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XXII

Bericht der Frau Centa von Vogelschrey

Es ist an diesem Tag auf den Abend gegangen, und die Dämmerung hat mir, wie ich in meinem Zimmer saß, in allen Winkeln Schatten und Gespenster gemalt, und mir war bang zumut. Gelobt seien Jesus und die lieben Heiligen: Da kommt mein Poldl! Kommt aus der Halle herauf, setzt sich zu mir und den Kindern, ist recht schweigsam, der liebe Mann, und ich kann mir nur denken, daß es da unten zwischen dem Oetsch und dem Safferstätt, den ich trotz seines Versprechens hatte hinuntergehen sehen, ein neues, schlimmes Melée gesetzt hat. Aber ich mag meinen Mann nicht fragen. Wenn er nicht redet, weiß er, warum.

Ich habe den Peperl auf dem Schoß gehabt und er die Burgel auf den Knien, und der Bubi hat zwischen uns auf dem Boden gesessen, und wir waren recht gemütlich beisammen und wären eine glückliche Familie gewesen ohne unsere lieben Gäste unten. Ich tue sonst mit Willen nichts Unchristliches und hoffe, daß ich nicht schlechter bin als andere sündige Menschen, aber ich hätte gewünscht, es nähme einer die Safferstätts und den Oetsch huckepack auf die Schultern und brächte sie ins Pfefferland, und wir wären das Grauen und die Angst los.

Ähnliches hat der Poldl gedacht. Wir denken meist dasselbe. Er hat meine Hand in seine genommen und mit seinem guten, treuen Druck festgehalten und gesagt:

»Katzel! Ich wollte, wir wären um vierundzwanzig Stunden älter!« »Ich auch!«

»Gottlob: der Oetsch reist morgen früh! Und um dieselbe Zeit wissen wir auch, ob der Pater Faramund drüben im Kloster ist! Wenn nicht – hier ist er jedenfalls auch nicht mehr! Darauf besteh' ich jetzt als Hausherr! Mir wird's zu viel!«

»Aber der Wappolt behauptet doch, er wäre noch irgendwo im Schloß!«

»Die Hunde behaupten's und winseln und suchen. Die Köter tun sich leicht! Die haben's nicht auszubaden! In dem Falle hat die Mette Safferstätt keinen Grund mehr, hier noch länger auf den Pater Faramund zu warten! Du mußt ihr zusetzen, daß sie morgen auch reist, Katzel!«

Ich hatte einen innerlichen Schauder. Ich wagte mir gar nicht, Rechenschaft zu geben, weswegen.

»Mir graut vor der Mette!« sagte ich angstvoll. Mein Mann ergänzte:

»... und mir vor dem Gaudenz! Den werde ich heute auch noch dringend bitten, morgen mit dem ehesten zu reisen!«

»Ja – tu das, Poldl!«

»Dann haben wir unsere Ruh'!« sprach mein Mann mit etwas mehr Zuversicht und Hoffnung. Aber ich bekam es von neuem mit der Angst und frug:

»Wo ist denn der Oetsch?«

»Zum Glück in den Bergen. Ich habe ihn selbst vorhin in die Nacht hinaus weggehen sehen. Der kommt nicht vor Tagesanbruch wieder! Komm! Wir müssen uns fertig machen zum Diner!«

Das taten wir, gewohnheitsgemäß, nach unserer Pflicht als Schloßherr und Schloßfrau. Als wir Arm in Arm hinunterstiegen, sagte der Poldl noch:

»Wir haben es also jetzt beim Essen Gott sei Dank von den Dreien nur mit dem Gaudenz zu tun! Die Mette bleibt ja auch unsichtbar. Den Gaudenz Safferstätt läßt man am besten, wie er ist, und tut, als wäre er gar nicht vorhanden! Das ist ihm wahrscheinlich selber am liebsten, in der blöden Verfassung, in der er sich seit heute vormittag, den ganzen Tag lang, befindet!«

Das ganze Mahl hindurch hörte und sah man auch wirklich von dem Gaudenz kaum etwas, so stumm und in sich gekehrt saß er da und starrte auf seinen Teller, und keiner redete ihn an. Es war, als rückte alles im Geiste weit von ihm ab. Er schien das wohl zu fühlen, obwohl sein Gesicht schlaff und ausdruckslos blieb. Denn er brütete finster vor sich hin. Ein paarmal bewegte er lautlos die Lippen, als ob er reden wollte, aber dabei blieb es, und so ging zu meiner Erlösung die Tafel ohne weiteren Zwischenfall vorüber, und ich hob sie auf. Der Herr von Söller, der auch ganz in sich gekehrt war und über irgend etwas nachdachte, reichte mir den Arm, und wir gingen hinüber in die Halle.

Ja, da hat das Unheil gleich wieder angefangen! Ich hab's ja gewußt: es bleibt einem nichts erspart. Schon bei Tisch haben die Herren düstere Gesichter gemacht und an dem Safferstätt vorbeigeschaut. Jetzt hat der Herr von Söller, wie wir uns setzten, gedämpft, die Kaffeetasse in der Hand, zu mir gesagt:

»Frau Baronin, so geht das halt nicht weiter!«

»Ja – machen's doch ein End'!« sage ich. »Ich wär' froh!«

Er aber, streng, mit einem kriminalistischen Gesicht:

»Das ist, im Namen aller Herren gesprochen, unmöglich, daß sich Herr von Safferstätt den ganzen Tag mehr oder minder offen vor unser aller Ohren von dem Grafen Oetsch des Mordes an dem ersten Mann seiner Frau bezichtigen läßt, ohne mit einem Jota darauf zu erwidern! Nicht nur für uns Juristen gilt da der alte Spruch: ›Qui tacet, consentit‹ ...«

»Ich versteh' kein Griechisch!« sag' ich.

