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XV.

In der ersten Woche des Februar kam das Kind zur Welt. Es war ein kräftiger Knabe. Das ganze Schloß und alle seine Insassen, mit der einzigen Ausnahme dessen, der als der junge glückliche Vater galt, standen in dem Zeichen dieses freudigen Ereignisses.

Lang selber kam, sich persönlich von dem Wohlbefinden seiner Tochter und seines ersten Enkelkindes zu überzeugen. Die Mitteilung, daß er eine Anzahl solider Papiere im Betrage einer fünfstelligen Ziffer für seinen Enkel auf Zinseszins habe anlegen lassen, trug viel zu Frau Baumanns Großmutterfreude bei. War dies doch ein Zeichen, daß der allmächtige Kommerzienrat mit dem Gange der Ereignisse sehr zufrieden und der Ansicht war, daß nun alle Wolkenschatten, die sich zu Anfang über diese junge Ehe gelegt hatten, glücklich zerstreut seien.

Das Wochenbett nahm einen normalen Verlauf. Die Geburt war eine sehr leichte und glückliche gewesen. Frau Bitterlich und der aus der Stadt zu der Entbindung hinzugezogene Spezialist hatten ihre Pflicht getan. Mutter und Kind waren gesund und munter.

Der kleine Schreihals mit den prallen Beinchen und dicken Ärmchen nahm die von Frau Baumann gemietete Amme, eine derbe Fulderin, nach deren Willen bald die ganze Dienerschaft des Schlosses tanzen mußte, wacker in Anspruch, und schon in den ersten Wochen seines Daseins merkte man, daß der neugeborene Schloßherr von Schönblick seinen Willen geltend zu machen verstand und tatsächlich die Herrschaft über sein prächtiges Besitztum angetreten hatte.

Sah doch Frau Baumann, die nun völlig nach ihrem Gutdünken schalten und walten konnte, in dem Kleinen so etwas wie die Sicherung des Fortbestandes ihrer Dynastie. Nach ihrer Ansicht war Ewald nun, nachdem das Kind unter seinem Namen in das Geburtsregister eingetragen war, für immer an Irma gefesselt. Sie hatte die Überzeugung, daß Irma, die sich rasch erholte, einmal von den Beschwerden der Schwangerschaft befreit, der Sorge für die Pflege des Kindes durch sie, Frau Bitterlich und die Amme gründlich überhoben, alles tun werde, um ihren Mann aufs neue an sich zu fesseln.

Daran, daß ihr das gelingen werde, zweifelte sie nicht. Hatte sie doch während ihres nun schon fast ein halbes Jahr dauernden Aufenthaltes auf dem Schlosse mancherlei über das Liebesleben des jungen Paares in Erfahrung gebracht. Las sie doch in Irmas schwarzen Augen von Tag zu Tag mehr das Wiedererwachen der nach Befreiung von dem Kinde sich nur noch mächtiger regenden sinnlichen Triebe, und glaubte sie doch mit aller Bestimmtheit annehmen zu dürfen, daß Ewald den Reizen der nach der Niederkunft nur noch schöner und voller gewordenen Jüdin aufs neue erliegen werde.

Mit aller Sorgfalt beobachtete sie daher den Sohn und die Schwiegertochter, von deren gutem Einvernehmen nun die ganze Zukunft ihrer selbst und der Baumannschen Familie abhängen würde.

In den ersten Tagen nach der Geburt des Kindes hatte sich Ewald nur ein einziges Mal am Bette seiner Frau sehen lassen. Frau Bitterlich war ihm damals, den Kleinen auf den Armen, entgegengekommen, und mit einem durchbohrenden Blicke hatte der, der nun nach Recht und Gesetz und vor den Augen der Welt zum ersten Male Vater geworden, das unschuldige Wesen betrachtet.

Frau Baumann, die bei diesem Besuche anwesend war, las die Gedanken, die sich hinter der Stirn des finsteren Sohnes jagten und drängten. Er berechnete aufs neue den Zeitunterschied, der zwischen dem Geburtsdatum dieses Kindes und dem Tage seiner Eheschließung mit Irma lag und der nicht stimmen wollte, er studierte die nichtssagenden Züge des Kleinen und schüttelte den Kopf, da es unmöglich war, aus diesem ausdruckslosen Gesichtchen eine Ähnlichkeit mit der Mutter oder ein Charakteristikum für den unbekannten Erzeuger ausfindig zu machen.

