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XI.

Mit der letzten Woche des September waren die Herbstferien herangekommen. Wie sie sich das schon im Sommer bei Ewalds Hochzeit ausbedungen, traf zu diesem Zeitpunkte Frau Baumann mit den Ihren pünktlich auf Schloß Schönblick ein.

Voll banger Sorge hatte Ewald diesen Tagen entgegengesehen. Er kannte die Mutter zur Genüge, er war vertraut mit deren Art und Weise, überall, wohin sie auch kam, sofort das Heft in die Hand zu nehmen und sich als Herrin der Lage zu fühlen. Den Mut aber, sich diesen Besuch der Seinen unter irgendeinem Vorwande vom Halse zu schaffen, hatte er in seiner Schwäche nicht gefunden.

Sein Verhältnis zu Irma hatte sich im wesentlichen nicht geändert. Die infolge ihrer Schwangerschaft und der ganzen Sachlage nervös überreizte junge Frau hatte sich auf Anraten ihres Vaters, der sich um die Schrullen seines Schwiegersohnes nicht im geringsten kümmerte, mit einem kleinen Stabe persönlich bei ihr Bediensteter umgeben, die so etwas wie einen kleinen Hofstaat bildeten und in dem ersten Stockwerke des Schlosses zusammen mit der Herrin schalteten und walteten.

Denn mit dem Augenblicke, da Irma merkte, daß die tiefe Verstimmung ihres Mannes sicher ihren Grund in dem von irgendeiner Seite verratenen und von ihr sorgsam gehüteten Geheimnisse ihrer Mutterschaft haben mußte, suchte sie alles zu vermeiden, was zu einer offenen Aussprache, zu einer Szene zwischen ihr und dem Gatten hätte führen können.

Sie ließ Ewald seiner Wege gehen und zog sich nun ihrerseits von ihm zurück. Bei einem Besuche in der Stadt hatte sie nämlich eine kurze Unterredung mit ihrem Vater gehabt. Sie hatte damals dem Kommerzienrate gegenüber klipp und klar die Vermutung ausgesprochen, daß Ewald durch irgendeinen Zufall von den Vorgängen, die diese Heirat herbeigeführt, in Kenntnis gesetzt worden sein müsse, und daß er nun infolgedessen sich von ihr zurückgezogen habe und jede eheliche Gemeinschaft meide.

Da hatte Lang kurzerhand entschieden:

»Seine Frau bist du nach Recht und Gesetz, nach Recht und Gesetz ist er der Vater deines Kindes, aber dein Liebhaber und zärtlicher Gatte zu sein, dazu können wir ihn nicht zwingen. Laß ihn daher ruhig, so lange es ihm beliebt, in seinem Pavillon hausen. Er wird schon von selber wiederkommen, wenn es ihm zu langweilig geworden ist. Und wenn du klug bist, dann gibst du eben seinen musikalischen Stuß als den Grund seiner Einsiedeleien an und läßt dir über den Mangel seiner Zärtlichkeit, die du ja jetzt nicht einmal nötig hast, keine grauen Haare wachsen. Die Hauptsache ist und bleibt eben die, daß es jetzt zwischen euch beiden in dieser Sache nicht zu einer Aussprache kommt. Im übrigen, mein Kind, richte dir das Leben auf deinem Schlosse nach deinen Wünschen ein.«

So viel Irma auch hin und her überlegte, so eifrig sie auch nach einer anderen Lösung suchte, im Grunde mußte sie dem schlauen Vater recht geben, denn bei Ewalds Charakter hätte eine Aussprache nur zu einem offenen Bruche führen können. Dann aber wären die diesem Bruche zugrunde liegenden Tatsachen ans Licht gekommen, und sie zu verhüllen, das war ja der Zweck dieser Ehe gewesen, die mit ihr einzugehen sie selber ihren jetzigen Gemahl verlockt hatte.

