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Zweites Buch.


VII.

Ich grüße den gelehrten Doctor.

Göthe, Faust.

Einsamkeit.

Ein schwacher Rosenschimmer verkündete kaum der Sonne Aufgang. Die Sterne blitzten noch am Himmel; eine scharfe und frische Morgenluft rauschte leicht in den Blättern. Alles athmete Schweigen und Ruhe, und die Atmosphäre war von dem aromatischen Duft jener köstlichen Pflanzen geschwängert, die nur den kosenden Nachtwinden die Schätze ihrer Wohlgerüche anvertrauen.

Ganz am Ende des Städtchens Rénan, an dem Ausgange seiner düstern und krummen, von hohen Häusern mit hervorspringenden Balken besetzten Gassen, dehnte sich, ungefähr hundert Schritte vom Thore, ein ziemlich großes Gemäuer aus, welches dichte Gebüsche von Bäumen rings umgrenzten.

Dieser in einer Menge von Räumen abgetheilte Bau war mit Epheu, Winde und Mauerraute bekleidet, die in den Ritzen Wurzel schlagend, allenthalben in Büschen, Guirlanden und Kronen von verschiedener Farbe blühten.

Wenn man eine kleine, fast ganz von Wurmstichen durchlöcherte Thüre, die man im Winkel dieses Gemäuers erblickte, aufstieß, befand man sich in einem wildverwachsenen, ganz bedeckten Garten, der fast ohne alle abgesteckte Gänge war. Hatte man sich aber nur erst, dem in diesem starken Dickicht sich kreuzenden Gezweige zum Trotz, durch diese abschreckende Einzäunung hindurchgearbeitet, so war auch das dem Blicke entgegentretende Gemälde wohl geeignet, für das mühsame Unternehmen reichlich zu entschädigen. Denn für einen Freund der Einsamkeit war dies eine bezaubernde Gegend.

Stellt euch ein kleines, ein Stockwerk hohes Haus vor, das, von allen Seiten frei, mitten auf einem dichten Rasenplatze stand, der, grünend bis an die Mauern, eine ziemlich große Terrasse bildete, ganz von Rosen, Jasmin und Geisblatt bedeckt. –

Aber die Dämmerung war bereits dem Tage gewichen; schon röthete die Fluth eines goldigen Lichtes die hohen Baumwipfel dieses lachenden und schweigsamen Gartens. Und in dem Maße, wie die Sonne höher am Horizont heraufstieg, begannen auch die Blätter der im Morgenthau gebadeten Blumen zu glänzen; jedes Grashälmchen wiegte seine funkelnde Perle.

Und dann verbreitete sich ein gewisses verworrenes und endloses Geräusch in der Luft; ein gewisses Herumschweifendes Summen verkündete das Wiedererwachen der Natur; und bei diesem Aufrufe einer erhabenen Weltharmonie schüttelten die Schmetterlinge den bunten Staub von ihren Flügeln, Myriaden von leuchtenden Insecten schwangen sich auf, wie ein Gewölk von Sternchen; die Vögel sangen im Laube der Gebüsche, und der zitternde Vorhang von durchsichtigem Dunst, der den Wipfel der Eichen und Pappeln badete, schwand allmälig, und ihre grünen Blätter zeichneten sich schärfer auf dem blauen Hintergrunde des Himmels ab, der mit jedem Augenblicke lebhafter und reiner wurde.

Die Thür im Erdgeschosse jenes Häuschens öffnete sich, und das Tageslicht erhellte ein kleines Vorgemach, welches diese Wohnung in zwei Theile schied.

Die Person, welche diese Thüre öffnete, war ein Mann von ungefähr vierzig Jahren, gekleidet in einen sehr reinlichen Berkanrock von dunkler Farbe; dieser Mann trug kein gepudertes, sondern sorgfältig in einen Knoten geschlungenes Haar, was man damals mit dem Namen crapaux bezeichnete, war mager, zusammengeschrumpft und vom Alter gekrümmt, überdies auch noch fürchterlich mit Pockengruben gezeichnet, denn zahllose Narben durchschnitten sein elendes Gesicht.

Er hielt einen Teller und einen Napf mit dicker, noch rauchender Milch in der Hand, welche er sorgsam umrührte. Er näherte sich einer dieses Vorzimmer mit dem andern verbindenden Thür, hielt sein Ohr an deren Schloß, lauschte einen Augenblick – dann, als er nichts vernahm, zog er sich auf den Fußspitzen wieder in die Küche zurück, die gerade gegenüber lag.

Drei oder viermal wiederholte er dies, aber bei jedem Wege nahm sein Gesicht einen erhöhten Ausdruck von Besorgniß an, und seine Geberden zeugten von einer innern heftigen Ungeduld, die er jedoch zu mäßigen suchte; so fürchtete er dem Anscheine nach, das geringste Geräusch zu machen …

Als er zum fünften Male, immer die Milchschüssel in der Hand, vorschritt … öffnete sich endlich die Thüre, und er stieß einen kleinen Schrei freudiger Ueberraschung aus, indem er sagte:

»Mein Gott! lieber Bruder, was seid Ihr doch heut spät aufgestanden! Und wie beunruhigt war ich! – Hier ist die Milch, mein Bruder! … genießt sie nur gleich, sie ist noch recht warm … Bruder, lieber Bruder!«

Aber der Bruder hörte nicht, und schritt nach dem Garten, während der andere Bruder, immer die Schüssel noch haltend, ihm furchtsam folgte.

