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9. Im Kampf mit »Seeräubern«

Durch den Besuch auf dem fremden Segelschiff waren wir weit nordwärts von unserm Kurs abgekommen und mußten deshalb ziemlich lange wieder nach Süden steuern. Um die versäumte Zeit einzuholen, ruderten wir mit allen unsern Kräften, bis wir beide ganz erhitzt und durstig waren. Dem kleinen Valdemar perlten die Schweißtropfen von der Stirn herunter, und er verlangte bald wieder zu trinken.

»Das können wir ganz gut«, sagte ich zu ihm, »wir haben ja jetzt eine große Flasche voll Wasser. Aber es ist gefährlich, Valdemar, gleich kalt hineinzutrinken, wenn man erhitzt ist. Wir müssen zuerst ein bißchen essen. Was willst du?«

»Was nimmst du?« fragte er.

»Ich meine, wir wollen das Paket aufmachen, das uns der Steuermann gegeben hat, und sehen, was darin ist.«

»Ja, Nonni, das tun wir!«

Wir öffneten das Paket und fanden zu unserer Überraschung, daß es wieder drei kleinere Paketchen enthielt.

Neugierig machten wir auch diese auf. Sie waren sehr hübsch verpackt. Ich sagte darum zu Valdemar: »Da kommt sicher etwas Feines heraus!«

Und siehe da, ich hatte richtig geraten. In dem ersten Paketchen waren Rosinen, im zweiten Feigen und im dritten Datteln.

Etwas Besseres hätte der gute Steuermann uns nicht schenken können. Wir nahmen ein wenig Brot und aßen von den süßen Früchten dazu. Dann erst labten wir uns an dem kühlen Trank der Wasserflasche.

Hier wurden wir aufs neue überrascht. Als wir nämlich zu trinken anfingen, merkten wir, daß das Wasser mit Zucker und Zitronensaft vermischt war.

Das hatte gewiß der freundliche junge Steuermann selbst getan.

Wie lieb und gut war doch dieser fremde Herr gegen uns gewesen!

Wir tranken zwei volle Becher des köstlichen Getränkes und verwahrten dann sorgsam die Flasche samt den noch übrigen Rosinen, Feigen und Datteln hinten in unserm Kahn. Wie neubelebt ergriffen wir die Ruder und setzten munter die Reise fort.

»Jetzt kommen wir leicht noch vor Sonnenuntergang nach Malmö«, sagte ich. »Schau nur, wie deutlich man die Stadt schon sieht!«

Trotzdem war der Weg noch weit. Doch unser Schifflein lief hurtig dahin. Wir ruderten, so stark wir konnten. Und als unsere Kräfte wieder abnahmen, bot eben zur rechten Zeit ein sanft heranwehender Wind uns seine Hilfe an. Wir hörten mit dem Rudern auf und betrachteten die weite Meeresfläche.

In einiger Entfernung vor uns sahen wir, daß das Wasser nicht mehr glatt war; eine Menge winzig kleiner Wellchen kräuselten es da und dort.

»Gott sei Dank, Valdemar, daß der Wind kommt!« rief ich aus.

»Ja, aber er ist wieder gegen uns, Nonni!«

»O, das macht nicht viel! Wir kreuzen einfach wieder! Komm, ziehen wir die Segel auf! Das wird fein, Valdemar, wenn wir vor der schwedischen Küste so hin und her kreuzen!«

Wir stellten den Mast zurecht und hißten rasch die Segel. Drauf setzte ich mich ans Steuer, während Valdemar in der Mitte des Bootes von einer Ruderbank aus auf die vorderen Segel achtgab.

Der mäßige Wind begann langsam das Boot zu treiben und arbeitete ganz allein für uns zwei, so daß wir in der angenehmsten Weise von unserer bisherigen Anstrengung ausruhen konnten. Ja wir kamen trotz des Hin- und Herkreuzens fast noch schneller voran, als wenn wir in gerader Linie gegen Malmö gerudert hätten.

