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XIII.

Denn jedes Ding hat mehrere Licht- und Schattenseiten.

Montaigne, B. 1. S. 7.

Ein Saal.

Die Scene spielt in Paris in der Vorstadt St. Germain, im Hause der Gräfin von Emard. – Der Marquis hat so eben seine geistreiche Erzählung von Heinrich's und der Herzogin Abenteuer, den Vorfällen im Thurme, dem Tode Rita's u. s. w. geschlossen, und durch sie nicht nur Unterhaltung, sondern auch Stoff zur Theilnahme geliefert. Das Benehmen des Grafen von Vaudrey schien etwas unpassend. Deshalb wünschten mehrere Damen, die so eben bei der Gräfin zum Besuch waren, ihn kennen zu lernen, und entfernten sich, in der Hoffnung, Herrn von Vaudrey noch am nämlichen Abende auf einem Feste, welches Frau von Vaudemont gab, zu treffen. Demnach blieben bei der Gräfin nur ihre beiden vertrautesten Freunde, der Ritter von Bersy und der Marquis von Elmont zurück. – Die Gräfin selbst war noch in den besten Jahren.

Die Gräfin.

Ich habe es ihnen gar nicht sagen wollen, daß ich den Grafen von Vaudrey diesen Abend hier erwarte. Ich wünschte mir ihn lieber in minder zahlreicher Gesellschaft. Aber, Ritter, munter! Erheitern Sie uns ein wenig, denn in der That, jene Geschichte ist rührend.

Der Ritter.

Nun, da möchte ich Ihnen, meine Gnädige, ein Anekdötchen von Lauraguais erzählen. –

Der Marquis.

Wieder etwas von Lauraguais? Seine Schwänke sind unerschöpflich. Gerade wie die Millionen des Herrn von Gueméné: Je mehr er verthut, desto mehr hat er –

Die Gräfin.

Schulden nämlich! O du armseliger Prinz mit deinem fast königlichen Gefolge! – Aber, Herr Ritter, Sie wollten ja ein Geschichtchen erzählen …

Der Ritter.

Nun denn: Vor einigen Tagen stellt Lauraguais eine große Berathschlagung mit vier Facultäts-Doctoren an, empfängt sie im Hotel von Brancas, und legt ihnen allda ganz ernsthaft die Frage vor: Ob die Langeweile auch tödtlich werden könnte … Die hochgelehrten Herren bejahen dies insgesammt, und nach einer langen Vorrede, die eben nicht arm an Kunstausdrücken war, versichern sie ihm mit aller Gewißheit, daß es eine moralische und physische Möglichkeit sei, vor langer Weile zu sterben. Die Familie von Brancas war überhaupt hypochondrisch und melancholisch, und so glaubten denn die Aerzte, diese Konsultation beziehe sich auf einen Verwandten Lauraguais', und verordneten, daß man als einziges Mittel zur Heilung nur suchen solle, den Kranken zu zerstreuen, oder könne man der Ursache dieser Lethargie oder dieser verzehrenden Verdrießlichkeit auf die Spur kommen, so sollte man sie wo möglich aus seinen Augen entfernen.

Die Gräfin.

Nun, und weiter?

Der Ritter.

Versehen mit diesem formgerechten Certificat eilte Lauraguais, der in Liebe und Eifersucht für Sophie Arnour erglühte, zu einem Polizei-Commissär, legte das Certificat dort nieder, und führte schwere Klage gegen seinen Nebenbuhler, den Herrn von Barentin, der, wie er sagte, durch seine beständige Zudringlichkeit, womit er Sophien bestürmte, zuverlässig diese unnachahmbare Schauspielerin durch lange Weile und Verdruß in's Grab bringen würde. Lauraguais suchte also bei der Behörde, die über das Wohl der Bürger wachte, an, daß es obgenanntem Barentin untersagt würde, jemals wieder Sophien zu besuchen, unter Androhen derselben Strafe, welche Mördern bevorstehe.

Die Gräfin.

Das ist göttlich! Aber wissen Sie auch, Herr Ritter, daß solch ein Urtheil ein offenbares Vorspiel ist?

Der Marquis.

Freilich, bald wird man, aus Fürsorge für das Staatswohl, alle langweilende Geister einsperren.

Die Gräfin.

Im Grunde sollte jeder Langweilige außer dem Gesetz erklärt werden.

Der Ritter.

Oder vielmehr für von der Gesellschaft ausgeschlossen; das würde gewiß noch besser sein.

