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XIII

Aufzeichnung von Centa von Vogelschrey

Die Feder zittert mir in der Hand, indem ich sie zur Niederschrift des Kommenden ansetze. Aber der Poldl, mein lieber Mann, will es nun einmal. Er möchte die Vorfälle jener Tage lückenlos wie Perlen an einer Schnur aufreihen, und wenn Perlen, wie man sagt, Tränen bedeuten, dann hat die alte Rede wahrlich recht.

Der Haushofmeister, unser alter, grundehrlicher Rubesoier, hatte sein Sprüchlein von der Ankunft des Paters Faramund aufgesagt und stand nun wartend da. Ich war allein mit der Mette Safferstätt im Zimmer. Sie saß neben mir in einem Armstuhl, die Hände auf den Lehnen, die zarte Gestalt wie durch innere Willenskraft aufrecht. In den Nacken hatte sie sich ein Kissen geschoben, das ich mir einmal aus einer alten Kirchenbaldachin-Decke gemacht habe. Das umflammte im gelben Lampenlicht feurig-purpurn ihr feines, weißes Gesicht und das überreiche, darüber hochgewellte, mattblonde Haar. Sie sagte, ohne eine Sekunde zu überlegen, ganz ruhig: »Bitte, melden Sie dem hochwürdigen Herrn, ich ließe ihm herzlich danken, daß er gekommen sei, und führen Sie ihn in einer Stunde, wenn er so weit ist, zu mir!«

Der Rubesoier ging, und die Mette tat, als sei weiter gar nichts Besonderes geschehen, und fing an, von allerhand gleichgültigem Zeug zu reden. Ich war so verdutzt, daß ich mir nichts dagegen zu sagen getraute. Ich bin nun einmal so, daß ich schwer gegen andere einen Willen aufbringe, wenn die nur fest auf ihrem Kopf bestehen. Ich bin zu weich von Natur. Ich bin recht froh und dankbar, daß ich so einen guten Mann habe, der meine Schwäche nicht mißbraucht, sondern mich im Leben stützt und hält.

Aber jetzt war er nicht da, und ich habe mich also der Mette, dem süßen, blonden Eigensinn, untergeordnet. Wie ein verführerisches Bild hat sie ausgesehen, im hellen Ausschnitt des Lampenlichts, die düsteren, schwarzen Schatten dahinter, unmittelbar über ihrem Haupt, und das sanfte, leidende Lächeln auf ihrem schmalen, lieben Gesichtel. Ich wundere mich nicht, daß sich alle in sie verlieben, nicht nur die Männer, sondern auch die Frauen. Ich auch. Gerade deswegen hätte ich ihr ja so gerne geholfen und hätte für mein Leben gern gewußt, was sie hinter der glatten, weißen, niederen Stirne für Rätsel mit sich herumträgt, und habe mich doch nicht unterstanden, zu fragen. Denn ich kenne meine Mette. Gerade die sanftesten Menschen sind oft in ihrer Sanftmut die hartnäckigsten. Wenn die Mette etwas nicht sagen will, dann kriegt man es auch nicht mit Gewalt aus ihr heraus. Dann zieht sie sich nur ganz in sich zurück und schaut einen unschuldig wie ein Kind aus ihren tiefen blauen Augen an, was man denn eigentlich von ihr wolle ...

Mir war's nicht geheuer zumute, wie ich der Mette in Gottes Namen den Gefallen getan und länger als eine halbe Stunde mit ihr von allem möglichen geschwatzt hab', was halt junge Frauen miteinander schwatzen, wenn sie beisammen sitzen und Handarbeiten machen. Wir haben zwischen Seidenflöckchen und Wollgarn von meinen Kindern geredet und von Verwandten, obwohl mir dabei die alten, ledernen Onkel und Tanten vor den Augen getanzt haben, und von unseren Dienstboten, ihrer verliebten Jungfer, der schwarzen Poletta, und ich glaube gar, schließlich vom Wetter und wie man einen alten Auerhahn nach einem Kloster-Rezept genießbar macht, und so war es bald ein Viertel vor elf, und die Mette ist rasch entschlossen aufgestanden und hat sich die Falten am Kleide gerade gestrichen.

»Jetzt darf ich aber schauen, daß ich zu mir hinüber geh'«, sagte sie. »Das wäre ja noch schöner, wenn der Pater Faramund kommt und ich bin nicht da!«

Von ihrem Mann, dem Gaudenz, hatte sie die ganze Zeit wieder kein Sterbenswörtchen geredet. Der war wieder versunken wie der Stein im Teich. Es schien ihr ganz gleich, wo er sich augenblicklich aufhielt, und ob er überhaupt auf der Welt war.

