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6. Der Runde Turm

Wir waren soeben um eine neue Straßenecke herumgebogen. Auf einmal wandte sich der Kapitän nach links und sagte:

»Siehst du, Nonni, dort drüben?«

Ich schaute neugierig nach der bezeichneten Richtung hin und entdeckte nun in der Ferne über allen Dächern, hoch in die Luft ragend, eine graue, ungeheuer große, runde, steinerne Masse, deren oberster Rand, wie mir schien, von einem Geländer umgeben war.

Dorthin hielt ich jetzt unverwandt meinen Blick gerichtet.

Der Kapitän sagte nichts. Er schaute mich nur lächelnd an.

Ich griff dann mit der einen Hand nach seinem Arm und deutete mit der andern vorwärts nach der seltsamen steinernen Masse droben:

»Herr Kapitän, ist das der Runde Turm?«

»Ja, Nonni, das ist er.«

»O, der ist ja bald so breit wie er hoch ist!« rief ich in meiner ersten Überraschung aus.

Herr Foß lachte. »Ja, Nonni, da hast du recht. Es gibt darum auch Leute, die ihn den ›dicken Turm‹ nennen. Man hat ihn eben so breit machen müssen wegen seiner inneren Einrichtung. Nun komm aber, wir wollen einmal näher hingehen.«

Einige Schritte vor dem Eingangstor blieben wir stehen. Herr Foß sagte, ich solle jetzt den Turm zuerst von da aus anschauen.

Schwelgend betrachtete ich den runden, gewaltig starken Turmbau, der wie ein mächtiger Felsblock zum Himmel emporragte – für mich ein überwältigender Anblick. Der Turm war so hoch, daß ich den Kopf ganz zurücklegen mußte, um bis zum obersten Rand hinaufsehen zu können.

Plötzlich rief ich aus: »Herr Kapitän, das ist aber ein seltsamer Turm! Der steht ja ganz schief! Er neigt sich gegen uns her! Sehen Sie hier, gerade über meinem Kopf!«

»Das meinst du nur, Nonni, das ist eine Täuschung«, belehrte mich Herr Foß. »So sieht es bei allen hohen Bauten aus, wenn man sie aus nächster Nähe betrachtet.«

siehe Bildunterschrift

»Siehst du, Nonni, dort drüben?« (S. 55.)

Ich konnte das kaum glauben und schaute mit einem fragenden Blick den Kapitän an. Da nahm er mich beim Arm und sagte:

»Nonni, ich merke, du verstehst mich noch nicht. Komm, wir gehen jetzt auf die andere Seite des Turmes, dann wirst du sehen, daß er sich auch dorthin wieder neigt.«

Wir gingen an dem Turmtor vorbei, etwa zwanzig Schritte weit nach der entgegengesetzten Seite. Unterwegs schaute ich mehrmals in die Höhe, und höchst erstaunt rief ich wieder aus:

»Herr Kapitän, jetzt bewegt sich ja der Turm dort oben! – Der oberste Teil dreht sich! – Er folgt uns immer nach! – Jetzt neigt er sich auch hier vornüber!«

»Gewiß, Nonni; es ist eben, wie ich dir gesagt habe: das alles sieht nur so aus.«

Nun lief ich schnell zurück bis zu der Stelle, wo wir vorher gestanden hatten – und abermals neigte sich der obere Teil des Turmes zu mir hin!

»Herr Kapitän«, rief ich, »jetzt neigt er sich wieder ganz deutlich hierher! Wie ist es dort, wo Sie stehen?«

»Hier neigt er sich ganz deutlich zu mir her!« sagte Herr Foß.

Also neigte er sich zu gleicher Zeit nach rechts und nach links!

Das war aber doch rein unbegreiflich! Es war, wie wenn der Turm nichts anderes zu tun gehabt hätte, als fortwährend unsern Bewegungen zu folgen, sich nach links und nach rechts zu wenden und auf uns hernieder zu schauen. Aber das merkwürdigste war, daß er sich zu gleicher Zeit nach beiden Seiten neigte.

Erstaunt lief ich wieder zum Kapitän zurück.

Ich sah mir nun den Wunderturm etwas genauer an. Er hatte keine Spitze. Sein oberster Teil war ebenso breit wie der untere. Er war überall rund und hatte überall den gleichen großen Umfang. Den Abschluß oben bildete eine weite, runde Plattform, als ob der Turm dort querdurch abgesägt worden wäre.

Zuhöchst am Geländer, das am äußeren Rand um die ganze Plattform herumlief, sah ich ab und zu kleine Gestalten, die sich ähnlich wie Fliegen hin und her bewegten. Auf meine Frage, was dies sei, erklärte mir Herr Foß, es seien Leute, die droben herumgingen und sich die schöne Aussicht und die Stadt ansähen.

Diese Menschen sahen in der gewaltigen Höhe wie Puppen und Zwerge aus. Manchmal lehnten sie sich an das Geländer, dann konnte man deutlich ihre Köpfe und Hände und Arme unterscheiden. Aber sie waren viel kleiner als in Wirklichkeit.