»Siehst du, Valdemar, jetzt zum Schluß geht es am schönsten!« sagte ich.

Ein um das andere Mal fuhren wir, bald nach links, bald nach rechts, an Malmö vorüber, immer schräg auf die Küste zu. Und jedesmal, wenn wir an der Stadt vorbeisegelten, waren wir ihr ein Stück näher gekommen. Schon konnten wir deutlich die Häuser von Malmö sehen und manchmal fast auch die Leute unterscheiden, die am großen Hafendamm auf und ab gingen. Auch sahen wir längs der Küste kleine Ruderboote hin und her fahren.

Das sind gewiß Knaben und Mädchen von Malmö, dachte ich, die sich auf dem schönen Sund mit Rudern vergnügen. Und wie ich mich freute auf meine erste Begegnung mit den schwedischen Jungen und auf die Landung in der fremden Stadt!

Leider war es aber wohl noch gegen eine Stunde bis nach Malmö, und der Wind wurde wieder schwächer. Das Boot wollte nicht mehr recht laufen. Zuletzt ging es so langsam, daß wir uns entschließen mußten, die Segel zu streichen und den Rest des Weges durch Rudern zurückzulegen.

Wir steuerten jetzt in gerader Linie auf Malmö zu.

Plötzlich deutete Valdemar mit der Hand auf einen Kahn, der in rascher Fahrt auf uns zukam, und rief:

»Da kommt ein Kahn, Nonni! Ich glaube, der will uns treffen!«

Wir hielten still und schauten aufmerksam nach dem fremden Fahrzeug. Es waren drei Burschen darin, alle drei bedeutend größer als wir. Sie waren, soweit wir sehen konnten, schlecht gekleidet und sahen verwegen aus.

»Nonni, was sind denn das für Burschen?« sagte Valdemar, indem er ängstlich auf sie hinstarrte. »Sie kommen ja gerade auf uns zu!«

Um ihn zu beruhigen, machte ich den Vorschlag, wir wollten versuchen, ihnen auszuweichen.

»Ja, Nonni; aber wohin?«

»Wir ändern den Kurs«, sagte ich, »und statt nach Malmö – fahren wir eine Zeitlang nach Norden. Dann werden wir gleich sehen, ob sie uns suchen oder ob sie nur zu ihrem Vergnügen hier herumfahren.«

Wir wendeten also schnell unser Boot und ruderten aus Leibeskräften nordwärts, fort aus der Nähe der unheimlichen Gesellen.

Gleich darauf riefen rohe Stimmen, die wir kaum verstanden, uns nach:

»Wollt ihr warten! Wir haben euch etwas zu sagen!«

Jetzt wußten wir Bescheid: Sie wollten uns treffen! Unser Boot war ihr Ziel!

Aber was mochten sie vorhaben? – Ich konnte mir nichts anderes denken, als daß sie in feindlicher Absicht kamen. Wir gaben ihnen deshalb keine Antwort, sondern ruderten um so kräftiger gegen Norden.

»Wartet! oder es geht euch schlecht!« ertönte zum zweitenmal ihr Ruf.

Sie hatten ebenfalls schon den Kahn gewendet und verfolgten uns.

»Nonni, die wollen uns sicher mißhandeln und ausrauben!« begann Valdemar nun voller Angst.

»Warum denkst du das?«

»Ich weiß es von der dänischen Küste. Dort kommt es auch zuweilen vor, daß solche Buben Seeräuber spielen. Sie rauben dann irgend ein Boot aus, und wenn man sich widersetzt, können sie sehr gefährlich werden. Wir müssen fliehen, Nonni! Sie sind viel stärker als wir!«

Ich sah ein, daß Valdemar recht hatte, und ruderte, so schnell ich nur konnte.

Aber die Burschen mit ihrem Boot kamen uns noch rascher nach. Der Abstand zwischen uns und ihnen wurde immer kleiner. Ich sah mit klaren Augen, daß sie uns bald einholen würden. Und dann würden sie uns gewiß unsern ganzen Reisevorrat rauben und überhaupt alles, was wir hatten.