Die Gräfin.

Und wem, Herr Ritter, trauen Sie wohl die Erfindung dieses Schwankes zu?

Der Ritter.

Herrn von Fronsac.

Der Marquis.

Er ist gestern in Trianon sehr witzreich gewesen, der liebe Fronsac.

Die Gräfin.

Sie waren gestern dort? Was gaben sie im Theater der Königin?

Der Marquis.

Den Abend auf dem Lande. Ihre Majestät spielte die Babet, die Gräfin Diana die Mutter Thomas, die Damen: von Guiche, von Polignac, von Polastron die jungen Mädchen; der Graf von Esterhazy den Amtmann, und die Greise spielten die Herren von Bezenval, von Coigny, von Crussol –

Die Gräfin.

Und den Colin?

Der Marquis.

Den gab der Graf von Artois, der, auf Ehre, gerade so singt, wie er sich schlägt, nämlich derb und aushaltend. Die Plätze kosteten schier einen Louisd'or, und die ganze Einnahme war zum Besten der armen Waisen bestimmt, die Ihre Majestät so huldreich beschützen.

Ein Kammerdiener( anmeldend).

Der Herr Baron und die Baronin von Cernan.

( Der Baron und die Baronin treten ein.)

Die Gräfin( zum Ritter).

Ach guter Gott! – Frau von Cernan mit ihrem Gemahl! – ( zur Baronin) Guten Abend, Theuerste! – ( zum Baron) Ist es doch fast ein Jahrhundert, seit Sie mich nicht besuchten, Herr von Cernan.

Der Baron( ihr die Hand küssend).

Sie sind allzu gütig, daß Sie dies bemerkten, meine Gnädige! und zu ihren Füßen will ich um Verzeihung flehen.

Die Baronin.

Glauben Sie ihm kein Wort, beste Freundin; Herr von Cernan kommt nicht Ihretwegen.

Die Gräfin.

Da ich Sie in seiner Begleitung sah – durfte ich wohl daran zweifeln, Cäcilie!

Die Baronin( ohne auf die Winke der Barons zu achten).

O, Sie irren! Er wollte nur Herrn von Vaudrey kennen lernen, den Sie, seiner Aussage nach, erwarten.

Der Baron( lächelnd).

Da Frau von Cernan meine Aufmerksamkeit für Sie ablehnen will, so bedient sie sich dieses Vorwandes, und ich bin albern genug, es einzugestehen.

Die Gräfin.

Wenigstens ist dieser Vorwand sehr gut gewählt, denn in der That, seit seinem entsetzlichen Abenteuer ist Herr von Vaudrey mehr auf dem Platze als jemals. Es ist schrecklich, daß man es sagen muß, aber es ist doch so. Ich sehe ihn oft, seine Mutter war eine meiner vertrautesten Freundinnen, und ich kann Ihnen versichern, daß er der liebenswürdigste Mensch ist, den man sich denken kann.

Die Baronin.

Aber verzeihen Sie, seine Aufführung war doch immer anstößig, und mir scheint er im Gegentheil des tiefsten Hasses würdig zu sein.

Die Gräfin.

Ja, theures Kind, wenn er nur nicht zu jenen Menschen gehörte, die man bei dem bittersten Hasse noch anbetet.

Der Baron.

Läßt er sich schon wieder unter den Leuten sehen?

Der Marquis.

Nein, aber er steht, glaube ich, im Lager, wohin er sich nach jener Begebenheit auf vierzehn Tage flüchtete, und bald wird man ihn wieder erblicken, denn diese Zeit ist um.

Die Baronin.

So ist es denn doch war, daß die Herzogin vor Verzweiflung gestorben ist …?

Der Marquis.

Vor lauter Verzweiflung, und das war sehr gut.

Der Ritter.

Glücklicher Vaudrey! Dergleichen kann nur ihm begegnen; er wollte den Wahnsinnigen spielen und –

Die Gräfin.

Ach, schweigen Sie still, es ist schrecklich! Und wer, um Gottes willen, hätte denn, wenn er jemals die Herzogin sah, sich träumen lassen, daß dieses thörichte Weib vor Liebe sterben würde? Ich erinnere mich ihrer recht wohl; ich speiste mit ihr beim Marschall von Luxembourg; sie hatte eine edle Miene; ihre Augen funkelten vor Stolz; ihr Hals war schlank, doch schwarz gebrannt; ihre Augenbrauen waren zu dunkel, zu groß. –

Der Baron.

