuen und seltsamen Dinge hier: die tiefen Festungsgräben und die hohen grünen Wälle mit den alten Riesenbäumen darauf, die in langen Reihen dastanden. Ihre mächtigen Kronen ragten hoch in die Luft empor.

Nachdem wir eine Zeitlang vorangegangen waren, hörte ich auf einmal fröhliches Lachen und Rufen wie von einer Menge spielender Kinder. – Unter den großen Bäumen droben auf den Wällen mußte es förmlich von spielenden Knaben wimmeln! Je näher wir hinkamen, um so deutlicher hörten wir ihre silberhellen Stimmen, ihr lautes, lustiges Lachen.

Ich faßte den Kapitän beim Arm und rief voll Begeisterung aus:

»Herr Kapitän, wie glücklich müssen doch diese Kinder sein, daß sie den ganzen Tag an solchen schönen Plätzen spielen dürfen!«

»Aber Nonni, was denkst du denn!« entgegnete Herr Foß, »die spielen doch nicht den ganzen Tag! Sie spielen nur zwischen den Schulstunden!«

»Gehen denn alle diese Kinder in die Schule, Herr Kapitän?«

»Natürlich!«

»Wie kommt das aber! Die Matrosen haben mir gestern gesagt, die Kinder in Kopenhagen dürfen den ganzen Tag spielen und sich vergnügen!«

»Das haben sie dir wahrscheinlich nur im Spaß gesagt.«

Als wir gleich darauf schon ganz nahe bei den hohen Wällen waren, bekam ich gewaltige Lust, am Spiel der Kinder teilzunehmen. Ich bat deshalb Herrn Foß:

»O, sollten wir nicht ganz hinaufgehen? Vielleicht darf ich ein bißchen mitspielen – nur ein ganz klein wenig, Herr Kapitän.«

»Gewiß, mein Junge, das darfst du«, erwiderte Herr Foß.

Oben auf den Wällen angelangt, sahen wir vor uns einen geräumigen Spielplatz, wo unzählige Kinder sich munter herumtummelten.

Zuerst blieben wir eine Weile auf dem äußeren Rande des hohen Hügels stehen und schauten zu. Endlich sagte Herr Foß zu mir:

»Geh nur hin zu den Knaben, Nonni, und spiele mit ihnen. Ich will mich unterdessen auf einer Bank dort unter den Bäumen ausruhen. Wenn es Zeit ist, werde ich dich rufen.«

Bevor der Kapitän zu den Bänken hinüberging, bat ich ihn, meinen Napoleonskuchen, den ich bis jetzt immer in der Hand getragen hatte, für mich aufzubewahren. Er nahm mir das Paketchen bereitwillig ab. Dann ging er hinüber und setzte sich. Ich aber lief freudig hüpfend zu den Kindern hin.

Welch munteres, frisches Leben hier war! Welche Lust und Fröhlichkeit! Welch eine Bewegung!

Ich spähte nach einer passenden Gelegenheit, mich in den wogenden Kinderstrudel hineinzuwerfen. Es muß wonnig sein, dachte ich, mit ihnen zu spielen!

Die Gelegenheit war bald da, aber nicht zum wonnigen Spiel, wie ich mir gewünscht hatte.

Nahe an mir vorbei kamen nämlich soeben in sausender Eile zwei Knaben gesprungen, ein größerer und ein kleinerer. Sie waren beide sehr erhitzt in ihren Gesichtern. Der Große, etwa vierzehn bis fünfzehn Jahre alt, stark und kräftig, mit glühendem, wildem Blick, wie mir schien, verfolgte den Kleinen. Dieser war ein unschuldig, gutmütig aussehender Knabe von zehn bis elf Jahren. Er verstand es aber geschickt, durch blitzschnelle Wendungen nach rechts und links seinem an Kraft überlegenen Gegner auszuweichen.

Ich betrachtete mit größter Aufmerksamkeit den spannenden Auftritt.

»Valdemar, geschwind! Schnell, Valdemar!« wurde von allen Seiten dem tüchtigen Kleinen zugerufen.

Der Kleine hieß also Valdemar. Ich fühlte mich schon stark zu ihm hingezogen. – »O, wenn er nur seinem bösen Verfolger entkommt!« dachte ich im stillen.