Dann war er gegangen, ohne Frau und Mutter auch nur die Hand gereicht zu haben, und hatte so Frau Bitterlich und der Amme genügenden Grund zu allerhand unliebsamen Bemerkungen gegeben.

Eine rasende Wut hatte Irma gepackt. Als Ewald draußen war, verfiel sie in Weinkrämpfe, und nur mit Mühe gelang es Frau Baumann, die der Bitterlich und der Amme befahl, sie mit ihrer Schwiegertochter allein zu lassen, die maßlos Erregte zu beruhigen.

»Das geht nicht so weiter,« schrie Irma ein über das andere Mal. »Ich werde verrückt, ihr sollt sehen, daß ich noch verrückt werde, wenn er sein Benehmen nicht ändert. Ich habe gefehlt, gut. Aber jeder Fehler wird einmal verziehen. Und ich will ihn wieder haben, ich muß ihn wieder haben, er ist mein Mann, und es ist seine Pflicht!«

So schrie und tobte sie eine Weile, bis Frau Baumann ihr versprach, ihre ganze Autorität über den Sohn in die Wagschale zu werfen, damit Ewald, sobald sich Irma erholt habe, zu ihr zurückkehre und seine Pflichten als geduldiger und folgsamer Gatte wieder übernehme.

»Wenn es dir nicht gelingt, Mutter,« drohte Irma, »dann werde ich meinem Vater reinen Wein einschenken, wie ich hier auf dem Schlosse von ihm behandelt werde. Das Kind, das seinen Namen trägt, kann er jetzt nicht mehr von sich weisen. Ich selber werde die Scheidung beantragen, ich werde wieder frei sein, und ihr alle könnt eurer Wege gehen, du und er, Mutter, und ihr alle, seinetwegen, der mich mit Füßen tritt!«

Das genügte Frau Baumann. Innerlich vor Irmas Rache und Tatkraft erbebend, suchte sie äußerlich kaltes Blut zu bewahren, und in dem freundlichsten Tone der Welt meinte sie:

»Aber, Irmchen, das wird schon alles wieder gut werden. Du überläßt das Kindchen mir und den Leuten und widmest dich ganz Ewald. Wenn du erst wieder vollständig auf dem Damme bist, dann wird er von selbst schon wieder anbeißen, verlaß dich drauf,« fügte sie mit einem vielsagenden Lächeln hinzu, indem sie einen Blick auf den üppigen Körper der jungen Mutter warf.

Aber so leicht, wie sich Frau Baumann das vorstellte, war die Sache mit Ewald nicht. Wochenlang ließ er sich kaum auf dem Schlosse sehen. Den ganzen Tag weilte er in der Stadt und langte erst spät in der Nacht draußen an, wo er sich in einem kleinen Zimmer des Erdgeschosses, seitdem es Irmas Zustand notwendig gemacht hatte, sein Schlafgemach hatte einrichten lassen.

Rolf und Paulchen waren wieder bei ihrem Professor. Der erstere wartete sehnsüchtig auf das nun immer näherrückende Osterfest, das ihm die Versetzung nach Oberprima und mit dieser, wie er meinte, die langentbehrte Freiheit und die erste gesellschaftliche Stellung als Avantageur bringen sollte.

Paulchen sah den Dingen, die da kommen würden, in aller Ruhe entgegen, denn ein Pensionär des Professors war, seitdem man denken konnte, noch niemals sitzen geblieben.

Hilde war schon seit Wochen Frau Seligers Gast. Die dicke Jüdin mit den wundervollen Brillanten, die allein mit ihrer Gesellschafterin eine prächtige Villa bewohnte, hatte die Braut des Sohnes zu sich ins Haus genommen, damit diese im Januar und Februar noch etwas von der Saison habe.

Außerdem war es in der Stadt angenehmer und leichter für die Aussteuer zu sorgen, die ganz nach den Wünschen Frau Seligers für ihren einzigen Sohn ausfallen sollte.