»Zu deutsch: Wer sich nicht verteidigt, klagt sich an. Der Baron muß sich verteidigen! Er macht sich sonst unmöglich! Das denkt sich, frei heraus, hier jeder!«

»Was soll er denn tun? Dem Oetsch den Mund verbieten? Der Oetsch ist viel zu behende. Der läßt sich nicht fangen! Der redet immer hinten herum in Anspielungen, denen der Gaudenz in seiner Langsamkeit nicht gewachsen ist!«

»Baron Safferstätt muß den Grafen Oetsch einfach laut und deutlich vor uns allen auf die Gewissensfrage hin stellen: Wollen Sie behaupten, daß ich seinerzeit Ihren Bruder, den Grafen Peter-Paul, ermordet habe?« Mir hat es gegruselt. Ich habe kaum fragen können:

»Und wenn er ›Ja‹ antwortet? Zuzutrauen ist es ihm ...«

»Dann«, sprach der Landrichter, der Herr von Söller, »sehe ich als alter Staatsdienst und Untersuchungsbeamter für den Baron nur einen Weg: den zum Gericht! Er muß den Oetsch wegen Verleumdung verklagen. Dann wird sich ja zeigen, ob der Herr Graf Beweisdokumente zur Unterstützung seiner Verdächtigungen zu demonstrieren kapabel ist, oder ob er wieder einmal nur in seiner närrischen und gottlosen Manier dahergeredet hat, um den Herrn von Safferstätt zu verblüffen!«

Ich habe die Hände ineinandergerungen und mich hilfesuchend nach meinem Mann umgeschaut. Der Poldl läßt mich nie im Stich. Bei dem bin ich im Leben gut aufgehoben. Wie immer, wenn ich ihn gebraucht hab', ist er auch schon da und kommt mit dem Prinzen Tettikon auf mich zu und sagt zu mir halblaut:

»Du, Katzel, ich habe eben mit Seiner Durchlaucht über den Gaudenz gesprochen! Der Prinz hier und ich sind augenblicklich die einzigen anwesenden Offiziere unter den Herren und in erster Linie für den Austrag von Ehrenhändeln verantwortlich. Der Prinz hat mich über die erregte Stimmung der Herren informiert ...«

»Ich habe dem Herrn Rittmeister reinen Wein eingeschenkt, Baronin!« spricht darauf zu mir der k. k. Husar.

»Die Herren haben mich damit beauftragt, zu eröffnen: Sie erwarten, als Kavaliere, daß Baron Safferstätt von dem Grafen Oetsch genügende Erklärungen verlangt, ob er, der Safferstätt, mit den dunklen Andeutungen wegen eines ungeklärten Mords an einem Standesgenossen gemeint sei, und wenn das nicht bündig von dem Grafen verneint wird, daß er diesen dann stante pede fordert!«

»Jetzt schießt's euch auch noch bei mir!« ruf' ich verzweifelt. Mein Poldl beschwichtigt:

»Das können's außerhalb besorgen!«

»Also weil einer umgebracht ist,« sag' ich, »müssen sich noch zwei an die Gurgel! Als ob der Peter-Paul dadurch lebendig würd', daß sich zwei auf seinem Grab umbringen!«

»Die Gnädigste betrachten das als Dame«, versetzt der Prinz höflich. »Werden aber uns doch permittieren müssen, daß man sich nicht unter uns Aristokraten vom Morgen bis zum Abend einen Mord an den Kopf werfen lassen kann, und der Beleidigte spannt seinen Regenschirm auf und stellt sich, als merke er nichts!«

Mir war das Weinen nahe. Die beiden, mein Mann und der Habsburgische Husar, traten zu einer Gruppe von Herren. Da standen sie und steckten die Köpfe zusammen und raunten von Schießen und Stechen. Nur der Königliche Kämmerer von Höllring war bei mir geblieben. Der war vom Hof und ein geschmeidiger, gescheiter Mann und meinte trotzdem auch:

»Auf alle Fälle hätte der Safferstätt doch einmal den Mund auftun und antworten müssen! Man hört sich doch so etwas nicht einfach stumpfsinnig an wie die Kuh das Ave Maria! Man schlägt doch mit der Faust auf den Tisch und redet! Das ist der Safferstätt uns einfach schuldig! Er könnte augenblicklich noch das Wort ergreifen! Er müßte uns Erklärungen geben, meinetwegen gerade jetzt in Abwesenheit des Oetsch und seines gefährlichen Mundwerks, das ihn so verwirrt! Aber Aufklärungen verlangen wir!«

»Macht das unter euch Männern aus!« sage ich, schon ganz matt und hilflos. »Ich verstehe davon nichts!«

Gut. Der Herr von Höllring ließ mich in Ruhe und gesellte sich zu den anderen. Dafür kam jetzt der Salvermoser heran. Da habe ich dankbar gelächelt. Der gute Salvermoser-Franzl war kein Malteser und Georgi-Ritter wie die übrigen, sondern einfach ein Kunstmaler und Bauernsohn, und wußte nicht mit der Pistole Bescheid, sondern mit dem Pinsel. Gottlob! Der verspritzt nicht Blut, sondern Ölfarbe. Aber er war nicht so verträumt wie sonst, sondern ganz wach und laut und setzt sich neben mich und fängt auch gleich von dem unglücklichen Safferstätt an.

»Nehmen's mir beileib die Warnung nicht übel, Frau Baronin, aber ich hab' die ganze Zeit die Reden von Ihren Gästen mit angehört. Sie sind die einzige Frau unter uns, Frau Baronin! Sie müssen eingreifen und vermitteln! Sonst gibt es, ehe die Wanduhr droben voll schlägt, einen peinlichen Auftritt zwischen den Herren und dem Baron Safferstätt!«

»Machen Sie auch schon mit, Salvermoser?« ruf' ich.