Das alles machte diesen Turm für mich zu einem wahren Wunder. Ich konnte ihn gar nicht genug betrachten.

Besonders über seine mächtige Höhe und Breite mußte ich mich immer von neuem wundern. Der Kapitän sagte mir darauf:

»So scheint es dir, Nonni, weil du noch nie große Bauwerke gesehen hast. Es gibt aber Türme in der Welt, die sind noch viel größer als dieser. Wenn du einmal nach Frankreich kommst, wirst du noch bedeutend höhere Türme sehen.« –

Auf die Gebäude in der nächsten Umgebung hatte ich bis jetzt kaum geachtet. Ich wurde erst darauf aufmerksam, als Herr Foß mich fragte:

»Nun, Nonni, hast du dir auch die Kirche zu dem Runden Turm gemerkt?«

»Was für eine Kirche, Herr Kapitän?«

»Die Dreifaltigkeitskirche. Sie steht doch hier neben uns.«

Wahrhaftig, da war eine große Kirche, die sich hoch zwischen den Häuserreihen gerade hinter dem Turm erhob.

Ich fragte: »Hat denn der Runde Turm etwas mit dieser Kirche zu tun?«

»Aber selbstverständlich, Nonni! Der Runde Turm ist ein gewöhnlicher Kirchturm. Er ist der Turm der Dreifaltigkeitskirche.«

Das kam mir sehr sonderbar vor. Ich hätte nicht gedacht, daß so ein Turm, auf den man mit Pferd und Wagen hinauffahren konnte, ein Kirchturm sein könne.

»Und weißt du auch, wer den Turm und die Kirche gebaut hat?« fragte Herr Foß weiter.

»Nein, Herr Kapitän.«

»Dann mußt du es dir aber merken, kleiner Freund. – Es war der dänische König Christian IV. Von diesem sind noch viele Prachtbauten hier in Kopenhagen, und überhaupt im ganzen Lande.«

»O, von Christian IV. habe ich schon gelesen, Herr Kapitän! Ich kenne seinen Namen gut! Er war einer der größten Könige von Dänemark!«

»Ja, das ist er wohl gewesen.«

»Gibt es hier in Kopenhagen noch mehr solcher Türme von ihm, Herr Kapitän?«

»Nein, solche gerade nicht, Nonni; aber andere, die ebenso merkwürdig sind wie der Runde Turm. So zum Beispiel der von der ›Börse‹, der auch hier in der Nähe ist.«

»O, dann können wir ja gleich hingehen, Herr Kapitän!«

Herr Foß lachte. »Nur Geduld, kleiner Freund! – Weißt du überhaupt, was die Börse ist?«

»Nein, Herr Kapitän, ich habe noch nichts von ihr gehört.«

»Gut, dann will ich es dir sagen. – Die Börse ist ein prächtiges Gebäude am inneren Hafen, dort werden Geldgeschäfte abgemacht.«

»Und der Turm der Börse, Herr Kapitän, ist der auch so groß wie der Runde Turm?«

»Nein, so groß ist er nicht; aber er ist noch viel merkwürdiger. Er besteht aus vier riesig großen Drachen; die liegen auf dem Dach der Börse; ihre langen Schwänze sind zusammengewunden und türmen sich senkrecht in die Luft hinauf.«

»Das muß aber komisch aussehen, Herr Kapitän, wenn der ganze Turm nur aus diesen zusammengewundenen Drachenschwänzen besteht!«

»Ja, aber es ist sehr schön, Nonni. Die vier Drachen winden und ringeln sich umeinander, wie wenn es lebendige wären. Das Ganze ist aus vergoldetem Kupfer gemacht. Es ist ein berühmtes Kunstwerk.«

»Dann ist es ja wie ein Märchen, Herr Kapitän! Und der König Christian muß ein merkwürdiger König gewesen sein! – Hat er noch andere solche Türme und Häuser gebaut?«

»Ja, noch verschiedene. Aber es würde uns zu viel Zeit nehmen, wenn ich sie dir alle beschreiben wollte. Von einem will ich dir aber noch erzählen. Das ist das Schloß Frederiksborg bei Hilleröd, einige Meilen von Kopenhagen. Mit diesem Schloß ist es so gewesen:

König Christian war damals noch ein kleiner Junge. Eines Tages ist er im Wagen an dem See von Hilleröd vorbeigefahren. Dieser See ist sehr schön. Er ist rings von den prachtvollsten Buchen umgeben. Da ließ der junge Prinz seinen Wagen halten. Er hatte eine solche Freude, daß er ausrief: ›Hier, mitten in diesem Wasser, werde ich mir einst ein Schloß bauen.‹

Man lachte über ihn, und einer sagte: ›Du hast deine Kinderschuhe noch nicht ausgetreten und willst ein Schloß bauen, mitten in diesem See?‹

Der kleine Prinz schwieg darauf. Später, als er groß geworden war, baute er das Schloß, mitten in den tiefen See hinein. Und dieses Schloß ist jetzt eines der schönsten von Dänemark.

