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Vorrede.


Schloß Saint Brice,
den 15. Novbr. 1833.

Abgesehen von seinem speciellen Theile, seiner Seeaufgabe vervollständigt dieser Roman in meinem Sinne die allmälige und philosophische Entwickelung einer Idee, die ich in dem Atar-Gull aufgestellt und dann im Salamander verfolgt habe.

Es ist ein ganz anderes Gefühl als das der Eitelkeit, welches mich zwingt, von diesen Werken zu sprechen, die ohne Zweifel bereits vergessen sind. Um aber meinen Zweck deutlich auseinander zu setzen, muß ich der Erinnerung des Lesers diese beiden Romane zurückrufen, welche mit dem vorliegenden so innig durch die Einheit der Ansichten verbunden sind, welche mir eine unerschütterliche und fast unwillkürliche Ueberzeugung aufdringt.

Jedes Jahrhundert hat seinen unauslöschlichen Ausdruck und Character, und es schien mir, als sei jetzt der hervorstechendste und bestimmteste Zug unserer moralischen Philosophie – eine tiefe und bittere Enttäuschung – welche ihre Quelle in den tausend geselligen und politischen Täuschungen hat, deren Spielwerk wir waren und für welche der Beweis in dem organischen und konstitutiven Materialismus unserer Zeit liegt.

Indem ich diese Meinung aufstelle (welche dem von mir verfolgten System zur Grundlage dient), glaube ich wenig Widersprecher zu finden, denn die Mehrzahl hat mit einer unbegreiflichen Zufriedenheit gesagt, wiederholt, proclamirt und bewiesen, daß unser glückliches Jahrhundert den ungeheuern Vorzug hat, überaus positiv zu sein.

Nach der Bedeutung, welche die liberal fortschreitende und philosophische Partei diesem Worte giebt, scheint mir, als sei positives und materialistisches Jahrhundert oder enttäuschtes und atheistisches Es würde als ein schwaches Argument dienen, wollte man der geringen Anzahl von Personen von religiösem Glauben Erwähnung thun das Gesetz ist der wahrste und innerste Ausspruch einer Gesellschaft. Mit dem Tage also, an welchem im öffentlichen königlichen Gerichtshofe eingestanden und proclamirt wurde, daß das Gesetz atheistisch sei, ist die Frage entschieden. ganz gleich.

Da diese Wahrheit einmal von den Einen mit Freude und Stolz, von den Andern mit Schmerz anerkannt ist, wollen wir fortfahren.

Diese Enttäuschung, die uns bedrückt, ist begreiflich, seitdem der Philosophismus, diese traurige und unvermeidliche Folge des Lutheranismus, die Ungläubigkeit predigte, ein Leichentuch zwischen dem Himmel und der Erde ausbreitete und das göttliche Licht den Menschen raubte; seitdem halten diese den Himmel für leer, weil man ihnen denselben raubt, und sie kriechen nun im Elend und in der Dunkelheit dahin. Da sie keinen Himmel mehr anzuflehen hatten, waren sie gezwungen, die Stirn zu senken und den Blick auf die Erde sowie rings um sich her zu richten.

Da sie nichts Anderes mehr zu thun haben, als sich zu hassen und zu beneiden, haben die Menschen sich einander näher gesehen, Angesicht in Angesicht, und der Mensch das Herz des Menschen tief ergründet und es analisirt Fiber für Fiber. Der Mensch ist vor Entsetzen zurückgebebt, denn seine Entdeckungen waren gräßlich.

Er sah in den Andern wieder, was er in sich selbst fand: Stolz – Haß – Neid! –

Und da der heilige, heilsame Glaube nicht mehr da war, diese organischen Laster unserer Natur durch die Hoffnung auf ewigen Lohn oder durch die Furcht auf ewige Strafe in Ergebung, Liebe und Barmherzigkeit zu verwandeln;

Und da die Menschen sich nicht mehr an Gott wenden konnten, wenn er ihnen eine Falschheit, eine Täuschung, eine Marter mit Demuth zu ertragen gebot, damit diese Schmerzen ihnen eines Tages angeboten würden; –

Da der Mensch nur an sich selbst glaubt, und seine Rache nicht dem Zufall einer göttlichen Gerechtigkeit anvertrauen wollte, hat der Mensch dem Menschen Täuschung für Täuschung, Falschheit für Falschheit, Marter für Marter zurückgegeben.

