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Bis ich über diese Ungewißheit aufgeklärt bin, will
ich den Irrthum beibehalten, der mir geboten ward.
Shakespeare, die Irrungen. A. II.
Und man setzte sich zum Souper.
– Aber zu welch' einem Souper! – einem eleganten Souper, für Speise- und Weinkenner, ausgelassen, verschwenderisch, wie jedes richtig verstandene Souper sein muß; denn das Abendessen verhält sich zur Mittagstafel, wie der witzige Geist zum gesunden Verstande, der Liebhaber zum Gatten, die Poesie zur Prosa.
Dann speist man Mittags bei dem allgewöhnlichen Scheine des Tages; aber zum Souper – ach! zum Souper bedarf es jener goldglänzenden Helle der Wachskerzen, die allein erleuchten, Colorit verleihen, die Toilette einer Frau vervollständigen kann; die an sich schon eine gewisse hinreißende und ausgelassene Trunkenheit der Freude einzuflößen vermag.
Edle und anbetungswürdige Helle, die du dich in Lichtstrahlen brichst, in Feuerfarben erglänzest, in Strahlenbüscheln blitzest, einzig und allein gleichsam um diese von dir geliebten Gegenstände noch mehr zu heben, die schwarzen, sie umgebenden Schatten noch dichter zu machen!
Statt dich, bleich und trübe, über Alles und aller Orten auszubreiten, wie das Zwangslicht des Tages, ohne Vorliebe und ohne Auswahl, liebst du es, die feingeschliffenen Krystalle blitzen zu lassen – mit Wohlgefallen auf dem funkelnden, den Blondinen so theuern Opale zu spielen, oder auf dem Diamantstern zu strahlen, der an der Stirn der Brünetten funkelt; – auch leuchtest du wieder auf der ausgezackten Kante goldener Spangen – brichst deine Strahlen sanft auf den gewässerten Falten eines reichen Stoffes; alles Uebrige aber ist in jenes liebelockende Halblicht oder in eine tiefe Dunkelheit getaucht.
So ist es jetzt in dem großen, vormals so einsamen Saale des Thurmes von Koat-Vën!
Erleuchtet auf diese Weise, war es unmöglich, etwas Koketteres, etwas Ueppigeres zu sehen, als jene verführerischen Mädchen, von Edelsteinen bedeckt, die sich auf die wogende Feder ihrer blonden gepuderten Haarfrisuren hefteten und in Guirlanden von Rubin und Smaragd auf die niedlichsten Hälse von der Welt, auf so fleischige Hälse mit durchsichtigen Adern herabfielen. –
Bei ihrem Anblick schon wäre man, meiner Treu, versucht worden, diese langen und dünnen Taillen zu umschlingen, deren feine Zeichnung den Umfang der Halbreifröcke noch mehr hervorhob. – Man fühlte sich versucht, diese weißen und runden Arme zu küssen, welche so frisch aus dem Bausch reicher Spitzen hervorquollen, die mit der feinsten Stickerei bis an das Grübchen des Ellenbogens reichten. –
Ja, wahrhaftig! es war Zeit, diese weiten Kleider von schwerem, mit vielfarbigen Blumen wie das Gefieder der Holztaube geblümten Atlas zu zerknittern; diese langen Kleider, welche einen seidenen Strumpf mit goldenem Zwickel und kleine Sammetpantoffeln, schwarz mit hohen Absätzen, Alles von blitzenden Flitterchen übersäet, sehen ließen.
Man mußte bis auf jene unbändige Fluth von azurblauen oder scharlachenen Bändern gehen, welche die engen Leibchen von Silbergaze bunt schmückten, mußte das nackte Fleisch jener schönen Achseln von der Kälte zittern fühlen, deren Alabaster durch kleine Schminkpflästerchen noch erhöht wurde, die, schwarz wie Ebenholz, auf dem weißen Grunde angebracht waren.