»Die Kavaliere sind erbittert, daß sich der Baron Safferstätt das alles von dem Grafen Oetsch vor der Dienerschaft ins Gesicht sagen läßt und dazu einen Trappisten macht und unverbrüchlich schweigt und dahockt wie ein Klumpen Unglück!«

Wirklich: so hat der Gaudenz auch jetzt dagesessen! Ganz allein, krumm und blaß, in seinem Sessel vor sich hinbrütend. Um ihn herum hat man die Muster des Teppichs auf dem Steinboden zählen können. Weit und breit kein Mensch. Von allen verlassen. Es war, als ob ihn sogar schon die Laquaien vermieden.

Da! Eine Bewegung unter den Herren! Sie gucken erwartungsvoll auf den Gaudenz! Mit dem ist auf einmal etwas los!

Da! Er steht auf, steht aufrecht da, geht durch die Halle auf meinen Mann zu. Tiefes Schweigen. Man hätte eine Stecknadel zu Boden fallen hören.

Da! Er macht vor dem Poldl halt! Ganz gelassen, die Hände in den Hosentaschen, immer halb wie ein großer Bub, wie er sein Leben lang war, die Zigarre zwischen den Zähnen, und fragt in der Stille:

»Du, Vogelschrey, – hast du schon Post, wann die Kommission kommt?«

Mein Poldl war begriffsstutzig. »Die Kommission?«

»Na ja, das Gericht, mein' ich. Hast denn nicht danach geschickt?«

»Wie käme ich denn dazu?«

»Du bist mir aber der Rechte!« sagt der Gaudenz ganz fassungslos. »In deinem Hause geschieht ein Schwerverbrechen ...«

»Das weiß man noch nicht!«

»Ein Priester des Herrn wird am hellen Tag ermordet und beseitigt ...«

»Dann weißt du mehr als ich!«

»Jeder im Haus zeigt mit Fingern auf den Mörder! Jedes Kind im Dorf kennt ihn ...«

»Beweise!« »...und unser guter Rittmeister...« – der Gaudenz dreht sich kopfschüttelnd zu den Herren, die in einem atemlosen Kreise um die beiden stehen, – »den schert das nicht! Der denkt: Würgt's euch nur ab in Gottes Namen und verräumt die überflüssigen Leut' im Keller! Was liegt auch groß an einem Christenmenschen mehr oder weniger? Es hat ja von der Sorte genug auf der Welt!«

»Im Keller ... sagst du?«

»Und – was das Ausverschämte is« – der Gaudenz spricht immer zu allen um ihn her – »der Mörder fühlt sich so sicher, daß er keck wird! Er lenkt den Verdacht von sich ab, indem er einfach die Schandtat, zu der er selber fähig ist, anderen Leuten auf den Kopf zusagt! Weil er gestern wieder einmal einen Mord begangen hat, behauptet er heute, ich hätte vor drei Jahren seinen Bruder ermordet! Ha – das is höllisch kommod, auf die Weise die Neugier von sich abzuwälzen! Und was das Fadeste daran is: er findet auch noch Leute, die's glauben!«

Der Gaudenz hat »Leute« gesagt, nicht »Dumme«! Aber man hat das »Dumme« doch aus seinen Worten herausgehört und verblüfft geschwiegen. Der Safferstätt aber weiter: »Zu dem Gipfel von Frechheit kommt einer freilich nur, wenn er weiß, daß man ihm frei seine Verbrechen durch die Finger schaut, wie's der Rittmeister da tut! Dann geht der gute Oetsch her und beschuldigt mich ohne jeden Schatten eines Beweises, ohne jeden Versuch, etwas zu beweisen, justament des Verbrechens, das er selber, wie wir alle wissen, er selber und kein anderer, vollführt hat – des Mordes an seinem Bruder Peter-Paul!«

Es wehte eine kalte Luft durch den Saal. Ein Entsetzen war's. Das ergriff uns alle. Der Gaudenz schloß: »Ich hab' den ganzen Tag gedacht, der Hausherr nimmt mich endlich in Schutz, wo ich doch sein Gast bin! Oder einer von euch tut den Mund auf, wo ihr mich doch von Kindesbeinen an kennt! Ja – gefehlt! ... Ganz stad seid ihr gewesen. Keiner hat ein Wort geredet! Pfui – schämt's euch! Aber ihr werdet's schon sehen, was daraus kommt! Morgen kommt die Reih' an euch! Da wird der Oetsch behaupten, du hättest deine selige Frau Schwiegermutter abgedrosselt, Rittmeister, damit die Centa sei' erbt! Und der Herr Landrichter da hat einen Raubmord auf dem Gewissen, und der Herr Kunstmaler Salvermoser hat sein G'spusi nachts in die Isar gestürzt, weil ihm das Madel über war, und der Prinz da hat in Wien seinen Diener erstochen, und der Kammerherr, der Höllring, bereitet ein Attentat auf den König vor ...«

»Hören's auf! Gleich bist still!« haben alle geschrien, und der Safferstätt läßt sich nicht beirren.

»Was kommt's denn dem Oetsch auf eine Handvoll Lügen mehr an!« sagt er. »Wenn er nur seine eigenen Spuren verwischt! Bravo! Bravo! Auf seine Sprüch' hört ihr, und auf mich zeigt ihr mit Fingern! Auf die Manier macht ihr euch zu Mitschuldigen des Oetsch, daß ihr's nur wißt. Und der Rittmeister an der Spitze!«

Mein armer Mann hat, wie der Tanz losging, zunächst gleich einmal die Diener hinausgejagt und eigenhändig die Türen geschlossen und sich überzeugt, daß keiner von den Schlingeln dahinter lange Ohren macht. Jetzt ist er zurückgekommen und hat zu dem Gaudenz gesprochen: »Es ist wenigstens gut, daß du endlich zu reden anfangst! Zeit war's! Jetzt sag' schon alles, was du zu sagen hast!«

»Ich hab' nichts mehr zu sagen,« versetzt der Gaudenz, »als was wir alle längst wissen! Das pfeifen schon die Spatzen vom Dach, daß der Oetsch vor drei Jahren, bis über die Ohren in Schulden und durch und durch fertig, seinen Bruder umgebracht hat, um sich in den Besitz von Pfaffenrod zu setzen!«

