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IV

Kurze Bemerkungen Seiner Exzellenz des Herrn Reichsrats Grafen Franz Assisi von Meerwarth

Wenn der Herr Rittmeister von Vogelschrey mich gewürdigt hat, dies kurze, kaum zehn Minuten abzuschätzende Zeitintervallum nach seiner Unterredung mit dem Grafen Oetsch durch meine Beobachtungen auszufüllen, so mag selbiges seinen Grund darin finden, daß der Graf, par hasard wahrscheinlich, sich bemüßigt sah, in der großen Halle just in dem Sessel neben mir Platz zu nehmen und en face zu mir zu causieren, und daß, sotanem Placement zufolge, ein greiser gläubiger Christ und Kreuzesanbeter wie meine Niedrigkeit aus dem ersten Hauch seines Mundes die fürchterliche Offenherzigkeit vernehmen mußte, mit der er unsern ganzen Cercle in Embarras brachte.

Um mich nicht allzu umständlich zu gebärden, möge vorausgesandt sein, daß wir, ehe der Herr Johann Preisgott uns die schätzenswerte Auszeichnung seiner Gegenwart gab, nach ursprünglicher, vom Kobold des Weines entfachter Heiterkeit, allmählich verstummt und beklommen und mit einer erkünstelten, gefälligen Glattheit der Mienen beisammen saßen. Lügen müßte ich, wollte ich melden, daß mir Gutes schwante. Denn männiglich wußte den Wagen mit den späten Gästen unterwegs. Ich zog in hohler Hand meine Uhr zu Rate, und siehe: der unerbittlich wie Vater Kronos im Vorrücken sich selbst in Form der Zeit verschlingende Zeiger wies nur noch neun Minuten und dreißig Sekunden bis zur neunten Stunde.

Als ich meine Uhr wieder im Gilet verwahrte, fing ich einen Blick des Herrn Kämmerers von Höllring ab, der nicht minder auf die große Wanduhr abzielte. Sie wies nur noch neun Minuten. Durch zwei Türen hörten wir etliche Male die erregte – ich sage nicht zu viel: die beschwörende Stimme unseres trefflichen Vogelschrey. Spärlich und spöttisch, einsilbig, mit dem Gleichmut des Aventuriers und Faro-Bankhalters, die Repliken des Herrn Grafen Oetsch. Des lieben Rittmeisters Hausehre, die gute Centa, hielt, so dünkte es, Schweigen für des Weibes besseren Teil.

Dann wurde es drinnen wieder grabesstill und, um das lähmende Silentium bei uns in der Halle zu brechen, begann ich mit dem Herrn Professor Dr. Langpointner, einem hirschgerechten Weidmann, eine Konversation über die kirchenpolitischen Materien im Landtag, zu dessen Beratungen wir beide, er in die Zweite Kammer, meine Wenigkeit aber in die Kammer der Reichsräte, morgen mit dem ehesten mit dem Pflichtgefühl des Patrioten nach München zurückzureisen hatten. Der Herr Landrichter, der scharfsinnige und erfahrene Herr Ritter von Söller, gab uns die Ehre und hörte zu. Doch aber konnte sich das Auge des vorzüglichen Beamten nicht von der Uhr an der Wand trennen. Es waren nun noch fünf Minuten vor neun. Draußen war eine taghelle Vollmondnacht. Ein grelles, weißes, beinahe schmerzhaftes Mondlicht goß seine Strahlen über den Hof. Plötzlich ging ein Zucken durch unsere Sozietät. Ganz von weitem, aus dem Wald, klang ein schwacher Peitschenknall. Nach kurzem, etwas näher, ein zweiter. Es waren nur noch vier Minuten bis neun. Diese Ankömmlinge, die sich da meldeten, besaßen jene vielgenannte Höflichkeit der Könige: sie waren pünktlich.

In diesem Moment präsentierte sich der mehrgemeldete Graf Oetsch, den ich – leider! – von Jugend auf als einen Vaurien und Libertin und rechten Widerpart seines gottseligen Bruders kenne – unversehens in unserer Mitte! Wahrlich, ihr Freunde: dieser Graf sollte nicht Preisgott, sondern Preisgottseibeiuns heißen! Er kam guter Dinge, mit raschen Schritten, aus dem Kabinett des armen Vogelschrey, warf sich in den Fauteuil neben mir und sagte lachend: »Der Rittmeister is ganz ein Schlauer: der möcht' mich jetzt bei Nacht und Nebel auf den Schwarzen oben am End' der Welt hinausschicken, der Spitzbub!«

Der Herr von Vogelschrey war ihm auf dem Fuß gefolgt. Er war so marode, daß er winkte, man solle ihm ein Glas kaltes Wasser bringen. Es war seine Gewohnheit wie die vieler Jagdherren, daß er sich immer von seinem Leibjäger als Valet de Chambre bedienen ließ. Wie ihm der uns wohlbekannte Anderl Gschwendtner seinen Gänsewein frisch vom Schloßbrunnen kredenzt, hat der fesche, schmucke Bursch die obigen Worte aufgeschnappt und sagt unterwürfig, aber mit einer kaum verhaltenen Schadenfreude unter dem schwarzen, aufgedrehten Schnurrbärtchen und mit einem haßerfüllten, wahrhaft italienischen Seitenblick zu dem Grafen Oetsch hinüber: »Ich wollt' es dem Herrn Rittmeister erst morgen melden, um Euer Gnaden nicht den Abend zu verstören ... Der Forstmeister läßt dem gnädigen Herrn Rittmeister rapportieren, daß der Schwarze seit zwei Nächten nicht mehr schreit! Das ganze Revier am End' der Welt ist totenstill. Ein Wilderer, vermeldet der Forstmeister devotest, müsse früher aufgestanden sein als der schöne Kapitalhirsch!«

