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Drittes Buch.


XII.

Man thut oft Gutes, um ungestraft Böses thun zu können

(121, Maxime von Larochefoucauld.)

Ich habe oft gesagt: Das Unglück der Menschen kommt daher, weil sie sich nicht ruhig im Zimmer zu halten wissen.

Pascal, Gedanken. Art. VI.

Graf Heinrich von Vandrey.

Mohamed, – St. Augustin, – Pascal, – Rousseau, – M. Jaquotot, – der göttliche St. Simon und noch viele Andere (denn heut zu Tage giebt es der Götter und Weisen eine große Anzahl) betrachten die Erziehung mit Recht für ein zweites Dasein, dessen der Mensch sich erfreut.

Schon um sein physisches Leben vollständig zu machen, behaupten sie, ist ihm dies andere moralische nöthig.

Mir nun ist diese Behauptung stets so wahr als bewundernswerth erschienen; nur ist, meiner Ansicht nach, die Wahl solcher Geisteserzeuger mit großer Schwierigkeit verbunden, wie groß auch die Zahl der Prätendenten immer sein mag. – Zur Zeit unserer Erzählung waren in dieser Wissenschaft die Aebte die Vorkämpfer, und manche unter ihnen zählten zwölf bis fünfzehn solcher Geistesgeschöpfe, mehr oder minder lebensfähig, ohne dabei ihrer todtgebornen Kinder und ihrer Bastarde zu gedenken.

Aber diese zweite Natur ist besonders anhänglich; wie sehr die Welt sich auch an ihr reibt, verändern wird sie sich doch nicht. Ja gewiß immer wird man im Gedanken- und Thatensystem des reifern Alters mit Erstaunen die Grundzüge dieser zweiten Väter erkennen.

In der ersten Jugend ist Seele, oder Geist, oder Herz, wie man's auch nenne, biegsam und empfänglich, indem die Leidenschaften sich erst entzünden und auflodern; nach und nach verfliegt die Gluth; die Seele wird kalt und hart, wie Stahl.

Bei einigen floß diese Lava in eine edle oder abscheuliche, doch tüchtige und feste Form; bei andern aber sprudelte der Stoff ein wenig und verschwand dann in Nichts.

Doch ist dies keine Vorrede zu einem Erziehungs-Elementarbuch für solche, welche Götter in die Welt setzen wollten, noch die Annonce eines speciellen Etablissements, um Brutusse zu entwöhnen, die ihre Amme beißen, oder Lykurge zu erziehen, welche im siebenten Jahre schon ihren Eifer für die Unterdrückung der Mäßigkeit und des Duldens eidlich gelobten, gleichsam, als wären dies Angriffe auf die individuelle Freiheit und Würde des Menschen.

Dies soll mich vielmehr nur hinleiten auf die erste Erziehung des Grafen Heinrich von Vaudrey und auf seine augenscheinliche Unstetigkeit in seinen Prinzipien, die ihn in Bezug auf die verstorbene Herzogin von Almeda in ein so falsches Licht setzte.

Heinrich von Vaudrey, der jüngere Sohn eines angesehenen Hauses, ward bei seiner Geburt zum geistlichen Stande bestimmt und zwar nach der Ordnung der Geburt und in Folge des erhabenen, geselligen Begriffs, welcher die Gegenwart mit der Vergangenheit und der Zukunft verbindet, mit andern Worten, nach dem sogenannten Recht der Erstgeburt.

Denn ehedem gründete man mit vieler Mühe mit Eisen und Granit ein festes Gebäude aus Felsengrund, und nicht etwa für sich; denn oftmals rief der Tod den Bauherrn ab, bevor noch der letzte Stein solch eines Gebäudes gefügt war; – sondern man baute für seine Kinder und Kindeskinder.

Diese erhabene Heiligung der Zukunft, diese edle und segensreiche Sitte, welche die Wiege einer Familie unveräußerlich und heilig machte; – sie war Barbarei und Rohheit.

Ehemals stellten sich religiöse und politische Satzungen der übermäßigen Entwickelung der Bevölkerung entgegen, um die allzu große Anzahl der Sprößlinge zu mindern, die, was auch die Utopisten sagen mögen, doch nur bestimmt sind, hienieden der Entsagung und dem Elend zu leben.