Auf beiden Seiten des Schloßtores sieht man noch heute eine Menge Kinderschuhe in die Mauersteine eingemeißelt. Das hat der König selber so befohlen. Die kleinen Schuhe sollten eine Erinnerung an den Scherz sein, den man über ihn gemacht hatte.« –

Hier hörte der Kapitän plötzlich auf. Er zog seine Uhr aus der Tasche und sagte:

»Aber Nonni, nun stehen wir da herum, und ich erzähle dir lange Geschichten von Christian IV., statt daß wir auf den Runden Turm hinaufgehen! Komm, wir müssen jetzt ein wenig eilen!«

Ich folgte Herrn Foß sofort zu dem geheimnisvollen, großen Turm hin. Bevor wir durch das Tor hineingingen, fragte ich:

»Ist es nun aber auch wirklich wahr, Herr Kapitän, daß man den ganzen Weg bis oben auf den Turm hinauf mit Pferd und Wagen fahren kann?«

»Ob das wahr ist? – Wart nur einen Augenblick, Nonni, du wirst es dann gleich selbst sehen. Jedenfalls ist es sicher, daß der russische Kaiser Peter der Große einmal mit einem Wagen und vier Pferden hinaufgefahren ist.«

Mir schien das ganz unglaublich zu sein; aber Herr Foß versicherte mir noch einmal, daß es wirklich so gewesen sei.

Er öffnete jetzt das Eingangstor des Turmes, und wir traten hinein.

Zuerst kamen wir in einen Vorraum, in welchem links ein alter Mann mit einem Buch in der Hand an einem kleinen Fenster saß. Es war der Turmwächter.

Herr Foß fragte ihn, ob man hinaufgehen könne.

»Gewiß, mein Herr«, antwortete der Mann, worauf Herr Foß das Eintrittsgeld bezahlte. Es kostete acht dänische Shilling für uns beide.

Nun stand der Turmwächter auf. Er begleitete uns etwas weiter hinein, öffnete eine schwere hölzerne Tür, die zum Spiralweg des Turmes führte, und bat uns einzutreten. – »Den Weg werden Sie ja finden«, sagte er scherzhaft, »man geht hier nicht so leicht fehl.«

Herr Foß dankte ihm, und als wir durch die Tür gegangen waren, schloß der Wächter sie hinter uns zu.

»Nun, was meinst du jetzt, mein Lieber?« sagte Herr Foß. »Glaubst du nun, daß man mit Pferd und Wagen da hinauffahren kann?«

Staunend blieb ich stehen. – Vor uns dehnte sich ein breiter Weg hin. Der Boden war gepflastert und flach wie eine gewöhnliche Landstraße, ohne eine Spur von Stufen. Spiralförmig wand sich der Weg nach rechts und stieg nur mäßig aufwärts. Ja diese Steigung war so gering, daß man sie anfangs kaum merken konnte. Man hätte fast glauben können, man gehe da auf einer gewöhnlichen Straße.

Wir wanderten nun auf diesem seltsamen Wege voran, indem wir immer nach rechts um eine mächtige steinerne Säule herumgingen, die eine feste, senkrechte Achse mitten in dem großen Turm bildete.

Diese riesige Säule war stets zu unserer Rechten, die eigentliche Turmwand zur Linken.

So schritten wir eine gute Weile rüstig vorwärts, die eigentümliche Spirale hinan. Allmählich aber wurde ich müde; ich kam fast außer Atem.

Endlich blieb ich stehen und sagte: »Herr Kapitän, dieser Weg scheint ja gar kein Ende zu haben!«

»Ja, ja, er ist ziemlich lang, Nonni«, lächelte Herr Foß. »Es kann einem ordentlich warm dabei werden. Du meinst wohl auch, mit Roß und Wagen ginge es leichter? Aber wir lassen uns Zeit und ruhen wieder aus, wenn wir müde sind; dann kommen wir auch zu Fuß noch hinauf.«

Unterdessen hatte ich links in der Turmwand ein kleines Fensterchen entdeckt. Ich lief hin und schaute durch die staubbedeckte schmale Glasscheibe hinaus.

Da ward ich aufs höchste überrascht. Ich wandte mich gleich wieder um und rief:

»Herr Kapitän, schauen Sie doch! – hier diese Aussicht! Das kann ich ja gar nicht verstehen!«

»So, was siehst du denn?«

»Ich sehe fast nichts als Schornsteine! Es sind viele Hunderte, ja ich glaube, es sind Tausende da! Und sie rauchen fast alle! – Und dann sehe ich auch noch rote und grüne und schwarze Dächer ringsherum und oben und unten! – Aber Sie müssen selbst kommen und sehen, Herr Kapitän, es sieht zu spassig aus!«

Herr Foß kam zu mir an das kleine Fenster hin und schaute hinaus.

