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XIX.

Das Testament Langs setzte dessen einziges Kind Irma Baumann als Universalerbin ein. Es enthielt des weiteren die Bestimmung, daß das Langsche Bankgeschäft für Irmas Rechnung weitergeführt und von Harry Seliger, dem Mitarbeiter des Kommerzienrates, geleitet werden sollte. Es folgte dann die Aufzählung einer langen Reihe von Legaten, die Lang zum großen Erstaunen der Hinterbliebenen für Krankenhäuser, Altersheime und den Pensionsfond der Oper bestimmt hatte.

Die Höhe des von Lang hinterlassenen Vermögens überstieg die kühnsten Erwartungen. Der rastlos arbeitende, sparsame und vom Glück begünstigte Kaufmann hatte in den zweieinhalb Jahrzehnten seiner Tätigkeit als Bankier Schätze auf Schätze gehäuft, so daß sich, ganz abgesehen von dem Werte der Grundstücke, der Villa und des Schlosses nebst all dem, was dazugehörte, die Aktiva der Bank auf das runde Sümmchen von vier Millionen Gulden beliefen.

Die Herrin dieser Millionen war Irma durch den Tod des Vaters nun mit einem Schlage geworden, sie, in deren Seele die lüsterne Gier nach dem Manne mit der Rachsucht gegen den Gatten um die Vorherrschaft rang.

Eine ehrliche Trauer um den Verlust des Vaters konnte in Irmas Herzen nicht aufkommen. Was war ihr dieser Mann, der ihr nun die Herrschaft über Millionen hinterlassen hatte, anderes, als ein brutaler Egoist, der einst mit rauher Hand in ihr junges Leben eingegriffen und sie zu dieser Ehe gezwungen hatte, die schon jetzt nach knapp einem Jahre die Quelle all ihrer Leiden und ihrer Schmach geworden war? Diese Ehe, deren Scheidung sie einst selber, von Frau Baumann beeinflußt, hintertrieben hatte!

Wie gerne hätte sie sich jetzt von dieser unerträglichen Fessel befreit gesehen. Aber die Lage, in die man Ewald auch nach ihrem Wunsche gebracht hatte, die Erklärung Doktor Valentins und Doktor Humberts, daß er unheilbarer Geisteskrankheit verfallen sei, schlossen ein Handeln von seiner Seite aus. Der in dem Pavillon Eingekerkerte und von seinen beiden Ärzten für unheilbar Erklärte konnte die Scheidung seiner Ehe nicht mehr beantragen.

Und sie selber? Alle ihre Millionen würden ihr da nichts helfen. Wenn sie selber aus irgendeinem Grunde den Antrag auf Scheidung ihrer Ehe mit Ewald stellte, dann griffen die Gerichte ein, dann wurde ihre Schande, wurde am Ende das an Ewald begangene Verbrechen an das Licht des Tages gezogen! Nein, heute mehr denn je, war sie an Ewald gefesselt. Nur der Tod des Gatten würde sie dereinst von dieser Kette befreien.

Und Ewald war jung, noch nicht dreißig, er war gesund nach ihrer Überzeugung trotz des Gutachtens, das so völlig nach dem Wunsche Frau Baumanns ausgefallen war. Nach menschlichem Ermessen konnte also diese Ehe unter diesen Verhältnissen noch Jahrzehnte dauern, während deren die Erbin der Millionen alt und grau und liebessatt geworden wäre, eine Gefangene auf Schloß Schönblick, wie der Unglückselige, den man gegen seinen Willen in dem Pavillon eingekerkert hatte, und gegen den man das Verbrechen eines geistigen Mordes beging.

An endlos langen Tagen, in schlummerlosen Nächten stand das Gespenst einer freudlos verbrachten Jugend, durch die sie die Fessel dieser unlösbaren Ehe schleppen würde, vor Irmas Seele. Wilder Haß gegen Ewald, Haß auch gegen dessen Mutter, die alles so schlau eingefädelt hatte, bemächtigte sich ihrer, wenn sie daran dachte, daß ihre Verführung durch Lothar von Brandt und die Folgen dieses unbedachten Schrittes sie am Ende für immer aus den Reihen der Genießenden ausschließen könnten.