Man sehe die brennende Wollust in den halbgeschlossenen Augen, so leuchtend bei dem Gegensatze der purpurnen Wangen – und so muthwillig heiter durch den Geist der Weine! – Sehet! denn diese guten Mädchen verschmähen es nicht, das lebendige Roth ihrer Lippen recht oft unter dem weißen Schaume des sprudelnden Weines zu verstecken.
Fröhlichkeit! – Trunkenheit! – Auf, zu einer entzückenden Orgie; – und lustig und toll! – meine gnädigen Herren!
Nicht doch! – sehen Sie, jene ausgelassenen, hinreißenden Festgelage voll Leben, jene herrlichen, theuern Orgien, deren fröhliches, aber fernes Andenken noch zuweilen über unsre vergeudete Jugend leuchtet – jene Orgien gehören dem funfzehn- bis achtzehnjährigen Alter, wenn man aus dem Kadettenhause oder der Akademie tritt, wie man in der alten Zeit sagte – Ach! ja, da ist Alles in diesen Orgien voll freien ungebundenen Frohsinnes, Alles Verzücken, Vorspiel zum Glücke! Was kömmt auf die Speisen an? man wirft die Schüsseln zum Fenster hinaus – was kümmert uns der Wein? man zerbricht die Flaschen – was geht uns das Wirthshaus an, wenn der Nachtwächter uns darin fängt? Was die Frauen betrifft, so ist irgendwo, ich weiß nicht von wem, gesagt worden: »Es giebt gar keine häßlichen Weiber für Mönche und Schüler!«
Kurz, eine Orgie dieser Zeit war ein fröhliches, sorgenloses, unzüchtig entblößtes Freudenmädchen, welches die Laternen zerbricht, die Wache schlägt, im Gefängniß ausschläft, wie eine Verrückte lacht und nur die Stunde erwartet, wieder von neuem anzufangen.
Wenn man später von Gelagen gesättigt ist, so feiert man deren wohl auch noch, aber man ist still, wählerisch, befangen; man haßt das Geräusch; man wird zum Leckermaul, zum Schwätzer; man zergliedert die Liederlichkeit, man legt sie aus; das ist das kaltblütige Laster, ohne Uebersprudeln, was sich für Leute schickt, welche mit sich selbst zu Rathe gehen und keine Kinder mehr sind. Dann hat man auch Mädchen zum Abendessen, weil es so hergebracht ist; Mädchen von unterhaltender Einfalt oder von kurzweiligem Cynismus; aber man spricht wenig mit ihnen; man hat sie so zum Prunke, wie einen Confectaufsatz, eine reiche Schüssel.
Diese ganze lange Abschweifung führt uns aber auf die Vermuthung, jenes Abendessen werde vielleicht eine sehr ruhige Fröhlichkeit athmen, vielleicht selbst manchmal von einem düstern, träumerischen und politischen Wesen sein; denn für verständige Leute mußte die Zukunft düster erscheinen, und das Aufstrahlen der amerikanischen Unabhängigkeit als der erste Blitz, der den schon drohenden Himmel durchkreuzte.
Die Gäste dieses Abendessens waren nämlich: der Graf von Vaudrey; der Ritter von Lépine, Schiffscapitain; der Marquis von Rullecourt, Oberst der Königs-Dragoner; der Herzog von St. Ouen, Rittmeister der leichten Reiterei, bevor Herr von St. Germain die rothe Leibgarde so unklug umgestaltet hatte; der Vicomte von Monbar, Garde-Oberst, und endlich Baron von Mallebranche, Major von der Artillerie.
Die sechs Frauen waren die leichtfertigsten von der Oper, die damals an der Tagesordnung waren.