Unsere Lage war schrecklich.

»Glaubst du, sie werden auch an unsere Taschen gehen?« fragte ich Valdemar.

»Ja, Nonni, ganz sicher. Ich glaube, es sind wirkliche Seeräuber.«

Nun begann auch ich ernstlich besorgt zu werden.

Mit dem Mute der Verzweiflung ruderten wir vorwärts. Doch es half uns wenig. Wir waren schon beide mit Schweiß bedeckt, und unsere Kräfte nahmen rasch ab. Die unheimlichen Räuber aber kamen immer näher. Wir konnten jetzt deutlich sehen, daß sie vorn am Boot rote Schilder angebracht hatten.

Ich verstand sofort die Bedeutung dieses Zeichens: Sie wollten die alten nordischen Wikinger nachahmen, welche blutrote Schilder auf ihren Schiffen aufstellten, wenn sie sich als Feinde einem Fahrzeug näherten. Kamen sie als Freunde, dann stellten sie weiße Schilder auf.

Auch Valdemar wußte das; er fing beinahe zu weinen an und sagte mit angstvollem Blick:

»Nonni, jetzt haben sie noch rote Schilder aufgestellt!«

Um ihn zu beschwichtigen, zeigte ich mich selbst so mutig wie möglich. Ich antwortete:

»Sie wollen uns mit den roten Schildern nur bange machen, Valdemar. Aber wir sind auch stark! Wenn sie uns angreifen, dann nehmen wir die Ruder und verteidigen uns!«

»Um Gottes willen, Nonni, das dürfen wir nicht! Sie würden uns totschlagen! Wir wollen lieber mit ihnen verhandeln.«

»Gut, dann will ich sie einmal anreden.«

Die drei Seeräuber waren schon so nahe an uns herangekommen, daß wir sie jetzt genau sehen und leicht mit ihnen sprechen konnten. Wir hielten mit dem Rudern inne, und mit einer Stimme, die ich möglichst fest und unerschrocken zu machen suchte, rief ich:

»Seid ihr Freunde oder Feinde?«

»Feinde!« riefen sie alle drei zurück.

»Was wollt ihr von uns?«

Ihr Anführer, der am Steuer saß, erwiderte:

»Kämpfen wollen wir und Beute holen bei euch! Und dann werdet ihr gezüchtigt, weil ihr davongefahren seid!«

Sie sprachen Schwedisch, so daß wir sie nur mit Not verstehen konnten.

Ich rief zurück: »Das ist aber feige von euch, denn ihr seid drei und wir nur zwei!«

»Nein, wir sind nicht feige! Es werden nur zwei von uns gegen euch kämpfen! Zwei gegen zwei!«

»Aber ihr seid viel älter und größer als wir, drum ist es doch feige!«

»Das geht euch gar nichts an! Überhaupt könnte ein einziger von uns leicht mit euch beiden fertig werden! Und wenn ihr jetzt nicht haltet, dann lehren wir's euch!«

Ich wollte noch etwas antworten, allein Valdemar bat mich, es nicht zu tun. »Du würdest sie nur noch mehr reizen«, flüsterte er mir zu.

Wir schauten beide ratlos einander an. Von einer Flucht konnte nicht mehr die Rede sein. Die andern hatten schon wieder zu rudern angefangen und kamen eilig auf uns los.

Wir waren unrettbar dem Feinde preisgegeben.

Unter einem drohenden Ruf ihres Anführers lenkten sie ihr Boot gegen die Seite unseres Kahnes. Ihr Steuermann stand auf, nahm einen langen Bootshaken und begab sich von seinem Platz nach dem Vordersteven ihres Bootes. Sobald er uns erreichen konnte, langte er mit dem Bootshaken nach unserm Kahn. Der Widerhaken bohrte sich fest in die Innenseite unseres Bootsrandes.