Die Zeit drängte, wenn man alles rechtzeitig haben wollte, denn die Hochzeit sollte bald nach Ostern stattfinden. Das junge Paar wollte dann die Hochzeitsreise nach Paris antreten, und der Frühling war nach Seligers reichen Erfahrungen für die französische Hauptstadt die beste Zeit.

Hilde und mit ihr Frau Baumann schwammen in einem Meer von Wonne. Schon auf den Gesellschaften der jüdischen Hautefinance, wohin Frau Seliger die Braut ihres Harry geführt, war Hilde überall aufgefallen. Die entzückende Blondine mit den großen blauen Augen, mit der blendend weißen Haut und den vollen Formen stach in diesen Kreisen auch zu auffallend von den brünetten Orientalinnen ab.

Mancher reiche Herr der Börse ließ sein Auge wohlgefällig auf Hilde ruhen, und Seliger bereute es jetzt nicht mehr, Hilde trotz seiner langgehegten Bedenken zu seiner Braut gemacht zu haben. Ihre Mittellosigkeit und das Vorurteil, das er gegen eine Heirat mit der Ballettratte gehabt, wurden wett gemacht durch die Triumphe, die er schon jetzt an ihrer Seite feierte.

Man hielt ihn in seinen Kreisen für einen schlauen Kerl, der es verstanden, diese auffallende Schönheit an sich zu fesseln, und der auch auf ganz anderem Wege als durch eine ansehnliche Mitgift zu Reichtum und Einfluß gelangen würde. Lang, der das Alter herannahen fühlte, sprach überall ganz offen davon, daß Harry Seliger die Geschäfte im Namen seiner Tochter einst weiterführen werde, da sich sein eigener Schwiegersohn Baumann nichts aus dem Finanzleben mache und seinen Liebhabereien auf den Gebieten der Musik und der Landwirtschaft nachzugehen entschlossen sei.

Langs Nachfolger nannten ihn schon die Schmeichler unter den Börsenmaklern, denen er mittags die Aufträge des Bankhauses erteilte, und er fühlte, daß der Einfluß seines Chefs allmählich der seine wurde, daß man in ihm schon den großen Finanzmann der Zukunft zu wittern begann.

Also eine Mitgift brauchte er nicht. Wenn man ihn um seine Frau wegen deren Schönheit und christlicher Herkunft beneidete, dann war das auch etwas, womit er in seiner Lage und in seinen Kreisen, rechnen konnte.

Ewald Baumann blieb Teilhaber des Geschäfts. Der christliche Name, für den Lang immer viel übrig gehabt, konnte also eines Tages sehr gut auf die Firma übergehen, und von den Fernstehenden würde niemand ahnen, daß Harry Seliger die Seele des christianisierten Bankhauses sei, dem sich gar bald an der Seite seiner schönen und blonden Frau Kreise öffnen würden, die ihm dem Ledigen und in der jüdischen Gesellschaft nach einer Frau Suchenden verschlossen geblieben waren.

Zumal Rolf machte ihm Spaß. Wenn man den seiner Wege gehen ließ und ihm die Mittel an die Hand gab, als Kavallerieoffizier vornehm aufzutreten, dann konnten sich durch den jüngeren Bruder seiner Frau ganz ungeahnte Verbindungen für die Zukunft des Bankhauses Lang, Baumann & Co. ergeben.

So saßen Frau Baumann, Irma und Ewald allein auf dem Schlosse. Gegen Ende des Februar hatte sich die junge Frau völlig erholt. Frau Bitterlich und die Amme bewohnten mit dem Säugling die nach der Hinterseite im Flügel des Schlosses gelegenen Räume des ersten Stockwerkes, weil die junge Mutter durch das nächtliche Schreien des Kleinen in ihrem Schlafe nicht gestört werden wollte.

Die Pflichten der Ernährung hatte Irma gleich in der ersten Woche an die Amme abgetreten. Sie wollte nicht häßlich werden, wollte die schöne Form ihrer Brüste auch nicht zeitweise verlieren, denn sie war nach ihrer Überzeugung in erster Linie für sich selber und nicht für dieses Kind auf der Welt.