Wenige Tage, nachdem sie diese Unterredung mit ihrem Vater gehabt, hatte sie sich wieder in die Stadt begeben und war von dort mit einer Gesellschafterin und sachkundigen älteren Frau zurückgekehrt, der ihre körperliche Pflege vor und nach der Geburt des Kindes obliegen sollte. Die Zofe, die sie damals bei ihrer Ankunft auf Schloß Schönblick schon vorgefunden, fügte sich in alle Launen der Herrin. Hatte sie doch mit dem jugendlichen Servierdiener Heinrich ein Verhältnis, und lag ihr doch alles daran, sich ihre Stellung in diesem Schlosse, und mit ihr den Galan, so lange es eben gehen mochte, zu erhalten.

So waren die Gesellschafterin Frida Forst, Frau Bitterlich, die Wärterin, und Sophie, die Zofe, die einzigen, die zu den Gemächern Irmas im ersten Stockwerke des Schlosses Zutritt hatten. In ihrer Gesellschaft verbrachte die junge Frau ihre Zeit, während sie Ewald und dessen musikalischen Schwärmereien den Pavillon und dem Rest des Dienstbotenpersonals die großen Räume im Erdgeschosse, Küchen, Ställe, Park und Gärten überließ.

Der Gärtner, der mit seiner Familie das stattliche Portierhaus am Eingange des Parkes bewohnte, schüttelte über diese Wirtschaft manchmal den Kopf.

Aber im Grunde genommen, was ging es ihn denn an, wie die Langschen Millionen verwirtschaftet wurden? Der alte Kommerzienrat in der Stadt würde wohl wissen, wie weit er zu gehen hatte. Er bezog sein Gehalt und hätte im übrigen seine Pflicht zu tun und seinen Mund zu halten. Daß der Herr im Pavillon komponierte und Klavier auf einem geliehenen Instrumente spielte, daß die gnädige Frau mit ihren drei Getreuen allein im ersten Stockwerk hauste, und die drunten in den Küchen und in den Wirtschaftsgebäuden machten, was sie wollten, was ging ihn das weiter an? Leid taten ihm nur die wundervollen Prunkräume im Erdgeschosse des Schlosses, die nun schon seit Wochen unbenutzt verstaubten, und von denen drei der schönsten in diesen Tagen auf Ewalds Geheiß in Schlafzimmer umgewandelt wurden.

Auf eine durch Fräulein Forst gemachte Mitteilung, daß der Herr für die Herbstferien den Besuch seiner Mutter und Geschwister im Schlosse erwarte, hatte sich Irma völlig gleichgültig verhalten. Sie hatte auf diese Anfrage weder ja noch nein gesagt. Und er in seiner verzweifelten Lage, mutlos, mit der eigenen Mutter und den nächsten Angehörigen über seine Schande und das ihn umgarnende Schicksal zu sprechen, sah für sich keine andere Möglichkeit, als die, sich die Verhältnisse ruhig entwickeln zu lassen, Irma durch ihren Zustand zu entschuldigen und die Seinen drunten im Erdgeschosse unterzubringen, damit die Herrin des Schlosses durch deren Anwesenheit so wenig wie möglich belästigt werde. Vierzehn Tage waren ja keine Ewigkeit, tröstete er sich.

In diese Lage der Dinge schneite die entschlossene Frau Baumann mit ihrer Tochter Hilde und den beiden jungen Leuten hinein. Denn die kleine Tänzerin von dem mitteldeutschen Hoftheaterchen war weit klüger, als man nach ihrer unüberlegten Flucht aus dem Vaterhause hätte annehmen sollen, und noch zäher als ihre Mutter. Sie hatte ihr Engagement gekündigt und nahm jetzt Marthas Stelle in dem kleinen Haushalte der Frau Baumann ein. Denn wenige Tage hatten für sie genügt, sich einen Einblick zu verschaffen, in welche Verhältnisse des Glanzes und des Reichtums ihr Bruder Ewald hineingeheiratet hatte. Und die unverfrorene Offenheit, mit der ihr Harry Seliger, die Seele des Langschen Millionenhauses, seitdem er auf Ewalds Hochzeit an ihrer Seite gesessen hatte, den Hof machte, gab ihr die Hoffnung, bei dem eleganten und sterblich in sie verliebten Juden ihre ehrgeizigen und habsüchtigen Pläne durchzusetzen.