»Ja, richtig, Nonni«, sagte er, »das sind die Dächer und Schornsteine von Kopenhagen. Wir sind also jetzt schon ziemlich hoch oben: wir befinden uns bereits über den gewöhnlichen mittelgroßen Häusern.«

»Wirklich? Sind wir schon so hoch heraufgekommen, Herr Kapitän? Ich habe geglaubt, wir seien die ganze Zeit nur vorwärts gegangen, nicht in die Höhe.«

»Nein, Nonni, da täuschest du dich. Mit dem Runden Turm ist es nämlich eine eigene Sache: Man meint, dieser Weg führe immer nur vorwärts, aber man steigt zugleich auch in die Höhe.«

»Dann kommt es wohl auch davon, Herr Kapitän, daß wir so müde geworden sind?«

»Ja, daher kommt es. Wir müssen uns deshalb einmal ausruhen, denn wir haben noch weit bis zur obersten Plattform hinauf.«

Von jetzt ab hielten wir öfters eine kleine Rast und ruhten aus.

Bei einer dieser Ruhepausen warf ich zufällig einen Blick auf die Turmwand neben mir und entdeckte dort eine Menge Namen und Zeichen, die in die Steine hineingeritzt oder mit Bleistift darauf geschrieben waren.

Ich las einige davon. Unter zahlreichen andern standen folgende Namen da:

Vigliarolo: Napoli
H. Müller: Bodo
Manignol: Brest

Maria og. Kristine

Um die zwei unteren Namen war ein schwarzer Rahmen herumgemacht.

Es war das erste Mal, daß ich mit diesem eigentümlichen Gebrauch bekannt wurde, seinen Namen auf die Wände zu schreiben. Ich nahm einen Bleistift aus der Tasche und rief Herrn Foß zu:

»Herr Kapitän, hier scheinen alle Leute ihre Namen auf die Wände zu schreiben. Sollten wir das nicht auch tun? Hier ist gerade ein guter Platz für Foss und Nonni, und für einen Rahmen darum.«

Ein wenig unwillig antwortete der Kapitän:

»Nein, Nonni, das tut man nicht! Nur törichte Menschen kratzen ihre Namen überall auf Mauern und Wänden herum.«

Darauf steckte ich meinen Bleistift sofort wieder in die Tasche und ging weiter.

Manchmal lief ich im Zickzack von der Turmwand zur Säule hin und her und schaute durch all die kleinen Fensterchen hinaus, an denen wir vorbeikamen.

So geschah es, daß ich bald sehr müde wurde. Ich ging daher zum Kapitän hin, der sich stets an den kürzeren Weg in der Mitte bei der großen Säule hielt, nahm ihn zutraulich beim Arm und stützte mich ein wenig auf ihn.

»Das kommt von deinem Herumspringen«, warnte er. »Schließ den Mund und atme durch die Nase.«

Dann faßte er mich bei der Hand, und wir schritten beide zusammen ruhig und langsam an der Säule entlang vorwärts.

Als wir nach einer Weile wieder durch eines der Turmfensterchen hinausschauten, waren alle Dächer und Schornsteine schon tief unter uns.

Ich wurde nun immer gespannter und vergaß fast ganz meine Müdigkeit. Ich stellte mir bereits im stillen vor, daß ich jetzt bald hoch oben auf der großen Plattform stehen werde, wo man, von der Straße aus gesehen, so klein wie Puppen und Zwerge scheint.

Indes gingen wir fort und fort um die steinerne Säule herum, immer höher hinauf, bis wir endlich zu einem vorläufigen Abschluß unserer langen, mühsamen Wanderung gelangten. Wir kamen an eine ganz enge Wendeltreppe mit steinernen Stufen, die zum obersten Teil des Runden Turmes hinaufführte.

Da sagte ich: »Hier könnte man aber doch nicht mehr mit einem Wagen fahren, Herr Kapitän!«

»Nein, hier hört der Fahrweg auf, Nonni. Wir sind jetzt aber auch ganz nah an der Plattform.«

Meine Spannung stieg aufs höchste.

Wir gingen die wenigen Stufen hinauf bis zu einer kleinen Tür, welche die enge Treppe abschloß.

Herr Foß machte die Tür auf, und wir traten hinaus – ins Freie.

Ich stand zum erstenmal in meinem Leben hoch oben aus dem berühmten Turm!

Rings um den Rand der geräumigen runden Plattform lief ein starkes Geländer aus Schmiedeeisen. An ihm standen die vielen Menschen, die mir unten auf der Straße so klein erschienen waren, und schauten sich die Stadt und die Umgegend an.

Herr Foß und ich gingen auch zu dem Eisengeländer hin.

Ich hielt mich mit beiden Händen daran fest und blickte hinaus in die Ferne.

Ein Ausruf des Entzückens entrang sich meiner Brust.

Welch ein märchenhaftes Bild!

Ich glaubte mich auf einer hohen Bergkuppe zu befinden, von wo aus man weit über Länder und Meere sehen kann.