Frau Baumann tat das Ihre, sie in dieser Ansicht zu bestärken. Denn als sorgende Mutter dieses Kindes hatte Irma die geringste Aussicht, Ewald wieder für sich zu gewinnen. Und Ewald mußte wieder Irmas Sklave werden, wenn die Tage der Herrschaft über Schloß Schönblick für Frau Baumann nicht gezählt sein sollten.

Fürs erste freilich hatte es nicht den Anschein, als ob Ewald gewillt sei, zu seiner Frau zurückzukehren. Sein kleines Schlafzimmer im Erdgeschosse hatte er immer noch nicht aufgegeben, trotzdem er wußte, daß Irma wieder wohlauf und munter war, und daß dies Kind des Anstoßes zusammen mit der Bitterlich und der Amme in seinen abgeschlossenen Räumen ihm nicht zu Gesicht kommen würde.

Aber ihn mit nackten Worten unter den gegebenen Verhältnissen einfach aufzufordern, in das Ehebett zu seiner Frau zurückzukehren, das ging doch nicht so einfach an, obwohl Frau Baumann das am liebsten getan hätte. Denn sie fürchtete, sich eine schroffe Abweisung zu holen und dann die ganze Sachlage nur um so schwieriger zu gestalten.

In Irmas großen, schwarzen Augen las sie täglich, stündlich den Wunsch nach Ewalds Umarmung, las sie die neuerwachte Gier nach dem Manne, den sie einstmals völlig beherrscht hatte, und der nun seit vielen Monaten nicht mehr ihr eigen gewesen war.

Und eine neue furchtbare Gefahr dämmerte mit einem Male in Frau Baumanns Bewußtsein auf. Wie, wenn Irma, des Wartens satt, nach anderen Männern Ausschau hielt! Schien ihr doch diese Frau, die das Kind von einem Unbekannten vor der Ehe empfangen, zu allem fähig. Wenn Ewald sich nicht besann, wenn er sie weiter vernachlässigte, wenn es ihr nicht gelingen wollte, den Schwächling in die Arme seiner Frau zurückzuführen, dann würde diese auf andere Befriedigung ihrer Lüste sinnen, dann waren sogar innerhalb des Schlosses Männer genug, der Verwalter, die Diener, die Knechte – Himmel, wer alles noch, denen sich die von Tag zu Tag leidenschaftlicher werdende junge Frau an den Hals werfen konnte.

Dann war ein neuer Anlaß zu einem Skandal gegeben, den Ewald vom Zaune brechen und zu einer für ihn günstigen Scheidung dieser Ehe, an deren Bestande alle ihre Hoffnungen hingen, benutzen konnte.

Nein, das durfte nicht sein. Ewald mußte zurück in Irmas Arme, ehe, durch Irmas Leidenschaft veranlaßt, ein neues Unglück geschehen war!

In solche Gedanken versunken, saß Frau Baumann auch heute wieder in dem kleinen blauen Salon des Erdgeschosses, den sie sich als Verwaltungsbureau von Schloß Schönblick eingerichtet hatte. Der elegante Damenschreibtisch aus Mahagoni sah nicht aus, als ob auf seiner Platte vornehme Einladungskarten und duftende Billetdoux geschrieben würden. Dicke Mappen mit Rechnungsauszügen und Voranschlägen bedeckten diese, und auf dem zierlichen Aufbau stand eine ganze alphabetisch geordnete Registratur, die über die einzelnen Verwaltungsbezirke der ausgedehnten zu Schönblick gehörigen Ländereien rasch und sicher Auskunft gab.

Unter der Anleitung des neuen Verwalters war Frau Baumann in kurzer Zeit eine umsichtige Geschäftsfrau und sichere Vorsteherin des großen landwirtschaftlichen Betriebes geworden, dessen Zügel sie jetzt in festen Händen hielt.

Die nun neuerfolgte Verpachtung der Äcker, Wälder und Wiesen hatte ein glänzendes Ergebnis gezeitigt. Mit Stolz und Freude hatten Frau Baumanns Augen auf den stattlichen Summen geruht, die die einzelnen Pächter pünktlich am ersten eines jeden Quartals an der Kasse des Schlosses bei dem neuen Verwalter abzuliefern hatten. Die von diesem selber für Irmas eigene Rechnung eingeführte und geleitete Viehzucht versprach hohen Gewinn, und die Abschlüsse mit dem Holzhändler würden für Jahre hinaus eine sehr annehmbare Leibrente für den glücklichen Besitzer dieser prächtigen Waldungen abwerfen.