Auch der moralische Zwang, der den Reichen so wie den Armen traf, und nur dahin zweckte, die Zahl des Menschengeschlechtes mit den wenigen Ueberresten des verfallenen Wohlstandes der Menschheit in Gleichgewicht zu bringen, und so eines jeden Theil zu mehren … war Barbarei und Rohheit.

Heut zu Tage aber baut man mit Kalk und Koth ein Haus für Tagesfrist, gerade wie jene thörichten Alten, deren schmutziger Sinn, wenn er darüber zur Rede gesetzt wurde, sich mit einem »was geht mich die Zukunft an?« entschuldigte. Und wahrlich, sie haben Recht; was geht es sie an? Heut zu Tage hat man mit Religionssachen, Erinnerungen und Vaterlandsliebe genug zu schaffen.

Liegt deine Mutter begraben, dort unter dem frischen Grün der Aue, wo sie so gern saß und dich als kleines Kind auf ihrem Schooße wiegte; – o wahrlich, wenn es der edlen Industrie einfällt, ihre Eisenbahnen über jenen geweihten Boden zu legen, wo du allabendlich betest, so wird dir jene Industrie die Gebeine deiner Mutter abwägen, dreifach dir ihren Werth bezahlen, und dann ihre Asche in den Wind streuen; aber du darfst nicht mit ihr hadern.

In ganz Frankreich ist kein einziger Winkel, wo die Industrie nicht einen Kanal, einen Weg oder eine telegraphische Linie (denn so weit ist diese hochbelobte Industrie fortgeschritten) hin verlegen kann. Und wäre man da nicht ein Thor, ein Haus zu bauen, oder einen Baum zu pflanzen, da man ja stets Gefahr läuft, es am folgenden Morgen nicht mehr sein nennen zu dürfen?

Dieser äußerste und verhängnißvolle Angriff auf Familienglück, auf die Moral, auf die Religion der Zukunft und Vergangenheit, auf das heilige Eigenthumsrecht – das nennt man – Staatsvortheil.

Jener niedrige öffentliche Egoismus endlich, welcher Alles zu Aller Schaden angreift; jener scheußliche und zerstörende Gedanke, es müsse Alles feil sein, Alles verkäuflich, bezahlbar und käuflich; es müsse das, was dem Menschenherzen noch am heiligsten, am reinsten ist, es müsse jenes Gefühl, das ihn allein noch an das Land knüpft, die Liebe zur Grabesstätte und zur Wiege, mit Gold bezahlt werden können, um es der eiteln Hoffnung einer unmöglichen Verbesserung des reinmateriellen Wohlstandes zu weihen, das, ja das ist – die Civilisation, das ist das Fortschreiten unserer Zeit!

Doch nicht genug! – heut zu Tage giebt es Menschen, die kraft ihres Amtes (man nennt solche Wichte – Oekonomisten oder Menschenfreunde) euch ernst oder mit einer unschuldigen und vollkommenen Zufriedenheit ins Gesicht sagen dürfen: »Ach! mein Herr – welches Glück! Sehen Sie doch, wie, Dank sei es unsern Ermuthigungen, die Bevölkerung sich mehrt, wie die Menschheit wächst; wie es wimmelt – es ist ein wahrer Ameisenhaufen, mein Herr. Und, Dank sei es unsrer ewig unvergeßlichen Revolution! Hat sie nicht tausend und abermal tausend Fesseln zerbrochen, die dem Wachsthum der Bevölkerung wehrten? hat sie nicht jene trägen Mönche aus ihren Klöstern aufgescheucht, und sie zum Kinderzeugen genöthigt? – Kinder, mein Herr, Kinder sind der Reichthum des Staats!

»Gab denn nicht auch der Kaiser, der sich darauf gar wohl verstand, den Weibern, die ein Dutzend lebender Kinder gebaren, eine Prämie?« So werden dich jene tollen, ausgefeimten Hengste fragen.

Ja, ja, ich glaube es, der Kaiser liebte die Menschen, – wie der Fleischer – sein Schlachtvieh. –

Einen Unglücklichen aus blinder Menschenliebe anreizen, sich eine Ehegenossin zu wählen, mag er nun im Stande sein, seine Familie zu ernähren oder nicht, heißt, bei Gott, weiter nichts, als ihm zurufen: »Zeuge Kinder! – Was liegt daran, ob sie hungern; vielleicht befreit der Hungertod dich von ihnen. Wenn die Menschheit zu voll ist, läuft sie über; der Kanäle sind viel dazu da, als Pest, Krieg, Blattern, Cholera, Ausschweifung, Wollust u. s. w. und bald ist das Gleichgewicht wieder hergestellt.