Sie wußte es wohl, daß Seliger von der Theaterdame, die mit siebzehn Jahren dem schützenden Elternhause den Rücken gewandt, anfangs keine allzu große Meinung gehabt hatte. Sie wußte, daß er der Ansicht gewesen, ihre Liebe in wenigen Wochen mit Hilfe seines Geldes auch ohne Standesamt und Trauring erringen zu können. Sie hatte ihm Avancen gemacht, und die stark entwickelte Sinnlichkeit des jungen jüdischen Lebemannes aufs höchste gereizt. Und dann hatte sie ihn, da er meinte, sein Ziel schon erreicht zu haben, eines Abends schnöde abfallen lassen, und seitdem war Seliger zerstreut in seinen Geschäften und strich wie ein girrender Tauber um die Wohnung Frau Baumanns herum, in der die spröde Geliebte ihr Heim aufgeschlagen hatte. Zwischen der Mutter und der Tochter, zwischen Rolf, der für seine Karriere zitterte, und Hilde hatte es nun einen erbitterten Kampf gegeben, aber die kleine Ballettratte war auch aus diesem Kampfe als Siegerin hervorgegangen.

»Ich werde ihn schon dazu bringen, daß er mich heiraten wird,« hatte sie mit aller Bestimmtheit behauptet, »und wenn ich ihn dazu gebracht habe, dann werde ich euch die Aufnahme in euerm Hause danken, und dann wird es euer Schade nicht sein.«

Das hatte für Frau Baumann, die in all den Monaten mit Schrecken gesehen, wie sich Ewald dem Geschäfte entfremdete, und das Heft in Seligers Hand glitt, schließlich den Ausschlag gegeben, und Hilde, den großen Plan im Herzen, Frau Seliger und dereinst die Gattin des Bankleiters von Adolf Lang zu werden, war geblieben.

Ewald holte die Seinen am Bahnhof ab. Die Gesichter Hildes und der Mutter strahlten, als sie den Schloßherrn von Schönblick dem eleganten Landauer mit dem prächtigen Schimmelgespanne entsteigen sahen. Wie eine Fürstin nahm Frau Baumann im Fond des Wagens neben ihrer Tochter Platz. Sie hatten sich beide für ihren Aufenthalt auf dem Schloß neue Toiletten anfertigen lassen und sahen nun in dem herrlichen Gefährt in der Tat distinguiert aus.

Rolf war an die Pferde herangetreten und musterte sie mit Kennerblick.

»A la bonne heure,« sagte er, »feine Kreuzung, wirklich, englisches Vollblut mit Trakehner, gratuliere, Ewald.«

Ewald überhörte diese Worte, da er gerade mit Paulchen beschäftigt war, der ihn fragte, ob er denn auch ein Eselgespann oder ein Pony für ihn auf dem Schlosse zur Verfügung habe.

Nachdem er die Seinen in dem Wagen untergebracht und Paulchen neben den Kutscher auf den Bock gehoben hatte, stellte er während der Fahrt den schüchternen Versuch an, die Mutter und Hilde auf die Lage im Schlosse vorzubereiten.

Irma sei sehr angegriffen, sagte er, sie sehe einem freudigen Ereignisse entgegen und müsse sich schonen. Deshalb bewohne sie seit einiger Zeit allein mit ihrer Dienerschaft das erste Stockwerk des Schlosses. Er müsse daher seinen Besuch bitten, mit dem Erdgeschosse fürlieb zu nehmen, und er selber habe sich seiner Arbeit wegen in der Einsamkeit des Parkes einen kleinen Pavillon herrichten lassen.

