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XXI

Diktat der Pauline Engelbrecht, genannt Poletta, aus Wasserburg am Inn, damals Jungfer bei der Frau Baronin von Safferstätt, nunmehr Metzgermeistersgattin in München, d. d. 9. Oktober 1853

Ich erzähle es dem gnädigen Herrn Rittmeister akkurat so, wie es vor drei Jahren sich so staunend zugetragen hat, und wie ich es nicht vergesse, und wenn ich hundert Jahre alt werde. Der Herr Rittmeister darf es schon ruhig aufschreiben. Diesmal lüge ich nicht. Vorige Woche, das erstemal, habe ich schon gelogen. Nachher bin ich, auf den Sonntag, in die Beichte zu den Kapuzinern gegangen. Da ist der hochwürdige Herr Beichtvater böse geworden, daß ich gelogen habe, und hat mir angeschafft, daß ich gleich hingehe und dem Herrn Rittmeister die volle Wahrheit sage, und wenn ich auch zugeben muß, daß ich damals an der Türe gehorcht habe.

Ich war den ganzen Tag, an dem in Vogelöd das Unglück angefangen hat, als Jungfer um die Frau Baronin Mette Safferstätt herum. Die Frau Baronin hat ihre Gastzimmer oben im Schloß des Herrn Rittmeisters nicht verlassen. Gegessen hat die Frau Baronin nicht. Getrunken hat die Frau Baronin nicht. Frisieren hat sich die Frau Baronin nicht von mir lassen wollen. Aber gebetet hat die Frau Baronin in einem fort. Dazwischen hat sie geweint. Ich soll fleißig auf den Gang hinaus und nachschauen, ob der Pater Faramund nicht kommt, hat die Frau Baronin gesagt und dazwischen gestöhnt und getrauert und die Hände gerungen und gerufen: »Ich habe ja nur zur Hälfte gebeichtet. Er weiß noch nicht alles. Er weiß das Ende noch nicht. Eine halbe Beichte ohne Vergebung. Das ist ja schrecklich.«

Das ist gewiß schrecklich. Der hochwürdige Herr Kapuziner hat mir gestern auch gesagt: »Du Lugenschippel kommst leicht ins Fegfeuer, bald du nicht flugs die Wahrheit sagst!«

Darum sage ich dem Herrn Rittmeister jetzt die Wahrheit.

Nach dem Herrn Baron von Safferstätt hat die Frau Baronin damals nicht gefragt. Der Herr Baron ist in die Halle hinuntergestiegen gewesen, um da Nachmittagskaffee mit den anderen hohen Herren zu trinken. Nur nach dem Pater Faramund hat die Frau Baronin gefragt. Da bin ich fleißig auf den Gang hinaus und habe nachgeschaut.

Aber der Pater Faramund ist nicht gekommen.

Und der Domestike Baptist, der vorbeigekommen ist, hat mir gesagt: »Den Pater Faramund haben sie totgeschlagen und verräumt.« Da bin ich erschrocken.

Aber der Herr Landrichter von Söller ist gekommen. Derselbige, der mit mir am Morgen geredet und mich gefragt hat, ob ich nicht in München den Haberermeister, den Fröschel von Hub, kennte, und ich habe mir gedacht: Das geht dich einen Dreck an! und habe dem Herrn Landrichter gesagt: »Ja. Zu dienen! ... Ich kenne ihn schon!« weil er doch ein Landrichter ist und die menschliche Gewalt über sich hat.

Der Herr von Söller hat eine Depesche in der Hand gehalten und war recht aufgeregt und ist zu mir getreten und hat mich fest angeguckt, nicht wie sonst die Mannsbilder unsereinen angucken, sondern schon recht streng, so als ob er mich verhören wollt', und hat gesagt:

»Poletta! Wann haben's den Fröschel von Hub zuletzt getroffen? Hand aufs Herz!«

»Vor drei Wochen, Herr Landrichter! Vor der Hauptwache am Marienplatz in München.«

»Was haben's ihm da erzählt?«

»Halt so ... daß wir am nächsten Sonntag nicht miteinander auf die Oktoberwiese hinaus könnten, weil wir Ende der Woche heim aufs Land gingen, und dann zu Besuch auf das Schloß Vogelöd, sowie eine Nachricht vom Pater Faramund da wäre, daß er auch dorthin käme.« »Woher haben's denn überhaupt was vom Pater Faramund gewußt, Fräulein Poletta?«