»Denn im Grunde ist es einerlei, nicht zeugen, wie sonst, oder für Pest und Krieg zeugen, wie heut zu Tage. Das Nichts kommt nie zu kurz; nur, daß heut zu Tage der Mensch den Dünger macht, der Boden dabei gewinnt und fett wird.

»Zeuge Kinder, sage ich dir, schlürft den Becher der Liebe bis zur kothigen Hefe; verkupple dein Elend mit fremdem Elend, eines solchen Bundes Kind ist das Verbrechen – was liegt daran? Galgen und Guillotine sind da, sich damit zu belasten! – O du dankenswerthe Guillotine, du wohlfeile Hülfe gegen das Elend unsrer Zeit, wie so herrlich entledigst du den Körper des Staates des verdorbenen Blutes, das ihn erstickt! Abschaffen will man dich? – Das ist grausam, ist Verbrechen am Menschengeschlecht, und Mord der Zukunft vieler Andern.«

Ja, dies sind die Folgen jenes unglücklichen Sophismus, daß das Staatsglück, nach dem Wachsthum der Bevölkerung beurtheilt, die Zeugung junger Bürger begünstigen müsse, es koste was es wolle.

Dies … diese gänzliche Unkunde der Gesetze der Natur, dieses blinde Wüthen, das uns an den Rand des Verderbens bringt, das ist – Civilisation!

Allerdings scheint mir diese Civilisation sehr anmuthig und erhaben zu sein, noch mehr aber vortheilhaft für die Geburtshelfer, Todtengräber, Scharfrichter, Dorfmaurer, und für die Gouvernements unsrer Zeit, die uns mit aller Manier ruiniren. Doch kann denn das Fortschreiten unsrer Zeit theuer genug bezahlt werden? Dies ist noch ein tröstender Gedanke für die Menschheit, der Thränen aus den Augen eines Menschenfreundes hervorlocken dürfte. – Von den Budgets bis zu den Verbrechen macht in Frankreich jetzt Alles reißende Fortschritte.

Aber über die Bewunderung des Fortschreitens hätte ich fast unsern Heinrich vergessen.

Heinrich, der jüngere Sohn seiner Familie, sollte also in den geistlichen Stand treten; aber sein polterndes, eigensinniges, wollüstiges, eitles und jähzorniges Wesen, die beleidigenden Anträge, die er den Kammermädchen machte, so wie seine gar wenig klösterliche Stimmung, Alles schien ihn vielmehr zum Seesoldaten und Maltheserritter zu bestimmen.

Man erwog also die Folgen seiner Stellung als Nachgeborenen, und die interessante Zukunft seiner nicht unbedeutenden Schaar von Lastern, die in den finstern, feuchten Klostermauern verblutet und verkrüppelt wären, sollten im Gegentheil freie Luft athmen, sich unter den Sonnen aller Länder entfalten, auf der Azurfluth aller Oceane sich herumtreiben und so schöne und kräftige Eigenschaften werden.

Der würdige Astronom Rumphius hatte Heinrich etwas Latein, Französisch und Mathematik beigebracht; aber mit dem zwölften Jahre fängt ja die Erziehung kaum erst an, und so dürfen wir dem Einflusse jenes jungfräulichen und ehrbaren Gelehrten den Keim der regellosen Leidenschaften, die sich leider nur zu schnell bei dem jungen Ritter entfalteten, nicht zuschreiben.

Im Jahre 1767 Ende Aprils verließ Heinrich das Schloß von Vaudrey, wo er seine Jugendzeit zugebracht hatte, doch ohne den letzten Segen und die thränenfeuchte Umarmung seiner Mutter mit hinwegzunehmen; denn schon lange war sie nicht mehr, und er mußte des süßen Gedankens entbehren, daß allabendlich eine zärtliche Stimme zu Gott für ihn beten würde.

Dies war aber für Heinrich um so schlimmer, da er selbst, wie es schien, Gott gar selten anrufen würde, wenigstens auf keine seinem Seelenheile förderliche Weise. Doch Gottes Barmherzigkeit ist ja ohne Ende, und wenn Heinrich auch die zarten und frommen Ermahnungen seiner Mutter nicht mit sich nahm, so gab ihm doch sein Vater, der Graf von Vaudrey, vormals General-Lieutenant und Ordensritter, noch manche Lebensregeln mit auf den Weg, und führte ihn selbst nach Brest, wo er ihn dem Schutze des Ritters von Suffren, eines seiner vertrautesten Freunde, anvertraute.

