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XVI

Aufzeichnung des Laquaien Baptist Geißböck, im Dienst bei Herrn Rittmeister von Vogelschrey auf Vogelöd

Ich heiße Johannes-Baptista Geißböck, bin einundsechzig Jahre alt, in Vogelöd geboren und katholisch getauft, verheiratet und habe fünf Kinder. Der hochwürdige Herr Pfarrer Thurmbichler in Vogelöd hat mir geholfen, auf Befehl meiner Herrschaft meine näheren Umstände fleißig aufzuschreiben. Sonst hätte ich es nicht vermocht. Ich bin zu steif mit den Fingern, um recht sagen zu können, was ich meine.

Mein seliger Vater war schon in hohen Vogelschreyschen Diensten. Ich selbst war schon in jungen Jahren Kammerknecht bei dem alten Herrn von Vogelschrey, dem in Gott ruhenden Vater des Herrn Rittmeisters, dann Offiziersdiener bei ihm, bei den Kürassieren in München, endlich, nachdem der Herr bald den Königlichen Dienst quittiert hat, durch dreißig Jahre bis heute Laquai in Vogelöd.

Ich habe den unteren Fremdenflügel unter mir, wo meistens die einzelnen Herren wohnen. Die meisten der Herren bringen ihren Bedienten mit. Der Herr Graf Oetsch tat das nicht. Er hat mir aber trotzdem wenig Mühe mit der Aufwartung gemacht. Er hat sich oft mit hoher eigener Hand Schuhe und Kleider in seinem Zimmer gereinigt und es gar nicht gern gesehen, wenn man sich zuviel um ihn herum aufhielt und unnötig dienstfertig war. Er hat in seiner leutseligen Art, mit der er mit uns Niedergestellten zu sprechen pflegte, als seien wir seinesgleichen, mir des öfteren kundgetan, er habe bei seinen vielen abenteuerlichen Reisen, die ihn bis zum Großtürken und unter die Menschenfresser geführt, auch keinen Valet de Chambre mit sich genommen und es sich zur Regel und Ordnung gemacht, sich selbst zu helfen. Wenn aber der Herr Graf mich dergestalt wenig in Anspruch nahm, so war er doch mit häufigen Trinkgeldern gegen uns freigebiger als alle die anderen Herren. Der Herr Graf zeigten sich darin gegen uns verschwenderisch großmütig.

Es ist mir aufgegeben, das, was ich an diesem Tage in meinem Dienst als Laquai erlebt habe, der Reihe nach, ohne einige Zutat von mir, kurz und schlicht anzusagen. Das will ich mit besten Kräften versuchen, so gut ein einfacher Mann es kann.

Morgens hatte ich viel zu tun. Die Herren standen alle fast gleichzeitig auf und gingen zur Jagd.

Ungefähr um die gleiche Zeit kam Herr Graf Oetsch bereits allein heim, wie er denn immer allein ging. Frühstückte auf seinem Zimmer. War müde. Gähnte. Sagte, er wolle jetzt schlafen, und ich möge ihn eine Viertelstunde, ehe zum Mittagstisch gegangen würde, wecken. Ich habe nun mit dem Madel die Fremdenzimmer gemacht. Zuletzt das des Herrn Pater Faramund. Zu diesem hochwürdigen Herrn kam zwischen neun und zehn Uhr die Poletta, das Kammermensch der Frau Baronin Safferstätt, und bat ihn im Namen der Frau Baronin, er möge sie aufsuchen.

Der Herr Pater ist zuvor noch einige Zeit im Park gewandelt und hat sein Brevier gelesen. Ich habe es, während ich seine Stube aufräumte, durch das Fenster gesehen. Dann hat es zu regnen angefangen, und Seine Hochwürden ist in das Haus und zu der Frau Baronin hinaufgegangen.