Frau Baumann und Hilde hörten ihm kaum zu. Sie waren beide noch zu sehr mit den neuen Kleidern beschäftigt, die während der Fahrt auf der Eisenbahn etwas zerdrückt worden waren.

Rolf beobachtete den Trab der Pferde und fand, daß die Gangart der Tiere infolge eines kleinen Fehlers beim Kutschieren nicht ganz stimme. Er werde die Schimmel morgen früh einmal einfahren, bramarbasierte er.

Ewald wußte sich keinen Rat. Fragend sah er Mutter und Schwester an, bis diese sich langsam besannen, daß er offenbar etwas Wichtiges gesagt habe. Endlich meinte die Mutter:

»Also im ersten Stockwerk werden wir untergebracht, sagtest du, Ewald?«

»Nein, eben nicht,« erwiderte er etwas gereizt. »Ich sagte schon vorhin, daß Irmas Zustand die äußerste Schonung verlangt, und daß ihr deshalb im Erdgeschoß wohnen werdet, ich selber aber in einem Pavillon des Parkes hause.«

»Ist Irma denn krank?« fuhr nun Rolf dazwischen.

Ewald gab ihm keine Antwort. Er hörte nur den Einwand der Mutter:

»Wird es denn für mich im Erdgeschosse nicht zu fußkalt sein, Ewald, du weißt doch – bei meinem Rheumatismus –«

Seinen Ärger über die Ansprüche der Mutter verschluckend, sagte er in ruhigem Tone:

»Du kannst unbesorgt sein, das Schloß hat ein hohes Souterrain, in dem die stets geheizten Küchen untergebracht sind, die Fußböden sind alle mit dicken Teppichen belegt, und jeder Raum hat seinen vorzüglichen Kamin.«

Frau Baumann nickte befriedigt, und Hilde fragte ganz unverfroren:

»Wirst du denn Herrn Seliger in den Tagen unseres Aufenthaltes einmal einladen?«

»Irma wird schwerlich Fremde im Schlosse sehen wollen,« antwortete er gepreßt, »ihr Zustand –«

»Aber Seliger ist doch kein Fremder, er ist doch gewissermaßen ihr Vetter,« warf Hilde nun ein.

Und Frau Baumann meinte: »Wie sich diese jungen, reichen Frauen doch haben! Wenn ich an mich denke, ich habe noch acht Tage vor Hildes Geburt meine ganze Haushaltung allein geführt.«

Ohne ein Wort der Erwiderung starrte Ewald in die grüne Weite. Es war ihm furchtbar elend zumute. Diese Leute, die Seinen, sie rissen mit noch rücksichtsloserer Gewalt an seinem armen Herzen, als das sein ganzes verzweifeltes Schicksal selber tat. Sie schlugen ihm mit ihrem ganzen Wesen tiefere Wunden, als Irma und Lang, und der quälende Gedanke, daß er das »Sonnenmädchen« niemals werde vollenden können.

»Du sprachst vorhin von deiner Arbeit,« begann nun Frau Baumann, »arbeitest du denn auch hier draußen für das Geschäft?«

Lauernd, fragend waren die Augen der Mutter auf ihn geheftet, wußte sie doch ganz genau, daß Ewald die Geschäfte im Hause Langs schon seit Monaten vernachlässigte, und daß Seliger dort alles an sich gerissen hatte!

»Das nicht,« wich er aus.

Dann fiel er eine Minute lang in tiefes Schweigen, da er sich plötzlich daran erinnerte, wie die Seinen mit der alleinigen Ausnahme der nun in der Ferne weilenden Martha, diese Mutter an der Spitze, seine musikalischen Neigungen immer verspottet hatten.

»Jetzt werden wir gleich da sein,« sagte er daher auf einmal ganz unvermittelt.