Wie in einem einzigen Riesengemälde sah ich hier große Wälder und weitausgedehnte Ebenen mit Städtchen und Dörfern und Häusern und Höfen, ungeheure glitzernde Wasserflächen mit Hunderten von Schiffen und Booten, und ganz drüben am Horizont, weit jenseits des Sundes, eben noch sichtbar, die bläulichen Berge und Höhenzüge von Schweden.

Es war ein Bild, so überwältigend groß und verschiedenartig, daß ich es unmöglich in der kurzen Zeit verstehen und festhalten konnte.

Tief unter uns, nach allen Seiten sich ausbreitend, sahen wir ein förmliches Meer von Häusern und Türmen und Kirchen und Palästen, von Straßen und Alleen, Gärten und Seen, von großen und kleinen Plätzen – ein überaus merkwürdiger, fast verwirrender Anblick!

Da war alles voll Leben und Bewegung.

Die Straßen und Plätze nahmen sich von hier oben wie Furchen und Versenkungen in dem seltsamen Gelände aus.

Drinnen in diesen Furchen und Versenkungen sah man ein Gewühl und ein Gewimmel von lauter kleinen lebendigen Wesen, die alle wie in einer gleitenden, dahinfließenden Bewegung zu sein schienen, einem Strome gleich, der sich nach den verschiedensten Richtungen in eine Menge von Bächen und Flüßchen verzweigt.

Die kleinen lebendigen Wesen sahen aus wie ein zahlloses Volk von geschäftig kriechenden und krabbelnden Ameisen. Sie gingen und bewegten sich hin und her, und liefen und eilten ohne Rast und ohne Ruh.

Und was war dies alles?

Es war die Großstadt Kopenhagen in ihrer ganzen Ausdehnung. Es waren die vielen Menschen, die vielen Pferde und Wagen, die den Straßenverkehr der großen Stadt bildeten, und die von hier oben so spassig klein und winzig aussahen.

Ich war eine Zeitlang ganz versunken im Anblick dieses seltsamen Schauspiels.

Da wandte sich Herr Foß zu mir und sagte:

»Nun, mein lieber Freund, wie gefällt dir Kopenhagen von hier aus?«

»So habe ich noch keine Stadt gesehen, Herr Kapitän«, erwiderte ich. »Gehören denn diese unzähligen Häuser, die man da sieht, alle zu Kopenhagen?«

»Gewiß, Nonni. Du mußt denken, der Runde Turm steht ungefähr mitten in der Stadt, und drum kann man von hier auch die ganze Stadt sehen.«

»Also ist das alles eine einzige Stadt, Herr Kapitän! – alles, was man da sieht!«

»Ja, das gehört alles zu Kopenhagen. Du weißt ja, daß Kopenhagen die größte Stadt des ganzen Nordens ist. Es ist sozusagen die Hauptstadt der drei skandinavischen Länder Dänemark, Schweden und Norwegen. Stockholm ist nur ein wenig mehr als halb so groß, und Kristiania ist noch kleiner als Stockholm. Hier um den Runden Turm wohnen viel mehr Menschen als auf der ganzen Insel Island, obwohl Island fast dreimal größer ist als Dänemark.«

»Das hat meine Mutter mir auch gesagt, Herr Kapitän. Und dann hat sie noch gesagt, der große Bischof Absalon sei der Gründer von Kopenhagen gewesen.«

»Ja, das ist richtig, Nonni. – Nun paß mal auf: Siehst du das große Schloß dort drüben?«

Der Kapitän deutete mit der Hand auf einen Riesenbau ganz in der Nähe. Ich folgte ihm mit den Augen.

»Dieses Schloß ist der weitaus größte Bau in Kopenhagen«, fuhr er fort. »Es heißt Kristiansborg. Dort wohnt der König. Gerade dort war es vor vielen hundert Jahren, da hat Bischof Absalon eine befestigte Burg gegen die Wenden gebaut. Die Wenden waren damals die gefährlichsten Feinde Dänemarks. Und diese Burg ist dann der erste Anfang von Kopenhagen geworden.«

»Ist die Burg Absalons jetzt auch noch da, Herr Kapitän?«

»Nein, man sieht nur noch einige kleine Reste von ihr.«

Lange betrachtete ich das mächtige Schloß und stellte mir vor, wie prachtvoll es darin sein müsse, denn Herr Foß hatte ja gesagt, in dem Schloß wohne der König von Dänemark. Es sah aus wie ein Berg von Granit, der aus lauter grauen Hausteinen aufgeführt war. Das machte einen gewaltigen Eindruck.

Ich sagte zum Kapitän, zu diesem königlichen Schloß wolle ich bald einmal hingehen und es in nächster Nähe besichtigen.