»Gewiß ist mein Preis wenigstens allerliebst,« sagte Heinrich zu Rullecourt, auf Lelia zeigend, »sind wir nicht Thoren? Wir martern uns mit galanten Streichen, mit Sorgen, mit Berechnungen, um betrogen zu werden, wenn wir Geliebte aus der großen Welt nehmen; wenn wir auch hübsche Frauen besitzen, die uns ohne alle Unkosten täuschen, so verdienen wir doch, was uns widerfährt.«
»Da ist gar kein Zweifel,« rief der Ritter von Lépine, »die Frauen der großen Welt täuschen uns nur, um die Sittlichkeit zu rächen.«
»Das spricht der Groll gegen die Herzogin aus Ihnen,« sagte St. Ouen.
»Nun, wahrhaftig! soll ich denn keinen hegen, nachdem ich mich einen ganzen Monat ins Laternenhäuschen dieses Thurmes verbannt habe? – Mußte man denn nicht ganze Packladungen auf fürchterlichen Wegen herbeikommen lassen, um diesen Saal in Stand zu setzen, Sie bei Ihrer Ankunft heute Morgen zu St. Rénan zu empfangen? – Ach, wären meine Ansprüche nicht einst von der Herzogin so hart zurückgewiesen worden –«
»Und wir Andern! Hat uns denn nicht auch das Vergnügen hergeführt, der Niederlage unsrer Feindin beizuwohnen?« sagten die Männer.
»Also nur für mich allein soll ich kein Erbarmen finden?« rief Heinrich, »für mich, euern Rächer, der sich hier einen Monat von zweien verliere, die ich in Frankreich zu verleben habe! Ach! hätte ich mich nicht so lebhaft für diese Schelmin, die Lelia interessirt, hätte ich nicht eines Glanzstreiches nöthig gehabt, um meine erfolgreichen Thaten in der Welt vorzubereiten – hätte ich nicht säen müssen, um zu ernten, wie der Weise sagt –«
»Ich zweifle sehr,« fiel ihm Mallebranche dagegen ein, »daß Dein verwegener Streich bei den Weibern viele Myrthenblüthen an der Sonne der Bewunderung aufblühen lassen wird, wie der Narr, der Dorat sagen würde.«
»Welch ein Irrthum, guter Mallebranche! Die Frauen lieben uns immer des Kummers halber, den wir ihnen machen, und zwar aus Ziererei. Die Thränen kleiden sie so gut, verleihen ihren Augen so viel Glanz! Und dann ist ein hübscher Hals so reizend, wenn er unter Schluchzen sich bewegt! – Gewiß, der Schmerz ist ihre Vertheidigung und Stärke; daher weiß auch eine hübsche Frau, die ihren Beruf erkennt, daß nichts sie weniger kleidet, als das Glück … man muß das ewige Lächeln nur Häßlichen überlassen, die weiter nichts als schöne Zähne besitzen … die durchaus Garstigen behelfen sich mit der Tugend! –«
»Er hat Recht,« sagte Lelia, »wohlverstanden, zum Theil … es giebt Frauen, die es gern haben, geschlagen zu werden; einer meiner Freundinnen behagt dieser Beweis von Zuneigung sehr, und wenn sie mit zerbissener Haube, mit zerrauftem Haar und fast ganz entblößten Körper einhergeht, dann erst, ich schwöre es Euch, gewinnt sie ein bedeutendes Uebergewicht.«
»Und Du hast keine Gewissensbisse, Du Verbrecher?« fragte Corally, eine liebliche Blondine, für welche, wie man sagte, Herr von Bouillon 500,000 Livres verschwendet hatte.
»Ach ja! die Gewissensbisse!«, schrie Alles mit einer Stimme.
