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VII.

Unter dem Personal der Bankfirma Adolf Lang herrschte große Aufregung. Denn etwas nach den Begriffen aller Unmögliches hatte sich in diesen Tagen ereignet. Der Kommerzienrat hatte den Buchhalter Ewald Baumann zum Prokuristen ernannt und ihm Unterschrift für alle geschäftlichen Abmachungen seines Hauses erteilt. Und noch mehr!

Ewald saß seit einigen Tagen, getrennt von allen übrigen, in dem Vorzimmer zu Langs Privatkontor allein an seinem Pulte und stand während der Geschäftsstunden in unmittelbarem, persönlichem Verkehr mit dem Chef.

Alles zerbrach sich den Kopf, wie denn so etwas möglich sei. Der in Langs Diensten ergraute Kassierer schüttelte das Haupt über den unerhörten Umschwung in der Lage des jungen Mannes und äußerte die Befürchtung, daß es mit Lang, der doch die ersten Geschäftsleute der Stadt jederzeit als Teilhaber haben könne, in seinem Oberstübchen, wie er sich ausdrückte, nicht mehr ganz in Ordnung sein müsse.

Der zweite Buchhalter, Ewalds Spezialkollege aus demselben Zimmer, erzählte allen Ernstes, der Kommerzienrat habe einen kleinen Schlaganfall erlitten, von dem kein Mensch etwas wissen solle, und Baumann nur zu seiner persönlichen Sicherheit in dem seinem Kontor benachbarten Raum untergebracht.

Aber des Rätsels eigentliche Lösung ließ nicht lange auf sich warten.

Kurz, nachdem die Handelsnachrichten die Mitteilung von dem Eintritt Ewalds als Prokurist in das Bankgeschäft Adolf Lang gebracht hatten, verkündeten kleine, in feinster Ausführung lithographierte Karten, daß sich Fräulein Irma Lang, das einzige Kind des Kommerzienrates, mit Herrn Ewald Baumann, dem nunmehrigen Prokuristen des Bankhauses, verlobt habe.

So ward das große Ereignis aus den Bureauräumen Langs in die weite Welt hinausgetragen: Ewald Baumann, der keinen Heller sein eigen nannte, der Schwiegersohn Adolf Langs, dessen Bekannte gleich ihm der Meinung waren, daß er sich einen Fürsten zum Eidam erküren könne!

Von einer schwärmerischen Jugendliebe der schönen Jüdin zu dem hochgewachsenen, netten, blonden jungen Manne, der mit einem Male ein Genie auf dem Gebiete der Musik sein sollte, der heimlich dabei sei, eine große Oper zu komponieren, wurde nun in der Stadt erzählt. Schon für den Gymnasiasten habe sich Irma Lang interessiert. Die glänzendsten Partien habe sie seinetwegen ausgeschlagen und auch die zwei Jahre, die sie, entfernt von dem Geliebten, in einer schweizerischen Pension auf Befehl des sehr unzufriedenen Vaters verbracht habe, die Reisen, die sie aus dem gleichen Grunde unternommen, hätten nichts gefruchtet. Ihre Leidenschaft zu dem jungen Baumann sei von Jahr zu Jahr eine größere geworden. Nun habe Lang auf Drängen seines alten Hausarztes Humbert endlich nachgegeben.

So erzählte man in der Stadt.

Die Hochzeit sollte in aller Bälde stattfinden. Man war nicht weiter erstaunt darüber. Denn wenn Lang etwas in die Hand nahm, dann pflegte er es rasch seiner Entscheidung zuzuführen. Geld war ja die Hülle und Fülle vorhanden. Die beiden jungen Leute waren alt genug. Wozu wäre also ein langer Brautstand nötig gewesen?

Von dem Trousseau, den Lang für sein einziges Töchterchen in Paris bestellt hatte, erzählten sich die Damen der jüdischen und christlichen Hautefinance Wunderdinge.

