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V

Zweite Niederschrift des Kunstmalers Franz Salvermoser aus München

Sie hat wundervolles, reiches, aschblondes Haar gehabt. Hinten auf dem Kopf war die Flut zu einem üppigen Knoten gebändigt. Sonst wäre ihr sicherlich, wenn man die Nadeln aus ihm löste, eine Garbe von matt goldfarbenen Ähren von den schmalen Schultern wie ein Königsmantel um die ganze schlanke, mittelgroße Gestalt bis zu den Füßen hinabgeflossen. Vorne kräuselte sich der seidene Überfluß in tausend widerspenstigen Löckchen um die kleinen Ohren und die weiße Kinderstirne. Das Gesicht darunter war frauenhaft zart und blaß, fein wie eine Gemme, in einem sanften Adel der bleichen Wangen. Die Augen waren tiefblau, aber unbestimmt verschleiert, so wie der Morgenhimmel an einem kalten, windigen Vorsommertag, die Nase gerade und fein und nervös geflügelt. Der Mund – der hatte eigentlich wohl die rechte kußliche Herzform mit schwellenden Lippen, wie es zu dem weichen Wesen, dem innigen, bis in die Fingerspitzen vornehmen Menschenbild der schönen jungen Frau paßte. Aber diese Lippen waren bleich. Sie schürzten sich in einer schmerzlichen Reinheit. Ich möchte sagen: in einem wehen Staunen vor dem Leben und seiner Grausamkeit und einer stillen Ergebung, der Blutleere einer jungen Nonne.

Die verwitwete Gräfin Oetsch kam zuerst herein. Ihr zweiter Mann, der Baron Gaudentius Safferstätt, hinter, nicht neben ihr, und so schien sich mir das auch zu gehören. Er war nur wie ein Schatten, den die aparte kleine Frau warf. Äußerlich nichts weniger als ein Schatten. Ein kräftiger, blühender Kamerad so an die dreißig, gut fünf Jahre älter als sie, mit gesunden, vergnügten weißen Zähnen unter der etwas zu kurzen Oberlippe, ein neckisch gestutztes Schnurrbärtchen darauf, lebenslustige Augen, eine sorglos gutmütige Visage – aber über dem ganzen Menschen eine Leere. Eine Gedankenlosigkeit. Gerad' wie meine anfängerhaften, zu flach gemalten Porträts: keine Tiefe! Ein guter Kerl, aber halt nix dahinter. Da möcht' man gerad' so gern ein Glas Wasser malen, wie so 'ne menschliche Harmlosigkeit! Der Rittmeister hat mir auch nachher gesagt: »Der Gaudenz Safferstätt macht sich am besten auf der Hirschjagd in kurzem Wichs: Gamsledernen und nackten Beinen und schönem Gürtel und grüngestickten Hosenträgern! Wenn er so am Abend vor der Almhütte sitzt und Schnadahüpfeln zur Zither singt und schuhplattelt und juhut und sich auf die Schenkel patscht und mit den Holzknechten die Zeigefinger einschlingt und hakelt – dann ist er halt in seinem Element – der rechte Holzhackerbub! Ist auch nie anders gewesen! Ich kenn' ihn seit seinem sechzehnten Jahr!«

»Warum hat sie ihn denn dann genommen?« hab' ich wissen wollen, und der Rittmeister, nach einer Pause mit einem Seufzer: »Mordsreich ist er halt – der Safferstätt – aber schon mordsreich, sag' ich dir ... und er tut ja auch keiner Katz' was zuleid!«

Und bei selbiger Gelegenheit hat mir der Herr von Vogelschrey erklärt, warum er gerade mich aufgefordert hat, aufzuzeichnen, wie die beiden Safferstätts und der Oetsch einander unten in der Halle von Vogelöd begegnet sind. »Franzi,« hat er gesprochen – »schau – du bist ein Maler! Kein dilettantischer Patzer wie ich, der schon froh sein darf, wenn er so ein Wappenschild auf Glasgrund fertig kriegt, sondern ganz ein wirklicher Künstler! Du siehst mehr an den Menschen als unsereiner und ganz besonders in den großen Momenten, wo sie in der Überraschung und Erregung sich nicht mehr so in der Gewalt haben wie sonst unter der Woche und einer dem andern nicht mehr als Maskerer kommt, sondern er hält für einen Augenblick die Larve in der Hand, und der wahre Mensch schaut eine Sekunde darüber her! Also hoffentlich und wie ich den Franzl kenn', hast du fein aufgepaßt, wie der Oetsch da zum erstenmal seit dem Tod seines Bruders der Mette Safferstätt Aug' in Aug' gegenüber gestanden ist.«