»Ich habe immer die Briefe auf die Post getragen, die die Frau Baronin dem Pater Faramund nach Italien und dann nach dem Kloster Maria Stern geschrieben hat, und die Frau Baronin hat mir beim Frisieren immer von dem Inhalt, und was der Pater geantwortet hat, erzählt und gesagt, das sei ein ganz ein frommer Mann, und sie hätte schon rechte Sehnsucht nach ihm!«

»Und das haben's alles dem Haberfeldtreiber, dem Fröschel von Hub, wieder berichtet?«

»Freilich.«

»Warum?«

»Weil er's hat wissen wollen, Herr Landrichter!«

»Was geht das den Haberer denn an?«

Ich habe lachen müssen und habe gesagt:

»Eifersüchtig ist er halt gewesen, der Xaver, Herr Landrichter! Er hat immer gemeint, ich halte es heimlich noch mit irgendeinem anderen, und da habe ich ihm immer haarklein erzählen müssen, wo ich mit der Frau Baronin hinreise, und wo wir bleiben, und was ich da treibe!«

»Haben's seitdem etwas von dem Fröschel gehört?«

»Mit dem Schreiben geht's dem bös von der Hand. Wir haben uns versprochen, daß wir uns abends auf dem Platzl treffen, wenn ich jetzt wieder mit der Herrschaft nach München komme!«

»So, so!« hat der Herr von Söller gebrummt und hat ein sehr ernstes Gesicht gemacht und ist weggegangen, seine Depesche in der Hand. Weiß nicht, was drin stand.

Da bin ich wieder zu der Frau Baronin und habe sie trösten wollen und habe gesagt: »Ich glaube, mit dem Pater Faramund ist's gar!« Da hat sie wieder geweint.

Da ist es aber schon dunkel geworden. Da ist der Herr Baron wieder aus der Halle heraufgekommen. Der hat auch nicht froh hergeschaut. Der hat mir mit der Hand gewinkt: ich soll mich wegscheren, weil ich vielleicht zu viel im Zimmer bin. Da bin ich in das Vorzimmer hinausgegangen und habe mich da hingesetzt und habe genäht.

Drinnen haben sie immer leise und aufgeregt miteinander geredet, die Frau Baronin und der Herr Baron. Ich habe kein Wort verstehen können. Das hat mich gekränkt. Da bin ich aufgestanden und bin an die Tür geschlichen und habe mich da gewissenhaft hingestellt und gehorcht. Das habe ich dem Herrn Rittmeister vorige Woche nicht gesagt. Darum hat der hochwürdige Herr Kapuziner gesagt, ich sei schon ein Lugenschippel. Darum sage ich dem Herrn Rittmeister jetzt die Wahrheit und habe auch fünfzig Rosenkränze gebetet, zu wegen dem Fegfeuer.

Da habe ich an der Türe gestanden und den Atem angehalten. Das habe ich damals oft getan und gehorcht. Das war nicht recht, und da wäre ein Ochsenfiesel schon gut gewesen, um mich zu vertreiben. Aber ich habe trotzdem nichts verstehen können und bin traurig gewesen.

Da hat die Frau Baronin innen auf einmal lauter geredet und laut und feierlich gesagt: »Ich schwöre dir bei Gott, Gaudenz: Ich habe keinem anderen Menschen auf der Erde jemals ein Wort davon gesagt als jetzt in der Beichte dem Pater Faramund! Und auch dem noch nicht das Letzte!«

Da war es still.

Dann hat der Herr Baron gesagt: »Aber genug hast du ihm schon gesagt! Das muß sich der Pater Faramund irgendwie aufgeschrieben oder für seine eigene Gewissenserforschung Betrachtungen darüber niedergeschrieben haben, in dem Gedanken, daß sie kein menschliches Auge je zu sehen bekommt und er sie gleich wieder im Ofen verbrennt!«

Da war es wieder still.

Dann hat der Herr Baron gesagt: »Das muß der Oetsch nebenan gemerkt haben und hat natürlich gewußt, daß er von dem Pater Faramund, solange der lebt, das Beichtgeheimnis niemals erfährt.«

Da war es noch einmal still.