Um das Kind kümmerte sie sich nicht. Das gedieh und wuchs unter den Augen seiner Wärterin, die den kleinen, herzigen und runden Jungen in ihr Herz geschlossen hatte.

Manchmal dachte Irma daran, Schloß Schönblick zu verlassen und auf Reisen ins Ausland zu gehen, Abenteuern nachzujagen, wie einst damals am Vierwaldstätter See unter den Augen und der Bewachung der törichten Lorisson.

Aber Mißtrauen und Habgier brachten sie bald von diesem Plane ab. Da war Seliger, der in ihrer Abwesenheit alles an sich reißen konnte, Seliger, der bald Frau Baumanns Schwiegersohn werden würde. Da war diese habgierige Frau selber, die sich schon jetzt als Herrin des Schlosses fühlte und die Besitzerin in der Ferne noch weniger als die anwesende fürchten würde.

Nein, die Millionen des Vaters, die sie jetzt in ihren Händen hielt, raubten ihr die sorglose Ruhe, mit der sie früher Reisen angetreten und sich auf viele Monate in weite Fernen begeben hatte.

Hier auf dem Schlosse, hier in der Heimat mußte sie aushalten, wenn sie nicht ihr Hab und Gut fremden und beutegierigen Menschen, die sie nichts angingen, preisgeben wollte.

Und noch eine Angst quälte sie, eine Angst, die sie in Stunden heftiger, sinnlicher Erregung vor dem Richterstuhl des eigenen Herzens fast eine Hoffnung nennen konnte. Lothar von Brandt, dem sie sich einst in rasendem Liebestaumel an den Hals geworfen, der Mann mit dem königlichen Wuchse und dem hochgezwirbelten blonden Schnurrbarte, mit den stechenden, stahlblauen Augen war wieder in der Nähe. Sie wußte, daß er bei dem Vater vorgesprochen, daß er die unmittelbare Ursache von Langs Schlaganfall und Tod gewesen. Den Mörder ihres Vaters nannte sie ihn in den Tiefen ihrer Seele, und in den Tiefen dieser Seele gierte sie nach diesem Menschen, dessen sehnige Umarmung doch eine andere, als die des schmächtigen, erst von ihr zur höchsten Sinneslust emporgepeitschten Ewald gewesen war!

Nein, sie mußte hier bleiben, hier aushalten trotz allem, schon aus dem einen Grunde, weil sie fühlte, daß Lothar von Brandt eines Tages erscheinen und sie wieder wie einst in seine Arme reißen würde.

Der Haß gegen diesen Menschen, der der Vater ihres Kindes, der Urheber und Veranlasser aller ihrer Leiden gewesen, war, da sie ihn nun wieder in ihrer Nähe wußte, wie mit einem Schlage verflogen, und wie oft in Stunden tödlicher Langweile auf dem einsamen Schlosse ertappte sie sich bei dem Wunsche: »O, wenn er doch jetzt hereinträte mit dem sieghaften Blick in den harten Augen, mit dem bezwingenden Lächeln um die vollen, von dem starken Barte beschatteten Lippen, und dich an sich risse, damit du endlich wieder den Atem seines Mundes trinken und seiner brünstigen Werbung erliegen könntest!«

In einer Stunde, da sie solches dachte, traf Rolf auf dem Schlosse ein. Sie stand am Fenster ihres Boudoirs im ersten Stockwerk und sah den Achtzehnjährigen elastischen Ganges durch das Parktor schreiten. Nachlässig, als sei er Herr im Hause, warf er dem Diener, der ihm entgegengeeilt kam, den Paletot zu, den er an diesem warmen Frühlingstage auf dem Arm getragen hatte.

Etwas Selbstbewußtes und, wie sie sich in dieser Stunde zum ersten Male deutlich sagte, etwas Männliches und Frühreifes hatte dieser Rolf an sich. Er war so ganz anders, als der Bruder, ihr Gatte, der auch als Mann das Knabenhafte, Zagende seines Wesens niemals abgelegt hatte!

