Auguste Supper
Die große Kraft der Eva Auerstein
Auguste Supper

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Zu Evas Freunden zählte bald auch Frau Winter im Pfarrhaus.

Es gab erst ein eingehendes Prüfen herüber und hinüber, ehe diese Freundschaft anfing. Das fast immer barfüßige und meist aufsichtslose Kind aus dem Forsthaus flößte der an strenge Ordnung und altmodische Zucht gewöhnten Apothekerin nicht viel gutes Zutrauen ein. Sie schüttelte oft im stillen den Kopf und konnte nur mit Mißbilligung und innerlichem Tadel an den Forstmeister und diese Tabea denken, die nach ihrer Ansicht ihre Pflichten der Kleinen gegenüber so lässig taten.

Vom Küchenfenster aus, das gegen die Gärten hinausging, beobachtete die Frau manchmal heimlich das Treiben Evas, und es war ihr selbst nicht klar und kam ihr nicht zum Bewußtsein, daß ihre Augen eine Freude und ein 118 Fest hatten, auch wenn ihr Verstand oft nur zu schelten fand.

Wie sie turnte und kletterte, die Kleine, wie sie Purzelbäume schlug und auf der Schaukel stand, wie sie sich im Gras wälzte und auf den Gartenwegen tanzte – das alles sahen Frau Winters Augen mit verstohlenem Glitzern, indes sie ernsthaft dachte, daß ein Mädchen im Alter der Eva stricken sollte und etwas Rechtes treiben. Ihre Gedanken suchten dann die tote Mutter, und Fräulein Tabea spielte daneben die Rolle des Mietlings, dem die Schafe nicht eigen sind.

Und Eva sah Frau Winter mit jener heimlichen Scheu an, mit der sie das ganze Pfarrhaus betrachtete. Hier war für sie eine Luft und ein Boden, der Zwang und Zurückhaltung, Stillsein und Ernstsein verlangte und bedeutete. Das schwarze Seidenkleid Tabeas, das »Kirchenkleid«, war der Kleinen unbewußt das Symbol für alles, was mit dem Pfarrhaus zusammenhing. Nur der Garten, dieser helle, sonnige, luftige, blumenreiche Garten, war nicht wie das Seidenkleid.

An einem Sommermorgen in der Heuvakanz flog ihr der Ball in den Pfarrgarten. Mit finsteren Augen sah sie ihm nach. Fast unheimlich war ihr dieser Ball, in dem ein eigener Wille zu wohnen schien, der ihn immer wieder dahin lenkte, wo ihn die Herrin nicht haben wollte.

Rot leuchtete er drüben aus den gelbgrünen, festen Salatköpfen, die in Reih' und Glied im Beet standen.

Damals fand Eva mit etlicher Nachhilfe die Lücke im 119 Lattenzaun, durch die sie künftig so manchesmal zu schlüpfen pflegte.

Scheu lief sie auf dem fremden Boden nach ihrem Eigentum. Und plötzlich, wie aus der Erde gewachsen, war Frau Winter da.

Eva strich sich die Haare aus dem Gesicht, wie sie immer tat, wenn sie befangen war, dann wies sie nach dem Ball im Salat.

»Ja, ja,« sagte die Frau mit ihrem freundlichen Lächeln, »er ist dir durchgegangen. Als ich klein war, ging meiner auch immer durch.«

Die Vorstellung, daß die Frau aus dem Pfarrhaus einst klein gewesen war und mit einem Ball gespielt hatte, wirkte befreiend auf Eva. Sie nahm ihren Flüchtling vom Boden auf und drehte ihn in den Händen. »War er auch rot?« fragte sie interessiert.

Die Frau lachte. »Rote und blaue und grüne und bunte habe ich gehabt. Fast jede Woche habe ich einen verloren, und wenn ein Mensch im Städtchen einen Ball fand, so hieß es: der gehört Professors Dine, und das war ich.«

Eva kam näher herzu. »Dine heißt du? – heißen Sie?« verbesserte sie sich erschrocken.