Weil der Mensch in seinen Hoffnungen betrogen wurde – weil er gelitten hat, mußte die Menschheit die Rückwirkung seiner Wuth tragen. Dieses Prinzip wird durch den Charakter Brulards im Atar-Gull Dehnt man die Entwickelung des Charakters auf einen Theil der Gesellschaft aus, so findet man ihre Anwendung, wenn man an die unerhörte und blutige Rache denkt, welche die Metzeleien von 1793 herbeiführte. entwickelt.

Weil der Mensch mit Bitterkeit die Nichtigkeit weltlicher Vergnügungen erkannt hat, mußten die, welche ihm nahe kamen, diese frühzeitige Enttäuschung theilen und jede süße lachende Illusion durch seinen unsaubern Hauch getrübt werden.

Weil ein Mensch verzweiflungsvoll und ohne Glauben war, mußte die Menschheit verzweifelt und ohne Glauben sein.

Dieses Prinzip ist durch den Charakter Szaffir's im Salamander entwickelt Bezieht man die Folgerung dieses Charakters auf einen Theil der Gesellschaft, so findet man ihre Anwendung, wenn man daran denkt, mit welcher Grausamkeit Voltaire oder die philosophische und encyclopädische Schule ohne Unterlaß den trostreichsten, edelsten Glauben angegriffen und herabgesetzt haben und welches Uebel sie unserer Generation dadurch zufügten..

Und das zwar weil, sobald kein heilsamer Glaube mehr dem unwiderstehlichen Instinkte, der den Menschen zu Rache treibt, einen heiligen und mächtigen Zügel anlegt, die Rückwirkung dieser Rache trunken, wüthend und blind ist, weil sie in Ermangelung der Strafbaren die Unschuldigen erreicht und oft das Herz und den Keim kommender Jahrhunderte angreift.

Der unwiderlegbare Beweis dafür sind die schmerzlichen Symptome, die in unsern Tagen ein unendliches Bedürfniß des Glaubens kund thun.

Dieses glühende und instinktmäßige Bedürfniß eines religiösen Glaubens und die verzweiflungsvolle Ohnmacht, sich bis zu einem wahren und innigen Glauben zu erheben, werden in vorliegendem Romane durch den Abbé von Cilly entwickelt.

 

Dieses Kapitel richte ich an Sie, mein lieber Victor, an Sie, dessen höheres, scharfes, ernstes Urtheil sich durch eine zuweilen rauhe und strenge, aber stets rechtliche Würdigung ausspricht.

An Sie, mein Freund, der die Größe, die Billigkeit, den Adel einer Frage vermuthen läßt, allein dadurch, daß man Sie dieselbe vertheidigen sieht.

An Sie, dessen Schriften und Kritiken einen ritterlichen und großmüthigen Charakter tragen, der eben so fern von den literarischen Sitten unserer Zeit ist, wie eine große Gestalt van Dyks, mit Büffelleder und Stahl bedeckt, von den heutigen Moden.

Sie haben mir oft die Art von verzweiflungsvollem Systeme zum Vorwurf gemacht, das mich zwang, zu nackt einige Bilder von betrübender Wahrheit zu malen; oder vielmehr Sie, mein Freund, der Sie mich kennen, Sie beklagten mich, daß ich in meinem Alter schon die Erfahrung und eine so eingewurzelte Ueberzeugung von dem Nichts der Illusionen gemacht hätte.