»Die Ruder herein!« rief ich jetzt Valdemar zu, und sofort zogen wir sie aus dem Wasser und warfen sie ins Boot. Dann sprang ich an die Stelle, wo der Bootshaken sich in unserm Kahn festgebohrt hatte, und versuchte, ihn loszumachen.

Das gelang mir auch. Aber im selben Augenblick bekam ich von einem der Feinde einen so harten Schlag mit dem Ruder auf die Schulter, daß ich beinahe laut aufschrie. Auch Valdemar stieß einen Schrei aus.

»Seid still!« schrie barsch der feindliche Führer, »sonst gibt's noch viel mehr!«

Unwillkürlich ließ ich ihren Bootshaken los und zog mich nach dem Vorderteil unseres Kahnes zurück. Valdemar blieb weiter hinten auf seiner Ruderbank sitzen.

Jetzt packten zwei der feindlichen Angreifer unsern Bootsrand mit den Händen, während der dritte ihren eigenen Kahn an die Stange unseres Steuerruders festband. Ihr Anführer schrie uns wieder zu:

»So, nun bleibt ihr beide ruhig, oder wir schlagen euch tot!«

Wir gaben keine Antwort.

Dann stieg einer von ihnen in unsern Kahn herüber und sah sich nach unsern Sachen um. Sie lagen alle hinten im Book neben dem Steuerruder.

In aller Ruhe nahm nun der Räuber ein Paketchen nach dem andern und reichte sie seinen Genossen hinüber.

Solang dies dauerte, sprachen Valdemar und ich kein Wort. Wir mußten zusehen, wie uns alles, was wir mitgenommen hatten, geraubt wurde: unsere eingekochten Fleischwaren, unsere Gläser mit Gemüse, all unser Brot, die Feigen, Rosinen und Datteln, die Flasche mit dem Zitronenwasser, das Nebelhorn, dann noch unsere Spirituslampe mit dem kleinen Kochtopf, ja sogar unsere Fischleine und die Angeln. Alles wanderte Stück für Stück in das fremde Seeräuberboot hinüber.

Als sie die Sachen hinten im Kahn fortgenommen hatten, sagte der Anführer: »Dort vorne liegen noch zwei hübsche Mäntel, die können wir auch gut gebrauchen!«

Der Eindringling in unserm Kahn stieg sogleich über die Ruderbänke hinweg zu mir vor, nahm unsere Überzieher und warf sie seinen Kumpanen zu. Dann ging er wieder zurück in den hinteren Teil des Bootes.

Nun haben wir alles verloren! dachte ich traurig bei mir.

Doch sie machten noch kein Ende. Zu meinem größten Entsetzen rief der junge Räuberhauptmann abermals:

»Das sind ja wohlhabende Jungens! Los, die Taschen visitiert! Und dann bekommen sie beide ihre Prügel!«

Der Räuber in unserm Kahn faßte sofort den kleinen Valdemar, durchsuchte alle seine Taschen, leerte sie aus und reichte den Inhalt seinem Häuptling hinüber.

Beim Anblick dieses Raubes steckte ich unwillkürlich die Hand in die Tasche, wo ich mein Geld hatte. Es waren mehrere Taler, meine ganze Barschaft. Ich hatte sie vor meiner Abreise in Island von meiner Mutter und einigen Freunden erhalten.

Und jetzt sollte ich sie verlieren! – an diese frechen Räuber! – O, wenn nur jemand uns helfen würde! …

Indessen rief der Häuptling wieder: »Leg ihn über und hau ihn ordentlich durch!«

Valdemar fing an zu schreien und versuchte sich zu wehren. Aber der starke Bursche, der ihn soeben ausgeplündert hatte, packte ihn mit voller Kraft und legte ihn über den Bootsrand, so daß sein Oberkörper außerhalb hinunterhing und bei jeder stärkeren Neigung des Bootes sein ganzer Kopf ins Wasser tauchte.