Der Poldl erwidert in seiner ruhigen Art: »Ich will nicht in Abrede stellen, daß an diese Möglichkeit gedacht wurde. Das Gericht hat sich mit dem Mord seinerzeit lang genug beschäftigt. Es hat keine Beweise gegen irgend jemand gefunden! Hast du Beweise?«

»Ich nicht,« spricht der Gaudenz, »aber meine Frau!«

»Die Mette?«

»Die Mette weiß es seit drei Jahren genau, wer ihren Mann umgebracht hat!« sagt der Safferstätt fest und laut. »Und daß es der Oetsch war!«

Eine stürmische Bewegung durch den Saal. Dann mein Mann:

»Warum hat sie dann die ganze Zeit geschwiegen?«

»Da muht du die Frauen fragen, wie sie halt sind! Darüber rede ich, als ihr zweiter Mann, nicht!«

Wie ich das hörte, da ging mir wieder mein alter Verdacht durch den Kopf, die Mette sei von dem Oetsch verhext worden und habe eine willenlose Schwäche gegen ihren einstigen Schwager seit der Tat nicht überwinden können. Mir ist es ja unfaßlich, daß sich Frauen in einen Mann verlieben können, der ein Verbrecher ist! Und vielleicht gerade am Ende deswegen! Manchmal dürfen wir Frauen uns selber nicht zu Ende denken. Da sind Abgründe. Mein Mann aber redet und will weiter wissen: »Wenn die Mette die ganze Zeit still war, warum spricht sie nachher jetzt auf einmal?«

»... Weil sie die Gewissenslast, von einem ungesühnten Verbrechen an ihrem eigenen Mann zu wissen, nicht mehr erträgt! Darum beichtet sie es dem Pater Faramund!«

»Der muß doch auch schweigen!«

»Er selber wohl! Aber er kann der Mette auferlegen, den weltlichen Behörden Anzeige zu machen! Und das tut er, streng, wie halt so ein Mönch schon ist!«

»Sehr möglich!« murmelte der Herr von Söller. Der Gaudenz hat jetzt ganz laut geredet.

»Und gerade dasselbige hat sich auch der Oetsch gesagt. Er hat genau gewußt, daß es ihm an den Kragen geht, wenn der Pater Faramund mit seiner Beichte mit der Mette zu Ende kommt! Darum hat der Oetsch den Pater, ehe noch die Beichte fertig war, gestern mittag seinem Bruder Peter-Paul in die Ewigkeit nachgeschickt! Er hat sie beide umgebracht, den Peter-Paul, seinen Bruder, und den Pater Faramund, seinen Vetter, und hat das ganze Geschlecht der Oetsch bis auf sich selber ausgerottet, und dann setzt sich der Satanas hin und zieht vor euch allen mich mit seinen eigenen Mordtaten auf!«

Da war es lange still.

»Wohin sollte er denn den Leichnam des Paters verschleppt haben?« frug endlich mein Mann. »Wir haben doch alles durchsucht.«

Der Gaudenz lachte. Nein. Er entblößte nur seine großen, weißen Zähne unter dem Schnurrbart.

»Habt ihr auch wirklich ordentlich in den Kellern nachgeschaut? Ein Kerl wie der Oetsch trägt solch einen zaunsteckendünnen Mönch leicht auf seinen Schultern da hinunter, wenn das ganze Haus leer ist!«

»Wir sind durch alle Keller gegangen!« sagte der Poldl. Aber freilich: die Gewölbe unter dem Schloß waren riesengroß, an manchen Stellen zwei Stockwerke tief, und dunkel und voll Winkel und Gerümpel. Das hat der Gaudenz auch gleich aufgegriffen.

»In zwei Stunden mache ich leicht in dem Backsteinboden im Keller ein Loch und deck' es fein sauber wieder mit den Steinen zu!« sagt er. »Dann ein paar Bretter oder leere Fässer darauf! Fertig. Die Spur können die Hunde nicht finden, weil der Pater unterwegs auf seiner letzten Reise den Boden nicht berührt hat, sondern von dem Oetsch getragen worden ist. Deswegen laufen sie so herum und winseln und wissen nicht, wohin!«

»Die Keller sind alle zugesperrt gewesen!« versetzte mein Mann. »Der Haushofmeister hat den Schlüssel.«

»Drüben, hinter dem Gästeflügel, steht jetzt noch eine Kellertür offen!« widersprach der Gaudenz hohnlachend. »Ich hab' es selbst vorhin gesehen!«

»Du, Gaudenz, das glaub' ich nicht!«

»Komm mit! Ich zeig's dir!«

Der Gaudenz ist nach hinten gegangen. Die Herren alle stumm hinter ihm drein. Ich bin ihnen gefolgt. Jenseits der Halle, von dem Schloßhof her führt eine schmale Wendeltreppe für die Dienerschaft im Rückgebäude aufwärts in die drei Hauptstockwerke, in denen oben wir und auch die verheirateten und bevorzugten Gäste wie auch die Safferstätts gewohnt haben. Von dem kleinen, winkligen Platz unten am Fuß der Treppe, wo das Personal seine Besen und Bürsten und Bohnerschuhe und derlei aufbewahrt hat, geht eine Verbindungstür zu dem Gästeflügel für die Jagdherren im Seitenbau, zu den Zimmern des Paters Faramund und des Oetsch und der anderen, einen langen Gang hinunter. Über der Hintertür waren innen auf dem Rumpelplatz ein paar Treppenstufen zu einer Kellerluke, und allerdings, wie wir davorstanden, mußten wir zugeben: die Luke ließ sich ohne weiteres von jedem, der vorbeikam, am Handgriff aufheben! Der Gaudenz zeigte uns das mit finsterem Lächeln. Das Vorhängeschloß hing offen daran. Das war freilich eine Schlamperei. Der Rubesoier, der Haushofmeister, wird nachgerade alt und tatelig, und so sehr ich vor Angst mit den Zähnen klapperte, nahm ich mir doch unwillkürlich als Hausfrau vor, ihm nachher einmal gehörig den Kopf zu waschen.