Allein gerade als der frische kleine Läufer schon ganz atemlos, aber doch immer fröhlich lachend an einem der großen Bäume vorbeisprang, strauchelte er an einer knorrigen Wurzel und fiel zu Boden.

Im nächsten Augenblick war der Große über ihm.

Mich packte der Ärger, besonders da der Sieger sofort begann, mit geballten Fäusten auf den tapfern kleinen Gegner einzuschlagen.

»Das laß aber sein, Karl!« riefen die andern Knaben dem Großen zu. »Laß sein! Das ist eine Feigheit!«

Doch Karl hörte nicht auf die Rufe seiner Kameraden, die fast alle kleiner waren als er. Je mehr sie riefen, desto mehr schlug er den kleinen Valdemar, der schon laut vor Schmerz aufschrie.

Empört über eine solche Roheit, rief ich einem Jungen zu, der nicht weit von mir stand:

»Schau doch, wie der Bube dort den Kleinen mißhandelt! Das ist niederträchtig!«

»Gewiß, aber so macht es Karl immer«, antwortete der Knabe.

Meine Mutter hatte mir oft gesagt, ich solle mich, wo ich könne, der schwächeren Kinder annehmen, wenn ihnen Unrecht getan werde, und ihnen nach Kräften helfen. Dieser Ermahnung glaubte ich jetzt folgen zu müssen. Statt Herrn Foß herbeizurufen, was hier wohl das klügste gewesen wäre, stürzte ich mich voll Entrüstung auf den starken großen Knaben. Ich schlang meine Arme um ihn und versuchte, ihn von seinem Opfer loszureißen.

Als Karl sich so unerwartet angegriffen fühlte, drehte er den Kopf herum und warf mir einen grimmigen Blick zu. Er sah sich gezwungen, Valdemar loszulassen. Dann aber kam er auf die Beine, und nun begann ein heftiges Ringen zwischen ihm und mir.

»Was geht das dich an! – Laß du mich los!« rief er immer wieder, während er wie ein Wütender sich gewaltig anstrengte, nun auch mich zu Fall zu bringen.

Er riß und zerrte mich hin und her und wollte mich bald nach links, bald nach rechts schleudern, so daß ich mich nur mit größter Mühe aufrecht halten konnte.

Wir rangen wie auf Leben und Tod. Keuchend vor Wut und Anstrengung schrie Karl:

»Das sollst du bereuen! Das sage ich dir! Wart nur ein wenig! Du wirst schon sehen, wie ich dir das heimzahle! Überhaupt, was hast du hier zu tun?«

»Ich wollte nur dem kleinen Valdemar helfen«, erwiderte ich. »Er ist ja doch für dich zu klein. Du hättest ihn nicht so schlagen sollen. Das sagen auch alle andern.«

»Schere dich um deine Sachen und nicht um die meinen!« keuchte er zurück.

Unser Ringen wurde immer wilder.

Kapitän Foß konnte uns von seiner Bank aus nicht sehen, und so hatte ich keine Hilfe von ihm zu erwarten.

Zum Glück für mich war ich im isländischen Ringkampf, den man »Glima« nennt, gut bewandert. Ich hatte mich sehr oft mit meinen Spielkameraden zu Hause darin geübt und kannte deshalb manchen Kunstgriff und allerlei Mittel und Wege, um auch einem stärkeren Gegner eine Zeitlang wenigstens standhalten zu können.

Hier kamen mir nun diese Fertigkeiten vortrefflich zustatten. Denn mein Gegner, das merkte ich bald, war viel stärker als ich, und was für mich das gefährlichste war: er war nicht nur sehr stark, sondern auch entschieden boshaft und gerade jetzt sehr zornig.

Ich strengte daher meine Kräfte bis zum äußersten an und tat alles, was ich nur konnte, um nicht von Karl zu Fall gebracht zu werden.

So kämpften wir und drängten uns eine gute Weile rundumher in dem losen, weichen Sand.

Eine Menge kleiner Zuschauer hatten bald einen dichten Kreis um uns gebildet. Alle schienen gespannt auf den Ausgang unseres Kampfes zu sein. Ich hörte, wie einige sagten:

»Wer ist doch der fremde Junge? Den haben wir noch nie hier gesehen. Er wird sich gegen Karl wohl nicht behaupten können.«

Andere riefen mir zu: »Nur drauf los, du Neuer! So, jetzt hast du ihn!«

Wieder andere sagten zueinander: »Es wäre eine Schande für Karl, wenn er mit dem nicht fertig würde!«

An den meisten dieser Ausrufe konnte ich merken, daß Karl unter seinen Kameraden wenig Freunde hatte.