Die Frau lachte hell auf. »Kannst ruhig du zu mir sagen; man sagt ja sogar zum lieben Herrgott du; da kann's nicht so ganz gegen allen Respekt sein. Ob ich Dine heiße? Ja, so haben sie mich daheim immer genannt, und mein seliger Mann, der Apotheker Winter, hat ›Dinchen‹ zu mir gesagt, denn er war so viel, viel größer als ich –« sie deutete mit der 120 Hand hoch über sich hinaus – »und er war am Rhein zu Hause. Aber getauft bin ich Eberhardine, nach meinem Vater, der Eberhard geheißen hat.«

In Eva quoll bei der Rede der Frau eine Fülle von Neugier und warmem Zutrauen empor. Wohlig war ihr auf einmal zumut, wie dem Kätzchen, das an der Ofenwand hinstreicht.

»Und deine Mutter,« fragte sie, »wie hat deine Mutter geheißen?«

Frau Winter roch an den herrlichen Rosen, neben denen sie stand. Ihr freundliches Gesicht verschwand ganz in der Fülle der Blüten. Und aus den Rosen heraus klang's: »Angelika hat sie geheißen, meine Mutter. Ist das nicht schön? Weißt du, was es bedeutet?«

»Schön ist's schon. Aber was es bedeutet, weiß ich nicht,« gestand Eva.

Da tauchte der Kopf wieder aus den Rosen auf. »Einen Engel bedeutet es und aber auch noch ein Kräutlein, heißt auf deutsch Engelwurz und ist gut und heilsam für viele Schäden. Ist das nicht ein schöner Name für eine Mutter?«

Evas Augen waren groß und dunkel. »Ich habe keine Mutter,« sagte sie mit einem seltsamen, fast abweisenden Ausdruck.

Ein Schatten lief über Frau Winters Gesicht, als ziehe eine Wolke über ihre ganze Freudigkeit. »Ist ja wahr,« murmelte sie, »du hast keine Mutter, du weißt das alles nicht.« Und auch in ihr quoll jetzt eine wohlige Zärtlichkeit auf. 121

»Warum besuchst du mich nie?« fragte sie.

Eva sah auf ihre erdbeschmutzten Füße. Es war, als müsse sie sich besinnen, oder als zögere sie, mit der Antwort herauszurücken.

»Bei dir darf man nicht spielen,« sagte sie dann tastend.

»So – wer hat dir das weisgemacht?« rief die Frau.

Eva warf ihren Ball von einer Hand in die andere und tat gleichgültig und sicher und war doch voller Unruhe.

»Weil du im Pfarrhaus bist,« stieß sie hervor.

»Das Pfarrhaus, nun ja, das ist ein Haus wie andere auch.«

»Aber keine Kinder sind bei euch.«

»Gerade darum sollst du kommen.«

»Der Herr Pfarrer wird bös.«

»Der Herr Pfarrer ist in seinem Zimmer.«

Eindringlicher wurde Rede und Gegenrede, so wie zwei Ringer stärker aufeinanderdringen im Kampfverlauf.

»Ich habe schmutzige Füße.«

»Die kannst du putzen.«

»Fräulein Tabea erlaubt's nicht.«

»Fräulein Tabea erlaubt's schon.«

»Aber der Vater.«

»Der Vater erlaubt's sicher auch.«

Der Ball tanzte schneller in des Kindes Händen; man sieht, wie sie sich wehrt gegen das, nach was sie's doch gelüstet. Auf einmal steht sie ganz still und schaut mit dunklem Blick auf die Frau.

»Bei euch hat's Geister.« 122

Es ist einen Augenblick, als habe dieser letzte Stoß den Gegner außer Kampf gesetzt. Frau Winter sieht fast verdutzt in das bräunliche Gesicht. Sie lacht ein wenig; aber nicht so hell hinaus, wie es ihre Art sonst ist, denn sie spürt, daß es der Kleinen nicht nach Lachen ist und daß hier alles eher am Platze ist als ein billiger Spott.

»Wer erzählt dir denn solche Sachen?« fragt sie und legt die Hand auf des Kindes zerzausten Kopf.

Da kehrt Eva der Frau voll das Gesicht zu. In ihren großen, sprechenden Augen liegt ein eigentümlicher Ernst, als sie sagt: »Erzählt hat's mir niemand; ich meine nur.«

Frau Winter streichelte freundlich die wirren Haare. »Solche Dinge mußt du nicht meinen; da wird dir nur dein Herzlein schwer davon. Bei uns im Pfarrhaus ist's ganz schön und heimelig und alles in bester Ordnung. Wenn du kommst, wirst du's ja sehen.«

So fing es an, und es wurde eine schöne Freundschaft, wenn auch nicht zu leugnen ist, daß Eva lieber und öfter zur alten Fev ging als zur Frau Winter, schon weil Fev nie vom Stricken und Nähen redete, und dann auch, weil im Pfarrhaus keine Taube an einem Faden tanzte und kein Schränkchen voller Schmutz und Hexenschrift in der Stube stand.