Ich begleitete sie zur Türe.

»Ja – geh nur!« sagte ich. »Und ich hieße den Pater Faramund herzlich bei mir willkommen, und ich freute mich, ihn morgen selber kennen zu lernen ...«

»Ich werd's ihm herbeten!« spricht sie geistesabwesend. Ihre Gedanken waren ganz wo anders.

»... und ich hoffte, ein so frommer Mann wie er brächte Glück und Segen in unser Haus!«

Die Mette lachte laut.

»Mette, was heißt denn das? Nimm dich doch zusammen! Du machst ja ein ganz leichtsinniges Gesicht. Das ist doch keine Vorbereitung für eine Zusammenkunft mit einem Klostervater.«

Sie hatte immer noch den verräterischen Zug um die zuckenden Lippen. Gefallen hat er mir nicht. Er machte sie ganz fremd. Es war ihr auch nicht ernst mit der Heiterkeit. Sie spielte nur mit sich und mit mir. Das merkte ich wohl. Ich sagte entrüstet:

»Mette! Schäme dich doch! Aber einen Pater zu lachen, der noch so gut ist und stundenweit zu dir herkommt!«

Darauf sie, betroffen:

»Über den Pater lach' ich doch nicht! Da sei Gott vor!«

Und sie bekreuzigt sich dabei rasch und unwillkürlich, wie um eine Sünde von sich abzustreifen.

»Ja – über was lachst du denn hernach?«

Jetzt wurde ihr Lächeln bitter, halb verzweifelt.

»Daß du noch von Glück und Segen sprichst«, sagt sie. »Du Tschaperl ... du ...«

»Wir wollen hoffen und zum lieben Gott beten!«

Und die Mette, immer mit dem mitleidigen, hoffnungslosen Kopfschütteln gegen mich:

»Ach du liebe Zeit: Glück und Segen! ... Katzel ... Katzel ... wie schaut's bei dir noch aus ...«

Mir wurde angst und bang. »Ich weiß ja bald selber nimmer,« sag' ich weinerlich, »bin ich nicht recht bei Trost oder ihr!« Und die Mette, die Hände auf meinen Schultern, mir starr ins Gesicht sehend, forschend, jählings in unterdrückter, wahnsinniger Angst, halblaut zwischen den Zähnen:

»Bist denn blind, Centa? Bist denn taub? Merkst denn nicht, daß das Unheil heraufzieht ... schnell ... reißend schnell wie eine Wetterwand?« »Jetzt ... wo der Pater Faramund jetzt endlich da ist ...?«

»Gerade deshalb ...«

»Was heißt denn das?«

»Hu ... Es donnert ja schon ... Es wird finster ... Es läuft einem kalt übern Leib ...«

»Mette ... Mette ... komm zu dir ...«

Ich hab' sie geschüttelt. Sie hat ganz große, vor Schrecken aufgerissene Augen gehabt. Ihre Lippen waren offen. Sie hat in sich geschaudert und am ganzen Körper gebebt. Ich habe gedacht, sie wird mir mitten im Zimmer ohnmächtig, und habe ihr den Arm um die Taille gelegt und wollte sie zum Sessel führen. Aber sie hat meine Hilfe ungeduldig zurückgestoßen und stand jetzt von selber ganz frei und aufrecht. Sie kam zu sich. Weiß war ihr Gesicht. Ganz steinern. Die Augen haben durch das Zimmer und die Türe und das Schloß irgend etwas in der Ferne gesehen. Das konnte ich nicht sehen. Nicht einmal ahnen. Ich stand ganz dumm und verschüchtert daneben und habe sie mit gefalteten Händen gebeten: »Mette – tu' mir die einzige Lieb' und beruhig' dich!«

»Ich bin ja sehr ruhig! Siehst ja, Katzel!«

»Du bist viel zu aufgeregt! – Da setz' dich her und trink ein Glas Wasser! Ich spring' unterdes hinüber ...«

»Wohin?«

»Zum Pater Faramund! Du könntest heut' nicht mehr mit ihm reden! Morgen ist auch noch ein Tag! Au! ... Mette ... au ... du tust mir ja weh ...«

Die Mette hatte mit einer Nervenkraft, als wäre sie der Johann Preisgott selber, meine Handknöchel mit ihren schmalen, weißen Fingern umklammert, um mich im Zimmer zurückzuhalten. Ich hatte Tränen in den Augen. »Mette! Ich schrei', wenn du mich jetzt nicht losläßt!«

»Nur, wenn du hier bleibst ...«

»Ja ... ja ...«

Jetzt war ich frei und blies mir auf das Handgelenk und schluckte Tränen, weniger vor Schmerz als vor Angst, und frug:

»Willst denn wirklich in der Verfassung mit ihm reden?«

Die Mette atmete feierlich aus tiefster Seele auf, wie ein erlöster Mensch.