»Leb' wohl, Junker,« sprach der Graf von Vaudrey zu seinem Sohne, »vergiß nie, was Du Deinem König, Deiner Fahne, Deinem Namen schuldig bist; auch hüte Dich, ich beschwöre Dich bei Gott, vor ehrlosen Thaten.«

Also im zwölften Lebensjahre schon schiffte sich Heinrich als Freiwilliger mit der Fregatte l'Union ein, welche der Herr von Suffren kommandirte, und die von dem Grafen von Blugnon mit Friedensverhandlungen nach Marokko gesendet wurde.

Sehr gefielen Heinrichs anmuthiges, lebhaftes, geistreiches Gesicht, seine gewandte Entschlossenheit, sein durchdringender Blick dem Herrn von Suffren, der auch sogleich das Kind dem ältesten der Seeofficiere, mit dem er Dienst und Studien theilen sollte, anempfahl.

Daß ein Posten von 12 bis 15 Seeofficieren, wovon der älteste kaum achtzehn Jahr alt war, und die dennoch insgesammt hundert Mal mehr, als die Mehrzahl erwachsener Männer gelebt hatten (wenn nämlich Ränke und Ausschweifungen auch leben heißen); daß eine so unruhige, kecke, tolle, ausgelassene, übermüthige und wilde Gesellschaft ganz geeignet war, für die Entwickelung von Heinrichs feurigem und stürmischem Charakter eine treffliche Schule abzugeben, daran zweifelt wohl Niemand. Auch zeichnete sich Heinrich hierin gar bald vortrefflich aus.

Und dies war in der That ein großes Glück für Heinrich; denn wahrhaftig, für den Menschen ist nichts unnütz, die Laster so wenig als die Tugenden; nur muß man sie lenken und beherrschen. – So auch bei Heinrich. – Wäre er zu Hause im väterlichen Schlosse geblieben, dann würde er gewiß ein eigensinniges, störriges, befangenes, unduldsames, üppiges Kind geblieben sein.

Aber auf der See, wo er herrschen und gehorchen mußte, wo ihn die Gefahren eines Abenteurerlebens umdrohten, mußte da nicht schon das Kind fast zum Manne werden? Dort bleiben die Laster nicht Laster, sondern sie werden kostbare Eigenschaften. Der Eigensinn wird Festigkeit, der Zorn wird Muth, der Stolz edler Ehrgeiz, die Unruhe eifrige Wißbegierde.

Darum bist du launisch und schwärmerisch, so danke es Gott, armes Kind. So wahr ein Gott lebt, in unserm Dasein gleicht nie das Heute dem Morgen, nie der Morgen dem Abend. – Ha! siehst du, wie so reich das Leben ist, wie so unterhaltend in seinen Contrasten, daß es selbst den Anforderungen der langweiligsten Kokette Trotz bieten könnte?

Heinrich also war von seinen Kameraden gern gesehen. Zwar war er wenige Tage noch etwas schüchtern und bedenklich, aber bald schickte er sich in seinen Stand, und schon einen Monat nach seiner Einschiffung erglühten seine holden Wangen nicht leicht mehr im Purpur der Schaam, auch dann nicht, wenn er und sein Freund, der junge Marquis von la Jaille, sich von der Fregatte wegschlichen, ein Kaffeehaus besuchten und da, ihren zarten Diskant zum Contrabaß zwingend Punsch und Taback forderten.

Seine Wangen erglühten nicht mehr, wenn sie Abends, Beide unter einem Thore versteckt, ein verspätetes Stubenmädchen abfingen, und ihr so viel Küsse raubten, als das entzückte Opfer sich ohne Verletzung der Moral rauben lassen durfte.

Auch hatte Heinrich, als er kaum zwei Monate auf der Fregatte war, schon sechs Mal im Arrest gesessen, und sich zwei Mal geschlagen; hatte ferner eines Abends, mittelst eines Seils, das er künstlich über eine sehr steile Straße gezogen hatte, eine ehrbare Gesellschaft von Bürgern unter Jammern und Schreien hinstürzen lassen, während sein Orestes, la Jaille, und die andern Taugenichtse, den Bürgerklubb die Gasse herunter hetzten.

