Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++
Was kann sie seh'n? – Was wird sie sagen?
Göthe, der Großcophta, Bd. III. S. 9.
Gegen Ende des Monats September 1780 ritt eine Dame, die, von einem Stallmeister begleitet, die Küste des Oceans verlassen und sich tiefer in das Land begeben zu wollen schien, den steilen Berg von Fal-Goët hinan, der bei der kleinen Stadt Saint-Rénan und ziemlich nahe jenem Küstenstrich der Bretagne gelegen ist, welcher sich den Inseln Quessant, Melenes, Quemenes und Beniquet gegenüber erstreckt, und jenen engen Canal bildet, den man passage du four nennt.
Auf des Berges Gipfel angelangt, hielt diese Dame einen Augenblick ihr Roß an, wie um das majestätische Schauspiel zu genießen, welches sich ihren Blicken darbot.
In der That ging die Sonne im Westen hinter den Felsen der schon in den warmen Abenddünsten gebadeten Inseln unter, und warf lange röthliche Lichtstrahlen auf die Wogen zurück, welche sich sanft am Ufer brachen.
Im Norden erhob das Schloß von Kervan seine Thürmchen, deren hohe bleibedeckte Spitzen in den letzten Strahlen des Tages blitzten und über die unermeßlichen grünen, aber bereits dunkeln Massen der Waldungen von Ar-Foel-Cout hervorragten.
Im Osten breiteten sich lange Wiesen aus, von lachenden lebendigen Hagedornhecken durchschnitten, die alle Felder der Bretagne abtheilen, und die von tausend Blumen strahlenden Rasenplätze wurden von den Gebirgen von Arrés mit ihren abschüssigen, mit Eiben und Fichten bepflanzten Haiden umgürtet.
Im Süden endlich lag Saint-Rénan mit seiner gothischen Thurmspitze und seinem Glockenthurm von grauem Stein mit zackiger Zinne; es war schon verschleiert durch die Dämmerung und den dünnen Nebel, der sich auf den kleinen Fluß Hel-Arr herabsenkte, dessen kalte und klare Gewässer im Grunde dieses Thales sanft dahinflossen.
Die Frau, von welcher wir sprachen, war mit einem schwarzen Amazonenkleid nach englischer Mode bekleidet, welches eine hohe Gestalt umschloß, und durch die Bewegung, welche sie machte, indem sie den Schleier ihres Castorhutes zurückwarf, konnte man ein jugendliches, regelmäßig schönes, bleiches und gebräuntes Gesicht erblicken.
Nachdem sie den einen ihrer gemsledernen Handschuhe ausgezogen hatte, strich sie mit einer zarten und kleinen Hand über ihr schwarzes Haar, welches sie glatt, ohne Puder über der Stirn trug, und legte sie über die starken Augenbrauen, ohne Zweifel, um den Eindruck von den zu lebhaften Strahlen der sinkenden Sonne zu schwächen.
Man kann sich nicht vorstellen, wie viel Leben und Glanz jenes letzte goldene Leuchten der Sonne diesem blassen und schönen Gesicht verlieh; wie die warmen Reflexe dieses brennenden Lichtes mit dem ausgesprochenen Charakter dieses Gesichtes harmonirten; man hätte es eines der schönen Gemälde Murillo's nennen können, deren mächtiger Eindruck sich nicht eher in seinem ganzen Glanze offenbart, als bei dem glühenden Lichte einer spanischen Sonne.
Als die Amazone einige Minuten aufmerksam nach Nordwest geblickt hatte, flatterte, eine Art Signal, ein weißer Schleier einen Augenblick von der Spitze eines zertrümmerten Thurms, welcher sich auf Felsen nahe am Gestade erhob; dann verschwand es wieder.
Bei diesem Anblick funkelten die Augen der Amazone, ihre Stirn röthete sich, purpurn färbten sich die Wangen und sie drückte heftig ihre Hände an die Lippen, wie um einen Liebeskuß hinüber zusenden; dann, die schwarzen Augenbrauen zusammenziehend, ließ sie den Schleier fallen, gab ihrem Zelter einen Peitschenschlag und ritt im Galopp mit erschreckender Schnelligkeit den jähen Abhang des Fal-Goët hinunter.
»Die Frau Herzogin bedenken nicht!« rief der Stallmeister, seiner Gebieterin immer folgend und sich ihr mehr nähernd, »die Coronella hat gute Füße …, allein dieser Weg ist abscheulich!«
Dies ward in einem reinen Kastilianisch mit dem Tone ehrfurchtsvoller Vorstellung gesprochen, welchen zuweilen ein alter und treuer Diener annimmt.
»Schweigt, Perez,« entgegnete die Herzogin in derselben Sprache, während sie den Lauf ihrer Stute noch möglichst beschleunigte.