Sie soll sich auch menschenscheu gestellt haben, hörte ich.

Der Ritter.

Lächerlich! Sie überhäufte mit lauten Vorwürfen viele Frauen, die für besser als sie galten, denn unter uns gesagt, die Tugend ist leicht, wenn man weder Herz noch Geist hat.

Der Marquis.

Und doch, scheint mir, hat sie Vaudrey's Scherz gar sehr als Ernst genommen.

Die Gräfin.

Frei gesagt, bin ich weit entfernt, des Herrn von Vaudrey Benehmen entschuldigen zu wollen; doch wenn ich bedenke, mit welcher kalten Verachtung, mit welchem beleidigenden Hohn die Gräfin die aufrichtigsten Schmeicheleien aufnahm, mit welcher unverschämten Anmaßung sie von andern Damen sprach, so sehe ich es, obgleich ich sie sehr bedaure, dennoch lieber, daß dies ihr begegnet ist, als jeder Andern.

Die Baronin.

Aber denken Sie nur, was sie hat leiden müssen!

Die Gräfin.

Ohne Zweifel. – Deshalb beklage ich sie auch, aber noch mehr würde ich sie beklagen, wenn sie sich vor ihrem Fehltritte duldsamer gezeigt hätte. In meinem Alter, theures Kind, kann man jeden Gedanken frei aussprechen. Ich kenne die Welt, und bin überzeugt, daß es schwerer ist, Verzeihung für seine Vorzüge zu erhalten, als für seine Fehler. Und dies aus einem ganz einfachen Grunde, weil nämlich Bescheidenheit und Humanität fast immer den strengen Menschenherzen fehlt. –

Der Ritter.

Die Frau Gräfin hat Recht, und dann auch, welch' erbärmlicher Geschmack! … denn ehe Vaudrey sich zu erkennen gegeben hatte, da meinte sie ihn nicht zu lieben, sie liebte nur, so zu sagen, einen Unbekannten, der gleichsam vom Himmel herabgeschneit schien. Das, werden Sie mir zugestehen müssen, zeugt von Schlechtigkeit.

Der Marquis.

Oder von der Hoffnung einer geheimen Liebschaft. Solch ein Geliebter konnte leicht verborgen gehalten werden, und deshalb halte ich mit vielen Andern die Herzogin nicht für hart, sondern für schlau. Auch scheint mir Vaudrey's Schuld nach alle dem sehr verzeihlich; denn was konnte er dafür, daß es der Herzogin gefiel, aus einem Lustspiel ein Trauerspiel zu machen?

Die Gräfin.

Vorzüglichen Grund aber zur Nachsicht giebt uns Herr von Vaudrey durch das Verdienst, die Kränkungen, die sich die Herzogin gegen Jedermann erlaubte, an ihr gerächt und ihre unüberschwengliche Tugend bloßgestellt zu haben; denn man muß sich nicht besser stellen, als man ist.

Der Baron.

Dennoch, gnädige Frau, gilt es, zu veredeln … nach moralischer und politischer Vollkommenheit zu streben.

Der Ritter( leise zur Gräfin).

Das ist schön! Ich wette, vor fünf Minuten hat der Baron von Amerika gesprochen.

Der Baron.

Sehen Sie – in Amerika – ( die Gräfin verbirgt sich hinter ihrem Fächer) in Amerika, sehen Sie, werden die Menschen besser. Das beweist ihre Empörung; sonst waren sie vom Mutterlande abhängig; auf einmal aber sagen sie zu sich: »Pah, wir wollen nicht mehr von dem Mutterlande abhängen …« und sie hängen nicht mehr von ihm ab! Wissen Sie auch, daß das etwas ganz Erhabenes ist?

Der Ritter.

Noch erhabener aber wird es sein, wenn sie die Oberhand behalten.

Der Baron.

Sie werden sie behalten; denn ihre Sache ist unser Aller Sache.

Die Gräfin(lachend).

Wie? Herr von Cernan, auch unsre Sache?

Der Baron.

Ja, gnädige Frau, das ist die Sache der ganzen Welt; der Aufruhr wird siegen, weil der Aufruhr die bewundernswertheste Tugend ist. Erstens ist diese Tugend leicht und die Stimme der ganzen Welt, alle Kenntnisse, und sodann ist sie natürlich, denn ihr Keim liegt im menschlichen Herzen. Auch ich empörte mich schon als Kind gegen meinen Hofmeister, ich empörte mich gegen meine Gouvernante, gegen …

Die Gräfin.