Der Gaudenz hat sich vor den Kellereingang gestellt, mit dem Rücken gegen die Wendeltreppe, und laut und höhnisch, wie irgendein gewöhnlicher Mann aus dem Volk redet, gesprochen: »Hier, in das schwarze Loch da, führt dem Oetsch seine schwarze Tat hinunter! Ich bin heilig davon überzeugt: da unten ist gestern der Pater Faramund auf den Schultern vom Oetsch eingefahren, und da liegt seine Leiche jetzt noch!«

Die Kellertiefe, in die man von oben hineinschaute, war rabenschwarz und undurchdringlich. Eine eiskalte, moderige Luft ist aus ihr emporgequollen. Mir hat's gegraut. Der Gaudenz redete jetzt auf einmal so leise, als dürfe man den Pater unten nicht wecken, und wir andern haben uns nicht gerührt und ihm zugehört, wie er zwischen seinen brutalen Kiefern geraunt hat:

»Der Oetsch hat ja Übung darin, Menschen um die Ecke zu bringen, ohne sich zu verraten! Man braucht nur an seinen Bruder, den Peter-Paul, zu denken. Den hat er auch am lichten Morgen unter freiem Himmel z'sammengeschossen.«

Schweigen war um ihn. Und er flüsternd:

»Und ebenso hat er am hellen Mittag gestern den Pater Faramund weggeputzt! Wahrscheinlich erwürgt! Denn wenn er ihn erschlagen oder erstochen hätte, gab' es Blutspuren im Zimmer! Der Oetsch, der macht dunkle Anspielungen gegen mich und rückt doch mit der Sprache nicht heraus! So bin i net! I red' gut deutsch. Ich stehe hier und klage den Oetsch vor euch allen, den Vettern und Freunden und Standesgenossen und der Frau Kusine da, des Mordes an!«

Und nach einer Pause noch einmal, zwischen den Zähnen: »Des Mordes an dem Pater Faramund!«

Ich glaube, es ist gut eine Minute vergangen, ohne daß jemand von uns sich gerührt oder gar etwas erwidert hat. Wir standen alle wie die Bildsäulen. Wir haben kaum unser eigenes schweres Atmen gehört. Kein Mensch hätte auf ein paar Schritte Entfernung, wenn er uns nicht sah, auf den Gedanken kommen können, daß hier, auf dem halbdunklen, winkligen, kleinen Platz ein Dutzend Menschen und mehr beisammen waren.

In dieser lautlosen Stille geschah etwas Seltsames. Wir unten hörten auf einmal auf der Wendeltreppe ober Schritte, die langsam herunterkamen. Die Schritte waren weich und vorsichtig, aber doch schwer, wie von einem Mann. Aber zugleich hörte man das gleichmäßige Fegen eines Rocksaumes auf den Treppenstufen, wie von einer Frau. Und da wußte man schon: das war ein Mittelding. So ging nur ein Priester.

Mir scheint, der Gaudenz war zu erregt, um darauf so zu achten wie wir. Als die Schritte schon ganz nahe waren, dicht über uns, wiederholte er fast unhörbar, und ich sah seine weißen Zähne wie von einem Raubtier im Dämmern blitzen:

»Der Oetsch ist der Mörder! Wenn der Pater Faramund noch sprechen könnte, würde er es bezeugen!«

Im selben Augenblick schrie ich auf. Die Herren um mich prallten mit aufgerissenen Augen auseinander. Mein Mann legte den Arm um mich. Der Prinz Tettikon streckte den Arm aus und wies mit offenem Mund auf die Treppe. Die konnte der Gaudenz nicht sehen, weil er mit dem Gesicht gegen uns stand und redete. Jetzt wandte er sich jäh um, stieß einen gurgelnden Laut aus und stand dann still wie aus Stein. Über ihm auf der letzten Stufe der Wendeltreppe, die er herabgestiegen war, stand der Pater Faramund.

Ich habe keinen Augenblick geglaubt, daß es ein Gespenst war, denn Gespenster erschrecken doch nicht selber, sondern erschrecken andere! Der Pater aber zuckte überrascht zusammen, als er plötzlich, um die Säule der Wendeltreppe biegend, uns alle sah, und fuhr zurück, ganz wie ein irdischer Mensch, dem etwas Unerwartetes begegnet. Dann aber faßte er sich schnell und gewann seine würdevolle Haltung wieder.

Eine Weile haben sich die beiden, der Mönch und der Baron, angeschaut und nichts gesagt. Dann hat der Gaudenz zwischen den Zähnen gefragt, was uns allen auf den Lippen lag: »Wo kommen Sie denn her?«

»Ich war bei Ihrer Frau Gemahlin«, sagte der Priester kalt.« Seine Augen haben durch die Brillengläser streng und starr den Safferstätt gemustert, als ob sie dem bis ins Innerste dringen wollten. Das Haar an seinen Schläfen war grauweiß. Die bartlosen Mundwinkel waren beinahe grausam zusammengezogen. Das fühlte man: Zu spaßen war mit dem Pater nicht, wo es um sündige Seele und ewiges Leben ging.