Aber Heinrich kletterte auch bereits am großen Maste hinauf, wie der flinkste Schiffsjunge, wußte alle Namen des Tauwerks, zog ein Segel ein, wie ein Matrose, rief den Bootsknecht in einem Athem, und, was noch mehr wahr, er verstand ihn und wurde von ihm verstanden.

Leicht läßt sich's nun denken, daß der junge Ritter von Vaudrey durch Thätigkeit, Feuer und Muth gar bald das ersetzte, was ihm an Festigkeit und Ernst fehlte.

Festigkeit! Ernst! nagelneue Tugenden sind dies, und doch so alt wie die Welt; seltene und jungfräuliche Perlen, die sich so bescheiden – fast hätte ich gesagt, so verschämt – unter den Lorbeern der Scipione und der Bayard's verbergen.

Die Zukunft täuschte solche Erwartungen nicht. Mit fünfzehn Jahren hatte Heinrich zwei Schlachten, einem Schiffbruche beigewohnt und zeigte stolz seine erste Wunde. Mit sechszehn schiffte er sich nach Malta ein, um dort auf den Galeeren des Glaubens Streifzüge zu machen; stets unter dem freilich sehr wenig seraphinischen Flügel des tapfern Suffren.

Darauf wurde er 1774, zur Zeit des Krieges der Unabhängigkeit, Schiffsfähnrich, schlug sich wie ein Löwe, und empfing, indem er sich an Bord des Admiral Byron schwang, zwei schwere Lanzenstöße. Es war dies zur Zeit des berühmtem Gefechtes gegen den Grafen d'Estaing.

Am 17. April 1780 endlich befreite er in einer Schlacht als Schiffsofficier des Grafen von Grasse das Schiff Robustus aus einer entsetzlichen Lage, wobei er seine vierte Wunde empfing, und er wurde zum Lohn für seine That, trotz seiner Jugend, zum Ritter des Ludwigsordens und zum Schiffslieutenant erhoben.

Wie groß aber der Einfluß der Selbstständigkeit ist, bezeugten die Schmeicheleien, die der junge Graf von den Escadre-Officieren empfing, als er durch den Verlust seines Vaters und Bruders 1779 Alleinherr und Haupt seines Hauses geworden war.

Nach dem Zeugnisse der Herrn von Suffren, von Grasse und d'Estaing versprach Heinrich als Marineoffizier die glänzendste Zukunft, und sein einziger Fehler war, nach jener Männer Behauptung, die kalte Verwegenheit, mit der er sein und seiner Matrosen Leben aufs Spiel setzte, und die es deutlich an den Tag legte, wie werthlos vor seinen Augen sein und Anderer Leben sei. – In Allem Andern blieb er unübertroffen, sowohl in der Kenntniß seiner Kunst, als auch in unbezwinglichem und dennoch besonnenem Muthe, der einen tüchtigen Officier verräth.

Aber ach! da gerathe ich in die schreckliche Lage eines Menschen, der ein Pferd zu vermiethen, ein Haus zu verkaufen, eine Buhlerin abzutreten, zuvor mit Entzücken die Reize, das Vergnügen, die überschwenglichen Eigenschaften jedes Gegenstandes hergezählt hat, und sich plötzlich durch das schreckliche Wort, welches unsern Freund so wüthend machte, durch jenes höllische, so verhängnißvolle »aber« festgebannt findet.

Ohne Zweifel war Heinrich ein vollendeter, tapferer, schöner, geistreicher Seesoldat, aber, aber, wenn er dem Schiffsprediger ein Geständniß hätte ab legen sollen, hätte er sagen können: »Vater, Alles habe ich vollbracht, Alles habe ich gethan, nur Verrath, Diebstahl und Mord noch nicht.«

War das auch ein Wunder? Dieses arme Kind hatte so jung seinen Vater verlassen; von seinem zwölften bis zu seinem fünf und zwanzigsten Jahre lebte es so zu sagen das Leben eines erwachsenen Mannes, durchkreuzte Spanien, Italien, Griechenland, Indien, die Colonien und Gott weiß welch anderes Land noch, wo er überall, theils durch Schönheit, theils durch Witz, theils durch sein Geld sich bei ehrsamen Buhldirnen oder liebeschmachtenden Hofdamen beliebt machte.