Wie seine Augen den Park und das Schloß umfaßten, als wollten sie sagen: »Das alles kann noch mein eigen werden.«

Blitzartig durchzuckte dieser Gedanke ihr Gehirn.

Wie er hinaufsah nach dem Fenster, an dem sie stand, nickte sie ihm freundlich grüßend entgegen, ja sie erhob die Hand und winkte, und er dankte, den Hut lüftend und das Taschentuch zum Gruße schwenkend.

Da trat sie eilig vom Fenster zurück. Sie fühlte, daß eine Blutwelle ihr Gesicht überflutete, daß die Brüste unter der schwarzen Taille, die sie trug, wogten, und sie ärgerte sich darüber, daß sie die Trauer um den verstorbenen Vater zwang, ihm in diesem unvorteilhaften Kleide entgegenzutreten.

Rolf ging in das Schloß. In der Vorhalle begegnete er der Mutter, die hier auf ihn gewartet hatte, und außer sich vor Freude über die nun endlich erlangte Freiheit, über seine heute erfolgte Annahme für ein feudales Kavallerieregiment, flog er Frau Baumann an den Hals.

»Genommen, Mutter, genommen,« rief er. »Von achtundvierzig, die sich meldeten, sind nur fünf genommen, und ich bin darunter, was sagst du dazu? Freust du dich nicht, gratulierst du mir nicht?«

Auch in Frau Baumanns Augen strahlte das Glück über die glänzenden Aussichten ihres Lieblings, wenn ihr auch der Umstand, daß sich Irma nach dem Tode ihres Vaters entschieden von ihr abgewandt hatte, schwere Sorge bereitete.

Sie wollte seine stolzen Hoffnungen nicht gleich um ein Beträchtliches herabdrücken, deshalb sagte sie:

»Natürlich freue ich mich mit dir, Rolf. Aber du weißt doch, daß die Verhältnisse hier im Hause, daß Ewalds Zustand und Langs Tod, daß das alles nicht dazu geeignet ist, mich so frei von jeder Sorge zu machen.«

»Aber, Mutter,« rief Rolf da. »Irmchen ist doch jetzt die Herrin, und du wirst sehen, daß ich mich mit meiner allmächtigen Schwägerin höllisch gut stellen werde.«

Da lächelte Frau Baumann wieder.

Von Ewalds Zustand hatte sie Rolf und Paulchen schon vor Wochen schonend Mitteilung gemacht. Aber den wahren Grund des Zerwürfnisses zwischen den beiden Gatten hatte sie ihren Kindern, selbst Hilde, wohlweislich verschwiegen. Denn anfangs hatte sie die Hoffnung, die Ehe zwischen Ewald und Irma wieder ins Geleise bringen zu können, und später, nachdem der entscheidende Schritt getan war, hütete sie das Geheimnis ihres Verbrechens auch vor denen, die ihr die Nächsten waren, so lange sie in diesen keine Mitschuldigen sah.

In dem Speisesaale, wo man einst das Weihnachtsfest und Hildes Verlobung gefeiert, ließ Frau Baumann dem zukünftigen Vaterlandsverteidiger ein kräftiges Frühstück vorsetzen. Rolf, der einen ehrlichen Hunger mitgebracht hatte, hieb wacker ein und ließ sich den alten Rüdesheimer aus dem Keller des Schlosses munden. Dann steckte er sich, wie er sich ausdrückte, eine schwere Giftnudel in den Mund und paffend begann er nun vor seiner Mutter zu renommieren:

»Denke nur, Mama, ich und der Sohn eines reichen Börsianers, wir sind die einzigen bürgerlichen Avantageure im Regiment. Sonst alles alter Hochadel. Hasso von Windheim ist auch darunter. Seinem Vater verdank' ich's, daß ich angenommen bin, er ist ein Duzfreund, alter Kamerad von Oberst von Knipphausen. Aber höllisches Geld wird die Kiste kosten, man sprach dort von Zulagen von drei- und viertausend Gulden. Na, Ewald und Irmchen haben's ja dazu. Doch wo bleibt denn meine schöne Schwägerin? Sah sie vorhin am Fenster, sieht trotz allem frisch und gesund aus! Sie läßt auf sich warten.«

»Ich weiß nicht, ob Irma –«

Das Eintreten der Genannten, die in der schwarzen Trauerkleidung wieder ganz eigenartig, seltsam ernst und dennoch begehrenswert, aussah, machte Frau Baumanns Zweifel, ob Irma Rolf begrüßen würde, zunichte.