»Weswegen hat meine Frau Sie rufen lassen?« flüstert der Gaudenz. Es klang drohend, aber es war ein Gurgeln und Schwanken in dem Ton. Der Pater, ihn immer von oben, von einer Stufe höher, messend wie einen unbußfertigen Sünder: »Das wissen Sie selbst! Ich habe der Baronin die Beichte abgehört!«

»Ich hatt' es ihr verboten, Ihnen weiter zu beichten!«

»Für die Versöhnung mit Gott gibt es kein menschliches Verbot. Ihre Frau Gemahlin hat ihre Beichte vollendet!«

Es klang dumpf und schwer. Es hallte an der niederen Wölbung des halbdunklen und halb kellerartigen Raumes wider, in dem wir gedrängt standen. Der Gaudenz Safferstätt fing heftig an zu zittern. Ein Schauer überlief ihn von oben bis unten. Es war schrecklich anzuschauen, und uns schwante nichts Gutes. Ich bemerkte, daß seine rechte Hand, die schlaff herabhing, immer mechanisch mit gespreizten Fingern in die leere Luft griff und sich wieder krampfhaft ballte. Es war förmlich ein Schlottern in seiner Kehle, wie er plötzlich mit rauher, trockener Stimme hervorstieß:

»Was hat sie Ihnen gesagt?«

Der Pater Faramund zuckte nur in seiner Kutte stumm die Achseln. Die Frage nach dem Beichtgeheimnis verriet schon, daß der Gaudenz vor Angst halb außer Besinnung war. Man merkte es ihm auch an. Er war beinahe grau im Gesicht geworden. Seine wasserblauen Augen standen auch sonst schon immer mehr als bei anderen Menschen hervor. Aber jetzt quollen sie förmlich aus den Höhlen und waren glanzlos und leblos, vor Schrecken ungläubig weit offen. Man hörte den Safferstätt keuchen. Dabei versuchte er noch, mit verzerrtem Gesicht höhnisch zu lächeln. Das machte sich entsetzlich.

Wenn er nicht durch das plötzliche Auftauchen des Paters Faramund aus dem Grabe, in das er ihn, in seinen Reden an uns, schon hineingelegt hatte, so völlig die Besinnung und Selbstbeherrschung verloren hätte, dann hätte der Safferstätt doch niemals just auch noch zum zweitenmal gefragt, was die Mette gebeichtet hätte. Wir alle, die um ihn standen, waren doch gute katholische Christen und wußten, daß ein Priester eher den Märtyrertod erleidet, als daß er das Beichtgeheimnis bricht. So hat der Pater denn auch nur gesprochen:

»Die Beichte Ihrer Frau Gemahlin ist bei mir verschlossen!«

Der Gaudenz hat sein Sacktuch hervorgeholt und sich die Stirne gewischt. Wie er es wieder einsteckte, hat er wieder mit der rechten Hand irr etwas in der Luft gesucht, als schwebe da irgendwo eine Waffe. Dann hat er laut gelacht. Das war das Ende. Ich kann mir nicht helfen: In dem Augenblick, wo wir dies schauderhafte, gequälte, angstvolle Lachen hörten, hatten wir, glaub' ich, alle, die wir da standen, gleichzeitig das Gefühl: An der Hand, die da unruhig in der Luft herumfingert, klebt Blut...

Der Gaudenz hat gesagt, drohend und dabei zitternd:

»Gut! Sie selber schweigen ...«

Der hochwürdige vom Kreuzträgerorden von Golgatha nickte streng und feierlich, als wollte er sagen: Die Beichte ist ein Grab! Aber es war furchtbar, wie er dabei den Gaudenz ansah und der unter diesem Blick immer fahler wurde und nur noch stotternd, mühsam sprach: »Sie selber schweigen! Aber haben Sie auch meiner Frau Schweigen auferlegt?«

Der Pater antwortete nicht. Selbstverständlich nicht

»Haben Sie meiner Frau Schweigen auferlegt?«

Der Pater stand stumm und starr. Seine Miene verhieß nichts Gutes.

»Haben Sie meiner Frau Schweigen auferlegt?« stöhnte der Safferstätt. Er knirschte es zwischen den Zähnen. Er suchte angstvoll auf den dünnen, unerbittlichen Lippen drüben nach einer Antwort. Die Lippen des Priesters bewegten sich nicht. Sie schlössen sich nur noch schonungsloser zusammen. Da schrie der Gaudenz in seiner Todesangst: »Oder haben Sie am End' gar meiner Frau freigestellt, zu reden?«

Seine Worte brachen sich in einem unheimlichen Echo an der Wölbung über uns und kamen wieder. Man hätte glauben können, daß ein anderer Mensch sie ihm höhnend nachspräche.

Sonst nichts. Kein Laut.

Noch einmal der Gaudenz. Er lallte vor Wut und Angst: »Haben Sie der Mette die Zunge gelöst? Reden Sie doch!«

Drüben war es still.

»Darf sie jetzt frei hingehen und jedem erzählen, was sie will?«

Der Pater Faramund blickte nicht mehr den Gaudenz an, sondern kalt über uns alle hin. Das ging einem durch Mark und Bein. Man spürte plötzlich in sich die kommende Gewißheit: Ja, die Mette, die wird reden! Die wird aufstehen und Zeugnis ablegen! Wider ihren Mann und vielleicht auch wider sich selbst ...

Der Gaudenz Safferstätt trat schwer atmend einen Schritt zurück. Wir stoben vor ihm auseinander wie die Hühner und machten ihm scheu Platz. Er krampfte jetzt nicht mehr die rechte Faust in der Luft. Er ballte sie in der Hosentasche und richtete sich jäh und wild auf und schrie:

»Oder haben Sie ihr gar anbefohlen, zu reden?«

Natürlich hat er das! dachte ich in meiner Todesangst. Ein Priester kann doch nur absolvieren, wenn ein Todsünder bereit ist, seine Schuld zu bekennen und sie schon in dieser Weltlichkeit zu büßen! Der Gaudenz kriegte weißrollende Augen wie ein böser Stier auf der Alm. Er zischte zwischen den Zähnen:

»Haben Sie ihr auferlegt, vor Gericht zu gehen?«

Der Pater Faramund antwortete mit keiner Sterbenssilbe ein »Ja«. Und doch hörten wir dies lautlose »Ja« alle im Geist und wußten: So war es! Der Gaudenz auch. Der war nicht mehr zurechnungsfähig. Er keuchte:

»Ja. Das haben Sie getan!«

Der Pater stieg die Stufe hinunter.