Wenn er so in süßen Küssen der Türkinnen, Griechinnen, Indianerinnen, Spanierinnen schwelgte; wenn ihm selbst oft die Zeit zum Vergnügen fehlte, – wenn er in seinem fünfzehnten Jahre schon zwanzig Mal dem Tode getrotzt, in Blut gewatet, die Schrecken eines Schiffbruches gesehen oder ein Dutzend Engländer beim Entern erdolcht hatte; da hatte denn doch gewiß sein Herz das Recht, von seiner ersten Unschuld ein wenig schwinden zu lassen.

Gerade solch ein thätiges, uneingeschränktes und gefahrvolles Leben ist es, wo der Mensch seine Besonnenheit, seine Liebenswürdigkeit oder Festigkeit zeigen kann. Nur in steten Contrasten, in Ueberfluß und Mangel, bei Festgelagen und Schlachten, bei Wünschen und ihrer Befriedigung, zeigt sich der Werth des Menschen.

Das gerade ist jene Periode, wo sich am leichtesten ein Gedanke der ersten jungen Liebe im Gemüthe entfaltet; ein Gedanke, der, in der Einsamkeit erzeugt, von dem Gefühle der Verlassenheit genährt wird, und wie alle jene entzückenden Liebesschwärmereien eines fünfzehnjährigen Wesens, vielleicht der erste oder einzige poetische Aufflug der Seele ist. Das ist die Liebe, die reizende, die schamhafte, die bescheidene, welche oft der Gegenstand der Liebe selbst nicht kennt; denn gar oft weiß das Herz selbst nicht, wen es liebt, und doch läßt jene Liebe das Menschenherz nie leer, obgleich es, schwankend zwischen Wehe und Wohl, seiner selbst nicht bewußt ist.

Ha! wenn doch die Liebe den Religionen gliche, wenn sie doch nie lebhafter und glühender aufloderte, als wo die Gottheit ein verschleiertes Geheimniß bleibt!

Hierzu denke man sich, daß es keineswegs Heinrichs Schuld war, wenn er für die Frauen jene tiefe Achtung, die ihnen gebührt, nicht fühlte.

Hatte er doch in seiner Abgeschiedenheit, in seiner Jugend, wo er fast eine Waise war, nie für Mutter oder Schwester jene Achtung, jene feurige und heilige Zuneigung empfunden, deren Wesen der spätern Liebe ein gewisses zarteres und reineres Etwas, ein gewisses Gefühl der Dankbarkeit und Achtung verleiht; und das Geschlecht, dem man eine Mutter oder eine Schwester verdankt, und das man dafür als heilig und unverletzlich achtet, konnte deshalb nicht so vor seinen Blicken erscheinen.

Ueberdies hatte Heinrich, wenn er an den Busen eines Mädchens sank, nicht erst den Sinnenreiz abgewartet. In ihm hatte sein zu schnell reisender Geist das Entgegenkommen der Liebe vernichtet, und diese zarte Saite mangelte seinem Herzen gänzlich. Frei von Haß und von Verachtung gegen die schöne Welt, beurtheilte er sie demnach bloß nach seinem eignen Gefühle, und ihm galt das Vergnügen Alles, die Seele nichts. Auch war er gegen sie anständig und liebevoll; aber sein Herz in eine Fessel schmiegen, dazu hatte er weder den Willen noch das Vermögen. So wie er die Treulosigkeit, womit man ihn kränkte, in seinen Augen nur als eine längst vermuthete Sinnesänderung, oder als die Befreiung von einer Bürde betrachtete, so wenig nahm er sich auch seine eignen Treulosigkeiten zu Herzen.

Auch sein Verhältniß mit der Herzogin schien ihm ganz gleichgültig; denn da Heinrich ganz und gar für seine Zeit paßte, so wähnte er, da die Herzogin nicht sein gehöre, aller Schuld quitt und ledig zu sein. – Und dennoch würde man im achtzehnten Jahrhundert wohl vergebens nach einer Frau wie Rita suchen, vergebens in diesem Jahrhunderte, wo die Philosophie, jene reine und strahlende Fackel des Verstandes, jene zweite Mutter der geretteten Menschheit, noch zwischen Untergang und Herrschaft kämpfte, wo jene Philosophie ihr giftiges Oel in den allgemeinen Brand goß, wo sie eine Unzahl aberwitziger, ruchloser und zotenschwangerer Bücher verbreitete, die ihren Ansichten nach eine Gesellschaft verdarben, der sie noch mit kühner Frechheit ihre Verdorbenheit vorwarf, als sie später dieselbe durch ihre Henker zum Schaffot geleitete.