Etwa um das Mittagläuten ist er zurückgekommen. Ich hatte von dem Herrn Haushofmeister den Befehl, den Hochwürdigen zu fragen, ob er das Mittagmahl im Kreise der Gäste im Saal oder aber allein auf seinem Zimmer einzunehmen belieben werde. Der Herr Pater Faramund hat geantwortet: »Ich bedarf vorerst nichts. Ich bin gewohnt, zweimal in der Woche tagsüber zu fasten. Heute abend gegen sieben Uhr erbitte ich mir, wenn es sein kann, hierher eine frugale Kollation.«

Die Stimme des Herrn Pater hat dabei merklich gezittert. Er unterdrückte ein heftiges Atmen der Erregung. Sein Gesicht war sehr bleich, als hätte er sich über etwas heftig erschrocken. Er sprach über diese weltlichen Dinge von Speise und Trank mit einem geistesabwesenden Blick durch die Brille. Er holte sich das Sacktuch heraus und trocknete sich den Schweiß von der Stirne, obwohl es doch ein rauher und kalter Herbsttag war. Er hat sich hingesetzt, als ob ihn die Beine nicht mehr tragen wollten, und vor sich hingestarrt und schwer geseufzt und ist so in seine Gedanken versunken gewesen, daß er nicht mehr daran gedacht hat, daß ich noch im Zimmer war, und hat immer wieder mühsam Luft geholt und die Hand aufs Herz gepreßt und beinahe gestöhnt, daß mir der geistliche Herr leid tat. Denn er war auch nicht mehr der Jüngste und das konnte ihm nicht heilsam sein, wenn ihm etwas so grausam das Herz beschwerte.

Ich wollte leise aus dem Zimmer gehen. Da hat der Herr Pater sich meiner erinnert und mich zurückgewinkt und, als ich vor ihm stand, mit einer leisen Stimme und einem leidenden Gesicht sich vernehmen lassen: »Noch eines, mein Freund: Ich fühle mich recht mitgenommen und erschöpft!«

»Man sieht es Euer Hochwürden an!« wagte ich zu bemerken.

»Ich bedarf der Ruhe!«

»Ich werde dafür sorgen, Hochwürden!«

»Ich kann jetzt niemanden sehen. Auch Ihre hochverehrliche Herrschaft nicht! Wollen Sie bitte dem Herrn Rittmeister und der Frau Gemahlin bestellen, ich gedächte den Nachmittag hier für mich auf meinem Zimmer einsam in Sammlung und Gebet zuzubringen, ehe ich mich in späterer Stunde, wie denn schon mit ihr verabredet, wieder zur Frau Baronin von Safferstätt begäbe!«

»Sehr wohl, Euer Hochwürden!«

»Und Sie, mein Freund, lassen es sich angelegen sein, daß ich bis zu der bestellten Kollation um sieben von niemandem aufgesucht und gestört werde. Ich habe Ernstes, sehr Ernstes in mir zu erwägen ...«

So, als ob ich es nicht hören sollte, wie im Selbstgespräch, murmelte der Herr Pater fast lautlos zwischen den blassen Lippen vor sich hin: »Furchtbar Ernstes!«

»Hochwürden können sich auf mich verlassen! Niemand soll Euer Hochwürden Andacht in diesen Stunden stören!«

Der Herr Pater Faramund nickte mir dankbar zu. Damit war ich entlassen. Ich verbeugte mich und ging hinaus.

Die nächsten zwei Stunden ereignete sich nichts Besonderes. Kurz nach zwei Uhr kehrte ich, nachdem ich inzwischen im großen Saal drüben beim Tafeldecken geholfen, in meinen Gästeflügel zurück, klopfte, wie mir angeschafft war, an der Türe des Herrn Grafen von Oetsch und meldete ihm, daß um halb drei Uhr gespeist werden würde. Fast zugleich kehrten auch schon die ersten Herren von der Jagd heim. Bald darauf kam der Herr Graf aus seinem Zimmer und ging hinüber in die Halle, um die Herren zu begrüßen.

Ich habe bei Tisch mit bedient und dann abräumen geholfen. In der Küche sagte ich zu Herrn Rubesoier: »Ich will jetzt hinübergehn und schauen, daß der Pater auch wirklich seine Ruh' hat!« und der Herr Rubesoier hat gesagt: »Ist schon recht! Tu das, Baptist!« und ich bin also hinübergegangen in den Gästeflügel.