Der Wagen bog in die Allee. Die hohen Bäume, unter deren dichtem, grünem Dache Ewald einst an seinem Hochzeitsabend, ein Trunkener, an Irmas Seite, seinen Einzug in Schloß Schönblick gehalten, sahen in der Sonne dieses letzten Septembertages kahl und gelb drein. Das fiel ihm in dieser Stunde so recht auf. Wehmut kam über ihn, während Rolf das Wort nahm und meinte:

»Der Herbst ist doch die schönste Zeit, meinst du nicht? Du hast doch jemand, der mit mir auf die Hühnerjagd gehen kann? Hast du auch einen englischen Setter?«

Jetzt näherte man sich dem Schlosse. Aus den hohen Wipfeln der Silberpappeln und Edeltannen grüßte der schlanke Turm von Schönblick herüber, und da man nun auf dem grauen Kiese des Parkes nach dem Portal fuhr, waren Hilde und die Mutter, Rolf und Paulchen völlig versunken in den wundervollen Anblick, den diese wahrhaft fürstliche Besitzung dem Auge bot.

Ewald bemerkte das gar nicht. Er gab dem den Schlag öffnenden Diener die Weisung, den Herrschaften ihre Zimmer zu zeigen und das große Gepäck vom Bahnhof besorgen zu lassen.

Dann verschwand er über einen Seitenpfad des Parkes und überließ Mutter und Geschwister vorläufig ihrem Schicksal.

Des Nachmittags gegen sechs Uhr fand man sich zum Abendtee in dem großen Speisesaale des Erdgeschosses wieder zusammen. Frau Baumann, die das Schloß nur einmal flüchtig während eines kurzen Besuches nach Ewalds Hochzeit kennen gelernt hatte, war hingerissen von all der Pracht. Sie konnte nicht Worte genug finden, um das unerhörte Glück, das ihr ältester Sohn mit dieser Heirat gemacht habe, zu preisen.

Rolf war in allen Ställen gewesen und prahlte wieder mit seinem Verständnis für edle Rassetiere. Ja er entpuppte sich mit einem Male als ein großer Freund der Landwirtschaft und zog Vergleiche zwischen der Verwaltung von Schloß Schönblick und der Wirtschaft, die er in diesem Sommer auf dem schlesischen Gute seines Freundes Hasso von Windheim angetroffen hatte.

Hilde schwärmte von den im Parke gelegenen Treibhäusern und dem ausgedehnten Geflügelhofe, und Paulchen erkundigte sich auf das genaueste, ob die Trauben an der Südseite der Pferdeställe schon reif seien und ob es für ihn etwas zum Abschneiden gäbe?

Auf all diese Fragen der Seinen, die er seit seiner Verheiratung ganz selten in der Stadt zu Gesicht bekommen, hatte Ewald nur flüchtige Antworten. Dem scharfen Auge einer wirklich liebenden und zärtlichen Mutter hätte es auffallen müssen, wie blaß und kränklich der von den reichen Gütern eines äußeren Glückes so verschwenderisch überschüttete Sohn aussah. Aber Frau Baumann war dermaßen in Anspruch genommen von all dem Reichtum, den sie jetzt mitgenießen durfte, daß ihr zunächst der Blick für alles andere zu fehlen schien.

»Ist das echtes Sèvres, was da auf dem Büfett steht?« fragte sie jetzt.

Nachdem der Sohn dies bejaht hatte, näherte sie sich dem Büfett und betrachtete mit ihrem Lorgnon eingehend die alten Stücke, die Lang einst in Paris auf Wunsch seiner verstorbenen Frau gekauft und seiner Tochter zum Geschenk gemacht hatte.

»Ich hoffe doch, daß mein Schwiegertöchterchen als Herrin des Hauses uns wenigstens für ein paar Minuten empfangen und willkommen heißen wird. Das wird ihr Zustand wohl erlauben,« meinte sie nun etwas spitz.