Allmählich lernte ich die Kampfesart meines Gegners immer besser kennen, und ich gewöhnte mich daran. Seine Kniffe waren immer dieselben.

Auch merkte ich bald zu meiner Freude, daß ich doch sicherer auf den Beinen stand, als ich zuerst geglaubt hatte.

Nein, Karl sollte mich nicht so leicht besiegen!

Aber er war so stark und so hitzig, daß ich ihn auch nicht zu Fall bringen konnte.

Ich mußte also zu irgendeiner Kriegslist meine Zuflucht nehmen. In so einem Ringkampf war das ja erlaubt.

Ich überlegte, so gut es mir unter den schwierigen Umständen möglich war, und nahm mir vor, folgendes zu machen:

Ich wollte versuchen, Karl durch einen Scheinangriff zu täuschen. Ich wollte ihn kräftig nach rückwärts drängen und dann plötzlich mich durch einen starken Ruck zurückziehen. Dann würden wir zwar beide hinfallen, aber ich würde es wohl fertig bringen, daß ich obenan zu liegen käme.

Das war mein Plan. Doch ich durfte nicht mehr lange warten, denn ich wurde immer müder.

Ich begann also sofort mit der Ausführung meiner Kriegslist. Ich setzte meinem starken Gegner durch einen kräftigen Druck zu. Ich schob und schob ihn nach rückwärts, so fest ich nur konnte, wie wenn ich ihn um jeden Preis auf den Rücken werfen wollte. Dann aber, als er am allerkräftigsten sich entgegenstemmte, wich ich mit einem plötzlichen Ruck zurück und zog Karl heftig auf mich zu.

Das alles war in wenigen Augenblicken geschehen.

Meine List gelang vollständig. In einem Nu lag der nichts ahnende starke Knabe unter mir im Sand. Ich hatte ihn im Fall durch eine rasche Drehung nach rechts mit mir gerissen, so daß nicht ich, sondern er auf den Rücken zu liegen kam.

Mein Sieg wurde von den zahlreichen kleinen Zuschauern mit lauten Bravorufen begrüßt.

Aber ach, die Freude sollte von kurzer Dauer sein!

Ganz außer sich vor Wut wegen seiner Niederlage, wand und reckte sich Karl so heftig unter mir, daß es ihm bald gelang, sich auf mich zu wälzen und mich auf die Erde niederzudrücken, gerade so, wie er es vorher mit dem kleinen Valdemar getan hatte.

Mein Sieg war also im Handumdrehen in eine Niederlage verwandelt, und alle meine Anstrengungen vermochten nichts daran zu ändern. Ich mußte mich in mein Schicksal ergeben.

»Du hast mir ein Bein gestellt! Dann bin ich gefallen! – Du Elender!« schrie Karl, während er mit den Knien auf mir lag und meine ausgestreckten Arme in den Sand drückte.

»Nein, das ist nicht wahr! Ich habe dir kein Bein gestellt!«

»Doch, du hast's getan! Ihr habt es auch gesehen!« rief er jetzt den andern zu.

»Nein, das hat er nicht!« widersprachen ihm sogleich viele, und einer rief: »Auch wenn er es getan hätte, so wäre es erlaubt gewesen! Im Ringkampf darf man einem ein Bein stellen!«

»Ja, ja, das darf man!« stimmten die meisten bei.

»So, das darf man!« brauste Karl jetzt auf. – »Dann darf man auch das hier!« und er schlug mich mit der Faust mitten ins Gesicht hinein.

»Feigling!« riefen sie nun von allen Seiten. Ich aber suchte aus Leibeskräften mich freizumachen.

Leider gelang mir das nicht. Karl hatte wiederum meine beiden Arme gefaßt.

»Du bekommst jetzt noch mehr! noch viel mehr!« schrie er. »Wart nur ein wenig, wir sind noch lange nicht miteinander fertig!«

Da machte ich verzweifelte Anstrengungen, meine Arme freizubekommen. Der Schlag ins Gesicht hatte mich gewaltig empört und mir neue Kräfte gegeben.