Der arme Kleine litt Todesangst. »Ich ertrinke! Ich ertrinke!« schrie er weinend und flehend. »Nonni, hilf mir! hilf! Ich ertrinke!«

Ich warf mich schnell auf die andere Seite des Bootes, damit es sich dorthin neigte und Valdemar drüben auf seiner Seite wenigstens den Kopf aus dem Wasser herausbrachte. Zuletzt gelang es ihm sogar, sich zu befreien und wieder ins Boot hereinzukommen.

Als der andere ihn von neuem packte, wehrte er sich aufs äußerste und rief fortwährend nach mir, ich solle ihm doch helfen.

»So, so!« fing jetzt der Häuptling an, »du willst Hilfe haben! – Wart nur ein wenig, wir helfen dir gleich!«

Mit diesen Worten sprang der rohe Bursche in unsern Kahn herüber. Er faßte den kleinen Valdemar fest an beiden Armen, schüttelte ihn heftig und schrie ihm dabei ins Gesicht hinein:

»Jetzt, wenn du noch einmal dich rührst, dann fliegst du über Bord! Verstanden!«

Darauf zerrten sie ihn beide wieder über den Bootsrand. Valdemar sträubte sich mit Händen und Füßen. Er schrie aus vollem Halse:

»Ich ertrinke! Ich ertrinke! Ich falle hinunter! Nonni! …«

Weiter kam er nicht, denn sein Kopf war wieder im Wasser untergetaucht.

»Das tut ihm gut!« lachte der Häuptling. »Er soll nur von dem salzigen Wasser schlucken!«

Dann wandte er sich an seinen Genossen: »Halt ihn fest! Ich will ihm jetzt seine Hiebe verabreichen!«

Inzwischen hatte ich mich wieder auf die andere Seite des Bootes geworfen und es so weit zum Neigen gebracht, daß Valdemar mit dem Kopf abermals über Wasser kam.

Einen besseren Dienst konnte ich ihm leider augenblicklich nicht erweisen, obschon ich vor Begierde brannte, mich auf die Schurken zu stürzen, um meinen armen kleinen Freund aus ihrer Gewalt zu befreien. Aber ich allein war viel zu schwach gegen eine solche Übermacht; ich hätte sicher Valdemar nur noch mehr geschadet.

Mittlerweile sah ich, daß der Häuptling das Ende des Taues, womit ihr Boot an das unsrige festgebunden war, losmachte. Er nahm es und schlug damit so sehr auf den kleinen Valdemar ein, daß er jämmerlich schrie und wieder nach mir um Hilfe rief.

Jetzt konnte ich mich nicht länger zurückhalten. Ich sprang auf, entschlossen, mich auf die beiden Elenden zu werfen und einen Kampf auf Leben und Tod zu wagen, folge was wolle.

Doch einen Augenblick noch besann ich mich. Mir war plötzlich mein Revolver eingefallen und zu gleicher Zeit, in wenigen Sekunden, die kleine Geschichte eines englischen Pickpockets eines Taschendiebes., die ich früher einmal gelesen hatte. Diese Geschichte lehrte mich, wie ich jetzt meinen Revolver gebrauchen könne:

An einer einsamen Stelle in einem Londoner Park ging einst ein reicher Herr spazieren. Auf einmal sprang ein Pickpocket aus dem Gebüsch, stellte sich mit einem Revolver in der Hand vor den Herrn und sagte: »Geben Sie mir alles, was Sie in den Taschen haben, sonst schieße ich Sie tot.« Der Herr mußte ihm alles geben, was er verlangte. Dann reichte der Räuber ihm seinen Revolver mit den Worten: »Da Sie so freundlich waren, mir Ihre Wertsachen zu geben, so schenke ich Ihnen zum Dank meinen Revolver. Bewahren Sie ihn auf als Erinnerung an mich.« Der Herr nahm den Revolver und richtete ihn sofort auf den Räuber. »Jetzt aber keinen Schritt weiter«, sagte er, »sonst schieße ich Sie tot!« Mit einer höflichen Verbeugung antwortete der Räuber: »Bitte schön – der Revolver ist nicht geladen.« Dann verschwand er wieder ins Gebüsch hinein.