Die dunkle Röte der Verlegenheit stieg bei diesen Worten der Mutter wieder in Ewalds Gesicht. Rolf und Paulchen hatten sich, nachdem man den Tee eingenommen, noch einmal zu einem Rundgang durch den Park aufgemacht. Hilde träumte vor sich hin, sie dachte an Seliger, wie lange der wohl noch mit seiner Werbung zögern würde, und nahm an dem Gespräch zwischen Sohn und Mutter keinerlei Anteil. Als sie nun bemerkte, daß sich die Mutter und Ewald über einen Empfang von seiten Irmas nicht einigen konnten, stand auch sie auf und ging über die breite nach dem Park führende Freitreppe, dem Teiche entgegen, wo das schneeweiße Schwanenpaar seine Kreise zog.

Diesen günstigen Augenblick des Alleinseins mit Ewald hielt Frau Baumann für geeignet, ihrem ältesten Sohne den Plan mitzuteilen, den sie schon im Sommer bei seiner Verheiratung gefaßt hatte, und an dem festzuhalten, sie mit der ganzen Zähigkeit ihrer Natur entschlossen war.

»Höre, Ewald,« begann sie, »ich muß dir einen Vorschlag machen, der mich schon all die Monate, seitdem du hier auf dem Schlosse weilst, immer wieder beschäftigt hat. Du weißt, Rolf kommt zu Ostern nach Oberprima und will dann bei einem Kavallerieregiment als Avantageur eintreten. Dann bleibt mir nur noch Paulchen, der das Gymnasium besucht, denn, wie ich hoffe, wird Hilde bis dahin verheiratet sein,« fügte sie mit einem geheimnisvollen Lächeln hinzu. »Mit der Wohnung habe ich es mir hin und her überlegt. Eine neue habe ich zum Oktober nicht gemietet, wohl aber einen Speicher, in dem ich unsere alten Möbel unterbringen kann. Ich halte es für das beste, Rolf diesen Winter zusammen mit Paulchen zu Professor Obermayer in Pension zu geben, und ich selbst werde dann, wenn du nichts dagegen hast, und du wirst wohl nichts dagegen haben können, sei es nun allein oder mit Hilde, hier draußen bleiben.«

Da brauste Ewald auf:

»Aber das ist doch unmöglich, Mutter. Irmas Zustand verlangt die größte Ruhe. Ich selber brauche völlige Abgeschiedenheit für meine Arbeit, und du, du verfügst ganz im stillen über sie, über mich, über das Schloß, und willst auch noch mit Hilde hierher ziehen. Das geht doch nicht, Mutter. Lang hat mir das Schloß doch nicht als Versorgungsanstalt für meine Familie überwiesen.«

Frau Baumann bewahrte ihre Ruhe. Denn ganz plötzlich war in ihrem Inneren der Verdacht aufgestiegen, daß ihr Ewald etwas zu verbergen habe, und sie wußte, daß sie wie auch schon früher immer mit Zähigkeit bei ihm am raschesten zum Ziele kommen werde.

»Wenn du dir die Sache ruhig überlegst, Ewald,« sagte sie daher in sanftestem Tone, »dann wird alles schon gehen, zumal, da ja Irma, wie du sagst, doch der Schonung bedarf, und Schloß und Wirtschaft um so mehr eine Vorsteherin nötig haben werden. Mit den Dienstboten allein kannst du nicht wirtschaften, wie ich dich kenne, bist du wohl für einen so großen Haushalt nicht erfahren genug. Führe mich nur zu Irma, ich werde noch heute mit ihr reden, und ich bin überzeugt, daß mich mein Schwiegertöchterchen freundlicher willkommen heißen wird, als mein eigener Sohn.«

»Du irrst, Mutter,« beharrte Ewald. »Irma hat ihre Vertrauten und Bediensteten, auf die sie sich verläßt, denen auch ich nichts dreinzureden habe. Dein Versuch, bei Irma durchzudringen, wird ein vergeblicher sein.«