Auch der neue Förster hatte sich vorzüglich bewährt, und der Erlös aus dem Verkauf des in den beiden letzten Monaten abgeschossenen Wildes stieg bis zu dreistelligen Ziffern empor.

Frau Baumann war mit sich und der Verwaltung des Schloßgutes zufrieden, um so mehr quälte sie daher auch heute wieder der Gedanke, daß Irmas unbefriedigte Leidenschaft, daß eine unüberlegte Handlung des mit seiner Frau noch immer nicht ausgesöhnten Ewald die mühevolle Arbeit ihrer Umsicht und Tatkraft mit einem einzigen Schlage vernichten könne.

Sie erschrak darum heftig, als sie plötzlich zu dieser ungewohnten Stunde des Vormittags eine Droschke durch das hohe Portal des Schloßtores über die schon vom Frühlingsregen durchweichten Kieswege des Parkes rollen und dieser Ewald entsteigen sah.

Vor knapp drei Stunden war der in die Stadt in das Geschäft seines Schwiegervaters gefahren. Zu Mittag pflegte er in den letzten Monaten niemals auf das Schloß zurückzukehren. Es mußte etwas vorgefallen sein, etwas Unvorhergesehenes, am Ende etwas Furchtbares, sie und ihre stolzen Pläne Vernichtendes, das den sonst so tatenlosen Schwächling plötzlich zum Handeln trieb.

Hinter der blauseidenen Damastgardine stand sie eine Weile und beobachtete Ewald, wie er den Kutscher ablohnte und dann raschen Schrittes im Schlosse verschwand.

Seine fahle Blässe, die zitternden Bewegungen seiner Hände, das Hastige in seinem ganzen Wesen waren ihr aufgefallen, und gespannt lauschte sie seinen Tritten, die sich über die Treppe nach dem ersten Stockwerk, wo Irma ihr Heim aufgeschlagen, zu verlieren schienen. Doch bald hörte sie ihn wieder herunterkommen. Nun näherte sich der rasche Schritt der Tür ihres Zimmers, und das Blut stieg ihr drückend und beengend zum Herzen, als sie jetzt sein heftiges Klopfen vernahm.

Ohne ihren Hereinruf abgewartet zu haben, stand Ewald plötzlich vor ihr.

»Wo ist Irma,« herrschte er sie an. »Ich bin oben gewesen, sie soll im Bade sitzen. Mach', daß Irma herunterkommt, ich habe mit ihr zu sprechen. Es soll endlich klar zwischen uns werden.«

Frau Baumann hatte sich gefaßt.

»Aber Ewald,« begann sie nun in vorwurfsvollem Tone, »was fällt dir denn ein, so ins Haus zu kommen, mich und deine Frau, von der du weißt, daß sie noch der Schonung bedarf, so zu erschrecken? Ich muß dich doch bitten, dich zunächst etwas zu mäßigen, ehe du Irma entgegentrittst.«

»Mäßigung, Mäßigung,« wie das Gebrüll eines wilden Tieres, kam das Wort von Ewalds Lippen, so daß selbst Frau Baumann zum ersten Male in ihrem Leben vor diesem Sohne erschauerte, vor dieser plötzlichen Umwandlung seines ganzen Wesens, das sich einzig aus Wut, Groll und Haß zusammenzusetzen schien.

Aber trotzdem, noch einmal wagte sie den Versuch.

»Beherrsche dich,« Ewald, rief sie, »und sage in ruhigen Worten, was dich hierhergeführt hat.«

Der kühle Ton, in dem sie dies wie einen Befehl gesprochen, raubte ihm den letzten Rest von Besonnenheit.

»Mutter,« schrie er, »ich bin hierhergekommen, um endlich reinen Tisch zu machen, um die schamlose Lüge, die ich nicht mehr ertragen will, aus der Welt zu schaffen, um den Betrug, mit dem ich umgarnt worden bin, zu vernichten, und wenn es das Leben dieses Bankerts kosten sollte, und wenn ihr alle daran zugrunde geht. Hole Irma, sonst reiße ich sie nackt, wie sie ist, aus dem Bade und speie ihr, in das Lügengesicht, hörst du?«

Er war nach der Tür geeilt, aber Frau Baumann versperrte ihm den Weg.