»Was, Teufel! soll ich Gewissensbisse haben? Habe ich, Vaudrey, mich nicht aufgeopfert? Habe ich ihretwegen die Komödie nicht besser gespielt, als es selbst der Schlingel, der Molé, gethan hätte? – Pest! rechnet Ihr das für nichts?«
»Aber wenn sie Dich liebte?«
»Wenn sie mich liebte! Nun freilich, eines von zwei Dingen muß sein – entweder sie liebt mich noch, und das wäre, nach meinem Betragen, unwürdig, und dann verdiente diese unmoralische Schwäche gar kein Erbarmen; oder sie haßt mich und sinnt auf Rache. Wie sie es nur immer vermag, unsre Rollen sind gleich; überdies fange ich noch endlich an, mich zu überzeugen, daß sie eine falsche und listige Buhlin ist, die sich über zwanzig arme Teufel lustig gemacht hat, wie ich mich über sie; und dann ist mein Verbrechen nur Gerechtigkeit.«
»Aber, wenn sie nun keine Buhlerin ist?«
»Ach, was: aber! – Nun, so will ich mein Ehrenwort, mein personificirtes Ich selbst dafür verbürgen; was thut mir das? Was kann sie unternehmen? Mich morden wollen? Nun, beim Himmel, ich habe oft genug einem Tode getrotzt, der weder von so guter Stelle, noch von einer so schönen Hand kam – sprechen wir also von andern Sachen! – Von der Oper! – Was macht die Guimard?«
»Suchet die auf der Gnadenliste! « antwortete St. Ouen.
»Wie? sie gehört immer noch Herrn von Jarente? Und hat sie sich im Aeußern verändert?«
»Immer noch mager, wie eine Seidenraupe! « rief Virginie, »und gleichwohl sollte sie auf einem so saftigen Blatte fett werden!«
»Zum Teufel! « sagte Heinrich, »Sophie Arnour würde Dir das Wort beneiden, Mädchen! Ha, a propos, Sophie! Und die Italiener; was machen Die?«
»Sie spielen drei Mal die Woche; aber der ganze Haufe besitzt eine entsetzliche Keuschheit – das lebt ganz unter sich; Sänger und Sängerinnen, Alles ist verheirathet; dennoch hat der Marschal von Lorges so eben Colombe dieser schönen und unschicklichen Ehecolonie entführt,« sagte Lelia.
»Und die Duthé?«
»Immer noch in der Mode; aber die Quincy, ihre Kammerfrau, wetteifert mit ihr. – Beim letzten Long-Champ hatte sie einen Zug von vier herrlichen Engländern mit einem rothsaffianenen Geschirr, mit Silber gestickt und mit Rhein-Perlenmuscheln besetzt; allein man muß sagen, der Polizei-Lieutenant hat Ordnung gestiftet! –«
»Und Rosalie?«
»In Deutschland,« sagte Lelia. –
»Wie,« entgegnete Heinrich, » sie hat ihre schöne petite maison zu Thermes verlassen, in welchem ich zwei tausend Louisd'or verschwendet habe?«
»Nein, nicht so! – ich verstehe unter Deutschland den Gesandten, den Grafen von Mercy-Argenteau, der sie unterhält – er ist ganz toll auf sie –«
»Und die Granville?« fragte Heinrich, der mit seinen Erinnerungen noch nicht zu Ende war.
»Ah! Granville!« antwortete Lelia; »der ist ein gutes Abenteuer mit einem Finanzier und dem schönen Lauzun begegnet.«
»Lauzun – geht doch –« sagte Virginie, »der ist Mönch und hat Herzensabenteuer! – er richtete sich zu Grunde! –«
»Das war vor seiner Verirrung,« erwiederte Lelia, »die Granville war, wie Ihr Alle wißt, schön wie ein Engel und wurde von Mouron unterhalten. Der neugebackene Edelmann verabscheute Lauzun und hatte hundert Mal von ihr verlangt, daß sie den schönen Herzog aufgeben sollte; aber sie hielt sich mit allen Kräften, so daß einmal der Finanzier, benachrichtigt, wie sich Lauzun bei seinem Abgotte befinde, zu ihr geht, und ihre zärtliche Unterhaltung unterbricht. Lauzun, erzürnt, behandelt den Mouron wie einen Flegel, einen Unverschämten, einen Schuft, stößt ihn in ein Nebenzimmer, schließt die Glasthüre desselben hinter ihm zu, steckt den Schlüssel in seine Tasche, macht den Finanzmann zum Zeugen eines Auftrittes, zu dem man gewöhnlich keine zu nehmen pflegt, prügelt dann noch Mouron den Rücken voll und wirft ihn auf die Straße. Seitdem nennen wir auch unsere Unterhalter nicht anders mehr als Mourons.«
»Das ist herrlich,« riefen alle aus Einem Munde.