Der alte Stallmeister schwieg, und aus der unruhigen und peinlichen Sorgsamkeit, mit der er, fast ohne sich um sein eigenes Pferd zu bekümmern, jeder Bewegung der Coronella folgte, konnte man auf die Theilnahme schließen, die er für seine Gebieterin hegte. Allein, wie der Greis gesagt: diese hatte gute Füße; denn sie war von einem arabischen Hengst mit einer jener Stuten der Sierra erzeugt, deren Race jetzt so geschätzt und kostbar ist. Daher that auch, trotz der unebenen Stellen, Sumpflöcher und Erdgruben, welche alle Wege von Nieder-Bretagne furchen, die Coronella nicht einen Fehltritt.
Gleichwohl athmete Perez nicht eher frei, als bis er seine Gebieterin, unten am Fuße des Berges angelangt, eine tiefliegende Einfahrt verfolgen sah, welche zum Schloß von Kervan führte. Perez schien 50 Jahre alt zu sein; sein Aeußeres war ausgetrocknet, mager, von der Sonne verbrannt, wie ein Süd-Spanier; sein dreieckiger Hut, flach und ausgeschweift, mit einer rothen Kokarde, ließ seine gepuderten und gebrannten Haare sehen; er war mit schwarztuchenem Rocke und Weste bekleidet, trug Beinkleider von weißem Leder, und seine hohen, biegsamen Stiefeln lagen am Knie an. Das einzige Zeichen der Dienstbarkeit, welches er an sich trug, war ein Wappenschild, welches das halb grüne, halb rothe Wehrgehänge mit Goldtressen, schloß, an dem sein Jagdgewehr hing; dieselben Wappenzeichen befanden sich auf den Buckeln des Gebisses und der schwarzen Satteldecke am Pferde. Diesem folgte ein sehr großer, grauer, langhäriger Windhund.
Sobald die Herzogin nahe genug am Thorgitter war, ließ Perez seinem Pferde den Zügel schießen, zog die Mütze, als er an seiner Gebieterin vorüberkam, und meldete ihren Leuten ihre Ankunft.
Auch erwarteten sie, als sie vor dem Schlosse stillstand und, sich auf ihres Stallmeisters Schulter stützend, auf den Boden sprang, ehrerbietig ihre Kammerdiener und Bediente, auf der Treppe vor dem Eingange in die Gallerie aufgestellt, welche sie durchschritt, um ihre Gemächer zu erreichen.
Die Diener waren in Trauer gekleidet, und Achselschnüre von breiten grünen und rothen Bändern mit Goldspangen wehten auf ihrer linken Schulter.
Der alte Stallmeister übergab die Pferde den Händen des Reitknechts und ging in den Stall, um selbst darüber zu wachen, daß die Coronella mit der äußersten Sorgfalt behandelt werde.
Als er gewiß war, daß dieser Lieblingsstute nichts fehle, kam er wieder, und blieb nahe an der Brücke, welche den Ehrenhof vom Vorhofe des Schlosses trennt, stehen.
»Gott behüte Euch, Donna Juana,« sagte der Stallmeister zu einer Frau, die, eben so bejahrt als er, spanisch, mit schwarzer Mantilla, Rock und Halskragen bekleidet war.
»Guten Tag, Perez … was giebt es Neues?«
»Nichts …«
»Immer auf diesen Felsen?« fragte Juana, indem ihre Hand nach Westen deutete.
»Immer. Die Frau Herzogin steigt nach einem langen Stillschweigen vom Pferde, sie verfolgt einen Fußsteig mitten durch die Felsen, verschwindet – und ich warte eine Stunde – manchmal zwei – allein, beim St. Jago, noch nie so lange wie heute.«
»Gott bewahre mich! Perez, ich glaube es; auch ich befand mich in einer tödtlichen Unruhe; allein zu was dienen diese Spaziergänge nach dem Meeresufer? Die Frau Herzogin hegte diesen Geschmack doch vor dem Tage nicht, wo …«
»Ihr wißt, Juana,« unterbrach der Greis mit einer Bewegung der Ungeduld seine Frau, »daß ich nichts Verborgenes vor Euch habe; allein das Geheimniß meiner Gebieterin gehört nicht mir; überdies bin ich nicht in dessen Besitz, und hätte ich auch nur den Kopf zu wenden, um es zu erfahren, so würde ich dies nicht thun.«
»Heilige Jungfrau! ich glaub's; so lange wir verheirathet sind, Perez, habt Ihr mir nie etwas mitgetheilt; eben so wenig über den seligen Herrn Herzog –«
»Als Ihr mir über die Frau Herzogin, nicht wahr, Juana?« setzte der Greis hinzu; »also wollen wir jetzt unser Stillschweigen vereinen, um die Geheimnisse des Hauses Almeda zu bewahren – wenn das Haus Almeda Geheimnisse hat,« fügte er nach einer Pause hastig hinzu.
Und indem er Donna Juana den Arm gab, erreichten sie das Schloß; die Nacht war sehr dunkel.
»Ich bin gleich wieder bei Euch, Perez,« sagte Juana, die ihren Gatten verließ, um über die Gallerie zu gehen; »ich muß fort, um Alles zum Schlafengehen der Frau Herzogin zu bereiten.«