Und ob ich aufgepaßt hab'! Verschlungen mit den Augen hab' ich die beiden! Und hab' doch nicht mehr gesehen wie ein jedes. Denn das Überraschende und schier Unglaubliche, was da geschah, das hat jeder in der Halle gesehen und hat jeder sehen müssen, der nicht zwei Hosenknöpfe statt der Augen hat im Kopf sitzen gehabt.

Also die Baronin Safferstätt kommt herein, im Reisemantel, ein liebes Wiener Hütchen auf der Last von Blondhaar, und sieht die Hausfrau an und geht leichtfüßig auf sie zu und breitet beide Arme aus. Es war eine weiche, zärtliche Bewegung, und dabei erhellte ein süßes, schwermütiges Lächeln ihr zartes Gesicht, lief wie Sonnenschein über seine sanfte Blässe. Sie sah verführerisch schön aus in dem Augenblick. Ich glaube, da hätte jeder in der Halle gern an der Stelle von der Dame des Hauses sein mögen, wie die und ihr Gast sich herzhaft abgebusselt haben.

Während die beiden jungen Frauen sich noch recht innig wie zwei Schwestern küssen, hör' ich, der dicht dabei steht und Ohren hat, daß eine Mausekatz' schamrot wird – also hör' ich, wie die Frau Centa von Vogelschrey, noch mit den Lippen auf der kühlen, blassen Wange der Baronin, ihr von da hastig und angstvoll warnend ins Ohr flüstert: »Mette: Dein Schwager Oetsch ist da! Er legt's darauf an! Wir haben ihn auf keine Weise wegkriegen können!« Darauf hat die süße blonde Frau von Safferstätt ihre Freundin losgelassen, deren Mann, dem Rittmeister, freundschaftlich lächelnd die Hand geschüttelt und hat sich dann, während er sich darüber zum Kusse beugte, ruhig in die Halle umgesehen.

Sie brauchte nicht erst lange zu schauen: der Johann Preisgott Oetsch hat nicht weit von ihr gestanden und sie, ohne mit der Wimper zu zucken, unverwandt angeblickt. Ich hab' ihn dabei genau betrachtet. In seinen Pupillen war ein starrer stählerner Glanz. Ein unbeugsamer Wille, der die Menschen zu sich heranzog und sie sich Untertan machte. Man muß das Furchtbarste, was es auf der Welt gibt, das seelenlose, unergründliche Auge einer großen Giftschlange gesehen haben, das schon aus der Entfernung lähmt, um zu begreifen, was ich im neugierigen Entzücken des Malers, in dem Blick des Grafen Oetsch wie in einer Offenbarung eines Rätsels der Natur las.

Er stand ganz still. Wartete. Atmete kaum. Und ebenso alle andern umher. Die Baronin Safferstatt sah ihn. Wurde nicht noch bleicher. Nein. Eine leise Röte färbte verräterisch ihre Züge. Einen winzigen Augenblick verharrte sie. Dann ging sie, als sei sie willenlos, aber mit einem ganz ruhigen Gesicht auf ihn zu und reichte ihm vor allen Anwesenden die Hand.

Und er nahm sie und drückte sie respektvoll, mit unveränderter Miene, als sei das ganz selbstverständlich, und er habe gar nichts anderes erwartet ...

Alsdann haben sie sich voneinander getrennt. Die Frau Baronin von Safferstätt hat die versammelte Gesellschaft mit einer leichten Kopfneigung gegrüßt – es war eigentlich ein flüchtiges Senken der zärtlichen, vollen Rundung ihres Kinns, und dabei straffte sich ihr kindlich schmaler, rührend weißer Nacken bis zu den mutwilligen, flimmernden Härchen an dem klassischen Ansatz zum Hinterhaupt, und meine Augen haben das in sich hineingetrunken und sich fein für künftige Kohle und Kreide und Skizzenblatt aufgehoben. Über die Gäste in der Halle hat die Baronin so hingeschaut, etwas fremd und zurückhaltend, mit der Sicherheit der großen Dame, obwohl sie nicht groß, sondern eben noch mittel an Gestalt und fast zerbrechlich zart gebaut war. So ist sie mit der Frau von Vogelschrey die große steinerne Freitreppe hinaufgestiegen.