Indem Sie mit mir über die mildthätigen Aristarchen lachten, die mich ein wildes Thier nannten, das man niederschlagen müsse, wenn man es fände, oder die mir ein wohlverdientes Ende auf irgend einem Blutgerüste prophezeiten, sagten Sie mir:

»Ich gestehe gleich Ihnen, daß die Menschheit fast immer dem, »der sie studirt, ein abscheuliches und abstoßendes Schauspiel bietet; »aber wozu solche Bilder aufstellen? Die Kunst und die Poesie haben »hienieden auch eine heilige und tröstliche Sendung zu erfüllen: »einen glänzenden und phantastischen Schleier über jede verzweiflungsvolle »Wirklichkeit zu werfen.

»Denn die Natur selbst scheint die ärgerlichen Gegenstände verhüllen »zu wollen. Auf einem Grabe läßt sie den Rasen wachsen; »über einem Leichnam Blumen – – –:

»Nein, nein, die Wahrheit, die Sie zeigen, ist zu enttäuschend, »ist zu unbarmherzig. Wozu nützt es, so alle Illusionen zu zerstören, »und welchen Zweck können Sie dabei haben, mit solcher grausamen »Ausdauer bei Ihrem Werke zu verharren?«

Jetzt, da falsch oder wahr meine Idee vollständig ist, kann ich Ihnen sagen, mein Freund, welchen Zweck ich mir vorsetzte, denn ich glaube ihn erreicht zu haben.

Ich wollte die liberale, philosophische und Fortschritts-Partei dahin bringen, durch das Organ einiger ihrer achtungswerthesten und ausgezeichnetsten Schriftsteller zu erkennen:

Daß es für den Menschen auf Erden kein Glück giebt, wenn man ihm jede Illusion raubt.

Ich wollte den sonderbaren und bedeutungsvollen Widerspruch eines Jahrhunderts aufdecken, welches den alten religiösen und monarchischen Glauben, diese einzige reine und fruchtbarste Quelle der edelsten, trostreichsten, glaubwürdigsten Illusionen unter die Füße getreten hat, und gleichwohl überall und um jeden Preis neue Illusionen fordert; – eines Jahrhunderts, welches jetzt darüber unwillig ist, daß das Positive und Wahre, worauf es sich so eifersüchtig und stolz zeigte, politische Systeme in die Gesellschaft und aus der Gesellschaft in die Kunst übertrug.

Was soll aus dem Menschen werden, sagen Sie, wenn man ihm eine Illusion nach der andern entreißt?

Es wird aus ihm werden, was Ihr aus ihm gemacht habt, was er ist: Ein trauriges mürrisches Wesen, welches Alles dem materiellen Glücke der Welt unterordnet; selbst wenn er seinen groben und sinnlichen Durst sättigen konnte, selbst wenn er die höhere Macht, der Wissenschaft und des Ruhmes erreichte, wird er doch stets noch die mächtige Leere in seiner Seele fühlen, welche keine menschliche Eitelkeit auszufüllen vermag.

Man verlangt Illusionen Wir bedienen uns hier des Wortes Illusionen, um von dem Glauben zu sprechen, weil dieser besonders als Illusion von dem Philosophismus angegriffen wurde. Die Frage, ob der wahre und innige Glaube zu dem Glücke des Menschen nothwendig ist, bedarf keiner Erörterung. in der Kunst, so setze man sie zunächst in die Sitten; denn die Kunst ist so zu sagen nur der Geist, der moralische Ausdruck des geselligen Körpers.

Und gestehen Sie, mein Freund, giebt es etwas prosaischeres, etwas enttäuschenderes als die jetzige Gesellschaft? Soll man zu dem Dichter sagen: Besinge die trostreiche und heikle Religion, wenn man den Abend zuvor straflos Tempel und Altar durch gotteslästerliche Orgien entweihte?

Oder soll man zu dem Dichter sagen: Besinge den König, jenes majestätische, unverletzliche Wesen, dessen königliche Binde Gott weihte? Und man wiederholt doch täglich, daß man den König bezahlt? Und daß er ein bezahlter Beamter wie ein Präfect, der arbeiten müsse, um seinen Gehalt zu verdienen?