Gerade vor mir ist aber der Herr Baron Gaudenz von Safferstätt gegangen. Er ist die Turmtreppe herunter gekommen und ist brav schnell gegangen. Ich habe kaum so schnell gehen können wie er und habe mir gedacht: Wo geht der Herr Baron wohl so aufgeregt und hitzig hin? Er immer weiter. Auf einmal ist er pfei'gerad' vor der Türe vom Herrn Pater Faramund stehen geblieben und hat angeklopft – nicht so hat er angeklopft, wie man es bei geistlichen Herren tut, sondern schon recht grob, mit der geballten Faust. Gehämmert hat er schon, beim zweitenmal.

Ich habe einen schönen Schrecken gekriegt und bin gesprungen und habe vor der Türe außer Atem dem Herrn Baron gesagt: »Aber, Herr Baron! ... Was machen der Herr Baron denn da?«

»Das geht di an Schmarrn an!« hat der Herr Baron von Safferstätt heiß und grob geantwortet und hat wieder gepocht. Ich habe meinen Mut zusammengenommen und gesagt: »Der Herr Baron dürfen Seine Hochwürden jetzt bis zum Abend nicht stören!«

»Ob's d' gleich still bist!« hat er gesagt und wieder zweimal hintereinander an die Türe geschlagen, daß es durch den Gang geklungen hat, als würde frisch angezapft. Von drinnen hat niemand geantwortet, und ich habe gesagt: »Der Herr Baron müssen jetzt wieder gehen! Der Herr Baron sehen doch, daß der hochwürdige Herr Pater jetzt keinen Besuch leiden mag!«

»Nix seh' ich! Gleich bist fei' still, du alter Krauter – du damischer!« hat der Herr Baron gesagt und ganz wilde Augen gehabt und dunkelrote Backen und hat noch einmal geklopft und gespannt, ob sich drinnen was regt, und wie das nicht war, hat er zornig gelacht und nach der Klinken gegriffen.

Ich dazwischen! Mit dem Rücken vor die Tür! Die Arme ausgebreitet!

»Ich darf den Herrn Baron nicht hineinlassen!« habe ich gesagt. Da hat er mich schon am Livreekragen genommen und beiseite gestellt und hat die Türe aufgemacht, und die Türe war auch nicht von innen verschlossen, und er ist in das Zimmer hinein und ich in meiner Angst hinter ihm her.

Das Fenster gegenüber war offen. Der Wind ist draußen laut gegangen und hat uns kalt entgegengeweht und Papiere vom Schreibtisch auf den Boden geblasen.

An dem Schreibtisch hat niemand gesessen. Ich habe mich umgeschaut. Es war niemand im Zimmer.

Ich habe mich nochmals umgeschaut. Das Zimmer war nicht groß und hat nicht viele Möbel gehabt, und Gepäck hat der Herr Pater erst recht nicht viel mitgehabt. Man hätte Seine Hochwürden sehen müssen, wenn er dagewesen wäre. Aber er war halt nicht da!

»Wo ist er denn hin – he?« fragt der Baron finster, als wollte er gleich's Raufen anfangen.

Draußen hat der Regen geschüttet. Mit Kübeln hat es heruntergegossen. Ich habe nach dem Kleiderständer in der Ecke geschaut. Da hing der aufgebogene breite Hut des geistlichen Herrn und sein dunkler Ordensmantel, und darunter stand der große, baumwollene Regenschirm, der einen Griff und unten eine Eisenspitze gehabt hat, daß man sich beim Gehen wie auf einen Stock darauf hat stützen können. »Er muß irgendwo im Schloß sein!« sage ich nach einer Weile.

»Dann warte ich hier auf ihn!« sagt der Herr Baron.

»Vielleicht ist er bei der Frau Baronin!« sage ich wieder nach einer Zeit.

