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VIII.

Der, für welchen Eines Alles ist, der Alles auf dieses Eine bezieht, in ihm Alles sieht, wird unerschütterlich sein, und sein Herz wird im Frieden Gottes bleiben.

Nachahmung I. C. B. 1. C. 3.

Zwei Brüder.

Joseph Rumphius, berühmter Optiker zu Brest, war der Vater des Sulpizius und seines gelehrten Bruders. Da er in dem ältern Sohne, welchen er Sulpizius bei weitem vorzog, große und frühe Anlagen zum Studium der abstracten Wissenschaften entdeckt hatte, so ermunterte, entwickelte, brachte er diesen kostbaren Beruf der Natur so zur Reife, daß sein Erstgeborner, nachdem er zur Vollendung seiner wissenschaftlichen Ausbildung in Paris gewesen, bald ein ausgezeichneter Astronom und Mathematiker wurde.

Sulpizius im Gegentheil, mit seinem beschränkten Geiste, mit seiner lammgleichen Sanftmuth, hatte seinen Vater, trotz der schreienden Ungerechtigkeiten, die ihn dieser ertragen ließ, nicht einen Augenblick verlassen. Er bewachte in Brest den Laden, beschäftigte sich mit der Besorgung des Häuslichen, und später, als der alte Rumphius sein Geschäft aufgab, und sich in sein Häuschen in St. Rénan zurückzog, folgte er ihm ungeachtet seiner harten Parteilichkeit dahin, drückte ihm die Augen zu und weihete sich dann seinem Bruder mit derselben Hinneigung und Selbstentsagung, die er darin dem Vater bezeigt hatte; denn Sulpizius war eines jener reinen und seltenen Wesen, eine jener kostbaren Erscheinungen der Charakterbildung, die nicht unterlassen können, für Jemand zu leben, und die, wenn sie diesen frommen Beruf nicht auszuüben hätten, sich fragen würden, wozu das Leben wäre?

Bruder Rumphius war ordentlicher Lehrer der mathematischen Wissenschaft an der Seekadettenschule zu Brest, als der Graf Vaudrey seinen Sohn zum Eintritt in den Seedienst vorbereiten wollte. Der Graf, der des Astronomen Wissen rühmen gehört hatte, schlug demselben vor, den öffentlichen Unterricht zu verlassen und sich ganz Heinrich's Erziehung zu widmen, indem er ihm für seine Sorgfalt einen annehmlichen Gehalt versprach, der ihn selbst in den Stand setzte, sich für die Folge seinen Lieblingsstudien und der Erholung zu überlassen, ohne erst zum Zeitverlust mit den Lehrstunden genöthigt zu sein.

Rumphius nahm dies an und setzte Heinrich in den Stand, sich als Volontair unter den Befehlen des Herrn von Souffren im Jahre 1770 einschiffen zu können. Als Herr von Breugnon zum Friedensabschluß mit dem Kaiser von Marokko abging, war Heinrich zwölf Jahre alt.

Rumphius, seines Zöglings entledigt, bezog also sein kleines Haus zu St. Rénan, welches er nicht eher verließ, als wenn er, irgend meteorologische Beobachtungen anzustellen, nach dem Thurm zu Koat-Vën ging.

Im Grunde war Rumphius vom besten Gemüthe und ebenso verträglich im Leben, wie es ein Mann sein kann, der seine ganzen Gedanken, Alles, was er Helles und Auffassendes im Geiste besitzt, anwendet, sich in einer Sphäre von Studien der erhabensten Gattung zu behaupten, und besaß, wenn er wieder auf der Erde fußte, nichts, als einen schweren, düstern, ermüdeten Kopf und gerade so viel thierischen Trieb, sich unwillkürlich den Aufmerksamkeiten, mit denen sein Bruder ihn umgab, zu überlassen.