Verzeihen Sie, wenn ich Sie in dem Laufe Ihrer Empörungen unterbreche; aber wogegen, sagen Sie mir, wogegen sollen wir uns empören? Wir, der Adel? –

Der Baron.

Nun, gegen uns selbst, edle Frau, gegen unsern eignen Stand. Das ist dann eben das Bewundernswerthe; es wird dann noch viel erhabener sein, als in Amerika.

Der Ritter.

Nun fasse ich vollkommen das politische und das Empörungs-System des Barons. Wir werden den Pöbel rufen und ihn bitten, unsere Schlösser in Brand zu stecken, uns zu morden. So weit ist mir's klar; aber was soll dann geschehen?

Der Baron.

Dann? – Nun, wenn wir unsere unseligen Titel und schmählichen Reichthümer der Vernichtung preisgegeben haben, dann werden wir Alle gleich, Alle Brüder sein. Ich werde der Dutzbruder meines Stallknechts. Ist das nicht erhaben?

Der Ritter.

Aber dann?

Der Baron.

Nun dann, dann wird Frankreich ein unermeßlicher Garten sein, voll von Früchten und Blumen, an denen Jeder Theil hat. Wir werden Schäfer, diese Damen Schäferinnen sein. Tugendhaft wird Jeder sein; weiße Kleider wird die Jugend, blaue werden die jungen Eheleute tragen; trauern wird man um seine Freunde. Das wird göttlich, wird ein goldnes Zeitalter werden. Lesen Sie nur den Condorcet.

Der Ritter.

Aber dann?

Der Baron.

Nun, mein Theurer, was fragen Sie «och mehr? In einem irdischen Paradiese, keiner andern Gesetze, als der Naturgesetze bedürftig, werden wir leben; essen werden wir bloß, wenn uns hungert; schlafen, wenn wir müde sind; o wie schön wird das sein!

Der Ritter.

Aber die Laster, wo wollen Sie diese hinthun?

Der Baron.

Wenn die Laster zugleich mit der Frohne, der Accise und den Herrenrechten untergehen, können sie da wohl noch in einer gleichsam neugeborenen Gesellschaft existiren, in einer Gesellschaft, die von Freiheit, von Feldfrüchten und von Gleichheit lebt?

Die Gräfin( leise zum Marquis).

Er macht mir viel Spaß. ( Laut) Und die Religion, Herr Baron, soll die auch mit untergehen?

Der Baron ( mit Zufriedenheit).

Meiner Treu! Sie fühlen gar wohl, daß wir nicht mehr in jenen Zeiten des Fanatismus und Aberglaubens leben, wo die Geistlichkeit den Geist der Völker benutzte, um ihnen den gröbsten Unsinn als Wahrheit aufzubürden. In jener Zeit der Barbarei, wo sie den Unglücklichen weiter nichts zu sagen wußten, als: »Der Mensch ist nur geboren, um zu leiden; tragt also in diesem Leben eure Leiden mit Geduld, und nach eurem Tode wird euch die ewige Glückseligkeit werden.« – Und ach, die unglückseligen Thoren, sie glaubten es! Weltkundig ist es, daß sie es glaubten, daß sie litten, ohne zu murren; nur mit dem elenden Troste der Hoffnung auf eine leere Chimäre, die die Fackel der Philosophie jetzt in Asche verwandelt hat; auch darf jetzt der Unglückliche, den das Dunkel der Unwissenheit nicht mehr umhüllt, und muß sogar denken: »ich leide in diesem Leben freilich viel, aber nach dem Tode ist Alles aus.« Sie werden mir eingestehen, daß es sehr angenehm sein muß, dem Pfarrer seines Dorfes auf der Nase herum zu spazieren; denn jetzt » sind die Priester nichts mehr, als ein Wahn des gemeinen Volkes, und ihre ganze Macht besteht in unsrer Leichtgläubigkeit.« So spricht jener große Mann, jener Halbgott, doch was sage ich Halbgott, jener Gott seines Jahrhunderts, Voltaire, der göttliche Voltaire.

Der Ritter.

Aha, aber was wird mit dem Andern?

Der Baron.

Mit welchem Andern?

Der Ritter.

Nun mit dem alten Gott, der bloß so gütig war, Himmel und Erde zu schaffen. Geht er auch mit unter?

Der Baron.

Das ist noch nicht entschieden. Gestern sprach ich mit Laclos, der meinte, man berathschlage sich eben darüber bei Condorcet. Binnen acht Tagen werden wir wissen, woran wir sind, und ob man ihn beibehält oder nicht.