»Da ist er nicht!« schreit der Herr Baron und wird fuchtig. »Da komme ich doch her!«

»Ich werde in der Halle nachschauen!« sage ich und gehe. In der Halle haben alle die Herren beisammengesessen, und es war ein solcher Lärm, daß ein Mann Gottes da gewiß nicht darunter war. Alle haben sich um den Herrn Grafen Oetsch herumgedrängt, und er hat wundersame Zaubereien mit einem Billardqueue gemacht, das ihm zwei Herren nicht von der flachen Hand, auf der er es liegen hatte, wegnehmen konnten. Das läge am verrückten Schwerpunkt, hat er erklärt.

Ich bin zurück und habe unterwegs in die Bibliothek hineingeschaut. Da bei den Büchern war niemals jemand von den Jagdgästen. Aber auch der Herr Pater hat da nicht gesessen, wie ich gehofft habe.

In seinem Zimmer hat immer noch der Herr Baron gestanden und gewartet. Hartnäckig hat er dahergeschaut und recht herb und trotzig.

»Gleich schaffst mir den Pater bei!« hat er gerufen. Ich bin nach dem seitlings offenen Arkadengang neben der Gartenterrasse. Der lief neben der Mauer des Schlosses bis zum Eckpavillon hin, und der Regen hat durch die Bogenwölbungen nicht hereinhauen können. Da war meine stille Hoffnung, daß der Herr Pater umeinanderlaufen und sein Brevier lesen möchte.

Aber da war nichts.

Der Herr Baron ist, wie ich wiedergekommen bin, ungeduldig geworden und hat gesagt:

»Jetzt warte ich schon bald eine halbe Stunde. In die Erde kann der Pater doch nicht verschlupft sein! Wo is er denn, Kruzi Blut?«

Mir hat es bei den Flüchen gegraust. Ich bin zu der gnädigen Frau hinauf und habe gefragt. Die gnädige Frau hat von nichts gewußt, als daß Seine Hochwürden ihr hat durch mich bestellen lassen, er wolle den Nachmittag in geistlicher Sammlung verbringen.

Mir hat es angefangen, unheimlich zu werden. Wie ich wieder in das Zimmer des Paters gekommen bin, hat sich der Herr Baron da hingesetzt gehabt und mit den Fingern auf die Tischplatte getrommelt und gesagt:

»Ich geh' nicht von der Stell', bis er da ist! Ich muß ihn sprechen. Sofort!«

»Aber er ist nicht da!« habe ich voller Angst gesagt.

»Suchst ihn halt! Irgendwo im Schloß muß er doch sein! In dem Sauwetter da draußen läuft doch kein Christenmensch hinaus!«

Freilich nicht. Sein Hut war ja auch da. Ein hochwürdiger Herr versteckt sich doch nicht. Wo war er nur?

Ich bin von einem anderen Laquaien in den Saal hinübergeholt worden. Der Haushofmeister hat da einen Kopf gehabt wie ein Puterhahn. Es hat Silberzeug gefehlt! Fünf Messer! Wir haben alle suchen müssen. Nach gut einer halben Stunde haben wir es ganz hinten in einer Ecke gefunden. Der Herr Graf von Oetsch hat bei Tisch diese fünf Messer zu einem Kunststück gebraucht, das er mit ihnen gleichzeitig in der Luft gemacht hat, und sie dann, recht wie das so seine Art war, achtlos hinter sich geschmissen, während alles aufgestanden ist.

Jetzt war der Haushofmeister wieder besserer Laune. Aber ich habe mich ihm doch nicht zu melden getraut, daß der Pater Faramund seit mehr als einer Stunde abgängig war. Ich habe auf dem Rückweg nach seinem Zimmer ein Stoßgebet zu meinem heiligen Schutzpatron gesprochen, der Pater möchte jetzt dort sitzen. Aber der hl. Johannes der Täufer hat mich nicht erhört, und es war immer nur der Herr Baron Safferstätt vorhanden. Der hat sich nicht geregt und gerührt. Der war entschlossen, er geht nicht weg, bis der Pater Faramund kommt!

Durch das Fenster hätte der hochwürdige Herr nicht steigen können, wie das der Herr Graf von Oetsch früh vor der Jagd zu tun pflegten. Er hätte durch das Tor müssen, um hinauszukommen. Ich bin hin und habe den Pförtner gefragt. Der alte Martin hat von nichts gewußt. Er ist den ganzen Tag dagewesen. Wäre der geistliche Herr vorbeigekommen, hätte er es schon gesehen.