Sulpizius hatte es nämlich übernommen, so zu sagen für Rumphius materiell zu leben; ja, der arme, geistesbeschränkte Mensch, der aber dafür ein um so trefflicheres Gemüth besaß, war hierin so weit gekommen, daß er seinem Bruder selbst die Verbindlichkeit ersparte, sich wegen seiner Sorgfalt zu Dank verpflichtet zu halten; so viel Bereitwilligkeit und Geschicklichkeit er auch bei der Abwartung seines Bruders bezeigte, so schien doch Alles nur ganz einfach und natürlich.

Und gleichwohl hatte Rumphius eine Manie, eine grausame Manie an sich, deren Folgen Sulpizius zuweilen bittere Thränen auspreßten.

Wenn Rumphius, nach einem, den tiefsinnigsten Untersuchungen und abstractesten Arbeiten gewidmeten Tage, den ganzen darauffolgenden in einem Abgrunde von Berechnungen und Hypothesen verloren hatte, fühlte er oft Abends, nach dem Mittagsessen, gleichsam das Bedürfniß, seine erstarrten Lebensgeister aufzuregen, sein Blut zu peitschen, um die schwere Verdauung zu befördern. Es ist wahr, Kaffee hätte diesen Zweck vollkommen erfüllt; allein unser, die unseligen Wirkungen, welche der gewöhnliche Gebrauch dieses Erheiterungstrankes wohl haben kann, recht gut kennende Astronom fürchtete ihn zu sehr; daher suchte er, zum Ersatze dafür, seinen Bruder, während er diesen mit Bitterkeit mißhandelte, zu lebhaftem, dreisten, kräftigen Widersprechen zu verleiten und somit einen heftigen, hitzigen Streit herbeizuführen, welcher, durch den Geist den Körper aufregend, in den Organen eine heilsame Bewegung hervorbringen mußte, die der Wirkung des heißesten und stärksten Mokkatrankes gleich käme, ohne irgend eine seiner nachtheiligen Folgen zu äußern.

Aber ach! sehr oft setzte Sulpizius Sanftmuth und Mäßigung seines Bruders Verdauung auf furchtbare negative Proben, und, nach zwanzig fruchtlos gebliebenen Versuchen, einen Streit herbeizuziehen, endigte zuletzt der verzweifelte Rumphius damit, daß er seinen Bruder der Zurückhaltung wegen schmähte, die derselbe bei ihrem Streite, wie er behauptete, nur aus Verstellung beobachte, »einer Zurückhaltung, welche er lediglich aus bloßer Widersetzlichkeit, aus reiner Liebe zum Widersprechen annehme,« fügte der Astronom hinzu.

Es begreift sich, für einen Menschen von diesem Charakter ist nichts grausamer, als mit sich allein streiten zu müssen; es giebt nichts, das Feuer der Streitsucht, die sich außerdem selbst aufreibt und verzehrt, wiederzubeleben, als eine harte Erwiderung, ein grober Einwurf.

Zum Unglück verstand der arme Sulpizius nicht ein einziges Wort von dieser sonderbaren Laune seines Bruders, und je mehr er sich als einen Widerspenstigen angreifen sah, je mehr beeiferte er sich, den kleinsten Wünschen, den geringsten Einwendungen des Rumphius zuvorzukommen. Inde irae (daher aller Zank); denn das engelsanfte Wesen hatte nicht ein einziges Mal in seinem Leben Nein! antworten können.

Wie schon gesagt, war Rumphius, diese Augenblicke der Streitsucht abgerechnet, ein guter Mensch; ich würde, wenn es nöthig wäre, selbst bezeugen, daß er, wäre sein Bruder je genöthigt gewesen, zu seiner – des Rumphius – Gelehrsamkeit seine Zuflucht zu nehmen, um irgend Beobachtungen über die schiefe Bahn der Ekliptik oder über horizontale Lichtstrahlenbrechung anzustellen, – ich zweifle nicht – sein ganzes Wissen und all' seine Erfahrung zu seines Bruders Verfügung gestellt haben würde.