»Ja, tu das nur, Nonni«, erwiderte er. – »Aber jetzt will ich dir etwas anderes zeigen, wovon wir schon unten gesprochen haben: Du sollst jetzt die Börse mit dem Drachenturm sehen.«

»O ja, Herr Kapitän! Wo liegt die Börse?«

Herr Foß sagte: »Schau wieder auf das Schloß hin. – So. – Und jetzt ein wenig nach links, dann mußt du die Börse finden.«

Ich tat, wie der Kapitän mir angab, und es dauerte nicht lange, da rief ich aus:

»Jetzt habe ich sie, Herr Kapitän! – Und jetzt sehe ich auch die Drachen und ihre zusammengewundenen Schwänze! – O, ist aber das seltsam! – Und so schön und so prächtig wie es ist! Da strahlt ja alles in Gold und Grün! – Wie hat man doch einen solchen Turm bauen können!«

»Ja, das hat eben nur der prachtliebende König Christian IV. so machen können, Nonni; die Börse ist einer der schönsten und feinsten Bauten von ganz Dänemark.«

Ich hatte noch nie etwas so Merkwürdiges gesehen wie diesen Drachenturm, und ich konnte gar nicht fertig werden, ihn zu bewundern. Nie hätte ich gedacht, daß man imstande sei, einen ganzen großen Turm aus lauter Drachenschwänzen aufzubauen, und daß er noch dazu so zierlich aussehen könne.

Ich schaute mir die Börse und die Kristiansborg noch eine Weile an und suchte mir ihre Lage genau zu merken, denn ich war fest entschlossen, gleich in den folgenden Tagen einen Spaziergang dorthin zu machen.

Jetzt zeigte mir der Kapitän noch einige andere von den vielen Sehenswürdigkeiten der Stadt: die Domkirche mit ihrem mächtigen viereckigen Turm, auf dessen Spitze ein vergoldetes Riesenkreuz stand, das im Sonnenschein wie helles Feuer glänzte und blitzte; dann die Erlöserkirche, deren Turm der höchste von ganz Kopenhagen ist.

»Auch auf diesen Turm«, erklärte mir Herr Foß, »führt ein spiralförmiger Weg hinauf, gerade wie hier auf den Runden Turm. Aber man geht dort außen hinauf, um den Turm herum, nicht inwendig wie hier.«

»O, da möchte ich auch hinaufsteigen, Herr Kapitän! Könnten wir nicht gleich hingehen, wenn wir mit dem Runden Turm fertig sind?«

»Nein, Nonni, das können wir heute nicht mehr. Die Erlöserkirche liegt ganz dort draußen auf der Insel Amager!«

»Amager? Was für eine Insel ist das, Herr Kapitän?«

»Wie? Du kennst die Insel Amager nicht, Nonni?«

»Nein, Herr Kapitän.«

»Gut, dann schau hierher.« – Der Kapitän deutete mit der Hand nach Südost, wo er mir die Erlöserkirche gezeigt hatte, und sagte: »Gerade dort ist die Insel Amager. Dort fängt sie an. Sie ist genau eine Quadratmeile groß, und auf ihr steht ein Teil der Stadt Kopenhagen. Die meisten Einwohner von Amager sind aber Holländer.«

»Wie kommen denn die Holländer dahin, Herr Kapitän?« unterbrach ich ihn.

»Die sind schon lange dort, Nonni. Sie haben die Insel von König Christian IV. erhalten gegen die Verpflichtung, daß sie dort Gemüsebau treiben und Kopenhagen mit Gemüse versehen.«

»Und das tun sie jetzt noch immer, Herr Kapitän?«

»Gewiß. Sie ziehen aber auch Blumen und Obst. Die ganze Insel ist ein einziger großer Garten. Da ist alles flach und eben, und man sieht dort, wenn man hindurchgeht, fast nichts als lauter Gemüse und Obst und Blumen.«

»Das muß dann aber sonderbar aussehen, Herr Kapitän. Kann man nach der Insel Amager leicht hinüberkommen?«

»O ja, es ist gar nicht schwer. Es führen ein paar große Brücken hinüber, und man kann auch mit Fährkähnen hinüberfahren. Es sind immer Leute da, die sich auf dem Wasser hin und her fahren lassen.«

»Dann werde ich auch mit einem Fährboot mal hinüberfahren!« sagte ich. »Das ist viel schöner, als wenn man über die Brücken geht.«

»So, was willst du dann dort machen?«

»Ich will die ganze Insel durchwandern und sehen, wie es dort ist.«

»Das heißt, du willst so eine kleine Entdeckungsreise machen?« bemerkte scherzend der Kapitän. – »Da kann ich dir gleich noch eine andere Gegend zeigen, dort im Norden, die ist noch schöner als Amager. – Siehst du die großen Wälder dort drüben?«

»Was ist das, Herr Kapitän?«

»Das ist der berühmte ›Dyrehave‹, der Tiergarten von Kopenhagen, einer der schönsten auf der Welt.«

»Den kenne ich, Herr Kapitän! Ich habe schon viel von ihm gehört. Es sind mehr als tausend Hirsche drin. Und da ist auch der ›Dyrehavsbakken‹, wo es die vielen Belustigungen gibt, und wo so viel Musik gemacht wird mit allen Musikinstrumenten auf einmal.«

Der Kapitän lächelte. »Das stimmt«, sagte er: »auf dem Dyrehavsbakken geht es immer lustig her. – Aber nun schau auch einmal dort hinüber zu dem großen Wasser! Das ist der Öresund. Er ist einer der schönsten und meist befahrenen Wasserwege der Erde.«

Das konnte man auch jetzt soeben sehen. Denn überall auf dem Sund herrschte das regste Leben. Ich war nicht imstande, die vielen Dampfer und Segelschiffe zu zählen, die dort im hellen Sonnenschein nach allen Seiten hin auf dem schimmernden Wasser sich bewegten.