Auf ähnliche Weise wollte jetzt ich die frechen Räuber überlisten. Mein Revolver war ja nur mit Knallpatronen geladen, ohne Kugeln, aber er krachte ebenso laut und gab noch mehr Feuer und Rauch als ein richtiger Revolver.

Alles dies kam mir, wie gesagt, blitzschnell in den Sinn. Der arme Valdemar hatte noch kaum drei oder vier Hiebe mit dem Tauende bekommen, da riß ich den geladenen Revolver aus der Tasche, sprang über die zwei vorderen Ruderbänke, stellte mich mitten im Boot in kurzer Entfernung von den elenden Buben auf und rief mit zornbebender Stimme:

»Jetzt ist's genug! Hört sofort auf, oder ich schieße euch wie tolle Hunde nieder!«

Den Revolver hielt ich mit ausgestrecktem Arm gegen den Kopf des Prügelmeisters.

Die Wirkung meines Auftretens übertraf alle meine Erwartungen. Die beiden Räuber wurden kreidebleich. Sie hielten schnell ihre Arme schützend vor den Kopf. Dem erschrockenen Häuptling war das Tau aus der Hand gefallen, und der andere hatte sogleich Valdemar losgelassen, so daß der arme Junge sich wieder aufrichten konnte.

Ich ließ den Häuptling nicht eine Sekunde mehr aus den Augen. Er war der Gefährlichste. Ja, es kam mir vor, daß sein Blick nach und nach etwas sicherer wurde. Er schien sich von seinem ersten Schrecken zu erholen.

Mein Gott! dachte ich, wenn er plötzlich aufspringt und über mich herfällt! Wie furchtbar würde dann unsere Lage werden!

Ich mußte darum meine Rolle mutig weiter spielen und schnell etwas tun, um seinen Schrecken zu erhalten und wenn möglich noch zu vermehren, sonst waren wir verloren.

Ich entschloß mich, einen Schuß abzufeuern.

»Du Feigling!« fuhr ich ihn an, »so grausam hast du den kleinen Jungen geschlagen und hast ihn ertränken wollen! Du verdienst, daß ich dich auf der Stelle niederschieße!«

Der Bursche zuckte zurück. »Schieß nicht!« bat er flehentlich. »Wir wollen euch nichts mehr tun und euch alles wiedergeben. Aber ich bitte dich, schieß nicht!«

»So? Vorher hast du die Bitten des Kleinen verhöhnt, jetzt soll es dir nicht besser gehen! – Ich habe Schüsse genug für euch alle! – Da hast du einen!«

siehe Bildunterschrift

»Ich entschloß mich, einen Schuß abzufeuern.« (S. 300.)

Ich hatte auf seinen Kopf losgedrückt. – Ein furchtbarer Knall! – ein Feuerblitz! – und gewaltiger Pulverdampf und Rauch erfüllten den Kahn!

Zu meiner Verwunderung hörte ich gleichzeitig einen starken Schmerzens- oder Angstschrei.

Es war der Räuberhäuptling. Er hielt sich den Kopf mit beiden Händen, wie wenn er wirklich verwundet worden wäre. Dann sprang er mit ein paar Sätzen von unserm Boot in das ihrige hinüber. Der andere folgte ihm eiligst nach.

Ich aber ergriff rasch das Tau, womit das feindliche Boot vorher an das unsrige festgebunden war, und von dem das eine Ende noch hinten in unserm Kahn lag, und übergab es Valdemar. »Halt es fest!« sagte ich zu ihm. »Sie dürfen nicht mit unsern Sachen davonfahren!«

Valdemar band sogleich das Tau an eine Ruderbank fest. Ich selbst wandte mich wieder an den feindlichen Führer, der sich mit seinen beiden Genossen in größter Angst so weit wie möglich von uns weg in den hinteren Teil ihres Bootes geflüchtet hatte und immer noch mit den Händen seinen Kopf hielt.