Ich hab' ihr mit offenem Mund nachgeguckt. Ich glaub', wir alle. Wir waren alle wie vom Donner gerührt. Ich bin ja nur ein dummer Maler. Aber neben mir hat der Professor Langpointner gestanden. Der ist Jurist und hört also das Gras wachsen und ist auch noch ein Kirchenlicht im Landtag. Aber er hat mich geradeso betroffen und stumm fragend angesehen, wie ich ihn: Herrgott – ja – was wär' denn jetzt das? und wahrscheinlich hat sich in seinem Pandektenschädel und in meinem unaufgeräumten Malerhirn auch akkurat dieselbe schwarze Zwickmühle von Gedanken gedreht: Entweder die Baronin gibt ihrem Schwager die Hand, weil sie weiß, daß er unschuldig ist! Aber warum sagt sie's dann nicht? Und wenn sie das weiß, muß sie doch wohl auch wissen, wer, an seiner Stelle, schuldig ist! Warum nennt sie den Kerl dann nicht? Oder aber der Oetsch ist schuldig, und sie weiß es oder glaubt es und ist mit selbigem Glauben wahrhaftig nicht der einzige Mensch hier im Saal unter dem Donauweibchen mit den Flackerkerzen auf seinen Damschaufeln, und gibt ihm doch die Hand! Ja – dann bekennt sie sich ja selber als Mitwisserin und als mitschuldig vor allen Leuten! Welcher Christenmensch mit fünf gesunden Sinnen, und wenn sein Gewissen schwarz wäre wie chinesische Tusche, tut denn so was und verrät mutwillig sich selbst?

Hinter ihr, ohne daß sie sich viel um ihn kümmerte, ist ihr Mann mit dem Schloßherrn durch die Halle gekommen. Er hat natürlich genau gesehen, wie seine Frau und der Graf Oetsch sich freundlich als Schwager und Schwägerin von früher begrüßt haben, und hätte nun doch anstandshalber das gleiche tun müssen. Ihm hat der Graf Oetsch doch jedenfalls nichts zuleide getan. Im Gegenteil – wenn der der Mörder war, dann hat er ja gerade damit dem Herrn von Safferstätt zu seiner Frau, in zweiter Ehe, verholfen! Sonst liefe die schöne Frau Mette ja heute noch als Gräfin Oetsch herum.

Nun ereignete sich das zweite Rätselhafte.

Gibt etwa, wie sich's gehört, der Freiherr von Safferstätt dem Grafen Johann Preisgott manierlich auch die Hand, wie eben, vor seinen Augen, seine Frau? Sagt er ihm wenigstens guten Tag? Nickt er ihm vielleicht zum mindesten zu? Weit gefehlt! Als ob der Graf Oetsch mit seiner langen, hageren Hidalgogestalt Luft wäre, so geht der Baron an ihm vorbei ...

Sein Gesicht war bis dahin unbekümmert fidel gewesen. Wie ein Schulbub hat er gelacht gehabt – vielleicht zu laut – vielleicht gar gezwungen – und dem Rittmeister im Gespräch auf die Schulter geschlagen. Jetzt, beim Anblick des Oetsch, verfärben sich ihm die Züge. Werden aschgrau. Düster und gequält. Verbissen. Ingrimmig. Eifersucht? Das schlägt mir wie ein elektrischer Funke durchs Hirn! Eifersucht? Das lief wie eine magnetische Welle wohl durch alle Köpfe. Eifersucht?

Der Baron Safferstätt hat finster gerade vor sich hingesehen und längere Schritte als bisher gemacht. So hat er mit dem Hausherrn gerade den Fuß der Treppe erreicht, als die Rocksäume der beiden Damen eben um den ersten Stufenabsatz herum fegten und verschwanden. Unten in der Halle, bei uns, war's muckerlstill. Man hätte eine Stecknadel fallen hören. Der Herr Graf Johann Preisgott Oetsch setzte sich wieder und zündete sich eine Zigarre an.


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