Rolf sprang auf und eilte Irma entgegen.

Die Hacken zusammenklappend, sich tadellos verneigend, küßte er Irmas Hand und sagte:

»Na, gratuliere mir, schönste der Schwägerinnen, bin heute glücklich als Avantageur bei den Ulanen angenommen worden.«

Mit einem langen Blick maß Irma den vor ihr Stehenden.

»Wird dich gut kleiden, Rolf, die Uniform,« sagte sie dann und gab ihm einen freundschaftlichen Klaps auf die Wange, den er lachend mit einem Kusse erwiderte.

Sie sträubte sich nicht, gegen diesen schwägerlichen Kuß hatte sie nichts einzuwenden.

Frau Baumann, die sah, daß sich Irma in guter Laune befand, glaubte, daß dieser Augenblick der Begrüßung zwischen den beiden für die Verwirklichung ihrer Pläne äußerst günstig sei, und sagte:

»Da du gerade hier bist, Irma, du weißt ja so gut wie ich, wie es mit Ewald steht, und daß man über nichts, am wenigsten über geschäftliche Dinge mit ihm reden kann, Rolf sprach eben von einer Zulage von drei- bis viertausend Gulden –«

Ein spöttisches Lächeln huschte bei diesen Worten Frau Baumanns um Irmas Lippen. Dann sagte sie in einem unnachahmlich geringschätzigen Tone:

»Da Ewald mein Gatte ist, und er sich außerstande sieht, für seine Familie zu sorgen, so ist das wohl meine Pflicht. Aber keine Schulden machen, Schwägerchen, du kommst mir teuer zu stehen, viertausend Gulden, ob die du mir wert sein wirst?«

Sie war dicht an ihn herangetreten und sah ihn nun fragend an. Leise bebten ihre feinen Nasenflügel und, die Hände nach ihm ausstreckend, wiederholte sie noch einmal: »Ob du mir soviel Geld wert sein wirst?«

Lüstern blitzte es in ihren Augen, und da sich Frau Baumann, selig über die rasche Erledigung dieser unangenehmen geschäftlichen Frage, deren Regelung sie unter anderen Verhältnissen Ewald einfach befohlen haben würde, Irma an den Hals werfen wollte, meinte diese lachend:

»Laß nur, Mutter, ich verschenke nichts, umsonst ist der Tod. Ich hoffe, Rolf wird mir ein echter Ritter und Tröster sein, nicht, Rölfchen?«

Dann faßte sie den Schwager um die Hüften und tanzte wie ein tolles Kind mit dem maßlos Erstaunten durch den Saal.

Schon gleich am ersten Tage seines Aufenthaltes auf Schloß Schönblick hatte Rolf reichlich Gelegenheit zu sehen, daß Irma seinen eigenen Wünschen und großen Plänen in vollem Maße entgegenkam.

Man war jetzt zu Ende des April. Am ersten Juni sollte seine Einstellung erfolgen. Sechs Wochen also, eine lange Zeit, in der ein junger Mensch von seiner Entschlossenheit und seinem Wagemute wohl zum Ziele gelangen konnte, sagte er sich.

Wie hatten sich seine Aussichten gebessert seit jenem Weihnachtsabende, da er zum erstenmal ein Auge auf seine schöne Schwägerin geworfen hatte.

Damals hatte der Bruder im Besitze seiner geistigen und körperlichen Kräfte als Gatte an Irmas Seite gestanden, heute war dieser Bruder, wie er aus den Mitteilungen der Mutter entnehmen konnte, ein gebrochener, ein toter Mann.