Es hat rasch angefangen zu dämmern. Der Abend ist an dem wüsten Regentag noch rascher gekommen als sonst, wenn im Herbst die Tage kürzer werden. Draußen wurde es ganz finster. Man hat nur noch das Rauschen vom Regen und den Sturm in den Bäumen gehört. In dem Zimmer vom Pater Faramund habe ich plötzlich Licht gesehen. Gottlob – jetzt ist er einheimisch! habe ich gedacht und bin hingelaufen. Aber es war nur der Herr Baron von Safferstätt, der sich die Kerze angezündet hat, weil er nichts mehr hat sehen können, und stocksteif wie ein Schildwache dagesessen ist.

Jetzt hat es nichts mehr geholfen. Ich bin vor den Haushofmeister hingetreten und habe geschluckt und gesagt:

»Bitt' schön! Möcht' dem Herrn Rubesoier melden, daß der Pater Faramund seit zwei Stunden abgängig ist!«

Der Rubesoier hat sich nicht schlecht erschrocken. An dem Ohrwaschel hat er mich gekriegt und gerufen:

»Und das sagst jetzt erst, du Depp! Wo der Herr Rittmeister so schon in Sorge waren und gewiß seine Gründe hatten und uns den Hochwürdigen eigens auf die Seele gebunden hat!«

»Er muß ja im Schloß sein! Er muß!« weimere ich.

»Suchen wir halt!«

Was unser Haushofmeister macht, das macht er gründlich. Treppauf, treppab bin ich mit ihm gestiegen, einen dreiteiligen Leuchter in der Hand. In alle großen und kleinen Säle haben wir geschaut. Im Kinderzimmer waren wir. Im blauen Salon. Nichts.

Dann hat der Rubesoier sich mit dem Zeigefinger auf die Stirne getippt.

»Der Herr Pater ist doch selbst von vornehmem, gräflichem Geblüt,« hat er gesprochen, »und sicher mit den meisten dasigen Kavalieren verwandt. Wahrscheinlich hat er einen anderen hochgeborenen Vetter getroffen und ist bei ihm auf dem Zimmer, und die hohen Herrschaften besprechen Familienangelegenheiten.«

Also haben wir alle Fremdenzimmer nachgeschaut. Der Haushofmeister hat geklopft und, wenn der Gast herinnen war, sich entschuldigt, er suche den Herrn Rittmeister, dem er etwas zu melden hätte, und sich dabei rasch in den vier Wänden umgesehen.

Aber nirgends war eine Spur vom Pater. Wir sind durch alle Zimmer durch.

Vor den Fenstern war es jetzt pechrabenschwarze Nacht. Sechs Uhr vorbei. Der Herr Rubesoier hatte noch einen Gedanken. »'leicht ist solch ein hochadeliger, frommer Ordensmann ein Freund der Niedrigen,« sagte er, »und hat nicht verschmäht, unter dem Dach die Kammern der Domestiken aufzusuchen und sie jetzt, wo sie ein paar Stunden Freizeit haben, mit geistlichem Zuspruch zu erquicken.«

Wir sind hinaufgestiegen. Zu den Verheirateten und den Unverheirateten. Niemand hatte den Pater Faramund gesehen. Nun ist uns immer mehr der Verdacht gekommen, daß da ein Unglück passiert ist, so hart es uns auch angegangen ist, daran zu glauben.

Wir haben auf dem Gang im Fremdenflügel voll Angst beisammen gestanden, der Haushofmeister und ich. Die Türe zum Zimmer des Paters war weit offen. Innen hat der Herr Baron Safferstätt gesessen und sich nicht gerührt und geregt.

Wir draußen haben leise miteinander gesprochen. Wir haben Furcht gehabt. Vor allem jetzt erst vor dem Herrn Rittmeister. Was wird der gnädige Herr sagen, haben wir gedacht, daß in seinem Haus ein geweihter Priester auf einmal nicht mehr vorhanden ist!