Soll man zu dem Dichter sagen: Besinge das Vaterland, seine Einrichtungen, seinen Ruhm, seine Wissenschaft? –

Man weiß zu gut, was das gilt, was es kostet, denn 500 Auserwählte legen laut und öffentlich Rechnung über Einnahme und Ausgabe des Staates ab.

Soviel wird an dem Straßenkoth und an dem Unrath gewonnen – soviel an dem Schweiß der Strafgefangenen – soviel an der Prostitution des weiblichen Geschlechtes – soviel an der Lotterie und den Pfandanstalten, welche die Galeere füllen und die Morgue (öffentliche Ausstellung gefundener Leichen) versorgen – soviel an der ungesunden Luft der Stadt, – so viel an dem Rechte, die ungesunde Luft einathmen zu dürfen.

Das ist die Einnahme; nun kommt die Ausgabe.

Für einen Gott und dessen Diener soviel – für eine Gerechtigkeit soviel – für den Ruhm soviel – für den Unterricht und die Wissenschaft soviel –

Dann addirt man das Alles zusammen, ein Gott – ein König – eine Gerechtigkeit – ein Ruhm – ein Unterricht, eine Wissenschaft – Summa Summarum: Soviel. – Von Heller zu Pfennig; gerade wie eine Kaufmannsrechnung. Ist die Bilanz zwischen Einnahme und Ausgabe nicht ganz richtig, so zwackt man am Ruhme, kürzt an der Gerechtigkeit und erspart an Gott.

Sollen wir jetzt noch in das Privatleben eindringen? Was stutzet man hier? –

Eine neidische, egoistische und rohe Eifersucht, einen kindischen und lächerlichen Ehrgeiz, aus den die Macht speculirt, indem sie ihn mit geringen Kosten befriedigt;

Einen ungezügelten Ehrgeiz, der durch den dummen und abscheulichen Grundsatz angespornt wird:

Alle dürfen nach Allem streben!

Aber zu Allen zu sagen, Ihr dürft Ansprüche wachen, Alles zu sein: König, Fürst, General, Finanzmann, Eroberer oder Gesetzgeber – heißt das nicht das Prinzip der Gleichheit der Intelligenz aufstellen – heißt das nicht, den individuellen Stolz eines jeden Menschen auf die entsetzlichste Höhe schrauben?

Daher antwortete auch dieser Stolz: Wie, Ihr sprecht von der Fähigkeit dieser und von der Unfähigkeit jener?– von den Rechten dieses und von der Unzulässigkeit jenes. Aber wer sagt Euch denn, daß ich unfähig bin? Wer beweist Euch, daß meine Kenntnisse die jenes nicht aufwiegen?– Ist Euer Platz heilig geworden, da er der Eurige geworden ist! – Alle können auf Alles Anspruch machen! – Ich mache also meinerseits darauf Anspruch, da alle stärker sind als Ihr, so wird die Gewalt entscheiden, wenn die Fähigkeit es nicht vermag.

Aber Ihr habe euer Recht – sagt Ihr.

Euer Recht! Und wer hat es geheiligt? Gott? Nein. Gott mischt sich nicht mehr in die Angelegenheiten dieser Welt. – Ich hätte eine göttliche Ausströmung, eine Gewalt durch Gott legitimiert, geachtet; aber sobald sie nur rein menschlich, geheiligt durch Menschen wie Sie und ich, wird es eine rein menschliche Frage, die ich eben so gut entscheiden kann als Ihr.

Wollt Ihr behaupten, ich habe nicht die nöthigen Fähigkeiten, Minister, Gesetzgeber oder Beamter zu werden? Ich habe nicht die Fähigkeit! Aber wer sagt das? Ihr! – Weshalb sollte ich Euch mehr glauben als meinem Bewußtsein das mir sagt: Du bist fähig!

Die Mehrzahl, sagt Ihr, antworte, ich sei nicht fähig; also ist es nur noch eine Frage der Zahl, jener Elemente, welche die rohe Gewalt bilden. – Ich werde warten oder Anhänger werben und dann wollen wir weiter sehen.

