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X.

Das Herz? – Eine hohle Muskel.

Bichat, von dem Leben und dem Tode.

Herzensschilderung.

Heinrich las den Brief. Die Schriftzüge, anfangs noch ziemlich gut geschrieben, wurden am Ende so ungestaltet und so in einander fließend, daß man leicht sehen konnte, wie die Herzogin schon im Sterben gewesen sein mochte, als ihrer Hand die Feder entfallen. Besonders war die erste Zeile ganz eilig geschrieben, gleichsam als ob Rita befürchtet hätte, daß es ihr an Zeit mangeln werde.

»Heinrich! ich habe Dich getäuscht; Alles, was man Dir »von mir erzählt hat, ist wahr; könntest Du mir jetzt verzeihen?

»Ja! ich habe Liebhaber gehabt; Heinrich, Sie sind nicht »an meinem Tode Schuld; – das habe ich Ihnen noch bekennen »wollen; und ich besorgte, nicht Zeit mehr dazu zu behalten; »ich fühle mich so schlecht; – mein armer Kopf ist »ganz verwirrt – kaum sehe ich noch … ich habe so sehr geweint! »– Sie sind schuldlos an meinem Tode; ja, ich allein »trage die Schuld; Heinrich, ich habe ihn gewollt! ich, ich »allein; machen Sie sich keine Gewissensunruhe; ich wiederhole es Ihnen: Sie haben nichts dazu beigetragen; ich habe »alles das Böse verdient, was Sie mir zugefügt! –

»Leben Sie wohl! leben Sie wohl! – denn es wird »finster vor meinen Augen! – meine Hand erstarrt zu Eis – »lebe wohl, Heinrich! habe keine …«

Dann nichts weiter; nichts als einige unleserliche Federzüge. Bloß unten an diesem Briefe, welcher die getrockneten Spuren zahlreicher Thränen an sich trug, waren von einer andern Hand die Worte geschrieben:

» Gestorben den 13. October, um 3 Uhr 2 Minuten

» des Morgens

»Mein lieber Rumphius,« sagte Heinrich nach einer ziemlich langen Pause, »ich möchte gern allein sein; – entschuldiget mich!«

Und er warf sich in einen Lehnstuhl, während sich der Astronom ganz zerknirscht von dem Kummer seines Zöglings, leise entfernte.

Des Grafen bitterster Gedanke nach Durchlesung dieses Briefes war der: »Ich bin nicht ihr einziger Geliebter gewesen!« Dann warf er mit eben so viel Zorn, als ob er das Billet eines Nebenbuhlers zerrissen hätte, den Brief ins Feuer; diesen Brief, der ihn fast vor seinen eigenen Augen und vor denen der Welt rechtfertigen konnte, – er verwünschte ihn; denn er fühlte einen innern Aerger, wenn er sich dachte, er hätte nichts zu diesem Tode beigetragen.

So war der Eindruck, den die erhabene Unwahrheit Rita's hervorbrachte, die sich im Grabe noch erniedrigt hatte, um ihrem Geliebten eine Gewissensangst zu ersparen. Und dies mußte auch so sein; denn der Mensch hat nur Gefühl für das, was die schwache Seite seiner Selbstsucht oder Eitelkeit empfindlich kitzelt oder zwickt. Zu ihm sagen: »Du bist lächerlich, aber nicht furchtbar,« ist eine Beleidigung; das heißt, an seiner Geisteskraft zweifeln; das heißt, ihn wie einen Schüler behandeln, ihn, der sich für einen Erwachsenen hält, und den man in die Schule zurückschickt. Denn bei dem Verbrechen giebt es Schrecken, und für das Alberne nur Spott; man will lieber gefürchtet sein, als ausgezischt werden; es ist noch möglich, sich als Macbeth glänzend zu kleiden; wer aber wollte sich als einfältiger Tropf anziehen? – wer endlich wollte nicht lieber Kain sein, als Peter-Michel?

»Ich war also betrogen,« wiederholte Heinrich für sich. Diese Ueberzeugung konnte das Bittere seiner Reue wo nicht vertilgen, doch mindestens schwächen; allein er mußte sich sagen: »Rita's Herz hatte nicht für mich allein geschlagen; sie hat mich getäuscht, als sie mir das Gegentheil sagte!« – Es galt also nun den Kampf zwischen der Selbstsucht und der Eitelkeit: »Halte dich für betrogen,« flüsterte die Selbstsucht, »und du wirst ruhig schlafen!« »Halte dich für ein Ungeheuer von Treulosigkeit,« sagte die Eitelkeit, »und wenn du nicht schlafen kannst, so tröste dich mit dem Gedanken, daß sie lieber starb, als deiner Liebe entsagte.«

Die Eitelkeit behielt Recht; – auch betrachtete Heinrich Rita's Brief als letzten und unwiderruflichen Beweis ihrer heißen und verschmähten Liebe, welche die unglückliche Herzogin ins Grab gebracht hatte; und, der Verneinung Rita's ungeachtet, übernahm er die schreckliche Verantwortung ihres Todes.

So versetzte sich Heinrich seit diesem Tage, seit dieser Ueberzeugung in dem Glauben, für sich selbst, für sich, den Schändlichen, Eidbrüchigen, fast zum Meuchelmörder Gewordenen jene trauervolle Verachtung, jenen von eitlem Wahn angefüllten Schauder mit Recht zu hegen, der so hoffärtig jedes menschliche Wesen bis zur Verzweiflung quält, wenn man nach unerläßlicher Vorbereitung zu ihm gesagt hat:

»Nun! du Bösewicht! – mit deinen Schelmenstreichen, deiner grausamen Sorglosigkeit, bist du also Schuld an dem Tode dieser schönen Frau …«

Oder auch:

»Ach! mein Gott! – Frau von … ohne daran zu denken, oder vielleicht, während Sie daran dachten, haben Sie eine schreckliche Feuersbrunst entzündet – der arme … hat sich so eben den Kopf zerschmettert – und er starb, indem er Ihren Namen aussprach!«

Und sagen: es bedarf also mehr nicht, um euch mit dem beneidetsten Rufe auszustatten; ihr braucht euch sogar nicht einmal die Mühe zu geben, den Gürtel der Venus zu lösen, wie man sich zu dieser Zeit ausdrückte. –


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