Endlich brachte ich es fertig, meinen rechten Arm loszureißen, und nun konnte ich wenigstens die Schläge Karls abwehren. Zugleich kam noch der kleine Valdemar mir zu Hilfe. Er hatte meine gefährliche Lage erkannt und wollte sich mir dankbar zeigen. Er warf sich über Karl und faßte ihn mit beiden Händen an einem Arm.

Dadurch gelang es mir, auch meinen zweiten Arm noch freizumachen, und da ich jetzt ernstlich böse geworden war, wäre es sicher Karl schlimm ergangen, wenn nicht plötzlich Kapitän Foß herbeigekommen wäre und mit ein paar kräftigen Griffen uns auseinandergerissen hätte.

»So, jetzt ist's genug!« rief er mit gebieterischer Stimme.

Er mußte uns wohl schon eine Weile zugesehen haben.

Keiner von uns getraute sich, ihm zu widerstehen. Wir standen auf und schlugen schweigend den Staub aus unsern Kleidern. Dabei halfen mir eine Menge kleiner Hände. Valdemar brachte mir meine Mütze, die während des Kampfes weit fortgeflogen war. Karl mußte die seinige selbst suchen; auch half ihm niemand seine Kleider reinmachen.

Ich empfand deshalb aufrichtiges Mitleid mit ihm, weil er keinen einzigen Freund unter den Knaben zu haben schien.

Während ich so dastand und meine Beobachtungen über Karl anstellte, fühlte ich auf einmal, daß eine kleine Hand meinen Arm berührte. Es war Valdemar. Er zog mich sanft einige Schritte beiseite und fragte:

»Wie heißt du?«

»Ich heiße Nonni.«

»Nonni?« wiederholte er, verwundert über den ihm ganz fremden Namen, und schaute mir gerade in die Augen hinein. Dann sagte er weiter:

»Nonni, ich danke dir sehr, daß du mir gegen Karl geholfen hast. Denn es ist sonst keiner da, der ihn anzugreifen wagt. Er ist so stark und wird gleich so zornig, und will sich immer rächen.«

»O, wir sind jetzt fertig mit ihm«, antwortete ich, »und es freut mich, Valdemar, daß ich dir helfen konnte.«

Der kleine Knabe sagte hierauf ganz leise und innig:

»Aber wir müssen zusammenhalten, Nonni. Ich will immer auf deiner Seite sein, besonders gegen Karl.«

Diese Worte rührten mich. Ich reichte dem Kleinen die Hand und sagte:

»Dann, sind wir also Freunde!«

»Ja, Nonni, das wollen wir sein!«

»Hat Karl gar keine Freunde unter den Knaben?« fragte ich jetzt.

»Doch, einige von den Größeren halten oft zu ihm, aber die sind gerade nicht hier.«

Ich schaute nun meinen neuen Freund etwas genauer an und bemerkte, daß er ein paar Beulen im Gesicht hatte. So stark hatte Karl ihn geschlagen.

Der Knabe tat mir sehr leid.

Da bekam ich sofort eine glückliche Eingebung: »Wart ein wenig, Valdemar«, sagte ich, »ich habe ein kleines Freundschaftsgeschenk für dich.«

Dann lief ich zum Kapitän Foß hin, holte meinen Napoleonskuchen und bat Valdemar, er möge ihn als Zeichen meiner Freundschaft annehmen.

»Was ist da drin?« fragte er.

»Es ist ein Napoleonskuchen, den hat mir heute morgen ein kleiner Junge im Neuhafen geschenkt.«

Valdemar sträubte sich anfangs, mein Geschenk anzunehmen. Schließlich war er aber doch dazu bereit. – »Ich danke dir herzlich, Nonni«, sagte er, indem er mir die Hand drückte. »Ich hoffe, daß ich es dir einmal vergelten kann.«

Ich aber fühlte mich überglücklich, daß ich meinen Napoleonskuchen einem so guten und lieben Jungen hatte schenken können.

Herr Foß war inzwischen mitten unter den Knaben gestanden und hatte sich mit ihnen unterhalten. Er rief mir jetzt zu, daß es Zeit für uns sei.

Ich gab Valdemar schnell die Hand und lief zum Kapitän hin.

»So, jetzt gehen wir, Nonni«, sagte er.