Der Bruder, dem die Milch geboten wurde, war der weise Astronom Rumphius, gerade mit tiefen Untersuchungen über die Astronomie und Religion der Hindus beschäftigt; ein ganz kleines, braunes, olivenfarbiges Männchen, dessen Oberleib, im Verhältniß zu den daran befindlichen Armen und Beinen, übergroß war. Außerdem hatte Rumphius eine entsetzlich lange, von Schnupftaback besudelte Nase, dichte graue Augenbrauen und den ungeschicktesten Gang, den man sich vorstellen kann.

Die Kniebänder seiner abgetragenen, schwarzen Beinkleider waren nicht gebunden; sein Strumpf, denn er trug nur einen, wand sich spiralförmig um eines der Beine, während das andere ganz nackt war; überdies trug er an einem Fuße einen Pantoffel, an dem andern einen Schuh; sein Hemd war offen, sein Hals entblößt, und indem er den einen Arm in einen Aermel seines Hausrockes von grauem Boy gesteckt hatte, flatterte der andre Aermel in der Luft, wie der Dolman eines Husaren; endlich hingen seine Haare, struppicht und graugemischt, ohne alle Ordnung unter einer alten, ehemals blaudamastenen Mütze hervor, die ganz schief aufgesetzt war.

Sulpizius, der an seines Bruders völlig theilnahmlosem Ausdruck merkte, daß derselbe in irgend einer abstracten Betrachtung vertieft sei, dachte nicht erst, ihn durch den einfachen Ton seiner Stimme daraus zu reißen; daher geleitete er, nach seiner Gewohnheit, seinen Bruder unmerklich gegen die Mauer des Hauses bis zu dem Augenblick, wo Rumphius, sich leicht an dieses Hinderniß stoßend, wieder zu sich selbst kam, eine Minute lang wieder zur Erde herabstieg und Sulpizius starr ansah, der diesen Zeitpunkt mit Geschicklichkeit benutzte, um ihm seinen theuern Milchnapf in die Hand zu bringen, welchen Rumphius auf einen Zug leerte.

Allein durch unverzeihliche Zerstreuung war der arme Sulpizius, den Napf vergessend, niedergekniet, um den Anzug der Beine seines Bruders zu vollenden, die Kniebänder zuzuschnallen u. s. w. Nun aber hatte Rumphius, nachdem er getrunken, seine Hand maschinenartig bis zu der Höhe hinaufgebracht, wo er den Napf genommen, und, da er auf nichts stieß, um ihn niederzusetzen, seinem eigenen Gewichte überlassen, und der Napf fiel und zerbrach.

Das Geräusch richtete Sulpizius wieder in die Höhe. »Ach! mein Gott! – mein Bruder! Du mußtest mich rufen,« sagte er in dem Tone sanfter Zurechtweisung – »da liegt nun der Napf in Stücken!«

»Ja, wahrhaftig!« sagte Rumphius mit ganz erstaunter Miene, »er ist zerbrochen! – Nun, Sulpizius, eben so ist aber das kindliche Opfer, welches die Anbeter Wischnu's ihrem Gotte bringen – ein ganz einfacher zerbrochener Topf! während sie Nandy-Kichara, den König der Vögel, anrufen, der schöne Flügel, einen ganz fein zugespitzten Schnabel hat und Schlangen verzehrt. – Sie zerbrechen ein Geschirr von Thon, nachdem sie dasselbe ehrerbietig mit beiden Nasenlöchern und der großen Zehe berührt haben – weißt Du aber wenigstens, Sulpizius, daß das sehr alten Ursprungs ist? – denn man hält dafür, daß dieser Nandy-Kichara einer der sieben Sterne ist, die – seitdem …«

Hier verlor sich die Stimme des Astronomen unmerklich und er beendigte wahrscheinlich die Definition für sich selbst; – denn nach seiner Gewohnheit völlig zerstreut, vergaß er immer den, mit welchem er sprach, verfiel wieder in sein Nachdenken und schwang sich mit neuer Inbrunst bis den Kreislinien der symbolischen Planeten und Trabanten des Wischnu.

Bemerkend, daß seines Bruders Gedanken nicht mehr auf dieser Erde wären, versuchte Sulpizius nur noch, den widerspenstigen Arm des Astronomen in den Aermel des Schlafrockes zu bringen – aber es war vergeblich – und der Aermel fiel nach wie vor nach Husarenmanier herab.

Sulpizius begnügte sich nun, seufzend, die Ueberreste seines theuern Gesäßes zu sammeln, und Rumphius begab sich tiefer ins dicke Gebüsch eines Ganges, der etwas freier als die andern war, während er bald langsam, bald mit übereilten Schritten vorwärts ging.


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