»Der Filzenschuster!«

»Der Schubiak! Der Elendige!«

»Fangt's ihn!«

So liefen unseres Vogelschrey Gäste alle wirr durcheinander. Denn zünftige Ritter von der grünen Farbe waren wir alle, ob alt oder jung, und solch schnöder Wildfrevel schnitt jedem ins Herz. Mitten in den Lärm jedoch klang ein befremdliches Lachen aus vollem Halse, und der Graf Johann Preisgott – wahrlich: nur mit christlicher Überwindung der widerwilligen Feder merke ich immer wieder bei diesem Mann den Vornamen Preisgott an! – der Johann Preisgott Oetsch lehnt sich weit im Sessel zurück, schaut rückwärts über die Schulter recht ergötzt zu dem Rittmeister, dem wackeren Schloß- und Jagdherrn, auf und meint: »Du siehst, Freunderl: das Schicksal will nicht, daß du mich los wirst!«

Freund Vogelschrey, der Ruhige, wäre sonst, als wahrer Vater seiner Waldkreaturen, außer aller Contenance darüber geraten, daß ihm, am Vorabend eines vorhabenden Jagdgangs, schnöde Wildererhand den geweihten König der Berge auf die Decke gelegt. Nun jedoch war sein stilles und menschenfreundliches Antlitz zu verstört, als daß sein Sinn solchen Wallungen gerechten Zorns hätte Raum geben können. Nein: dieser Sinn sah schon, wie en clairvoyance, den Reisewagen des Ehepaares Safferstätt seinem Schlosse nahen, und der Zeiger der Uhr stand nun schon auf sieben Minuten über neun, und ein Peitschenknall unterbrach, beinahe schon neben unseren Ohren geschmitzt, draußen das ehrfürchtige Schweigen der Nacht.

Der Graf Oetsch aber lachte wieder und schlug ein Bein übers andere. »Es steht in den Sternen geschrieben, daß ich bleiben soll!« sprach er. Ihm antwortete die Wortlosigkeit der Mißbilligung. Sie zu entkräften, hob er heftig sein abenteuerliches Haupt, daß die Schnurrbartenden flogen, schaute, mit mir beginnend, von einem zum andern im Kreise und versetzte laut und langsam, jede Silbe betonend, wörtlich so, wie ich es, noch in der Erinnerung fröstelnd, hier niederschreibe:

»Ich muß bleiben! Meine Schwägerin Mette bildet sich ein, ich sei schuld am Tod ihres Mannes! Wenn ich jetzt vor ihr davonlauf', so setze ich damit selber Schrift und Siegel unter den Verdacht! Bei meiner Frau Schwägerin und bei euch! Ach geht's! Redet nicht! Ich weiß ja, was ihr denkt!«

Sprach so die Unschuld? Sprach so der Zynismus des Mörders, der sich vor Menschenrache sicher wähnt – der, innerlich hohnlachend, sich dadurch mit seiner Tat brüstet, daß er sie ableugnet? Mir murmelte ein warnender Dämon ins Ohr: Wer's so aussprechen kann, der hat's getan! Doch ihn überdröhnte die Stimme vom Kreuz des Herrn: Richtet nicht, auf daß ihr nicht gerichtet werdet!

Eine Erfahrung meines siebzigjährigen Lebens sagte mir: Wie dem auch sei – nun ist das Veschwörungswort laut ausgesprochen! Die Geister sind gerufen! Wenn man die Dinge beim Namen nennt, dann leben sie! Die Toten stehen auf und wandeln! Graf Peter-Paul weilt jetzt unsichtbar in unserer Mitte und wird sich nicht eher wieder zur ewigen Ruhe legen, bis daß die Gerechtigkeit sich erfüllt hat und sein Mörder nicht mehr in irgendwelcher unbekannten Gestalt die Menschheit beleidigt!

Lasset mich zu Ende eilen, ihr Freunde, die ihr die Blätter zu diesem Memoire zusammentragt, und verzeihet lächelnd die Geschwätzigkeit des Alters! Graf Oetsch saß, nachdem er obiges hatte verlauten lassen, aufrecht und kaltblütig neben mir, der ganze Mann starr und gesammelt, mit dem festen und aufmerksamen, kampfbereiten Blick einer Schildwache nach dem Eingang, derlei die Schleier der Nacht quasi teilenden und durchdringenden Gesichtsausdruck ich aus den Buonaparteschen Campagnen meiner Jünglingsjahre im Gedächtnis bewahre. In der Türwölbung aber erschien der Haushofmeister und meldete seinem Herrn:

»Herr Baron und Frau Baronin von Safferstätt sind soeben vorgefahren!«


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