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Bericht des Kunstmalers Franz Salvermoser aus München

Mein Freund, der Rittmeister von Vogelschrey, hat mich an das Turmfenster auf der Wendeltreppe hingestellt und ernst den Finger gehoben und gesprochen:

»Franzl! Schau da hinunter, und dann sag' uns, der Centa und mir, was du gesehen hast. Denk' nicht: das ist nicht deine Sach'! – sondern sperr' deine Augen auf, deine Maleraugen! Vielleicht ahnst du mit ihnen, was wir nicht wissen können!«

Also gut! Ganz habe ich ihn nicht verstanden! Was ging mich schließlich der Herr Baron und die Frau Baronin da unten an? Wenn's noch der Graf Oetsch gewesen wär'! Ein z'widerer Kerl, aber doch einer, bei dem die Natur, als wäre sie der alte Rembrandt selber, alles in einem wunderlichen Helldunkel gehalten hat und warme Goldtöne von Abenteuerlichkeit und Geheimnis darüber. Aber zwei so respektable, hochwohlgeborene Herrschaften wie das Ehepaar Safferstätt – Aristokraten, wie halt Aristokraten sind – die gewiß keinen Feind im Leben haben, und die sicher noch niemandem im Leben etwas zuleid getan haben! Und überhaupt wahrscheinlich noch nie was getan haben! – Wenigstens er ...

Wozu er auf der Welt war, das hat er gewiß noch keinem verraten und selber nicht gewußt. Er war halt da und konnte nichts dafür. Sein Gesicht war seine Entschuldigung. Eines von denen, die ein Maler schon wieder vergessen hat, eh' er noch wegschaut.

Aber sie – die süße kleine Frau mit dem aschblonden Nixenhaar und der lächelnden Schwermut in den bergseeblauen und bergseetiefen Augen und der sanften, leidenden Ergebung in der Art, wie sie den Nacken geneigt trug und die Füße voreinander setzte und einem die Kinderhand reichte – ein, zwei Dutzendmal hatt' ich seit gestern schon oben in meiner Stube das zarte Profil mit Bleistift aufs Papier geworfen und die Dreiviertel-Ansicht umrissen und von vorn den innigen, verschleierten Augenaufschlag unter der mädchenhaften Stirne und die krausen Löckchen um die Ohren – alles aus dem Gedächtnis, und hab' geglaubt, ich hab's, und wie ich sie jetzt da unten habe stehen sehen, habe ich gemerkt, daß die ganzen Skizzen verhauen waren, und daß der kleine, feine, vornehme Kopf mit den beweglichen Nasenflügeln und dem weichen, wechselnden Mienenspiel gar nicht so leicht zu fassen war.

Denn jetzt war die schöne junge Baronin wieder ganz verändert. So wie ich sie gestern nicht im Traum gesehen hab'! Da war sie bleich und leidend und abgespannt gewesen. Sie hatte ein paarmal in sich zusammengeschauert, als fröre sie oder habe Angst. Nun war da unten eine hingebende Wärme in ihrem Wesen. Das war nicht nur die Herbstsonne, die ihr weißes Kleid hell überfloß und aus ihrem vom Wind zerzausten Seidenhaar einen Strahlenkranz um ihren bloßen Blondkopf wob. Nein. Das Leuchten ist ihr von innen gekommen. Das war die Seele selber, die ihre Hände lenkte, wie sie sich in einer flehenden Innigkeit vorbeugte und ihre Hände ihrem Mann entgegenstreckte.

Er hat die Hände genommen, gedrückt, stumm an die Lippen gezogen, ergebungsvoll wieder sinken lassen und fest, fest in den seinen gehalten. Die beiden haben sich angeschaut, ernst, andächtig, so wie man vor Heiligenbildern steht, einer vor dem andern. Der Baron Safferstätt schien mir in dem Augenblick schön, so veredelte ein tiefer Schmerz oder eine Fügung in etwas Unabwendbares sein sonst so nichtssagendes, manchmal beinahe rohes Gesicht.

So haben sie gestanden, wie zwei Menschen, die im innigen Vertrauen zueinander ein Leib und eine Seele sind! Sie hat ihren Arm um seine Brust gelegt und er seinen Arm um ihre Schulter. So sind sie langsam, sich umschlungen haltend, aneinandergeschmiegt und einander unverwandt anblickend, in das Schloß getreten und in dem dunklen Ganggewölbe unten verschwunden.

Ich bin zurück zum Rittmeister von Vogelschrey und seiner Gemahlin. Die beiden lieben Menschen sind mir gespannt und aufgeregt bis an die Türe entgegengekommen. Die Augen der Frau Centa haben vor Unruhe geglänzt und gefiebert. Er hat geforscht:

»Franzl! Hast was gesehen??«

»Das glaubst!« sag' ich auf gut Münchnerisch.

»Was denn? Sprich!«

»Sagen Sie's halt, wie's is!« drängte die Frau von Vogelschrey.

»Das will ich gern!« sprech' ich da und lache. »Denn ich hab' keine Sünde nicht gesehen, sondern das gerade Gegenteil, woran Gott seine helle Freude hat!«

»Wieso?«

»Ja – weil der Herr und die Frau von Safferstätt Mann und Frau sind und die Ehe doch ein rechtes christliches Sakrament ist!«

»Was sind das für Sprüch'!«

»Keine Sprüch', mein Lieber, sondern die reine Wahrheit: Ich hab' schon viele Eheleute gesehen und schon viele Leut', die ineinander verliebt waren, ohne daß sie Eheleute waren! Aber zwei Eheleute, die so ineinander verliebt waren wie die beiden, hab' ich bis dato noch nicht gesehen!«

»Was?« schreit die Gnädige mit großen Augen. Ihr Mann packt mich am Arm.

»Franzl – bist narrisch geworden?«

»Ganz und gar net!« sag' ich arglos. »Freut's euch doch, daß sich der Herr Baron und die Frau Baronin so lieb haben! Das ist ein Gott wohlgefälliges Exempel in dera verderbten Zeit, tät' der Pfarrer sagen!«

»Du meinst, sie haben sich lieb?«

»Gefehlt! Ich mein' mehr! Liebhaben ist da ein armes Wort. Der Herr und die Frau von Safferstätt – die lieben sich, wie sich nur zwei Menschen auf unserer buckleten Welt lieben können!«


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