Allein er schaute von einer solchen Höhe auf den armen Sulpizius herab; er wußte, wie dieser ganz und gar in die Kleinlichkeiten des materiellen Lebens, welche er so unedel und so gemein fand, vertieft war, daß er, ohne undankbar zu sein, das Betragen seines Bruders völlig nach der Ordnung fand; ein gewisser innerer Trieb sagte ihm, daß, bei seiner hohen Stellung im Reiche des geistigen Erkenntnisses, es ziemlich einfach sei, wie ein Geschöpf der niederen Region sich damit beschäftige, ihn trinken, essen und schlafen zu lassen, und ihm im Nothfalle selbst als Mittel diene, den Körper zu reizen, die Verdauung zu befördern …

Er war – ich wiederhole es – Sulpizius sehr zugethan; allein, da er in der Welt kein Vergnügen, keine Mühe und keine Pflicht kannte, die sich nicht auf Mathematik bezog, – hätte Sulpizius jemals eine Gleichung oder Differential-Rechnung aufzulösen gehabt … dachte er … dann erst würde er einen Bruder gefunden haben …

Am Abend desselben Tages, wo der Napf so schmählich zerbrochen worden war, erwartete Sulpizius, der schon das Mittagsessen gehütet und die mäßige Mahlzeit mit der gewissenhaftesten Sorgfalt bereitet hatte, seinen Bruder; denn die Stunde hatte schon lange geschlagen.

Bald ordnete er, um seine Ungeduld zu stillen, die Salzfäßchen, die Gedecke mit noch mehr Ebenmaß … bald putzte er das Krystall der Gläser noch heller … stellte seines Bruders bequemen Lehnsessel (er selbst hatte nur einen gewöhnlichen Stuhl) so, daß selbst der Widerschein der untersinkenden Sonne ihn nicht belästigen konnte, – dann ging er in die Küche, – aus der Küche an seinen Sitz, ans Fenster – und alles dies ohne einen Laut, ohne eine Klage; selbst die Seufzer erstickend, die ihm das Schicksal der beiden schönen, ganz frischen Fische, die auf dem Roste zusammentrockneten, auspreßte.

Endlich erschien Rumphius und sein Bruder zitterte – denn des Weisen Miene ist mehr als gewöhnlich erschöpft, ermattet. – Sulpizius hatte schon das Vorgefühl der Streitsucht …

»Guten Abend, lieber Bruder!« sagte Sulpizius, des Rumphius Hand drückend.

»Guten Abend, Bruder!« antwortete Rumphius liebreich.

»Wollt Ihr essen, lieber Bruder? da Ihr den ganzen Vormittag gearbeitet habt, muß Euer Kopf ermattet, ganz schwer sein! – die Ruhe ist Euch nöthig. –«

Wenn Rumphius schon mit seinem Essen zu Ende gewesen wäre, hätte er wenigstens dreierlei Stoff zum Zank in dieser Aeußerung gefunden – er prägte sie seinem Gedächtnisse ein, sagte kein Wort und aß.

»Ich, lieber Bruder,« fuhr Sulpizius schüchtern fort, »ich habe diese Seebarden geröstet und zubereitet – wie sie unser Vater liebte … erinnerst Du Dich noch, Bruder?«

Rumphius machte eine bejahende Geberde.

»Ach, wie froh wäre ich, wenn Ihr sie gut fändet!« –

Rumphius antwortete dadurch, daß er seinen Teller hinhielt.

Man mußte jetzt sehen, mit welcher innerlichen Freude, mit welchem Wohlbehagen der arme Sulpizius seinem Bruder von den Fischen vorlegte; so glücklich war er, zu sehen, daß etwas dessen Eßlust aufregte.

»Wißt Ihr, mein Bruder,« sprach Sulpizius mit einem Anflug von Stolz, indem er sein Essen unterbrach und ein in graublaues Papier eingeschlagenes Heft hervorholte, welches er, Rumphius freudig ansehend, aufschlug, »wißt Ihr, mein Bruder, das ist der ›Merkur von Frankreich,‹ der so viel Schönes von Euch sagt und …«

»Ach was! Dummheiten!« brachte Rumphius, seine Fischgräten benagend, hervor – »hast Du noch etwas zu essen?«

»Ja, lieber Bruder!– Gefülltes und einen Platzkuchen von Roggenmehl, den ich noch warm erhalten habe, wie Ihr ihn so gern esset!« und Sulpizius erhob sich, um dieses neue Gericht zu holen. – Während er seinen Stuhl zurückstieß, knarrte derselbe.