»Bist du verwundet?« fragte ich.

»Ja.«

»Blutest du?«

»Ja.«

Ich war erstaunt und konnte nicht glauben, daß ein blinder Schuß, ohne Kugel, ihn verwundet habe. Aber ich durfte mich nicht verraten und mein Staunen nicht merken lassen. Ich antwortete darum:

»Dann kannst du froh sein, daß es dir nicht schlimmer ergangen ist!«

Um sicher zu erfahren, ob er wirklich verwundet sei, fragte ich weiter:

»Hast du Blut an den Händen?«

»Ja.«

»So laß sie sehen!«

Ohne ein Wort zu sagen, zeigte er die innere Fläche seiner rechten Hand. Sie war in der Tat mit frischem Blut gefärbt.

Ich konnte das gar nicht begreifen. Wie es zugegangen war, erfuhr ich erst später.

Eine gefährliche Wunde hatte er wohl nicht davongetragen, denn er klagte nicht im geringsten. Als ich ihn noch einmal fragte, wo es ihm weh tue, deutete er nur mit dem Finger an seinen Kopf oberhalb des rechten Ohres.

Meine nächste Sorge nun war, daß wir unsere Sachen wieder zurückbekämen. Sie lagen alle vorne im feindlichen Kahn. Ich sagte zu Valdemar, er solle hinübergehen und sie holen.

Der Kleine schaute mich verlegen an. Ich merkte, daß er Angst hatte.

»Du brauchst dich nicht zu fürchten«, ermutigte ich ihn. »Sie werden dir nichts tun. Ich stehe ja hier mit dem Revolver in der Hand.«

Dann rief ich zu den drei Burschen hinüber: »Wir holen jetzt unsere Sachen wieder! Wenn einer von euch sich rührt, so schieße ich ihn zusammen!«

Hierauf stieg Valdemar behutsam und immer scheu nach seinen Peinigern blickend ins feindliche Boot hinüber, nahm rasch alle unsere Paketchen und die beiden Mäntel und warf sie in unsern Kahn zurück. Die Flasche mit dem Zitronenwasser reichte er mir in die Hand. Dann kam er schnell wieder herüber.

Nun fehlten noch die aus Valdemars Taschen geraubten Sachen, die der Häuptling eingesteckt hatte. Ich rief diesem zu und forderte ihn auf, alles, was er dem Kleinen weggenommen habe, an unser Boot herzubringen.

Er stand auf, nahm schweigend die Sachen aus seinen Taschen heraus, kam langsam nach vorne und legte alles auf den hintersten Sitz unseres Bootes nieder. Beim Zurückgehen richtete er seinen Blick immer seitwärts auf mich aus Angst vor meinem Revolver.

Zuletzt nahmen wir den besiegten Seeräubern aus ihrem Kahn noch das lange Tau, den Bootshaken und drei von ihren Rudern weg, damit sie uns nicht am Ende doch noch einmal angreifen könnten. Ein Ruder ließen wir ihnen zur Heimfahrt.

Während Valdemar unter dem Schutz meines Revolvers diese Gegenstände in unsern Kahn herüberholte, hielt ich an die hinten in ihrem Boot beisammen kauernden drei »Wikinger« folgende kleine Abschiedsrede:

»Ihr habt mit dem dicken Tau diesen unschuldigen Knaben da geschlagen, drum behalten wir es zum Andenken. Drei von euern Rudern und den Bootshaken nehmen wir als Beute mit. Ihr könnt auch mit dem einen Ruder noch nach Hause fahren. Das ist die Strafe für euern Überfall!«

Dann stieß ich ihren Kahn mit dem Bootshaken zurück und wünschte ihnen »gute Fahrt«.

Sie gaben keine Antwort.

Unsere Boote trennten sich. Valdemar und ich schlugen rasch einen nördlichen Kurs ein und machten dann eine kleine Ruhepause. Die andern aber kamen mit dem einen Ruder, das sie noch hatten, nur langsam und mit Mühe vorwärts.


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