Dazu kamen noch die großen grünen Laubwälder am Strande entlang, welche diese herrliche Wasserstraße so lieblich begrenzen.

»Herr Kapitän!« rief ich aus, »diese schöne Gegend habe ich schon gestern kennengelernt, als wir durch den Sund von Kronborg nach Kopenhagen segelten. Dort drüben, im Norden, liegt Helsingör und Hölsingborg. Und dann kommen auf der dänischen Seite die Städte Skodsborg, Klampenborg und Charlottenlund mit dem königlichen Schloß. Und dort mitten im Sund liegt die Insel Hven, wo der dänische Astronom Tycho Brahe in seinem großen Schloß Uranienborg gewohnt hat.«

»Ganz richtig, Nonni. Wer hat dir denn alle diese Namen gesagt?«

»Owe und der Steuermann, Herr Kapitän. Ich konnte sie bald alle auswendig. Diese Orte sind so schön, daß ich sie nie mehr vergessen werde.«

Entzückt von der Pracht und Schönheit der Natur, die sich hier weithin wie ein gewaltiges Gemälde in den glänzendsten Farben entfaltete, ließ ich langsam meinen Blick über die unendlichen Waldgründe von Charlottenlund, Klampenborg und Skodsborg schweifen, und über die spiegelglatten, blinkenden Fluten des Sundes, in welche die ganze Lieblichkeit des azurblauen Himmels sich hineingesenkt zu haben schien.

Als ich dann wieder die schwedische Küste jenseits des Sundes sah, da bekam ich plötzlich einen ganz neuen Einfall:

»Herr Kapitän!« fragte ich eifrig, »wissen Sie, woran ich jetzt denke?«

»Nein, das weiß ich nicht, Nonni.«

»… Ich möchte einmal in einem kleinen Kahn über den Sund nach Schweden hinüberfahren!«

Herr Foß lachte laut auf. »Das ist aber ein merkwürdiger Einfall von dir«, sagte er. »Diese Fahrt wirst du so schnell nicht machen, mein Lieber!«

»Glauben Sie, Herr Kapitän? – Das würde mir aber sehr leid tun. Ich möchte so gern einmal nach Schweden kommen.«

»Ja, aber doch nicht im offenen Kahn, Nonni! Was denkst du nur?«

»O, ich bin aber sehr gut ans Meer gewöhnt, Herr Kapitän!«

»So? Was hast du denn bisher auf dem Meere geleistet, kleiner Freund?«

»Ich habe zu Hause meinen eigenen Kahn gehabt und bin oft im Eyjafjörður herum gerudert und gesegelt.«

»Aber so weit wie von hier bis nach Schweden bist du sicher niemals auf deinem Kahn gefahren.«

»Doch, Herr Kapitän, einmal.«

»Wirklich? – Weißt du aber auch, wie weit es von hier bis zur schwedischen Küste ist?«

»Nicht genau, Herr Kapitän.«

»Gut, dann will ich es dir sagen: es sind mehr als dreißig Kilometer.«

»Dann bin ich aber mit meinem Bruder Manni schon weiter auf dem Meere draußen gewesen!«

Herr Foß schaute mich fragend an. – »Und das soll ich dir glauben?« sagte er.

»Ja, Herr Kapitän, wir sind einmal ganz allein von Akureyri bis zur Mündung des Eyjafjörður gefahren!«

»Von Akureyri bis zur Mündung des Eyjafjörður!? – Das ist nicht möglich, Nonni! Das wären ja sechzig Kilometer! doppelt so weit wie von hier nach Schweden!«

»Ja, Herr Kapitän; der Eyjafjörður ist sechzig Kilometer lang.«

»Aber Nonni, so etwas darfst du doch mir nicht erzählen! Ich bin Seemann und kann über solche Dinge urteilen.«

»Wir sind aber wirklich bis zur Mündung des Eyjafjörður gekommen, Herr Kapitän.«

»Nun, dann bin ich aber doch gespannt, wie das zuging, mein Freund. Erzähle mir mal die näheren Umstände.«

Diese Frage brachte mich ein wenig in Verlegenheit. Die Sache war nämlich die: Mein kleiner Bruder Manni und ich kamen bei jener Kahnfahrt in die größte Lebensgefahr. Wir verirrten uns im Nebel, wurden von einem reißenden Strom ins offene Meer hinausgetrieben und dann schließlich von dem französischen Kriegsschiff »La Pandore« gerettet Vgl. die Erzählung: »Nonni und Manni. Zwei isländische Knaben«, Mit Illustrationen von Fritz Bergen. Regensburg, Verlag von I. Habbel..