Und man darf nicht etwa behaupten, daß diese Urtheile dumm oder albern sind; leider sind sie streng logisch und consequent mit dem constitutiven Principe, welches die Gleichheit und Souveränität Aller aufstellt. Dieses giebt in der That Allen das Recht, die Regierungsform zu ändern oder zu modificiren.

Sobald ein Mensch nur noch den Menschen über sich hat, was kann ihn dann von der Ausübung seines Rechtes anders noch abhalten, als die Gewalt? Sobald aber die Gesellschaft auf einer Basis ruht, die so wechselnd, so gefährlich, so roh ist, als die Gewalt, was ist dann ihre Zukunft, als eine immerwährende Fortsetzung von Unruhen und Reibungen, veranlaßt durch Die, welche ihr anerkanntes Recht benutzen und deshalb auch ihren Tag der Gewalt haben wollen?

Denn jetzt ist Alles nivellirt. Es giebt nicht mehr jene großen, tiefen geselligen Unterschiede, welche die Classen von einander absondern und machten, daß jedes Individuum sich friedlich seine eigene Laufbahn bildete und einen edlen Stolz darin setzte, der Erste seiner Corporation, seines Handwerkes oder seiner Classe zu werden. – Ein unschuldiger Ehrgeiz, den ein vorwurfsfreies Betragen für immer krönte.

Und diese gesellschaftliche Ungleichheit, die so weise durch das Recht und die Gewohnheit bestand, um von den Massen das Fieber entfernt zu halten, von dem sie jetzt verzehrt werden, diese Ungleichheit war nicht so ganz unzugänglich, daß nicht ausgezeichnete, aber wahrhaft ausgezeichnete Fähigkeiten zu Allem hätten gelangen können.

Hinderte diese gesellschaftliche Ungleichheit, welche von den Philosophen des 18. Jahrhunderts so auffallend angegriffen wurde, diejenigen, die selbst zum dritten Stande gehörten, die kein Vermögen, keine Familie hatten, in die beste Gesellschaft und die größte Welt eingeführt zu werden, wenn sie hier die Würde ihres Characters zu bewahren wußten?

Hat diese gesellschaftliche Ungleichheit, geheiligt durch den Gebrauch und das Gesetz, Vauban und Fabert, Duquesne und Duguay-Trouin und Johann Bart abgehalten am Hofe Ludwig XIV. eben so zu erscheinen, wie die größten Herren? Hat diese Ungleichheit die unbedeutendsten Leute gehindert, zu allen Zeiten die höchsten Würden des Kirchen- und Beamtenstandes und des Degens zu erlangen? Nein! Diese Ungleichheit hat diese wahre oder kräftige Überlegenheit nicht abgehalten. Mit einem Satze hat sie stets die Schranken übersprungen, welche so weise gesetzt waren um die Mittelmäßigkeit zu zügeln, die ohnedies nach Allem streben und Allen gewiß schaden würde.

Ja, es heißt, des Verstandes ermangeln, wenn man behaupten will, daß ein König, so absolut, so durchdrungen von aristokratischen Ideen er auch sein mag, jemals den ungeheueren Fehler begangen habe, das Genie nicht zu benutzen, weil es von gemeinem Stande war.

Denn die meisten Minister sind aus dem dritten Stande hervorgegangen, und das zwar in den stolzesten Zeiten der Monarchie.

Ohne Zweifel hatte dieses Prinzip der geselligen Ungleichheit, wie jede menschliche Einrichtung, seine schwache Seite, aber man bedenke, daß statt den blinden Ehrgeiz der Mittelmäßigkeit anzuspornen, dieses System ihn unterdrückt, ohne deshalb das wahre Talent zu hindern, sich auf den Gipfel des gesellschaftlichen Gebäudes zu schwingen.

