Charlot Strasser
Wer hilft?
Charlot Strasser

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Epilog

Der Seelsorger

Im Zimmer des Arztes buntscheckig die Prozession:

Ein Gesellschaftsmensch nährt in der Uniform
seine Sehnsucht nach Wachstum.
Mit weißen Hosen und Tennisraket
verläßt er die Stunde in erstem Zweifel
an seiner Vollkommenheit.

*

Ein Rückenmarkskrüppel –
auf Matrazen fühlt er die federnden Beine –
stammelt sein Unglück:
Seine Frau ward ihm schwanger.
Starres Gesetz rückt Palissaden von Paragraphen
vor seine Angst um den Nachwuchs
und um hoffnungslose Verarmung.

*

Ihm folgt ein ergrauter Erfinder.
Seiner Jugend galten Ideen heilig.
Nun klettert sein Alter an einer Maschine,
mit der man Stöpsel und Hälse von Parfumflaschen,
dieweil sie das Handwerk zu langatmig dreht,
tagsüber zu tausenden schleifen kann.
Stimmen der Neider verhindern ihm
überall den Erfolg.

*

Draußen wütet der Weltkrieg

*

Sanitätsleute zerren ein Weibsbild herein.
In Lumpen noch aufgeputzt.
Ein Traktat der christlichen Wissenschaft,
hoch über Haarsträhnen,
durchschritt sie steif belebteste Straßen:
»Friede auf Erden!«
Ins Unendliche deutet ihr Blick.
Das Taxameter führt sie ins Narrenkloster.

*

Draußen verhöhnt sie der Weltkrieg

*

Ein würdiger Pfarrherr, wirklich im Silberhaar,
bittet um Schutz vor einer schwachsinnig Verliebten.

*

Draußen ist hassender Völkermord

*

Ein Haarkünstler –
Weltmeister muß er sich dünken,
besser rasieren, die Haare schneiden,
als Gott es vermöchte –
glaubt an seine den Dienst versagenden Beine.
Sonst – – – – – – – – – – – – –

*

Draußen wütet der Weltkrieg

*

Ein Student im Doktorexamen –
historische Daten paukt er um seiner Gesundheit willen
im Walde ein –
ist in seinem Gedächtnis behindert,
weil er die Ausschweifung seiner Knabenjahre
als Sündenbock füttert.
Zufriedener kehrt er zum Lehrbuch zurück.
Lächelt sich auf dem Heimweg
vorsichtig aus.

*

Draußen verbeißt sich der Weltkrieg

*

Ein Tramarbeiter bezichtigt sich selbst seiner Roheit.
Jähzorn macht ihn besessen.
Weinend klagt seine Frau vor sich hin.
Er schlägt, wenn sie ihn der Untreue,
erwiesenen Ehebruchs zeiht,
die Faust ins Gesicht.
Ihr »Hurenkind« wirft er ihr vor.
Den Vater entbehrend, nahm sie ihn seinethalb.
Kameraden stacheln ihn auf, den Meister zu zeigen.

Der Arzt redet:

»Ich bin nicht Richter.
Ich möchte nur helfen.
Ihr versteht nicht zu leben.
Habt ihr noch Zeit, ein jedes für sich zu beginnen?
Nein?
Muß jedes dem anderen Böses ersinnen?
Muß jedes am andern sich haßvoll messen?
Kann keines von Stund an Vergangnes vergessen?
Muß jedes neuere Rache erfinden?
Die Suppe vergällen? Den Freund totschinden?
Den einzigen Freund, der im Leben besteht?
Könnt ihr, statt euch zu bedräun, zu begeifern,
nicht endlich einmal in Liebe wetteifern,
in Liebe beweisen, wer höher steht?«

*

Draußen wütet der Weltkrieg

*

Tausend Worte, tausend Lehren
tönen am Abend die Sprechzimmerwände.

Der Arzt erhebt die bittenden Hände:

»Wenn ich als Mensch beschaffen bin,
Weltgeist, stärke du meinen Sinn!
Laß mich in meinem eigensten Leben
der Heuchelei nicht erliegen!
Mache mich gütig nicht um den Schein!
Laß mich aus Herzensgrund zärtlich sein!
Und lasse mich ewig in Liebe besiegen
meine herrliche, angebetete Frau!«


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