»Herrgott – i Rindvieh – i hab' die Kapellen vergessen!« ruft der Haushofmeister und schlägt sich mit der flachen Hand an die Stirne, und wir sind beide hingerannt. Die Kapelle wurde nur selten benutzt, weil die Dorfkirche ganz nahe war, und war kalt und dunkel, wie wir hereingekommen sind. Wir haben uns gebückt und mit dem Licht auf die Betschemel geleuchtet. Da war in dem Staub nirgends ein Abdruck von einem Paar Knien.

Angst und bang ist uns allmählich geworden. Wir haben uns erschrocken angeschaut. Der Haushofmeister hat mir geschafft: »Baptist! Lauf hinüber zum hochwürdigen Herrn Pfarrer Thurmbichler ins Pfarrhaus, ob der Herr Pater vielleicht bei ihm zu Besuch ist. Oder in der Kirch'n. Das müßt' der Mesner wissen! Der schließt um sechs Uhr zu! Rühr' dich! Ich erwart' dich drüben im Gang!«

Ich bin in der Dunkelheit und dem grauslichen Regen hinüber und zurück. Nix! Rein gar nix!

Jetzt hat auch der Herr Rubesoier keinen Rat mehr gewußt. Wir sind verängstigt auf dem Korridor gestanden und haben dumme Gesichter gemacht. Es sind rasche Schritte den Gang heraufgekommen! Aber das haben wir schon gewußt: so schnell und fest, mit lauten Tritten, geht kein geistlicher Herr. Der Herr Graf von Oetsch ist es gewesen. Er hat sich unterwegs beeilt und auf die Uhr geschaut. Er hat mir schon am Morgen gesagt, er muß um sechs Uhr abends wieder hinaus und muß schauen, daß er in der wüsten Nacht oben in den Bergen über den Filzenschuster kommt, und jetzt war es schon zwanzig Minuten nach sechs, und Seine gräfliche Gnaden haben sich im Gespräch mit den Kavalieren – er hat ihnen Geistergeschichten erzählt, habe ich nachher gehört – verspätet gehabt.

Der Herr Graf ist mit langen Beinen den Flur entlang und an der offenen Türe des Herrn Pater vorbei. Das ist ihm aufgefallen, daß die so weit offen stand, und er ist stehen geblieben und hat neugierig und finster hineingeschaut. Denn mit den Geistlichen war der Herr Graf nicht gut Freund.

Innen hat der Herr Baron Safferstätt gesessen und den Herrn Grafen ebenso fest und finster angesehen wie der ihn. Gegrüßt haben sie sich nicht. Sie haben sich auch nicht zugenickt oder sich ein Wort im Vorübergehen zugerufen, wie es die gnädigen Herren sonst untereinander tun. Es war aber mir und auch den anderen Laquaien und auch dem Haushofmeister vom ersten Augenblick an aufgestoßen, daß diese beiden Herren Kavaliere miteinander spinnefeind waren und nie ein Wort gewechselt haben.

Der Herr Graf Oetsch hat die längste Zeit da hineingeschaut und ist dann in sein Zimmer nebenan gegangen und hat die Türe hinter sich zugeworfen, daß es krachte. Bald hat er nach mir geklingelt. Er war schon halb im Jagdanzug und hat sich von mir die Gamaschen zuknöpfen lassen und hat mich, wie ich am Boden gekniet habe, unwirsch gefragt: »Was macht denn der Herr von Safferstätt da nebenan?«

»Er wartet schon seit bald drei Stunden auf den hochwürdigen Pater Faramund!«

»Ja – wo steckt denn der?«

»Ach, wenn wir das nur wüßten, Herr Graf!« habe ich verzweifelt gesagt. »Er ist weg! Niemand weiß, wohin!«

»Seit wann?«

»Mindestens, seitdem Herr Baron von Safferstätt bei ihm angeklopft hat. Da war er schon nicht da. Das war um vier!«

»Und die ganze Zeit sitzt der Herr von Safferstätt und wartet?«

»Zu dienen!«

»Das sind ja narrische Geschichten, mein Lieber!«

»Ach – uns ist das Weinen näher als das Lachen! Ein geistlicher Herr, der plötzlich verschwindet ...«