Der Ritter.

Nun, dann möchte ich Sie bitten, daß Sie mich benachrichtigen, sobald Sie wissen, ob sie ihn beibehalten; denn ich bin sehr begierig, ihren Beschluß kennen zu lernen. Und dann möchte ich doch meine Leute nicht mehr so unnützerweise in die Messe schicken.

Der Kammerdiener ( meldend).

Der Herr Graf von Vaudrey. ( Allgemeine Bewegung der Neugier und des Staunens.)

Heinrich ( tritt ein und küßt der Gräfin die Hand).

Die Gräfin.

Sagen Sie mir – Heinrich, ich habe mit Ihnen zu sprechen; reichen Sie mir Ihren Arm.

Die Gräfin tritt in ein an den Saal stoßendes Cabinet, dessen Thüren offen stehen; der Besuch folgt gruppenweise. Heinrich ist prachtvoll, in ein Gewand von hochrothem Sammet gekleidet, mit Gold gestickt und besetzt. Seine ruhige und sorglose Miene, die gerade das schroffe Gegentheil von der erwarteten ist, macht großen Effect. Die Baronin Cäcilie von Cernan ist zwanzig Jahr alt, schön wie ein Engel, geistreich, bisweilen schwärmerisch, oft sogar gedankenlos und blöde. Der Baron von Cernan ist dreißig Jahre alt, lang und sehr stark, nachlässig, tapfer, steinreich und der Philosophie sehr zugethan.

Der Baron( zu seiner Frau).

In der That, liebe Frau, mein Benehmen ist auffallend; ich kenne Herrn von Vaudrey nicht, und meine Bitte wird ihm sehr unbescheiden vorkommen.

Die Baronin.

Nun, so thun Sie dieselbe lieber gar nicht, mein Gemahl.

Der Baron.

Aber Sie haben mich ja dazu verpflichtet.

Die Baronin.

Ich? Keineswegs; ich meinte nur, die Gräfin habe des Herrn von Vaudrey Mutter sehr gut gekannt und fühle daher für ihn große Freundschaft, so daß Ihr Anliegen, von ihrem Munde vorgetragen, vielleicht nicht unerhört bliebe; das war Alles.

Der Baron.

Sein Sie doch so gütig, und tragen Sie diese Bitte selbst vor.

Die Baronin.

Welche Thorheit: Wo denken Sie hin?

Der Baron.

Sie sind eine vertraute Freundin der Frau von Emard, Sie können dieselbe leicht für mich interessiren. Von Seiten einer Dame ist so etwas stets minder anstößig. Wir sind, sammt unsrer Artigkeit und unsern Formen, noch so lächerlich. – Ja, in Amerika … –

Die Baronin.

Wohlan! ich willige ein, aber wahrhaftig, ich bin zu gutmüthig.

Der Baron.

Still, da tritt eben die Gräfin wieder in den Saal.

Die Baronin setzt sich neben die Gräfin und spricht einige Minuten lang mit ihr. Die Gräfin sieht Cäcilien boshaft an; Cäcilie erröthet lebhaft und die Gräfin küßt sie auf die Stirn.

Der Baron( bei Seite).

Bravo, das geht ja herrlich! meine Bitte ist im besten Zuge.

Die Gräfin( sich zu Heinrich wendend, der mit dem Ritter spricht und lacht, und ihm einen Sessel neben sich anweisend).

Heinrich, setzen Sie sich hieher, ich habe mit Ihnen zu sprechen, Sie zu bitten; nachdem ich Sie so lange ausgescholten habe, fürchte ich, wird es sehr kühn sein –

Heinrich( lächelnd).

Dies ist nur eine etwas schnelle Mahnung an das Lectionshonorar; aber diese Lection war so angenehm, so liebenswürdig, daß ich mich nicht weigere und in Alles willige. –

Die Gräfin.

Selbst dann, wenn diese Bitte mich nicht persönlich anginge, sondern eine hübsche Dame, die Sie von ganzer Seele haßt …

( Die Baronin erröthet; Heinrich bemerkt es durch einen Seitenblick und antwortet gleichgültig:)

Heinrich.