Jenes Jahrhundert war es, wo ein Voltaire vergöttert ward, der Frankreich in seinem reinsten und unbeflecktesten Ruhme verhöhnt, der mit toller Wuth eine Johanne d'Arc angegriffen, und sich so ganz als Einer von jenen erbärmlichen und ohnmächtigen Freigeistern bewiesen hat, die das, was sie nicht entehren können, beschimpfen; für jenes Jahrhundert schrieb Diderot: »die Juwelen und die Nonne;« – Crébillon das Sopha; – Vadé sein Theater: Piron seine Ode und Beaumarchais sein Drama. Im achtzehnten Jahrhundert prunkten Helvetius, Condorcet und die Encyklopädisten mit ihrem Atheismus und mit ihren Zoten; im achtzehnten Jahrhundert war es, wo die unseligen Leidenschaften eines ganzen Volkes, das schon an Gott und Religion nicht mehr dachte, zu gähren anfingen; wo der beste der Könige und die tugendhafteste der Königinnen durch Verleumdungen entwürdigt wurden, die der philosophische Schwarm in der Sprache der Halle gegen sie ausspie.

Richtig kann man von einem Weibe, welches eine flüchtige Leidenschaft für Ernst zu halten vermochte, nur dann schließen, wenn man die schmähliche Geschichte Clairval's und Jeanort's kennt, wenn Laclos's Buch für den Spiegel jeder Gesellschaft gilt, und Herr von Sade bewundert wird, weil er Diners mit spanischen Fliegen gab, welche die vornehmste Gesellschaft von Marseille in eine so belustigende Unruhe versetzten.

Wahrlich, in jenem unglücklichen Jahrhundert, unter jenen saturnalischen Schrecken und Tollheiten, die dem Todeskampfe eines Narren glichen, hieß jede Unmoralität Sitte, hatte jedes Laster Bürgerrecht.

War nicht damals der Entscheidungspunkt jener langen Entwürdigung der menschlichen Gesellschaft gekommen, welcher mit Luther begann? – mit Luther, den Voltaire und seine Spießgesellen so erbärmlich nachäfften?

Besaß auch Luther einen außerordentlichen Stolz, hielt er auch bei Untersuchungen nicht Stand, und war sein Haß gegen Alles, was zu seiner Zeit mit dem Namen Religion bezeichnet wurde, im hohen Grade übertrieben, so war er doch wenigstens der Erste, der die höllische Kühnheit besaß, jenen mächtigen Fürsten- und Pfaffen-Klubb, dessen Leichnam Voltaire und seine Schule so herzlos mißhandelten, öffentlich anzugreifen und ihm den Todesstoß zu versetzen.

Doch dies Alles abgerechnet, war doch jene Zeit, wenn man dieselbe nicht als Moralist, sondern als Mensch betrachtete, sicherlich gar keine üble Periode, und unser Held, der eben kein großer Moralist war, wußte sich prächtig darin zu schicken; denn da er die kommenden Ereignisse unwillkürlich voraussah, hatte er sein Glück auf Lebenszeit gestellt, und schwärmte so Tag aus Tag ein von Vergnügen zu Vergnügen. So scheint es mir denn, als wäre er hinlänglich gerechtfertigt.

Was will man dazu sagen? Nach zwei Kriegsjahren kommt unser Heinrich nach Versailles. Seine Verhältnisse sind unterbrochen. Er kann sich etwa nur zwei oder drei Monate in Frankreich aufhalten, er muß sich also wohl wieder ein wenig in Schwung und Ruf bringen, etwa durch einen Hauptstreich. Er muß den Ruhm eines unerschrockenen Seesoldaten durch den eines originellen Abenteurers vervollkommnen; und dies war zu jener Zeit wahrlich keine leichte Aufgabe. – Der schöne Lauzun spielte mit Erfolg den Romantischen; der Marquis von Vaudreuil den Phlegmaticus; der Prinz von Gueméné den Verschwender; Tilly den Musketair, Crusol den erhabenen Geist; wahrhaftig, Vaudrey spielte den Herrscher, und meines Erachtens benahm er sich in dieser Rolle gar nicht übel.