Man bedenke endlich, daß um die Ruhe und das Glück eines ganzen Volkes zu sichern, man nicht lächerliche, alberne oder übertriebene Ansprüche opferte und zwar ohne Furcht, den Keim irgend eines Genie's zu ersticken; denn die großen Männer haben ihrer Zeit nie gemangelt, weil es die menschliche Macht übersteigt, ihre göttliche Sendung zu hindern.

Jetzt vergleiche man das moralische Resultat dieser beiden Systeme:

Das, welches unerläßliche Bedingungen und Garantien erfordert, um an gewissen Classen der Gesellschaft Theil zu nehmen, gewisse Aemter zu erlangen;

Oder das, welches eine, allen schlechten und ungeregelten Leidenschaften unbegrenzte Laufbahn eröffnet, indem es das verderbliche Paradoxon aufstellt: Alle können auf Alles Anspruch machen.

Ist dieses nicht die Ursache der furchterregenden Symptome, die sich auf allen Seiten zeigen, jenes gehässigen Neides, der so kühn alle erworbenen Rechte bedroht?

Ist es nicht die fruchtbare Quelle aller der bitteren Täuschungen, welche die Einen zum Aufstande, die Andern zu bewaffneter Empörung treiben?

Und nicht über die Verirrten, die kein anderes Unrecht haben, als zu wollen, daß man ihnen die unsinnigen Versprechungen erfüllt, darf man Anathema rufen.

Nein, die, welche für ewig die Verachtung und die Verwünschung Frankreichs verdienen, sind jene Gewandten, welche, zur Macht zu gelangen, und sie sich zu theilen, einst zu dem Volke sagten: Du bist souverain; und die jetzt bleich und zitternd, die Stirn in Schweiß gebadet, ihm die Souverainetät streitig machen, die es mit seiner lauten, furchtbaren Stimme stolz fordert!

Schmach und Unglück diesen! Denn sie sind es, die uns einer Zukunft entgegen treiben, die so entsetzlich ist, daß man kaum wagt, die Augen darauf zu richten!

Wehe denen, die, sehr verrückt oder sehr boshaft, mit einigen leeren, doch tönenden Worten: Fortschritt, Aufklärung Wiedergeburt – in Frankreich und ganz Europa die Keime einer entsetzlichen Anarchie ausgestreut haben! – – – – – – – –

Aber Sie sehen, mein Freund, daß der Unwille mich fortreißt und mich meinem Ziele entfernt.

Ich kehre um.

Ich wollte meine traurige und bittere Ueberzeugung wenigstens dadurch nützlich machen, den Zustand unserer Zeit zu schildern.

Ich versuchte, ihr Abscheu vor ihrem Materialismus, ihrer Positivität, ihrer Wahrheit einzuflößen, ohne etwas Anderes zu thun, als daß ich in die Kunst diesen Materialismus, dieses Positive, dieses Wahre legte, auf das unser Jahrhundert so stolz ist.

Wenn unter den Stürmen, die uns von allen Seiten bedrohen, ein heiterer Tag vorauszusehen wäre, könnte man dann nicht logisch hoffen, da man die Nothwendigkeit der Illusion, der Poesie und der Größe in der Kunst, die doch nur der moralische Ausdruck einer Gesellschaft ist, anerkennt; – wolle man auch Poesie, Illusion und Größe in den geselligen und politischen Sitten;

und die alte religiöse und monarchische Constitution Frankreichs; und das alte geläuterte religiöse System, wiedergeboren durch den Katholicismus, könne eines Tages durch unsere dringenden Bedürfnisse des Glaubens, des Trostes und der Freiheit antworten.


Das also, mein Freund, sind die Absichten, aus denen ich von einem Systeme nicht abweichen wollte, welches mir überdies die unerschütterlichste Ueberzeugung aufdrang.

Außerdem bin ich noch des Prinzipes gewiß, welches mich stets leitete: daß der Ausspruch irgend einer Wahrheit, wie täuschend sie auch sei, der Menschheit stets als moralische Lehre nützen könne.

Eugen Sue.


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