»Meinst du? Frauen verstehen sich schließlich leichter, als das zwischen Männern, ja zwischen Mann und Frau leider des öfteren der Fall zu sein pflegt. Melde uns bei Irma an, und du wirst sehen, deine Mutter und Hilde werden mit deiner Frau sehr gut auskommen.«

Die hartnäckige Zähigkeit dieser zudringlichen Frau, in der er seine Mutter zu verehren hatte, versetzte Ewald plötzlich in blinde Wut.

»Ich verbitte mir jede Knebelung meines Willens, Mutter,« schrie er nun mit lauter Stimme. »Ich habe gegen euern Besuch auf vierzehn Tage nichts eingewandt, weil ich euch das Versprechen gegeben hatte. Aber Irma läßt du in Ruhe, und in die Angelegenheiten meiner Ehe hängst du dich nicht hinein.«

Erstaunt, voll gespannter Aufmerksamkeit hingen Frau Baumanns Augen an Ewalds Munde.

»So lebst du nicht im besten Einvernehmen mit Irma,« stieß sie nun endlich hervor.

Unter den fragenden, forschenden Blicken der Mutter senkte Ewald wie schuldbewußt den Kopf, und in zitterndem Tone kam es von seinen Lippen:

»Wenn du die Antwort auf diese unzarte Frage aus mir herauspressen willst, Mutter, so sei es denn. Mir ist es einerlei, schon lange einerlei. Nein, Irma und ich, wir meiden uns schon seit Wochen, seitdem ich weiß –«

Er hielt inne. Er konnte kaum mehr sprechen, und dennoch würgend, die Worte hervorstoßend, vollendete er:

»– seit ich der Überzeugung bin, daß Irma und ihr Vater mich betrogen haben.«

Frau Baumann erhob sich von ihrem Sessel. Sie ging langsamen Schrittes auf Ewald zu und legte die Hand auf des Sohnes fieberheiße Stirn.

»Was willst du damit sagen, Ewald? Hier im Schlosse, weilt hier im Schlosse ein zweiter, dem sie ihre Gunst schenkt?«

»Nein, Mutter, nein, nein, du hast immer noch nicht begriffen? Irma fühlt sich Mutter. Das Kind wird in wenigen Monaten zur Welt kommen, verstehst du jetzt?«

Einen Augenblick verfärbte sich Frau Baumanns Gesicht, dann aber sagte sie mit fester Stimme:

»Ich verstehe alles – und, Ewald, um so notwendiger wird es sein, daß ich bleibe. Gott sei Dank, daß ich noch rechtzeitig hierhergekommen bin. Ich werde mit Irma sprechen, verlaß dich drauf, es wird alles wieder gut.«

»Mutter, Mutter,« schrie Ewald, »was hast du vor, was willst du tun? Was willst du ihr sagen? Ich selber habe noch kein Wort mit ihr darüber gewechselt. Ich weiß, daß ich der Betrogene bin, ich weiß, daß ich, ein Unwürdiger, ein Verabscheuungswerter, hier im Schlosse von ihrem Gelde hause, ein bezahlter Ehrloser, der ihre Schande mit seinem Namen decken soll, der nicht den Mut, nicht die Kraft, nicht die Möglichkeit findet, sich aus diesen schmählichen Fesseln loszureißen! – Und das willst du ihr sagen?«

»Ich werde mit ihr sprechen, verlaß dich drauf, noch an diesem Abend. Gott sei Dank, daß ich da bin.«

Eine herbe Entschlossenheit lagerte sich bei diesen Worten um Frau Baumanns fest aufeinandergepreßte Lippen. Dann reichte sie dem Ahnungslosen die Hand und zog sich, Pläne schmiedend, in das ihr im Schlosse angewiesene Zimmer zurück.


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