Sieghaft wie der Held der Sage hatte er selber heute seinen Einzug in das Schloß gehalten, wie der Märchenprinz, der die Herrin dieses wundervollen Besitztums, die Gebieterin von Millionen, aus ihrem Dornröschenschlafe erwecken würde.

Und dieses Dornröschen machte es ihm leicht.

Als man am Abend bei einer Flasche Champagner, die Irma zur Feier von Rolfs Einzug auf Schloß Schönblick zum besten gab, im Speisesaal zusammensaß, fühlte er die brennenden Augen des jungen begehrlichen Weibes in heißer Lust auf sich gerichtet.

Er schlug die Blicke nicht nieder, sein Auge versenkte sich in die verzehrende Glut, die ihm aus Irmas ganzem Wesen entgegenlohte. Fühlte er doch unter dem Tische die kleinen, zarten Füße der Herrin von Schloß Schönblick auf den seinen, fühlte er doch den leichten Druck ihrer warmen Hand, die sich auf seinen Schenkel gelegt hatte und ihn zu kühnerem Vorgehen ermunterte.

Frau Baumann hatte nach dem Essen in ihrem Bureau mit dem Gärtner und dem Verwalter zu unterhandeln. Irma und Rolf blieben allein in dem Speisesaale zurück, wo der Diener noch zwei Flaschen des prickelnden französischen Weines in Eis gestellt hatte.

Eine tolle Lebenslust war über Irma gekommen, als Rolf nun eine neue Flasche entkorkte, als die Kelche aneinanderklangen und er auf ihre Gastfreundschaft und ein gutes Einvernehmen mit der Herrin von Schloß Schönblick trank.

Sie befahl dem Diener, sich zurückzuziehen, sie werde klingeln, wenn man seiner Aufwartung bedürfe, und knabberte eben mit den scharfen, weißen Zähnen an einer kandierten Walnuß.

In ihrem Innersten machte sie sich über Rolf lustig. Der gute Junge mit seinen achtzehn Lenzen war eben auch zu komisch und unerfahren, in seiner linkischen, eben erwachenden Männlichkeit. Aber gerade das gefiel ihr. Sie war seiner sicher.

Nachdenklich stützte sie den schönen Kopf auf die schneeweiße, mit kostbaren Juwelen geschmückte Hand, die er mit brennenden Augen betrachtete, die er, wie sie fühlte, an sich reißen und mit Küssen bedecken wollte.

Sie überlegte.

Sollte sie ihn tage-, am Ende wochenlang wie einen girrenden Seladon am Gängelbande führen? Sollte sie?? Sollte sie warten, bis er, durch ihre Koketterie und abweisende Herbe mürbe gemacht, weinend in ihre Arme sinken würde, um sich dann dem Genusse seiner frischen und unverdorbenen Jugend hinzugeben?

Oder war es am Ende klüger, ihn gleich heute noch im tollen Taumel ihrer Sinne an sich zu reißen?

Sechs Wochen! Das war eine kurze Frist. Wenn vier verstrichen, ehe Rolf den Mut zum Handeln fand, dann blieben ihr knapp vierzehn Tage für einen allzu kurzen Liebesrausch. Und dann würde Rolf in seine Garnison gehen, und die Langeweile würde wieder auf dem Schlosse ihren Einzug halten!

Ihre Augen brannten, sie schimmerten in feuchtem Glanze, als sie nun Rolf von oben bis unten musterte, der sich eben von ihrer Seite erhoben hatte, um den Champagner aus dem auf dem Büfett stehenden Kühler zu holen.

Der starke, die Sinne aufpeitschende Wein, die Unerfahrenheit und die nach neuen Sensationen gierende Kraft seiner Jugend, die Nähe des schönen und lüsternen Weibes taten das ihre. Er fühlte sich Herr und frei, frei zum ersten Male in seinem Leben, seit dem jahrelangen Zwange des Gymnasiums und dem mondelangen der Lehrerpension. Von Abenteuern, vom Genusse des Lebens, von Weibes Lieb' und Huld träumte seine Seele, und gleich der erste Abend der neuerlangten Freiheit, der Tag des ersten Erfolges, da man ihn wider alles Erwarten für das feudale Regiment angenommen, führte ihm in der Gattin seines unglücklichen Bruders den begehrenswertesten Gegenstand seiner wild erregten Sinnenlust entgegen!