*

Einmal, im November, als vom Fluß herüber die grauen, kalten Nebel kamen und die kurzen, dunklen Tage nie so ganz aus den Schatten der Nächte heraustraten, als im Dorf alle Haustüren und Fenster sorglich geschlossen waren und die Menschen nur scheu über die Gassen und in die Stalltüren 123 schlüpften, als der Himmel voll Schnee hing und doch kein Flöckchen herunterkommen mochte in den tiefen, nassen Schmutz der Meßberger Gassen, da rief Frau Winter Eva von der Straße herauf.

In ihrem wollenen, fast zu langen Kleid, der Mütze aus Hasenfell, den dicken Strümpfen und derben Schuhen sah das Kind der Eva vom Sommer kaum mehr ähnlich. Viel älter schien sie geworden, spießbürgerlicher, tugendsamer. Es war nicht zu leugnen, daß sie so der Apothekerin einesteils besser gefiel und andernteils doch vorkam wie verkleidet und maskiert.

Der große weiße Kachelofen in der vielfenstrigen Wohnstube strahlte eine sanfte Wärme aus. Seine messingenen Türen und Knäufe blitzten, und in der Röhre zischten die Bratäpfel. Auf dem runden Tisch in der Stubenmitte stand Kaffeegeschirr und eine Schale voll silberschimmernder, großer Disteln, wie sie draußen am Eckberg in herrlicher Fülle wuchsen.

Die beiden Kommoden zwischen den Fenstern, die Eva schon bei ihrem ersten Besuch »Die Zwillinge« getauft und nie anders genannt hatte, trugen weiße Decken, die im Sommer nicht dagewesen waren, und auch das große, tafelförmige, spiegelblanke Klavier war jetzt zugedeckt.

Das Kind brachte einen Hauch von Kälte und Frische in die Stube, als sie jetzt unter die Tür trat, die sie zu schließen vergaß. Ihre raschen Augen durchflogen verwundert den weiten Raum. »Warum hast du die Zwillinge zugedeckt und das Klavier?« rief sie mit heller Stimme. 124

Frau Winter, die in einem weiten, alten Stuhl vor ihrem Nähtisch am Fenster saß, nahm die Brille ab, die sie zu ihrer seinen Strickarbeit getragen hatte.

»Möchtest du nicht erst guten Tag sagen?« fragte sie, »und möchtest du nicht auch die Tür zumachen?«

Ein Schatten lief über Evas Gesicht. »Guten Tag,« sagte sie leise und eher ärgerlich als beschämt, und sie zog rasch und unsanft die Tür ins Schloß.

»Gott grüß dich, Eva,« sagte die Frau herzlich und streckte die Hand aus, »du bist sehr lange nicht dagewesen.«

Langsam kam Eva herzu. Ihre Blicke gingen im Zimmer hin und her.

»Warum ist's bei euch so hell? Warum freust du dich so?«

Frau Winter lachte. »Viel zu fragen hast du heute. Ich will dir eins nach dem andern sagen. Komm nur näher! Die Zwillinge und das Klavier sind zugedeckt, weil das Ofenheizen Staub macht. Hell ist es bei uns, weil viel Weißes und eine große Freude im Zimmer ist. Und die große Freude ist da, weil Besuch kommt.«

Eva zog die Kappe vom Kopf, daß die Haare nach allen Richtungen standen. »Besuch? – Da meinst du aber nicht mich?« –

Klingend lachte die Frau. »Nein, diesmal meine ich nicht das Försterskind – ein Pfarrerskind ist im Anmarsch.«

Die Pelzkappe flog aufs Sofa. Eine tiefe Verwunderung stand auf Evas Gesicht. »Ja, habt denn ihr Kinder?«

»Du weißt doch, daß wir zwei Söhne haben.« 125

»Söhne sind doch keine Kinder,« meinte die Kleine gedehnt und enttäuscht.