»Aber das Beste ist,« sagte Lelia, »daß einen Monat später Mouron dem Lauzun 2000 Louisd'or zu seiner Reise nach Ungarn lieh.«
»Das ist sehr einfach, meine Liebe,« sagte Rullecourt, »der Einfaltspinsel mußte wohl den Herzog von Lauzun dafür entschädigen, daß dieser es seiner nicht unwürdig gefunden, in seinem Geschmacke mit einem Mouron zusammenzutreffen.«
»Ach, da wir gerade von Lauzun sprechen, und die Herzogin von S...«
»Von der Herzogin, lieber Graf, kann ich Ihnen etwas Aehnliches zum Besten geben, wie Lelia von der Granville; es handelt sich um die comédie française.«
»Was sagen Sie?«
»Der Lump, der Clairval, ist nämlich an Lauzun's Stelle getreten.«
»Ah!« sagte Heinrich, »also machen sich die Frauen gar an solche Art – an Schauspieler!«
»Häufig, häufig, und da Lauzun allein um das Geheimniß Clairvals mit der Frau Herzogin von S... wußte, boten der Herzog von C. und die Herzogin von G., seine Schwester, Alles auf, von Lauzun Beweise für jene Liebschaft zu erhalten; er weigerte sich dessen, allein Herr von C. erbrach ihr Cabinet, man fand darin Clairvals Briefe, und die Herzogin wurde ins Kloster gesteckt.«
»Seht da den Unterschied, ihr Mädchen,« meinte Heinrich zu den Damen von der Oper, »man wird Euch solcher Lumperei wegen nie ins Kloster schicken: beklagt Euch nun noch über Eure Lage!«
»Wir beklagen uns auch nicht; wir klagen nur über die Nebenbuhlerei, die ›vornehmen Damen pfuschen uns ins Handwerk,‹ wie die Geliebte Richelieu's sagt.«
»Ach! Richelieu! – weißt Du, was mit dem vorgeht?« fragte Rullecourt Heinrich, »er ist im Begriff zu heirathen!«
»Wie so denn? –«
»Ich weiß nicht; aber das muß eine grausame Rache sein, denn seine Frau ist abscheulich häßlich!«
»Aber was vielleicht noch spaßhafter ist, als das Gesicht seiner Frau, ist die rührende Art und Weise, mit welcher er das Universalvermächtniß einer seiner ehemaligen Maitressen empfing, die seinetwegen ihre ganze Familie enterbte.«
»Ach, bei Gott!« rief der alte Marschal aus, »wenn alle Frauen, mit denen ich eine Nacht verlebt, dasselbe thäten, ich würde reicher als der König!«
»Und die Art, wie er seinem Sohne seine Verheirathung anzeigte,« fiel Rullecourt ein.