Dann hat der Herr Baron gesagt: »Da hat der Oetsch den Pater Faramund gestern mittag zwischen zwölf und zwei, wie der seine Aufzeichnungen machte und das ganze Schloß leer war, ermordet und beiseite gebracht und die Aufzeichnungen geraubt. Jetzt weiß er's und wissen's bald auch alle andern.«

Nach einer Zeit, so lange, als man ein Paternoster aufsagt, hat der Herr Baron gesagt: »Er spielt ja seit heute mit mir wie die Katze mit der Maus!«

Indem ist der Herr Baron auf die Türe zugegangen. Ich habe die Schritte gehört und mich schnell auf meinen Stuhl gesetzt und die Untertaille der Frau Baronin vorgenommen und genäht. Jetzt habe ich nichts mehr hören können. Da bin ich traurig geworden. Jetzt muß ich schon die Wahrheit sagen, weil sie es mir bei den Kapuzinern angeschafft haben. Ich bin wieder auf den Fußspitzen an die Türe hin, obschon das gefährlich war, wenn der Herr Baron plötzlich die Tür aufmacht, und jetzt habe ich deutlich gehört, wie er innen gesagt hat: »Aber ich erhole mich jetzt von dem Schrecken! Ich sitze nicht mehr so dumm da, daß sie mit den Fingern auf mich weisen. Ich wehre mich jetzt gegen den Oetsch!«

Ich habe gehört, wie der Herr Baron im Zimmer auf und ab gegangen ist. Das war gut. Da habe ich frischer horchen können. Er ist stehen geblieben und hat gesagt:

»Ich greife ihn jetzt an, statt er mich! Er ist jetzt nicht da! Da habe ich den Vorteil! Wer redet, hat recht!«

Die Frau Baronin war ganz still. Die war ganz auseinander. Der Herr Baron ist wieder in dem Zimmer umeinander gegangen. Dabei hat er gesagt:

»Ich komme dem Oetsch zuvor! Das ist jetzt unsere einzige Rettung vor ihm! Wenn er mir einen Mord vorwirft, den er mir nicht beweisen kann, dann klage ich ihn eines Mordes an, der sich von selber beweist! Des Mordes an dem Pater Faramund! Den kann nur er begangen haben und kein anderer! Das sagt sich jeder hier im Schloß!«

Ich habe den Herrn Baron oft lachen hören. Das hat er gern getan und war ein freudiger Herr. Aber jetzt hat er anders gelacht. Er hat so gelacht, wie man aus Bosheit lacht.

»Ich weiß auch den Grund, weswegen er den Pater Faramund abgekragelt hat!« hat er höhnisch gesagt. »Den Grund werde ich vor allen Leuten nennen und damit alles das Geschreibsel entkräften, das er dem Pater, wie der tot war, weggenommen hat, und das er gar nicht vorzeigen kann, ohne sich selbst des Mordes an dem Pater zu überführen. Deswegen raunt er mir auch nur Andeutungen ins Ohr, die die anderen nicht hören dürfen, aber ich werde laut reden, daß es jeder hört!«

Der Herr Baron ist auf die Türe zugegangen. Dabei hat er drinnen gesagt: »Einer von uns bleibt jetzt auf der Strecke! Aber nicht ich, sondern der Oetsch!«

An der Türe hat er noch einmal so leise, daß ich es kaum verstanden habe, und drohend zu der Frau Baronin gesagt: »Und du, Mette, schweigst! Schweigst wie das Grab, wenn dir unser Leben lieb ist!«

So hat er gesagt. Er hat alles ungefähr so gesagt, wie ich es jetzt, dem Herrn Rittmeister diktiert habe. Es kann leicht sein, daß er es auch ein wenig anders gesagt hat. Aber gemeint hat er alles so, wie ich es jetzt erzählt habe. Das hat sich mir zu sehr eingeprägt, wenn ich es auch nicht ganz verstanden habe und der Herr Rittmeister ja jetzt meinen, das sei ein Glück für mich, und ich habe es mir zu oft seitdem in den drei Jahren in meinem Kopf wiederholt, und der Herr Baron hat schon das alles so gesagt, wie ich es jetzt gesagt habe.

Die Klinke an der Türe hat sich bewegt. Da habe ich schon am anderen Ende vom Vorzimmer auf meinem Stuhl gesessen und brav genäht und nicht aufgeschaut, bis der Herr Baron von Safferstätt mit seiner gewöhnlichen Stimme gesagt hat: »Poletta! Schauen Sie mal nach, wo der Max mit meinem Anzug herumschlampt! Es ist Zeit, daß ich mich zu Tisch umzieh'!«

Jetzt bin ich gesprungen und habe den Diener geholt. Der hat den Anzug gebracht, und der Herr Baron hat ihn angezogen und ist hinuntergegangen in den Saal. Aber die Frau Baronin ist nicht mit ihm gegangen. Die ist oben geblieben und hat mir auf meine Frage, ob sie denn gar nichts essen wolle, nicht geantwortet und hat dagesessen wie eine Tote.


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