»Ach! welch' abscheulicher Lärm!« sprach Rumphius, der nun, nach dem hastig verschluckten Essen, schon das brennende Bedürfniß nach einem Widerspruche fühlte. –

(Man verzeihe es dem Gelehrten, das Wetter war so schwül, so heiß, seine Nerven waren so gereizt, er sah eine mühsame Verdauung voraus.)

»Verzeihe, lieber Bruder!« äußerte Sulpizius herumspringend.

»Wenn Du nur nicht den sonderbaren Eigensinn hegtest, wir hätten dann einen Bedienten zu unserer Aufwartung; das würde dieses abscheuliche Quietschen der Stühle vermeiden, was mich jeden Augenblick außer mir bringt.« –

»Aber, mein Bruder!« wagte Sulpizius zu entgegnen, »Ihr habt mir ja selber verboten, Jemand anzunehmen, weil Ihr befürchtet, daß man Eure Bücher, Eure Schriften oder Eure Instrumente anrühren –«

»Ha! das heißt also so viel,« erwiderte Rumphius, ganz entzückt über die Wendung, welche das Gespräch nahm – »das heißt so viel, als: heute will ich Das, morgen Jenes! – Ich bin ein Besessener, ein Narr; ich widerspreche mir unaufhörlich selbst; ich bin zum Einschließen reif! – Man muß mir Duschbäder auf den Kopf geben. – Ja, ja wohl! Duschbäder auf den Kopf! – ach! man soll mir Duschbäder auf den Kopf geben!« – rief Rumphius immerfort, während er schon ganz aufgeregt war.

»Aber, mein Bruder! – das sagt ja Niemand, so etwas denkt ja Niemand! – Ihr wollt, daß wir einen Diener haben; gut! wir werden einen nehmen – ich hatte Unrecht; – vergebt mir meinen Fehler!«

Diese Nachgiebigkeit war keinesweges nach Rumphius Geschmack; von dieser Seite aus dem Streite gebracht, begann er denselben wieder von einer andern.

»Sulpizius,« sagte er nun weiter, »Du sagtest mir eben, ich sähe ermattet aus; scheine ich Dir wirklich etwas leidend?«

Fragen waren das, was Sulpizius am meisten in der Welt fürchtete – denn es war ihm unmöglich, die Antwort zu errathen, die Rumphius verlangen möchte.

Er beschränkte sich daher auf die Erwiderung:

»Ihr sahet etwas angestrengt aus, aber jetzt kommt es mir nicht mehr so vor!«

»Das soll wohl heißen,« entgegnete Rumphius, »als stellte ich mich ermattet, um mich bedauern zu lassen?! – Und wer konnte mir denn diese leidende Miene vertreiben! – Das Mittagsessen! – Also heißt das, mir ganz rücksichtslos sagen, wie ich hoffe, daß ich nur bei Tische meine Ermattung vergesse – daß ich aus meinem Magen einen Abgott mache; sage doch auch gleich, ich berausche mich; – ich richte mich mit Unmäßigkeit zu Grunde … nenne mich doch einen Tiberius, ein epikuräisches Schwein, einen Vitellius – Sardanapal!« –

»Ich sage das ja gar nicht, Bruder! …«

»Ach! diesen Grund habe ich gern: Du sagst das nicht! Ja, ja! – es fehlte weiter nichts als das – Du sagst das nicht … ich glaube es wohl; wenn Du es aber sagtest … ha! aber! ja, ich denke mir es, wenn Du es sagtest … ja dann würde ich Dich behandeln, wie Du es verdientest … daß …«

»Aber, Bruder, da ich es nun nicht sage …«

»Da hast Du's! Immer mir noch widersprechen! – da siehst Du es! – Das ist nichts als Widerspenstigkeit von Deiner Seite! – Bloße Wuth, zu streiten, – zu zanken! Ich frage Dich nun endlich, wer immer noch einmal anfängt! Denn ich, ich sage Dir, daß ich vermuthe … also, von der Voraussetzung ausgehend, kann ich Dir wohl sagen, wie Du Unrecht hast; daß Du die Rechte selber ganz unerhört verkennst, die Du Dir über mich anmaßest – daß u. s. w. … daß u. s. w.«