»Das haben Sie getan! Gestehen Sie mir's!«

Der hochwürdige Vater schritt schweigend weiter. Wir bildeten eine Gasse, um ihn durchzulassen. Aber der Gaudenz stellte sich ihm wild in den Weg und stöhnte: »Das haben Sie getan! Und die Mette wird's befolgen ...«

Der Pater Faramund wollte in unerschütterlicher, gemessener Kälte und Härte an ihm vorbei und zur Türe. Er zertrat förmlich, während er in seinen langen Gewändern dahinging, den Gaudenz unter seinem Fuß. Den Gaudenz sah man schon auf der Armesünderbank vor seinen Richtern. Und im Hintergrund das Schafott.

»Gebt's acht!« schrie der Tettikon neben mir gellend. Er, der Prinz, gab mir, der Herrin des Hauses, einen Stoß in die Rippen, daß ich entsetzt zur Seite flog, und warf sich fast zugleich wie eine Katze auf den Gaudenz. Der hatte die Faust aus der Hosentasche gerissen. In der Faust blitzte etwas. Der Lauf einer Pistole ... Der Gaudenz reckte den Arm und zielte blindwütig auf den Pater Faramund. Aber ehe er abdrücken konnte, hatte der Tettikon ihn von hinten umklammert. Mein Mann entriß ihm die Waffe. Der Herr von Höllring und der Herr von Söller hielten den Tobsüchtigen fest. Wir waren alle wie irr vor Schrecken, daß ein sündiger Mensch es gewagt hatte, gegen einen geweihten Priester die Hand zu erheben. Die einzige Verzeihung unseres Herrgotts konnte nur sein, daß der Gaudenz gar nicht mehr wußte, was er tat.

Nach einer Weile kam er zu sich und schaute verwirrt umher. »Laßt's mich los ... bitt' schön!« sagte er leise und flehend. Die Herren taten es unwillkürlich. Er legte beide Hände an den Kopf. »Großer Gott!« stöhnte er. »Großer Gott!«

Dann ging er taumelnd auf die Wendeltreppe zu. Hielt sich an dem Geländer fest. Klomm eine Stufe nach der anderen hinauf. Wir standen noch wie vom Donner gerührt. Wir kamen jetzt selber erst allmählich zur Besinnung, als er schon halbwegs oben war. Da durchzuckte mich eine neue, schreckliche Erleuchtung von oben.

»Wo geht er hin?« rief ich.

Die Herren begriffen mich nicht. Die Männer mögen klüger sein. Aber wir Frauen denken manchmal schneller.

»Zur Mette geht er hinauf!« sagt endlich der Poldl. Und ich schreie laut auf:

»... Und bringt sie um, weil sie gebeichtet hat ...«

»Was? ... Katzel ...«

»Der Pater selber darf doch nicht reden! Die Mette ist die einzige, die reden kann! Wenn sie stumm ist, kann dem Gaudenz keiner was beweisen ...«

»... als einen neuen Mord!«

»... und der Gaudenz lügt nachher, sie hat sich selber umgebracht, wenn sie erst tot daliegt! Wer kann dann wissen, was da oben unter vier Augen geschieht? Das Gegenteil beweist ihm keiner!«

Und wie ich das hinausstieß, schoß es mir durch den Kopf: Deswegen haben sie auch alle drei, am Abend der Ankunft, von ihrem Tod geredet – jeder ... der Gaudenz ... die Mette ... und auch der Oetsch! Sie haben gewußt: Sie ringen unter meinem Dach auf Tod und Leben um ihr Geheimnis, und einer muß daran glauben!

Und deswegen hat die Mette, wie sie aus dem Reisewagen in die Halle trat, herausfordernd vor aller Augen dem Oetsch die Hand gedrückt, weil sie wußte, daß er nicht der Mörder seines Bruders war, und das dem Pater Faramund, den sie sich hierher geladen hatte, beichten wollte.

Und deswegen ging ihr Mann ohne Gruß verächtlich damals an dem Oetsch vorüber, weil er den öffentlich als Brudermörder brandmarken und den aufsteigenden Verdacht von sich selber ablenken wollte.

Und deswegen ist der Oetsch am nächsten Morgen stundenlang mit der Mette im Park auf und ab gegangen und hat ihr inständig zugeredet, ihn von dem Verdacht zu befreien und ihr Gewissen bei dem Pater Faramund zu entlasten.

Und deswegen hat gleich hinterher die Luise, die neugierige Elster, das Ehepaar Safferstätt auf der kleinen Schloßterrasse beobachtet, wie sie verzweifelt und flüsternd aufeinander eingesprochen haben. Und der Franzl Salvermoser, den mein Mann und ich nachher dorthin geführt haben, hat mit seinen Maleraugen ganz recht gesehen: die beiden, der Gaudenz und die Mette, lieben sich – lieben sich, wie nur zwei Menschen können – aber ihre ewige Seligkeit hat der Mette schließlich doch schwerer gewogen als die paar Jahre vergängliches, irdisches Glück, und sie hat die furchtbare Schuld nicht mehr in sich tragen können und hat sich von ihr befreien und beichten und ihre Buße auf sich nehmen wollen!

Das alles ist mir in ein paar Sekunden durch den Kopf geschossen wie Blitze in der Nacht, die jäh das Dunkel erhellen. Und hinterher wieder die zitternde Angst: durch ihre Beichte, die sie und den Gaudenz in das Unglück stürzt, hat die Mette seine Liebe zu ihr in wilden Haß und Selbstsucht verwandelt. Er bringt jetzt die Mette um, und das Geheimnis schweigt, und er lebt weiter ...

Der Tettikon, der k. k. Husar, war, bei Licht beschaut, noch ein halber Bub. So junge Leut' laden wir sonst gar nicht zu der Jagd ein. Halt nur, weil es eben ein Prinz war. Aber jetzt war es ein Glück, daß wir solch einen gelenkigen, jungen Windhund unter uns hatten. Der lief nicht in den Turm hinauf, sondern sprang und flog. Der nahm fünf Stufen der steilen Treppe auf einmal. Der war im Nu oben. Die anderen langsamer hinterher. Zum Schluß ich.