Es war mir natürlich nicht angenehm, das alles jetzt dem Kapitän zu erzählen. Aber da er nach den näheren Umständen fragte, mußte ich mit der Wahrheit heraus.

Etwas kleinlaut antwortete ich:

»Ganz leicht ist es nicht gegangen, Herr Kapitän. Es hat eine ganze Nacht gedauert. Wir sind aus dem Golf gegen das offene Meer hinausgetrieben worden. Und es war schrecklich viel Nebel da. Und dann sind wir wieder nach Hause zurückgekehrt auf einem Kriegsschiff …«

»Ah so! – auf diese Weise!« antwortete lächelnd Herr Foß. »Ja, jetzt verstehe ich! – Ihr habt Unglück gehabt und seid in Seenot gekommen!«

»Ja, das ist wahr, Herr Kapitän. Damals haben wir etwas Unglück gehabt. Aber das war nur das eine Mal. Hätten wir nicht den reißenden Strom und soviel Nebel gehabt, dann wäre alles gut gegangen.«

»Ja, ja. – Und dann wäret ihr auch nicht so weit hinausgetrieben worden! – Übrigens könntest du hier ebensogut Nebel bekommen wie auf dem Eyjafjörður. Gefährliche Strömungen gibt es auch im Öresund. Und wenn du wieder in Seenot kämest, dann wäre wohl nicht gerade ein Kriegsschiff da, das dich retten könnte. – Also, ich meine, lieber Nonni, du sollst keine so langen Bootfahrten auf dem Meere machen. Halte dich lieber ans trockene Land.«

Ich hätte nun gern dem guten Kapitän versprochen, daß ich keine solchen Bootfahrten unternehmen wolle. Doch ich besann mich. Es schien mir nämlich nicht ratsam zu sein, mich durch ein festes Versprechen zu binden. Ich fürchtete, es nicht halten zu können. Darum antwortete ich ausweichend:

»Auf dem Meere will ich immer vorsichtig sein, Herr Kapitän. Ich werde auch Ihrem Rate folgen und einmal bei Gelegenheit versuchen, einen Ausflug in das Innere der schönen Insel Seeland zu machen.«

»Das wird schon besser sein, kleiner Freund, als über den Sund nach Schweden zu segeln. Doch hüte dich, deiner Reiselust gar zu sehr nachzugeben, es könnte dir sonst einmal wie dem Robinson Crusoe gehen. Du weißt, der wollte auch aufs Meer hinaus, hat aber Schiffbruch gelitten und mußte lange ganz allein auf einer unbewohnten Insel leben.«

»Ja, Herr Kapitän, meine Mutter hat mir diese Geschichte erzählt. Aber es scheint mir nicht, daß es dem Robinson Crusoe so schlecht gegangen ist. Ich möchte sehr gern an seiner Stelle gewesen sein.«

Der Kapitän lachte wieder. Er sagte:

»Ja, ja, so sprichst du jetzt in deiner ersten Begeisterung, Nonni; du siehst noch zu viel Neues hier. Später wirst du schon ruhiger werden.«

Herr Foß hatte recht: ich war wie bezaubert von den vielen neuen Eindrücken, die hier von allen Seiten auf mich heranstürmten.

Die große herrliche Stadt und der Liebreiz der dänischen Natur, die soeben ganz vom Sonnenschein vergoldet vor uns hingebreitet lag, hatten mich mit einer mächtigen Wanderlust erfüllt. Es zog und lockte mich mit einer fast unwiderstehlichen Gewalt. Ich wollte hinein in diese Märchenwelt, um immer neue Wunder zu erleben.

Schon sah ich mich im Kahn auf den blauen Fluten des lieblichen Sundes nach Schweden hinfahren; da rief Herr Foß mich aus meinem Sinnen und Träumen zurück.

»Nonni«, sagte er, »jetzt ist es aber Zeit, daß wir wieder hinuntergehen, sonst brauchen wir noch den ganzen Tag, bis wir zur Dossering kommen!'

Rasch warf ich noch einen letzten Blick auf die große Stadt mit ihrem Häusermeer und ihren prachtvollen Türmen und Palästen, auf den hellglänzenden Öresund und auf die tiefen, geheimnisvollen Buchenwälder im Nordwesten.

Dann lief ich zur Turmtüre hin und öffnete sie dem Kapitän zum Abstieg durch die enge Wendeltreppe.

Auf dem breiten Schneckenweg hinunter ging es diesmal bedeutend schneller voran; wir schritten eilig abwärts und brauchten auch keine Ruhepausen mehr zu machen wie während des Aufstiegs.


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