Indes bevor wir aufbrachen, konnte es der immer noch zornige Karl nicht unterlassen, mir nachzuschreien:

»Hör mal, du! – Wir sind noch nicht quitt! – Ich werde dich schon wiederfinden! – Dann zahle ich es dir heim! – Meinen Namen hast du ja gehört: Ich heiße Karl und wohne in der Großen Königstraße Nr. 52, hier ganz in der Nähe! – Und jetzt, wenn du kein Feigling bist, sag auch du mir, wie du heißest und wo du wohnst!«

»Ich heiße Nonni und wohne in der Breitstraße 64. Das ist auch hier ganz in der Nähe!«

Nunmehr faßte mich der Kapitän rasch beim Arm und zog mich mit sich fort. Er sagte: »Antworte ihm doch nicht! Du hättest ihm nicht sagen sollen, wo du wohnst! Er will nur Händel mit dir haben!«

»Aber, Herr Kapitän, er hat gerufen, wenn ich kein Feigling sei, solle ich ihm sagen, wo ich wohne! Da mußte ich es ihm doch sagen!«

»Nein, Nonni, das brauchst du nicht. Kümmere dich gar nicht darum, was solche Knaben sagen. Halte dich fern von dem: er ist ein frecher Junge und kann dir nur schaden.«

Ich versprach Herrn Foß, seinen Rat zu befolgen.

Als wir dann ein Stück weit gegangen waren, wandte ich mich noch einmal um und sah, daß Valdemar mir mit der Hand zum Abschied winkte.

»Leb wohl, Valdemar!« rief ich ihm zu.

»Leb wohl, Nonni!« klang seine helle Stimme zurück.

»Ja, ja! Adieu du!« rief nun auch Karl. »Wir sehen uns wieder, und zwar bald!«

Ich wollte antworten, doch Herr Foß verhinderte es. Wir gingen rasch die Wälle hinunter.

Jetzt fiel mir ein, daß Owe am Tage vorher mich vor den Gassenjungen gewarnt hakte.

Sollte Karl vielleicht ein Gassenjunge sein?

Ich erzählte dem Kapitän, was Owe mir gesagt hatte, und fragte ihn dann, ob Karl ein solcher Junge sei.

»Nein, ein Gassenjunge ist er gerade nicht«, meinte Herr Foß; »aber er ist ein hitziger Bursche.«

»Herr Kapitän, er hat mich mitten ins Gesicht hineingeschlagen.«

»Ja, das sieht man; du hast eine Beule unter dem linken Auge.«

»Hier, Herr Kapitän?« fragte ich und deutete mit dem Finger an die verwundete Stelle. »Da tut es mir ein wenig weh. Aber solche Sachen bekommt man oft, wenn man viel mit größeren Knaben spielt. Ich bin daran gewöhnt.«

Herr Foß lachte: »So, du bist daran gewöhnt? – Das ist aber eine sonderbare Gewohnheit, Nonni! Ich meine, es wäre besser, du würdest dich an solche Abenteuer nicht zu sehr gewöhnen.«

Ich mußte nun ebenfalls lachen. Dann sagte ich:

»Herr Kapitän, es war aber doch ärgerlich, daß ich den Karl nicht festhalten konnte!«

»Denk nur nicht weiter daran, Nonni. Merke dir, was ich gesagt habe: halte dich fern von Karl und von allen Jungen seiner Art; sie passen nicht für dich.«

Ich nahm mir sogleich vor, diesen Rat des Kapitäns zu befolgen.

Aber was sollte ich tun, wenn Karl mir wieder begegnete? – Er hatte ja gesagt, er werde es mir heimzahlen.

Der Kapitän schien meine Gedanken erraten zu haben, denn er fügte hinzu:

»Ich rate dir, Nonni, geh nirgendwo mit diesem Jungen allein. Wenn er dir auf der Straße begegnet oder an einem andern Ort, wo viele Leute sind, da kann er dir nichts Böses tun. Versucht er aber, dich an einen einsamen Ort hinzulocken, dann folge ihm nicht, er wird sich sonst sicher an dir rächen. Und da er nun einmal viel größer und stärker ist als du, so würde er dich leicht mißhandeln können. Drum sei vorsichtig mit ihm.«

Diese Worte des Kapitäns beruhigten mich. Ich war nämlich fest davon überzeugt, daß Karl bei der nächsten Gelegenheit mich überfallen werde. Jetzt wußte ich aber, wie ich mich ihm gegenüber zu verhalten hatte.


 << zurück weiter >>