Nun ließ Rumphius, immer von seiner Vermuthung ausgehend, seiner Laune in der Hoffnung freien Lauf, daß er Sulpizius Unwillen erwecken würde; aber der arme Bruder, unveränderlich sich an den Umstand festhaltend, daß es ja nur eine Vermuthung sei, von der sein Bruder ausgehe, blieb unangreifbar, und im Augenblicke, wo Rumphius, außer Athem, seine philippische Rede mit den entrüstenden Worten schloß: »aber Du bist nur ein schlechter Bruder – ein Judas!« – weil er auf eine Antwort zählte, die ihm neue Kraft geben sollte, antwortete der sanfte Sulpizius lächelnd und mit dem kältesten Gleichmuth auf der Welt: »Das heißt, Ihr setzet nur voraus, wenn ich ein Judas wäre. Denn wir sind von einer Voraussetzung ausgegangen, mein Bruder, und wie sehr ich Euch liebe, wisset Ihr ja!« –

Unser Astronom schwieg; der Zorn, der seinen Blutumlauf schon bearbeitete, erkaltete plötzlich. Diese Antwort hatte Eis auf das Feuer geworfen. Er mußte von neuem anfangen, und da diese neue Abweisung Rumphius noch mehr reizte, so wäre er gewiß erstickt, hätte er nicht das Mittel gefunden, den Streit neu zu beleben; er suchte daher und fand.

»Ach! Sulpizius,« sprach er zu seinem Bruder, »was sagtest Du mir doch vom französischen Merkur?«

»Man erhebt dort eine große Lobrede auf Eure Arbeiten, lieber Bruder, über die indische Astronomie!«

Der Astronom athmete wieder auf.

»Ja, da fällt mir eben ein,« meinte er zu Sulpizius, »Du wirst doch hoffentlich nicht läugnen, daß das Bild des wahren Guru von der Secte des Siva, wie ich dies übrigens behauptet und bewiesen habe, aus der Vedanta Sara entnommen sei?« –

»Nein, mein Bruder! – aber Ihr wißt ja, daß ich von Eurer Gelehrsamkeit viel zu entfernt bin, als daß ich etwas von allen diesen Wissenschaften verstände und daß …«

»Es sei! – reiner Eigensinn! Du weißt das so gut, wie ich; – aber die Hitze des widerspenstischen Geistes führt Dich irre; gehen wir weiter! – Ist nicht, der Vedanta Sara zufolge, und, wie ich bereits gesagt, der wahre Guru derjenige, der mit eigenen Augen Gocarnam und Calestry gesehen hat? – Aber nur ein Lump, ein Dummkopf, ein erbärmlicher Kerl kann den Pringuery dem Gocarnam und Calestry hinzusetzen; dieser Lump, dieser Strohkopf, dieser Elende, das ist Hoëtquel, der diese Ketzerei durch die Tamularische Grammatik des Vaters Breschio zu beweisen sich anmaßt – aber so antworte doch, Sulpizius; Du bist ja ganz unthätig! Du siehst ja, wie Hoëtquel mich beleidigt … mir widerspricht … und Du kannst hier unbeweglich, ohne Theilnahme dastehen! – ach! Du bist vielleicht darüber ganz außer Dir? – gewiß, ganz außer Dir – ja! das ist gut …«

»Hoëtquel hat Unrecht, wie mir scheint, mein Bruder,« sagte ganz schnell Sulpizius, der Alles aufwendete, um in seines Bruders Ansichten einzugehen, und der aus Erfahrung wußte, in welchen Zustand von Erbitterung diesen der bloße Name seines gelehrten Widersachers versetzte, welchen Rumphius mit jenem unheilbaren Hasse verabscheute, wie ihn oft die Lehrer verschiedener Meinungen auf einander werfen.