»Rede,« zischte sie hervor, »rede mit mir! Erzähle mir alles, was dich in solche Wut versetzt hat! Du verläßt dieses Zimmer nicht in diesem Zustande, du kommst so nicht zu Irma, und wenn ich dich von deinen eigenen Leuten fesseln lasse, hörst du, verstehst du mich?«

Wilde Energie in den flammenden Augen, stand sie vor der Tür. Und er wagte es nicht, die Hand gegen sie zu erheben und sich so seine Freiheit zu sichern. Vor diesen Augen schlug er auch heute wieder die Blicke zu Boden und stammelte:

»So höre! Eine Französin, die früher Irmas Gesellschaftsdame gewesen, war bei mir im Bureau. Sie hat mir die ganze Geschichte erzählt. In einem schweizerischen Hotel hat sich Irma von einem heruntergekommenen Kavalier verführen lassen. Lothar von Brandt heißt der Mensch. Er ist der Vater des Kindes. Lang hat ihr bisher ein Schweigegeld gezahlt. Nun kommt die Person zu mir. Sie will heiraten und bedarf zur Gründung eines Geschäfts zehntausend Gulden. Die hat sie von mir zu erpressen versucht mit Drohungen, die Sache sonst an die große Glocke zu hängen. Lang hat ihr die Tür gewiesen, und da ist sie zu mir gekommen. Und was noch schlimmer ist, der Verführer selber, mit ihm droht sie, der sei uns auf den Fersen. Er sei im vorigen Jahre, weil er verfolgt wurde, nach Südamerika ausgewandert, die Staatsanwaltschaft habe seine Verfolgung wegen mangelnden Belastungsmaterials eingestellt. Vorgestern sei er in Bremen angekommen. Und wenn er erst hier sein werde – verstehst du mich jetzt?«

Frau Baumann wankte.

»Und was soll Irma mit alledem,« fragte sie nun rasch, »warum hat Lang die Französin weggewiesen, warum hat er nicht die zehntausend Gulden gezahlt?«

»Aber, Mutter, soll er sich denn von solchen Schuften die Pistole auf die Brust setzen lassen? Die Wahrheit muß an den Tag, nur die Wahrheit kann uns retten. Ich werde mit Irma sprechen, wir wollen die Scheidung beantragen, ich muß heraus aus diesen unwürdigen Verhältnissen, an denen ich zugrunde gehe! Ich muß heraus, Mutter, und dann wird alles wieder gut.«

»Wenn du zu vernünftiger Überlegung gekommen sein wirst, wirst du das nicht tun,« lautete Frau Baumanns nun in aller Ruhe gegebene Antwort. »Setze dich hierher zu mir und höre meinen Rat an.«

Willenlos, wieder völlig unter dem allmächtigen Einfluß dieser Frau folgte Ewald diesen Worten und ließ sich auf einem der Fauteuils nieder, indessen Frau Baumann dicht an seine Seite trat.

»Im Grunde genommen,« meinte nun diese, »wenn ich mir den ganzen Fall überlege, hat Lang sehr richtig gehandelt, der unverschämten Person ihre Forderung schlankweg abzuschlagen, denn in der Gewährung lag eine Gefahr, ganz abgesehen davon, daß das eine Schraube ohne Ende würde.

Du hast Irma geheiratet, das Kind ist geboren, es trägt nach Recht und Gesetz deinen Namen. Kein Gerede der Welt wird dazu imstande sein, den bündigen Beweis zu erbringen, daß jener Mensch in der Tat der Vater des Kindes ist, wenn du ihm nicht selber den Beweis durch dein Verhalten an die Hand gibst. Frühzeitige Geburten nach sieben Monaten sind schon in vielen Ehen vorgekommen, ohne daß ein Mensch daran gedacht hat, aus dieser Tatsache allein eine Schuld der Mutter zu folgern.