Wieder saß er an Irmas Seite, wieder trank sie ihm zu aus dem schäumenden Kelche. Sein Verstand umflorte sich, er sah nichts mehr vor sich, als das Weib, dieses schöne junge Weib, nach dessen Besitze schon die Sinne des Gymnasiasten sich in heißer Leidenschaft an jenem Weihnachtsabend entflammt hatten, das Weib, welches das Schloß und die Millionen wie spielend in den Händen hielt!

»Trink,« vernahm er da an seiner Seite ihre heisere Stimme, »trink und sei glücklich.«

Auf einen Zug leerte er das Glas, und dann traf sein Blick Irmas rote Lippen, auf denen noch der weiße Schaum des eben genossenen Weines perlte.

Und da fiel ihm ein, daß er ja ein Eroberer, ein Sieger nach Schloß Schönblick gekommen war, daß sein Auge dieses Schloß und die darumliegenden Felder, Wälder und Auen noch an diesem Morgen umfaßt hatte, mit dem Blicke dessen, der all dies bald sein eigen nennen wollte!

Und hier an seiner Seite saß die Herrin all dieser Schätze, die Besitzerin der Millionen, und wenn ihn nicht alles täuschte, dann bot die sich ihm an wie eine reife Frucht, nach der er nur die Hand auszustrecken brauchte, wie ein Apfel, der ihm bei der leisesten Bewegung von selber in den Schoß fiel!

Da übermannte es ihn.

Und in diesem Augenblicke dachte er nicht mehr an den Bruder und an die Mutter, nicht an Martha, Hilde und Paulchen! Vor seinen Augen standen allein das Schloß und die Äcker, die Wiesen und die Wälder und das Weib, das dies alles sein eigen nannte! Da umschlang er Irmas Hals mit beiden Armen und drückte in fiebernder Glut seines ganzen Körpers einen heißen Kuß auf diese Lippen, die er eben in wahnsinnigem Begehren, außer sich, ein Narr seiner Sinne, betrachtet hatte!

Und sie, sie wehrte sich nicht. Sie erwiderte den Druck seines Mundes, sie sog an seinen Lippen, sie preßte die Arme und den wundervollen Leib an seinen jugendstarken Körper, so daß mit einem Schlage die kaum erblühte Männlichkeit des Achtzehnjährigen in wilder Raserei erwachte.

Und das gefiel ihr.

Sie riß sich los aus seinen Armen, floh und lockte. Eine tolle Jagd der beiden durch den weiten Saal nahm ihren Anfang, bis Irma endlich hinter der Portiere des nebenliegenden und in Dunkel gehüllten Salons verschwand.

Er folgte ihr in das Dunkel, sein ganzer Mensch beherrscht von dem einen einzigen Wunsche, sie zu besitzen, sie jetzt in dieser Stunde des von ihr selber jählings emporgepeitschten Sinnentaumels sich völlig zu eigen zu machen.

Mit beiden Händen tappte er im Dunkel nach ihrem Leibe, der Duft ihres Haares, das berauschende Parfüm, das ihm von ihrem Körper und aus ihren Kleidern entgegenstieg, zeigte ihm den Weg.

Und da, da hatte er sie. Sie war über den Teppich gestrauchelt und lag am Boden. Er faßte sie, und wie unterdrücktes Jauchzen kam es jetzt aus ihrem Munde. Sie zitterte in rasender Erregung, aber ihre Lippen bebten: »Nicht hier, Rolf, nicht hier, komm mit – man kann uns hier überraschen – der Diener, deine Mutter, nicht hier, nicht hier.«

Und auf den Knien, von seinen Armen umklammert, rutschte sie nach der Tür des kleinen Nebenzimmers, in dem Ewald einst, da er sich von ihr für immer getrennt hatte, geschlafen und wo sein Bett noch völlig unberührt nun schon seit Wochen stand.


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