»Gewiß hat er sehr Unrecht, mein Bruder,« wiederholte Sulpizius.

»Hoëtquel hätte Unrecht? – durchaus nicht; er hat in Betreff der Vedanta Recht!« fiel Rumphius ein, über diesen kühnen Streich eben so erfreut, wie der Schachspieler über einen geschickten Zug in einer schwierigen Stellung.

»Ich irrte mich also, lieber Bruder,« stufte Sulpizius, »da hat Hoëtquel Recht.«

»He! jetzt frage ich Dich endlich,« rief Rumphius in der höchsten Freude, »he! er hätte Recht? he! Hoëtquel soll Recht haben? – also ich, ich bin's, der Unrecht hat? – gut! – das ist so viel, als ich wäre ein Esel, – herrlich! – ein Dummkopf! – noch besser; meine Arbeiten wären die eines Verrückten! – gut genug, Euer Küchenfeuer damit anzubrennen! – Das ist wunderschön! Und wer sagt mir das? Mein eigener Bruder! Ja, wahrlich, Hoëtquel würde sich nicht besser ausdrücken! – Aber weißt Du, was ich diesem Hoëtquel erwidern würde, oder vielmehr Dir; – denn jetzt bist Du und Hoëtquel nur Einer – weil Du seinen Irrglauben annimmst, weil Du ihm gegen mich Recht giebst –« sagte der Astronom, während er auf den verblüfften Sulpizius seine schon funkelnden Blicke heftete, »ha, er hat Recht; gut, weil er Recht hat … Du bist also Hoëtquel, Du stellst ihn vor; – Du sollst mir an seiner Stelle antworten! – Du sollst Dich jetzt vertheidigen – Du bist's, wollt' ich sagen – soll ich noch Rücksichten nehmen, noch mich in Acht nehmen, Dich, einen Hoëtquel, zu dutzen; – wir wollen sehen, Hoëtquel, Du Lumpenkerl, Du Einfaltspinsel, da Du Recht hast: welches ist der wahre Guru – der von der Seele des Siva? – Ist es nicht derjenige, der sich in allen heiligen Teichen gebadet hat, in jenen wie der Suria-puchkanary, ichendra-puchkanary, indra-puchkanary?– He, antworte mir! – Ist das nicht der wahre Guru? – he?!«

»Es ist der wahre Guru! ja, ja! mein Bruder,« sagte Sulpizius, »der eigentliche wahre Guru!«

»Nenne mich nicht Bruder, Du, der Du Hoëtquel bist; nenne mich nicht Deinen Bruder! Wenn es also nun der wahre Guru ist, warum willst Du, daß er nicht eher der wahre Gum ist, als wenn das Gesicht des Pringuery zu dem des Gocarnam und Calestry hinzugesetzt wird? – nun, antworte! – he! antworte, geantwortet muß sein!« schrie Rumphius, schon ganz über und über zornig.

»Aber ich weiß ja nicht … ich kenne ja nicht …« sagte der unglückliche Sulpizius, der sich in den entsetzlichen Namen von Guru, Gocarnam, Pringuery und Indra-Puchkanary verlor.

»Was! Du weißt es nicht!« sagte Rumphius, dessen Blut endlich kochte, »ach! Du weißt es nicht! ach! Du weißt es nicht, daß Guru Meister oder Leiter bedeutet … die Könige die Guru's ihrer Reiche sind – he! Du weißt es nicht,« schrie der Astronom wüthend, »und Du kannst kalten Blutes, fröhlichen Herzens die Arbeiten eines armen Gelehrten, der in der Einsamkeit lebt und eine Unzahl solcher Bösewichter von Hoëtquels aufwiegt, mit der Fleischgier eines wilden Thieres, eines Tigers angreifen? – Ach! Du weißt es nicht und glaubst, dieser Grund reiche hin, mich ungestraft anfallen zu können!« brüllte Rumphius ganz außer sich, im höchsten Grade der Wuth und seiner Verdauung.