»Herr Herzog von Fronsac,« sagte Richelieu zu ihm, »ich besitze mehr Höflichkeit als Sie; Sie haben mir Ihre Heirath nicht gemeldet, und ich zeige Ihnen die meinige an; Sie haben keine Kinder, und ich rechne darauf, trotz meiner achtzig Jahre, eines zu bekommen, welches ein besseres Subject als Sie sein wird; allein, Herr Herzog, das beunruhige Sie weiter nicht; wir wollen einen Abbé daraus machen.« – »Wahrhaftig, Herr Marschall,« entgegnete Fronsac, »Sie thäten besser, wenn Sie einen Cardinal daraus machten; denn die haben der Familie nicht geschadet!«
»Ach, Richelieu! Richelieu!« sagte Mallebranche, der nüchtern geblieben war, lebhaft, »Richelieu, du demokratischer Cardinal! Wohin hast du uns gebracht!«
»Wohin? Nun, wahrlich, zu unserm Ruin, zum Sturz der Monarchie, zu dem Frankreichs! –« sagte Rullecourt, langsam sein Glas wieder füllend.
»Es ist wirklich wahr, wie der da sagt,« äußerte St. Ouen, »Richelieu hat das Lehnwesen vernichtet, und die Höflinge sind an die Stelle der Lehnmänner gekommen, und an die Stelle der Höflinge – meiner Treu, ich weiß nicht, was! – Etwas Scheußliches und Lasterhaftes – ein Mittelding von Tiger und Affen – wie Einer die Philosophen nannte …«
»Ach, die Philosophen! Wahr ist's, daß sie ihr Ziel erreicht haben – es konnte nicht besser geschehen –« sagte Monbar, während er in kleinen Zügen trank, »sie haben die Monarchie verschlungen, wenigstens fehlt nicht viel daran, das ist ausgemacht; – aber jetzt, wo das Ungeheuer vollgestopft ist, darf es nicht mehr schreien; – wenn die Riesenschlange voll ist, schläft sie – mögen sie ihre Monarchie ausschlafen – aber uns mit ihren Büchern verschonen!«
»Ach, geht doch!« – schrie Mallebranche, »die Philosophen die Monarchie umstürzen? Bei Gott, meine Herren, das heißt ihnen zu viel Ehre anthun! – Die Encyklopädie soll Karls des Großen Thron umwerfen? Das wäre zu spaßhaft!– War diese Monarchie nicht schon seit dem Schlage erschüttert, den Luther der Kirche Roms versetzte? Ist sie nicht mit Ludwig XIV. verblichen, und durch dieses großen Königs Fehler? – Und weil der in seinem Laufe dahinstürmende Löwe zerschmettert in den Abgrund fällt – meinen Sie, ihn hätte das Krächzen der seinen Leichnam umkreisenden Raben getödtet? – Die Philosophen sollen Frankreichs Königthum vernichten? Nein, nein; sagen Sic das nicht! Teufel, sie würden es sonst glauben, – und diese Lumpenkerls würden mit der Rolle von Reichszerstörern recht zufrieden sein – das unreine Gewürm, das im Grabe sich krümmt, würde vor Freude aufschwellen; glaubend, es habe den kräftigen Krieger gemordet, den man in seiner Eisenrüstung in den Sarg legte.«
»Seht doch einmal,« sprach St. Ouen, »wie er das Philosophengeschmeiße angreift; sollte man nicht meinen, er habe ihre letzte Schmähschrift über unsre Seemacht gelesen?«
»Das ist eine Schande mehr, ihr Herren!« äußerte Rullecourt, »und man sollte solche Lümmel durchprügeln, wenn sie den Stock werth wären, den man an ihren Rippen zerbräche!«
»Aber was erst schändlich ist,« bemerkte Mallebranche, »das ist, wie sie im Namen Frankreichs edeln Muth beschimpfen, die Elenden! Im Namen Frankreichs, hören Sie wohl? Frankreichs, so daß ein Engländer in einem französischen, in Frankreich gedruckten, verkauften, verbreiteten Buche zeigen kann: ›an dem und dem Tage waren die Franzosen feig Man sehe die seit dem Gefecht bei Quessent, der Einnahme von Martinique u.s.w. erschienenen Bücher und Schmähschriften..‹«