Gottlob: oben hören wir, wie jemand wild und ungeduldig an eine Türe pocht. Man hört die Stimme von dem Gaudenz: »Mach' auf!« Aber die Mette hatte sich von innen eingeschlossen. Die machte nicht auf: die ahnte schon, was er vorhatte. ...

Der Safferstätt hat, wie wir kamen, außen an der Türe gestanden und immer wieder grimmig und verbissen daran getrommelt. Von innen kam kein Laut. Da hat er in seinem blinden Zorn die Finger um das Holz gekrallt und versucht, die Türe aus den Angeln zu heben, und mit dem Knie daran gestoßen. Aber schon hat sich der Tottikon dazwischengeschoben. Die anderen Herren kamen dem Prinzen zu Hilfe. Gegen die vielen Männer konnte der Gaudenz nichts machen. Er hat tückisch und finster den Kopf gesenkt und vor sich hin auf den Boden gestarrt. Mein Mann, der Poldl, hat streng anbefohlen: »Du tust deiner Frau nichts zuleid! Du kommst jetzt mit runter! Du bleibst unten! Das weitere sehen wir hernach!«

Der Gaudenz Safferstätt ist ohne Widerrede mitgegangen. Unten, an der Treppe, war ein kleines, leeres Spiel- und Trinkzimmer, das sonst nur im Winter manchmal abends benutzt wird. Da haben wir ihn hingesetzt, und er ist schwer auf das Lederkanapee hingefallen, hat nichts geredet und sich um nichts mehr gekümmert. Man sah es ihm an: seine Kraft und sein Entschluß waren am Ende. Vorläufig hatten wir nichts Böses von ihm zu befürchten.

Jetzt erst fiel uns allen der Pater Faramund wieder ein! Wo war er denn? Der Landrichter a. D. von Söller sagte: »Er ist, während wir dem Baron seinen Schießprügel wegnahmen, durch die Tür gegangen, die nach dem Gästeflügel hinausführt!«

»Das habe ich auch gesehen!« bekräftigte der Kämmerer Höllring. Und der alte Rubesoier, der Haushofmeister, räuspert sich und vermeldet, er habe, auf den Lärm herbeieilend, den hochwürdigen Herrn den Gang entlang nach seinem Zimmer schreiten sehen und ein Stoßgebet gesprochen zum Dank, daß der Pater wieder lebendig vorhanden sei, sich aber dann nicht mehr um ihn kümmern können, sondern er sei, auf den Lärm herbeieilend, in den Hinterraum zu der Katzbalgerei mit dem Safferstätt gestürzt.

Mein Mann tut einen tiefen Atemzug der Erleichterung. »So haben wir wenigstens den Pater da!« sagt er, »und er muß in seinem Zimmer sein!«

»Freilich, Poldl!«

»Jetzt will ich nur gleich zu ihm und fragen, was mit ihm los war! Ich hab' ja noch keine Gelegenheit gehabt, ihn zu begrüßen, seitdem er vorgestern abend zu uns ins Schloß gekommen ist!«

»Ich geh' mit!« sag' ich, und er: »Tu's, wenn du magst, Katzel! Wir brauchen beide einen herzhaften geistlichen Zuspruch nach all dem Schrecken!«

Wir sind zusammen den Gang entlang, an den Gästezimmern vorbei. Das Zimmer des Paters war das allerletzte. Gerade an der Außenwand. Da war die Mauer am Ende des Ganges. Weiter ging es nicht.

Mein Mann hat ehrerbietig geklopft. Erst leise, dann lauter. Kein »Herein!« Wir haben gewartet. Noch einmal geklopft. Höflich gerufen: »Hochwürden!« Keine Antwort.

»Hochwürdiger Herr! Wir sind's! Der Hausherr und die Hausfrau!«

Das Zimmer hat geschwiegen.

»Katzel – sind wir denn ganz behext?« hat mein Mann gesagt. »Der Pater ist doch vor aller Augen den Flur hier herunter! Einen zweiten Ausgang hat der Gang nicht, sondern vor uns die Brandmauer. Der Pater muß da drinnen sein!«

»Vielleicht schläft er!«

Das war eine Hoffnung. Der Poldl hat sich ein Herz gefaßt und sachte auf die Klinke gedrückt. Die gab gleich nach. Die Türe war offen. Das Zimmer dunkel. Das Fenster geschlossen. Eine muffige Luft.

Wir haben Licht gemacht. Das Bett war unbenutzt wie bisher. Alles so wie den ganzen Tag über. Nirgends das geringste Anzeichen, daß inzwischen ein Mensch da hereingekommen sei und es sich wohnlich gemacht habe. Wir haben dagestanden und uns den Kopf zerbrochen und hin und her geschaut und in alle Winkel geguckt. Aber es war so: der Pater Faramund war wieder verschwunden ... »Die Erde kann ihn doch nicht verschluckt haben!« sagt der Poldl ratlos. Und ich darauf:

»... leibhaftig da war er doch! Ich hab' doch selbst mit der Hand an seine rauhe Kutte gestreift ...«

»... und unser Haus wird auf den Kopf gestellt!« spricht der Poldl.

»Alles kommt außer Rand und Band!« sag' ich. »Hör' nur, wie drüben wieder irgendein Diener die Türe zuschmeißt!«

Es war ein ferner, heftiger Schlag gewesen. Wie wir kopfschüttelnd auf den Gang hinaustraten, kommt den der Haushofmeister entlang gerannt. Seine Knie wanken. Er hebt die Hände in die Luft und hat den Mund offen. »Was gibt's denn, Rubesoier?«

Und er, außer Atem:

»Der Herr Baron von Safferstätt haben sich soeben im Spielzimmer erschossen!«


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