»Ich beschimpfe Euch keinesweges, mein Bruder!«

»Ich sage Dir, Du beschimpfest mich, mich,« rief Rumphius aus allen Leibeskräften, »Du höhnest mich, Hoëtquel,– und doch mußt Du gestehen, daß Du nicht den geringsten Begriff von dem hast, was ein wahrer Guru ist – bekenne, Elender,« heulte Rumphius, seinen Bruder beim Rocke schüttelnd – allein seine Kräfte verließen ihn und der Astronom stürzte, fast ganz erschöpft, keuchend in die Arme des Bruders, der ihn auf seinen Lehnsessel niedersetzte. – Der arme Bruder trocknete niederkniend den Schweiß, der von der Stirn des Weisen herabfloß, dessen Augen halb geschlossen waren.

»Beruhigt Euch, mein Bruder,« sagte Sulpizius, »beruhigt Euch, ich hatte Unrecht; ach ja! ich habe Euch widersprochen; verzeiht – verzeiht!–«

»Nicht doch, Sulpiz, ich bin Schuld,« sprach Rumphius, dessen Absicht erreicht war, »die Hitze des Streites hat mich fortgerissen; ich war mit meinen Gedanken ganz entfernt; – aber Du weißt es wohl, ist einmal der Streit vorüber, so denke ich nicht mehr daran; – verzeihe mir, Sulpiz; denn Du bist das beste der Geschöpfe, die je von den Goldgebirgen von Maha-Meru herabstiegen, wie Brama sagt …«

»Wie gut seid Ihr, lieber Bruder, – aber mein Gott, bin ich nicht zu glücklich, Euer Bruder zu sein! Ihr, so berühmt, so gelehrt! – und den geringsten Widerspruch zu vermeiden, ist all' mein Bestreben, – ach, gewiß, mein Bruder, darum traget es mir auch nicht nach, wenn ich, wider Willen … ich …« Und Sulpizius hatte Thränen in den Augen; er konnte nicht weiter sprechen.

»O schweig davon, Sulpiz,« meinte Rumphius, der ebenfalls seine Augen feucht werden fühlte, »sei stille, Du beschämst mich wegen meiner selbst, weil ich mich so hinreißen lasse! –« und der Astronom fuhr mit seiner knöchernen Hand über die Augen.

»Ach! reden wir nicht mehr davon, ich bitte,« sagte Sulpizius, »kommt, mein Bruder, legt Euch nieder! Ihr arbeitet so viel; – wie thut Ihr Euch Schaden!«

Und Sulpizius betrat nicht eher sein Kämmerchen, als bis er seinen Bruder eingeschlafen sah, und die Worte: Guru, Pringuery … Hoëtquel … nur noch nach langen Absätzen aus dessen Brust schlüpften, die durch den Ausbruch seines heftigen Zornes frei geworden war.

Sulpizius wollte eben in's Bett steigen, als zwei oder drei kräftige Schläge an der Hausthür ihn zurückhielten. Er befürchtete weiter nichts, als man möchte seinen Bruder aufwecken. In aller Eile ging er, zu sich sprechend: »Man ist durch den Garten gegangen oder durch das Gäßchen hereingekommen;« dann, durch die starke Thür des Vorzimmers sprechend, fragte er: »Was will man? Wer ist da?«

»Seid Ihr nicht der Astronom Rumphius?« sprach eine Stimme.

»Ich bin dessen Bruder; er schläft; redet um Gottes willen leiser.«

»Gebt ihm diesen Brief, den ich Euch unter der Thüre zustecken werde; er muß, bei Vermeidung des größten Unglücks, den Brief selbst an den Grafen von Vaudrey bestellen – hört Ihr; daß er ja selber den Brief in die Hände dieses Herrn bringt, der jetzt in Paris ist; schwört Ihr's bei Eurer Seligkeit?«

»Ach Gott, ja, ich schwöre es,« sagte Sulpizius, am ganzen Leibe zitternd.

»So gebt Acht,« sprach die Stimme, der Brief kommt von Seiten Ihrer Durchlaucht, der Herzogin von Almeda!«

Hierauf glitt der Brief unter der Thüre durch, und Sulpizius hörte, wie der Unbekannte sich entfernte.


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