Du hast Geld die Menge und stehst unabhängig genug da, um dem Gerede der Welt die Stirn zu bieten, und die Französin und jener andere werden rasch von der Bildfläche verschwinden, wenn du meinem Rate folgst und nun endlich Frieden mit deiner Frau machst.

Irma wartet nur auf ein Wort von deiner Seite, sie harrt deiner in heißer Leidenschaft, Ewald. Willst du um einer Laune willen dein und ihr Glück, unser aller Zukunft vernichten? Das wirst du doch im Ernste selber nicht vorhaben!

Sieh dies Schloß, diesen Park, die Ländereien, soweit dein Auge reicht, alles ist dein. Wirf einen Blick in die Aufstellungen, die ich in den letzten Monaten gemacht habe. Ein glänzender Gewinn aus der Bewirtschaftung des Gutes allein ist dir sicher. Und dann! Denk' an deine alte Mutter, die sich ihr Leben lang geplagt hat, denk' an Martha, die du doch liebst, und die dir immer für deine Hilfe von Herzen dankbar sein wird, denk' an Hilde, deren glänzende Verlobung du durch einen unüberlegten Schritt rückgängig machen kannst, denk' an Rolf und Paulchen, die ihre Zukunft auf deiner Vermögenslage aufbauen müssen, und wenn du dann noch vor dem kleinen Opfer, zu einer reizenden Frau zurückzukehren, auch wenn sie einmal gefehlt hat, zurückschrecken solltest, dann denke an dich selber, den der Kommerzienrat nach erfolgter Scheidung mit Recht als einen Undankbaren auf die Straße setzen wird, und der dann kaum imstande sein dürfte, für sich allein sein täglich Brot zu verdienen.

Nein, Ewald, das wirst du im Ernste nicht wollen. Höre den Rat deiner Mutter, die es gut mit dir meint. Stelle dich auf Irmas Seite und weise alle Erpressungsversuche als aus der Luft gegriffene Verleumdungen zurück. Die Leutchen werden schon Ruhe geben, wenn sie erst merken, daß da mit solchen Drohungen nichts auszurichten ist, und daß man auch vor der Hilfe des Strafrichters gegebenen Falles nicht zurückschrecken wird!

Und schließlich! Zahlen kann man ja im schlimmsten Falle immer noch, wenn nicht der Weg des Prozesses gegenüber diesen Leuten bleibt, die für ihre Behauptungen keinen Glauben und keinen Zeugen finden werden, wenn du, Ewald, fest bleibst und dich, wie das deine Pflicht ist, ganz auf Irmas Seite stellst.«

Fassungslos starrte er die Mutter an. Wie die sanft und weich werden konnte, wenn sie glaubte, auf diesem Wege rascher und leichter zu ihrem Ziele zu gelangen!

O, wie sie so vor ihm stand, vermochte er sie nur noch tiefer zu hassen, als damals, da sie ihn wie einen dummen Jungen nach ihrem Willen gezwungen.

Er, er allein wußte, was er in diesem halben Jahre an Irmas Seite erduldet hatte. Und das alles, alles sollte ein Ende nehmen. Keines Wortes mächtig, saß er eine Weile da. Schon glaubte sich Frau Baumann des Sieges sicher und, ihre Hand auf des Sohnes Schulter legend, sagte sie in freundlichem Tone:

»So geh' hin, Ewald, und mache deinen Frieden mit Irma.«

Da fuhr er auf.

»Niemals, Mutter, niemals, es ist genug. Ich werde mit Lang sprechen, daß er mich schmählich betrogen, daß ich die Scheidung beantrage, daß ich mein Weib, das schon vor der Hochzeit die Ehe gebrochen, im Stiche lasse, daß ich erklären werde, daß dieses auf meinen Namen eingetragene Kind nicht das meine ist, nicht das meine sein kann. Und die Lorisson und Irmas Geliebter werden gegen Lang meine Zeugen sein. Das werde ich tun, Mutter! Dank, Dank dieser Stunde, die mich endlich wieder zum Manne gemacht hat.«

Mit diesen Worten eilte er hinaus.

Voll Wut blickte Frau Baumann ihm nach.

»Du wirst es nicht tun,« kam es endlich von ihren Lippen, »du nicht!«


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