»Und das ist nicht wahr,« entgegnete Rullecourt, »man ist nicht feig gewesen, allein diejenigen, welche sich brav gehalten haben, waren von einer Klasse, die man um jeden Preis aus der Volksgunst verdrängen mußte; – hat das Haupt der Partei das Signal gegeben, so stimmt die ganze Rotte in den verlangten Ton ein – ja, und während kühne und hochherzige Edelleute ihre Brust dem englischen Kartätschenfeuer entgegenstellen, schmäht der zusammengeraffte Haufe von Schwätzern, erbärmlichen Advokaten, auf dem Stroh ihrer Dachkammern hockend, ungestraft auf so viel Kühnheit und Muth. –«
»Ja, die Philosophen,« sagte Lelia, »das sind die Esser – ich ernähre fünf, und sie nennen mich Venus!«
»Gestatte ihnen noch mehr, und sie erheben Dich zur Minerva, liebes Kind,« erwiederte der Herzog von St. Ouen; »Herr Voltaire, der doch gewiß ein Philosoph war, hat sich noch ganz anderer Redensarten gegen die Pompadour und die Dubry bedient, um ein ›von‹ und die Würde eines Kammerjunkers zu erlangen.«
»Solcher Philosophen streiten sich drei, meine Mutter zu ehelichen,« rief Virginie, »allein sie will keinen von ihnen, – sie bleibt bei ihrem Stande; Ihr müßt wissen, mein Vater war Leibkutscher des Prinzen von Lambesc. –«
»Deine Mutter hat das Herz auf dem rechten Flecke, Virginie,« sagte Rullecourt, »und von diesem Tage sichre ich ihr 50 Pistolen Pension zu!«
»Ach! was sind das für Ungeheuer, die Philosophen!« meinte Corally, »sagte mir nicht einmal einer sogar, es werde der Tag kommen, wo es keine Oper mehr geben würde?«
»Keine Oper mehr!« sagte ich zu ihm; »keine Oper mehr? Aber, mein Herr – wenn es keine Oper mehr gäbe, zu was würde es dann nützen, ein hübsches Mädchen zu sein?«
»Sie hat wahrhaftig Recht,« sprach Heinrich, »unterdrückt die Oper, und es bleibt nichts als die Natur mit ihren hübschen Mädchen auf dem Arme – Verwirrung entsteht – ohne Ausweg. – Aber das ist die bürgerliche Haushaltung in ihrer ganzen Reinheit, mein Kind!«
»Das führt uns ganz herrlich auf eine Sündfluth von jungen, hübschen Mädchen,« meinte St. Ouen.
»Ein Philosoph – ha! ich weiß wohl,« sagte Virginie, »das ist einer, der nichts hat und alle Andern beneidet, denn ich besinne mich, daß eine solche Kellerratte, die aus St. Lazarus kam, einmal zu mir sagte: Der Beweis, daß ich Philosoph bin, ist, daß ich im Schmutze wate und Bücher in meinen Beinkleidern habe, während Ihr fahrt und von oben bis unten an Eurem Kleide Stickereien tragt – das ist eben Ungerechtigkeit – denn Stickerei und Kutschen sind für alle Welt geschaffen. – Gott bewahre, antwortete ich, vielmehr der Schmutz und das Elend sind für Jedermann vorhanden. Ihr habt Euern Theil, also schweigt!«
»Darin hatte er doch Recht,« erwiederte Lelia, »diese unsinnigen Stickereien, die man unten am Kleide anbringt, dienen zu nichts, als die Glieder wund zu reiben.«
Bei dieser Naivetät bemächtigt sich ein tolles Gelächter der Tischgäste; die muthwillige Fröhlichkeit theilte sich Allen mit; man trinkt; man berauscht sich, man rückt näher an einander, man drückt sich; die Köpfe erhitzen sich und man spricht zuletzt englisch; womit man damals in dem Rothwälsch der ausschweifenden guten Gesellschaft die unzüchtigste und derbste Sprache bezeichnete.