»Ja. Endlich. Endlich!«

»Bist du so froh, daß der Pater da ist?«

»Ich küss' ihm die Hände!« spricht sie leidenschaftlich, mit verklärten Augen und sah wunderschön aus in dem Moment und breitet ergebungsvoll in einer herrlichen Bewegung ihre Arme aus, wie die Jungfrau Maria vor dem Engel des Herrn. »Ich knie nieder und küsse die Schwelle, über die er getreten ist. Er wird die Hand auf mein Haupt legen und mich segnen!«

»Das gebe Gott!« sprach ich, und es kam wieder ein klein bissel Ruhe in mein armes Gemüt und ein schwacher Hoffnungsstrahl: am End' wird doch noch alles gut! Und jetzt war ich es, die die Mette zur Türe hinausschieben wollte, damit nicht der Pater auf sie warten muß und sie am End' verstimmt empfängt, und wollt' ihr einen herzlichen Schwesternkuß auf den Weg mitgeben. Da hat die Mette sich plötzlich in der Türe umgedreht und mich selber umschlungen und geküßt, mit einer solchen Leidenschaft geküßt, daß ich gedacht hab', sie erstickt mich! Ich hab' mich gegen sie endlich wehren müssen, um nur zu Atem zu kommen! Ich hatte nicht im Traum geahnt, daß die sanfte, blonde Mette so wild und leidenschaftlich sein könnte! Das war mir ganz neu. Das hat mich geradezu erschreckt. Ich rang nach Luft. Da küßt sie mich noch einmal, mit heißen Lippen.

»Leb' wohl, Katzel! ... Leb' wohl!«

»Du reisest doch nicht ab, Mette!«

»Vielleicht doch! Weit! Weit! ... Noch diese Nacht!«

»Mette!« rief ich verzweifelt. »Was wär' denn das wieder! ... Jetzt laßt's mich doch schon aus! Das wird zu viel für meinen armen Kopf!«

Die Mette aber, ihr Gesicht dicht an meinem, daß ich ihren warmen, fliegenden Atem spürte, leise, jedes Wort betonend:

»Kann sein, Katzel, daß ich noch diese Nacht sterb'!«

Ich fahre zurück und schreie vor Schrecken:

»Mette! Mette! Bist bei Trost?«

Und sie nickt, traurig, aber jetzt schon eher ruhig:

»Ja, Katzel ... ja!«

»Du willst dich doch nicht umbringen?«

Große, vorwurfsvolle Augen drüben.

»Ich mich selber? Gott behüt' mich! Das wäre ja eine Todsünd'!«

»Ja aber dann ... I bitt' dich ...«

»Ich werde vielleicht umgebracht, Katzel!«

»Von wem – um Jesu willen – von wem?«

Die Mette schweigt.

»Es hat doch keine Räuber und Mörder im Schloß!«

Die Mette schweigt.

»Du armer Christenmensch hast doch keinem was zuleid getan?«

Die Mette schweigt. Ich fasse sie an den Schultern. »Mette! Wer sollte sich denn an dir, gerad' an dir, vergreifen?«

Die Mette schüttelt still den Kopf und macht mit der Hand ein abwehrendes Zeichen des Schweigens.

»Wenn mir was passiert, Katzel ...«

»Sei still! Sei still!«

»... dann tut's mir leid, daß du so viel Verdruß und Unruh davon hast ...«

»Was ist denn nur, bei allen Heiligen ..?«

»Aber ich kann nichts dagegen machen! Es geht alles seinen Gang ... dann sei mir nicht bös! Behalt' mich lieb! Gut' Nacht!«

Noch ein Kuß von der Mette. Dann ist sie, so rasch sie konnte, den halbdunklen Gang entlang und die Treppe hinunter und in ihr Zimmer, zu dem Pater Faramund.


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