Uebrigens war Heinrich der beste Mensch auf Gottes Erdboden, denn von Jugend auf sorglos und lustig, besaß er nicht wahre Selbstständigkeit genug, um die menschliche Natur hassen oder lieben zu können, und wie liebenswerth und edel er auch immer war, so mangelte ihm doch glücklicherweise jene schädliche Thätigkeit des Anschauungsgeistes, welcher den Menschen zwar mit einem einzigen tiefen und schnellen Blicke das Weltall umfassen läßt, und die menschlichen Freuden und Hoffnungen in den zwei Worten: » Nichts und Tand« darstellt, aber dadurch die Seele aus ewig in den unermeßlichen Abgrund des Glaubens oder der Verzweiflung stürzt.

Nein, der Graf von Vaudrey war nicht scharfsichtig genug, um die Bahn, die er wandelte, mit einem einzigen Blick zu übersehen, sondern lüstern haschte er nach jedem Gesichtspunkte, den er an seiner Seite entdeckte, statt seine Blicke ernsthaft auf den fernen Horizont zu werfen.

Mit einem Worte, Heinrich gehörte zu jenen von der Prädestination so wunderbar geleiteten Menschen, die Geist, aber kein Genie, Sinn, aber kein Gefühl, Laster, aber keine Lächerlichkeiten besitzen; zu jenen bevorzugten Menschen, denen selbst einige Fehler verziehen werden, und die unter allgemeinem Applaus eine lange Carriere der Liebe, des Ruhms und des Vergnügens durchlaufen, während sie freilich hier und da einige frische Gräber, entehrte Familien, trauernde, mutterlose Kinder hinter sich lassen.

Aber kann man ihnen solche Kleinigkeiten vorwerfen? Sind ihre Mängel nicht verführerisch? Sie sind ja grausam mit so viel Artigkeit, verschwenderisch mit so viel Edelsinn, tapfer mit so viel Leichtigkeit; fähig, ihr Leben zwanzig Mal aufs Spiel zu setzen, um nur die durch ein Wort oder durch einen unfeinen Blick gekränkte Ehre einer Buhlerin zu rächen, obgleich sie vielleicht, ohne Bedenken, aus erbärmlichem Dünkel demselben Weibe den Dolch in die Brust stoßen würden. Doch, was kann das Alles beweisen? In der That doch nur so viel, daß ein Weib, das flüchtige Leidenschaft für Ernst nimmt, eine Thörin ist; daß sie Untreue mit Untreue vergelten muß, und, bei Gott, daran wird doch sicher Niemand sterben, nein, im Gegentheil! – Dies ist ein treues Bild Heinrich's. Das ganze Dasein des Grafen war nur heldenmüthiges Streiten zur See und flüchtiger Genuß aller Freuden zu Lande. Dies den Angriffen der moralischen Welt unzugängliche Wesen zu vervollkommnen, kamen noch der Ausdruck der tiefsten und unheilbarsten Schwächen, die in der Moral und Physik stets am Brete sind, die Gleichgültigkeit, und jenes: »Was kümmert's mich?« hinzu; denn Heinrich konnte mit dem Ausdrucke der innersten Ueberzeugung zu Jedem sagen: »Was kümmert's mich, wenn ich jetzt sterben muß? Wenigstens nehme ich den süßen Trost mit hinweg, mir nie etwas versagt, und nie einen Wunsch gefühlt zu haben, den ich nicht befriedigt hätte; von Kindheit auf dachte ich an den Tod, von Kindheit auf gewöhnte ich mich, alle meine Phantasien zu übertreffen, und doppelt zu leben, denn mir bangte, es möchte mir die Zeit fehlen, genug zu leben, und die Thorheit jener Narren, die das Vergnügen für spätere Zeit aussparen, konnte ich nie nachahmen. Die Unsinnigen, für spätere Zeit! als ob der voreilende Tod sie nicht treffen und ihnen so den Irrthum ihrer menschlichen Spekulationen beweisen könnte.«

Zu diesem kurzen Abrisse der praktischen und theoretischen Moral Heinrich's, zu dieser Skizze denke man sich noch seinen Charakter als Seesoldat, nämlich das absolut-despotische Wesen, den eisernen Willen, den unerhörten Muth, die tiefste Verachtung, mit der er sein, seiner Matrosen oder seiner Officiere Leben aufs Spiel setzte, den frechen aristokratischen Stolz, und das treue Conterfei des Grafen Heinrich von Vaudrey steht vollendet da.


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