Die Frau entrüstete sich. »Das wäre noch schöner, wenn unser Justus und unser Heinz keine Kinder wären! Solange sie leben, sind die ihres Vaters Kinder und« – sie setzte es leise hinzu – »ein wenig auch die meinen.«

»Warum nur ein wenig?«

»Nun, weil ich nicht ihre leibliche Mutter bin.«

»Was ist das: ihre leibliche Mutter?«

Die Frau schaute in Evas Gesicht und erschrak fast vor dem heißen Suchen in den aufgerissenen Augen. Die so einfache Frage bäumte sich auf zu etwas Drohendem, Gefährlichem.

»Kindchen,« klang es unfrei, »die rechte Mutter muß einen geboren haben; man muß Fleisch und Blut sein von ihrem Fleisch und Blut. Mein Bruder hat früher eine Frau gehabt, die war die leibliche Mutter seiner Söhne. Verstehst du es jetzt?« – Als die Frau das sagte, war es ihr, als umklinge sie ein höhnisches Lachen: wie einfältig redest du doch, machst Worte und sagst nichts!

Eva wandte langsam den Blick und schaute durchs Fenster. Schwer und zögernd nickte sie mit dem Kopf. Nicht um zu sagen, daß sie verstehe, sondern weil sie fühlte, daß man von ihr verlangte, daß sie verstehe. Aber immerhin empfand sie Frau Winters Worte anders als die verwirrenden Worte der Stasel oder der Fev in solchen Dingen. Freundlich kamen sie daher und wie mit reinen Kleidern angetan, und gaben sie auch keine völlige Klarheit und Gewißheit, so 126 breiteten sie doch einen traulichen Schimmer über die unerkannten Dinge, so daß diese nichts Quälendes mehr an sich hatten.

Die Frau strich der Kleinen die Haare glatt. »Du wirst dich doch mitfreuen, Eva, wenn unser Heinz kommt! So lange ist er nicht daheim gewesen. Meßberg kennt er noch gar nicht. Da gibt es viel zu zeigen und zu erzählen. Dabei kannst du mir helfen. Jeden Tag kann er jetzt dastehen. Auf seiner Schule ist er bald fertig. Mächtig geschickt und gescheit muß er sein, unser Kleiner.« Die Worte quollen der Frau aus dem mütterlichen Herzen. Man spürte, wie sie sich freute und wie sie das Kind in den Strom dieser Freude hineinziehen wollte.

Aber Eva stand prüfend und nachdenklich nebendraußen. »Warum ist er so lange nicht daheim gewesen?« fragte sie kühl.

Ein Schatten zog über das Gesicht der Frau. Es war, als besinne sie sich auf die rechte Antwort. »Weißt du,« sagte sie, »unsere zwei sind merkwürdige Jungen. Von jeher war ihnen die Nähe grau und die Ferne golden. Damit er bald in die Fremde gehen kann, wie sein Bruder, unser Justus, hat sich Heinz kaum die Zeit genommen, manchmal heimzukommen. Und dann« – sie stockte und suchte – »mein Bruder und seine Jungen – nun ja – ein wenig verschieden sind sie halt – ein Mensch ist so und der andere so – aber sie haben sich lieb.«

In sich versunken, horchte die Kleine. Man sah, wie sie bemüht war, sich ein Bild von diesen Pfarrerssöhnen zu machen, die da am Horizont auftauchten und von denen seither 127 nie jemand zu ihr gesprochen hatte. Die Frau fühlte ein leises Unbehagen. Hatte sie das Richtige gesagt über die Jungen? Hatte sie ungewollt etwas an ihnen verzeichnet? Sie fing zu erzählen an, so eifrig, als wolle sie unbequeme Dinge wegreden.

»Als unser Heinz noch klein war, sagte er einmal, als der volle Mond am Himmel stand: Tante Dine, da hinauf gehe ich, wenn ich groß bin. Ich erklärte ihm, daß ein Mensch von der Erde aus das nicht tun könne. Da müsse man gestorben sein und fliegen können, wie die Engel. Aber da fing er fürchterlich zu schreien an und sagte, er wolle niemals sterben, das habe er schon lange mit Justus ausgemacht. Damals hat mein Bruder die zwei die unsterblichen Brüder genannt, und so haben sie lange geheißen.«

»Heißen sie jetzt nicht mehr so?« fragte Eva.