Unter uns, gnädige Frau! Haß und Liebe finden mich jetzt sehr lau; sonst wäre ich stolz und entzückt gewesen, mich gehaßt zu wissen, in der sonderbaren Hoffnung, diesen häßlichen Eindruck in ein süßes Gefühl verwandeln zu können; aber bei Gott! die Liebe bringt so viel Lästiges, so viel unangenehme Folgen mit sich, daß ich mich gänzlich ändere, und ich will nur noch für Ihre alte und wahre Freundschaft leben, welche allein mich zur Einwilligung in Ihre Bitte bewegt.

Die Baronin( steht ärgerlich auf und besieht sich die auf dem Clavier liegenden Noten, wobei sie leise spricht):

Welche erbärmliche Albernheit, welche Fühllosigkeit, welche Sorglosigkeit! Nach seiner niederträchtigen Aufführung mit jenem armen Weibe ist es schmählich –

Der Baron( theilnehmend).

Nun, liebe Frau, wie weit sind wir?

Die Baronin( unwillig).

Ach Gott, mein Herr, ich weiß es nicht; glauben Sie denn, daß ich mich damit beschäftige …?

Der Baron( außer Fassung abgehend).

Es ist wahrlich sehr spaßhaft, daß ich, der Sprößling eines Hauses, das wenigstens höher als das Haus Vaudrey steht, mich genöthigt sehen soll, ihn zu bitten, und daß man will, ich solle der Gleichheit nicht angehören. Ja, in Amerika –

Die Gräfin( welche lange Zeit mit Heinrich heimlich gesprochen hatte).

Ja, mein theuerster Heinrich, er stirbt vor Verlangen, nach Amerika zu gehen, denn man hat ihm gesagt, daß Sie dorthin reisten, und er bittet Sie also, ihn an Bord Ihres Schiffes zu nehmen. Eine fixe Idee abgerechnet, die Ihnen viel Spaß machen wird, ist er ein allerliebster Mann. In der That, Heinrich, wenn Sie mir diese Gunst bewilligen könnten, ohne ihrer Ordre zu schaden, so würden Sie mich dadurch unendlich verpflichten.

Heinrich.

Mit Vergnügen; auch sehe ich gar kein Hinderniß dabei, nur will ich erst mit dem Marschall von Castries darüber sprechen.

Die Gräfin.

Tausend Dank, theurer Heinrich! Lassen Sie uns jetzt diese angenehme Nachricht der Frau von Cernan hinterbringen.

Heinrich ( zu Cäcilien mit kalter Miene).

Wenn ich die Absichten der Frau von Cernan hätte vorhersehen können, so würde ich Ihre Bitte im Voraus bewilligt haben, gnädige Frau, weil dieser kleine Dienst eine Gelegenheit giebt, Ihnen meine ganze Ergebenheit an den Tag zu legen.

Die Baronin.

( mit trockner Miene sich verbeugend).

Mein Herr! Im Namen des Herrn von Cernan sage ich Ihnen für Ihre Güte tausend Dank, doch schätze ich mich glücklich in der Meinung, daß wir nur dem Einflusse unsrer gemeinschaftlichen Freundin, der Gräfin Emard, Ihre gütige Zusage verdanken.

Heinrich ( immer noch kalt).

Vielleicht würden Sie, gnädige Frau, diesmal ungerecht gegen unsre vortreffliche Freundin verfahren, wenn Sie blos ihrem Einflusse den Eifer zuschreiben wollten, mit welchem ich Ihre Befehle erfülle.

Die Baronin erröthet und verbeugt sich, Heinrich spricht den ganzen Abend nicht mehr mit Frau von Cernan. – Eben als man mit dem alten Herzog von Lermos abgehen will, faßt Cäcilie diesen beim Arm und spricht ganz laut zur Gräfin:

Die Baronin.

Speisen Sie morgen beim Marschall von Castries?

Die Gräfin.

Nein, aber warum diese Frage, meine Theuerste?

Die Baronin.

Weil ich dazu eingeladen bin und Sie gern dahin begleitet haben würde.

Die Gräfin ( sie auf die Stirn küssend).

Loses Kind, wie können Sie mich so necken, da Sie doch meinen Abscheu vor Diners kennen?

Heinrich ( bei Seite).

Da ich gerade mit dem Marschall von Castries wegen Herrn von Cernan zu sprechen habe, werde ich mich morgen gleich einladen lassen. –

Die Baronin entfernt sich, ohne Heinrich eines Blicks zu würdigen.

Heinrich (bei Seite.)

Alles geht gut; jetzt rasch wieder zu Crussol, der muß mit bei Lelien soupiren. (er geht ab.)

 

Ende des ersten Bandes.


Druck von Otto Wigand in Leipzig.

 


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