Der Herr Graf von Oetsch hat etwas vor sich hingemurmelt. Es hat fast geklungen: »Es hat sich ihrer eh' genug!«

»Und ein Verwandter des Herrn Grafen ...«

Den Herrn Grafen Oetsch hat das nicht sonderlich berührt. Er hat sich seine Jagdjoppe zugeknöpft. Ich habe gesagt: »Ich warte jetzt noch eine halbe Stunde. Gegen sieben Uhr hat sich der Herr Pater Faramund ein bescheidenes Abendbrot auf sein Zimmer bestellt. Nachher gedachte er, wie mir auch die Jungfer Poletta erzählt hat, wiederum sich hinauf zu Frau Baronin von Safferstätt zu begeben. Also um sieben muß er doch in seinem Zimmer sein!«

Dem Herrn Grafen Oetsch schien es gleich. Er hat sich seinen Lodenhut mit einem Sturmband unter dem Kinn fest gemacht. Draußen heulte es nur so in den Bergtälern. Ein furchtbares, langes, mexikanisches Messer hat er sich griffbereit unter dem Mantel in den Gürtel gesteckt. Ich habe gedacht: Ich möchte ihm draußen nicht begegnen. Ich habe in der Angst meines Herzens gesagt:

»Bis sieben Uhr warten wir noch, der Haushofmeister und ich. Wenn dann noch der Pater Faramund nicht wieder gekommen ist und kein Lebenszeichen von ihm, dann kannst nix machen: dann wird es dem Herrn Rittmeister gemeldet und das ganze Haus alarmiert!«

Der Herr Graf hat mich nicht mehr gebraucht. Er war kurz angebunden. Anders als sonst. Der Rubesoier und ich haben im Gang unter der großen Wanduhr gewartet und immer wieder auf den Zeiger geschaut. Der ist fleißig seinen Weg gegangen. Über halb sieben war er schon. Auf dreiviertel ist er geruckt. Nichts vom Pater Faramund. Fünf Minuten vor voll hat er gestanden. Kein Pater zu spüren. Voll hat's geschlagen. Ja – wo wär' denn jetzt nur der Herr? Noch fünf Minuten haben wir dareingegeben – noch zehn – der Pater Faramund ist unsichtbar geblieben. Nur sein Hut und sein Mantel haben da gehangen, und am Tisch hat der Herr von Sasserstätt gesessen, und nebenan der Herr Graf Oetsch gepfiffen und sich jagdfertig gemacht, und ich habe gehört, wie er das Lederfutteral um die Läufe von seinem Kugelstutzen geschnallt hat, damit sie draußen nicht naß werden.

»Alsdann ... Los ... zum Herrn Rittmeister!« hat der Rubesoier entschlossen gesagt, und ich habe gesagt:

»Der reißt uns den Kopf ab, Herr Haushofmeister – so gut wie der gnädige Herr sonst ist!«

»Verdient haben wir's!« hat der Rubesoier gesprochen. »Denn mir und dir war die Sorge um den Pater ans Herz gelegt!«

Ich habe widersprochen:

»Uns nicht allein! Wie der Herr Rittmeister heute morgen auf die Jagd ist, hat er justament den Kunstmaler, den Salvermoser, gebeten, er möchte daheim bleiben und Sorge für das Haus haben!«

»Hast das selbst gehört, Baptist?«

»Ich hab' gerade daneben im Hof die Furage gepackt. Ich hab' gute Ohren. Ich sag's gerad' so, wie's is!«

Da hat die Miene des Herrn Rubesoier sich aufgehellt.

»Stecken wir uns also in Gottes Namen hinter den Salvermoser!« hat er gemeint.

»Ja, aber wir können ihn doch nicht beim gnä' Herrn angeben! Der jagt uns fei' außi, Herr Haushofmeister!«

»Nein, du Bazi, du g'scherter!« hat er gesagt. »Ich geh' jetzt selber zum Salvermoser! Der mag dem Herrn Rittmeister die schreckliche Geschicht' melden und zuerst ausbaden!«


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