Die Frau schüttelte den Kopf. »Ach nein, jetzt wissen sie ja längst, daß auch sie einmal sterben müssen. Aber damals, da haben sie das um keinen Preis geglaubt, weil sie noch so viel vorhatten. Wir haben in der Stadt an der Eisenbahn gewohnt, wo Tag und Nacht die Züge vorüberdonnerten. Da kannten sie jeden Zug nach seiner Nummer und jede Lokomotive nach ihrem Namen. Immer auf Reisen waren ihr Sinn und ihre Gedanken. Zuerst wollten sie Lokomotivheizer werden, weil man da immer fahren darf und sich nicht zu waschen braucht. Später hat dann die Losung geheißen: Weltreisender. Aber dazu braucht man Geld, und das haben Pfarrersbuben nicht. Zuletzt ist Justus Kaufmann geworden und Heinz Maschinenbauer. Ich sage das so hin; aber es lag 128 viel dazwischen. Mancher Streit und manche Sorge und viel Eigensinn bei den beiden, und viel – – aber das ist ja alles vorbei. Du mußt nicht meinen, die zwei hätten den Kopf nur voll Unfug gehabt. Sie waren ganz tüchtige Kerls, die bald wußten, was sie wollten. Und ihr Vater, mein Bruder, hat auch nicht immer – aber so ist es halt auf der Welt, und wenn du einmal älter bist, verstehst du das alles – –«

»Wann kommt er?« fragte Eva so kurz und sachlich, daß sich die plaudernde Frau wie zurechtgewiesen fühlte.

»Das weiß man nicht genau,« sagte sie fast ärgerlich, »er schreibt das nie – in allem will er seine Freiheit haben – so ist er. Ich hätte ihn gern abgeholt mit Hirschwirts Kutsche. Einen Koffer hat er doch auch. Vielleicht bringt er dir etwas mit. Eine Puppe – was meinst du?«

»Weiß er, daß ich da bin?« fragte Eva.

Die Frau stutzte einen Augenblick. Geschrieben hatte sie dem Neffen vielleicht nie von dem kleinen Mädchen im Forsthaus. Wahrscheinlich würde er nichts von ihr wissen. Aber den Rückzug mochte sie nicht antreten. »Heinz ist sehr klug,« sagte sie, »er kann sich immer alles so ausdenken, wie es gerade ist.«

»Ach,« meinte Eva, »dann weiß er doch auch, daß ich mir aus einer Puppe nichts mache. Ich möchte ein hölzernes Schiff, das ich bei Straubs Garten im Wasser schwimmen lassen kann.«

Die Frau legte ihr Strickzeug wieder weg, das sie eben erst aufgenommen hatte. »Ja, wenn das so ist – ja dann – 129 ein Schiff – aber das ist doch nichts, daß du am Wasser spielst. Dort draußen ist's tief, mancher ist ertrunken.«

Eva strich sich mit einer raschen Bewegung die Haare aus der Stirn. »Ich weiß. Der Sägmüller und seine Tochter und ihr Knecht, der sie hat heiraten wollen, und zwei schwarze Katzen. Johannes Straub hat mir das nicht sagen wollen. Aber die Stasel und die Fev sagen mir alles. Die Hanne hat auch schon den ertrunkenen Sägknecht am Wasser stehen sehen – so ist er dagestanden,« – sie senkte den Kopf tief und drückte die Hand vor die Augen – »aber da hat die Hanne weggeguckt, weil sie sonst wieder das Frieren bekommt.«

Verwundert, fast hilflos schaute die Frau auf die Kleine. Die alten, nie ganz schlummernden Vorwürfe gegen den Forstmeister und dieses Fräulein Tabea zogen ihr wieder einmal stärker durch den Sinn. »Kindchen,« sagte sie, »wenn der Heinz ein hölzernes Schiff für dich hat, soll mir's recht sein: wenn er aber keines hat, ist mir's lieber. Denn du gehörst nicht ans Wasser. Überhaupt sollte man dich nicht so auf der Wildbahn laufen lassen.«

Eva griff nach ihrer Mütze. Das war der Ton nicht, den sie liebte. Ihre braunen Finger wühlten in dem Hasenfell. »Du läßt mir's sagen, wenn er da ist,« klang es halb bittend, halb fordernd von ihren Lippen. Dann war sie draußen.

*


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