In diesen Kreisen hatte man überhaupt für Langs Vorgehen ein besseres Verständnis. Man war der Meinung, daß sich der Kommerzienrat durch einen christlichen Schwiegersohn gewissen maßgebenden Persönlichkeiten der Stadt zu nähern beabsichtige, da er nämlich in Grundstücken spekulierte, und die gewinnbringende Ausbeutung seines Grundbesitzes von bestimmten Beschlüssen der Stadtverordnetenversammlung abhängig war. Der Bürgermeister aber stand im Geruche antisemitischer Neigungen und hatte die Mehrheit der Stadtväter auf seiner Seite, so daß es wohl denkbar war, daß die Langschen Grundstücke eines schönen Tages als Baumannscher Besitz in den Augen der maßgebenden Behörde den Anschein, Objekte des jüdischen Bodenwuchers zu sein, verlieren konnten.

So sahen die Herren der Börse und ihre Damen in dieser seltsamen Heirat einen Geschäftskniff, der Langs jüdische Familie in der Generation Baumann einem größeren öffentlichen Einflusse zuführen sollte. Daß der schlaue Kommerzienrat seine einzige Tochter an einen armen, christlichen Kaufmann gab, war daher wohl erklärlich. Aber selbst die angeblichen Kenner der Verhältnisse standen vor einem Rätsel, warum Lang das etwa eine Eisenbahnstunde von der Stadt entfernt gelegene Schloß Schönblick, das er einst im Austausch mit einer Reihe von Grundstücken eigentlich umsonst in den Kauf genommen, dem jungen Paare als Wohnsitz zuweisen wollte.

Baumann war doch Angestellter des Geschäfts. Er mußte als solcher täglich in der Stadt weilen, und Schönblick lag abseits. Man hatte eine gute halbe Stunde von dem Schlosse nach dem Bahnhof zu gehen, und von hier brauchte der Zug immerhin noch zwanzig bis dreißig Minuten, um in die Stadt zu gelangen.

Eines stand von vornherein fest. Das junge Paar wollte in der Stadt kein Haus machen. Warum? Darüber befand man sich im unklaren. Irma sei eine zurückhaltende Natur, sie habe keine Neigung und auch kein Talent für gesellschaftliche Vergnügungen, so sagten die einen. Und die anderen behaupteten, es sei der Wunsch des jungen Baumann, draußen in der freien Natur ganz sich selbst und seinem jungen Glücke zu leben, ja, die Stellung im Hause seines Schwiegervaters sei nur eine formelle, zumal da der junge Neffe des Kommerzienrates, Harry Seliger, aus Paris zurückgekehrt sei und in Langs Geschäft eintreten werde. Ewald selber aber wolle sich ganz seiner Liebhaberei, der Musik, widmen und draußen auf Schloß Schönblick seine Oper zu Ende schreiben.

Wie sehr man sich auch stritt, und wie weit die Meinungen auseinandergingen, darin war man sich einig, daß der junge Baumann ein unerhörtes Glück habe, und daß Schönblick ein idealer Sitz für ein junges Liebespaar sei.

Diejenigen, die Ewald, wie sie sagten, strahlend von Glück an Irmas Seite in der Stadt gesehen, die bei Ausfahrten und Einkäufen das romantische und verliebte junge Mädchen, das dem Buchhalter seines Vaters die Langschen Millionen als Angebinde mitbrachte, beobachteten, waren der Ansicht, das wundervolle Schloß Schönblick werde dereinst das traute Nest einer wahrhaft schwärmerischen Liebe sein.

Und in der Tat, wie gemacht war es dazu. Ein Liebesnest, wie es die Phantasie des Dichters und des Malers nicht reizvoller ersinnen konnte.

Ein ursprünglich fürstlicher Besitz, lag es, von hohen, uralten Edeltannen und Pappeln völlig von der Außenwelt abgeschlossen, in einem großen Parke etwa eine halbe Stunde Weges von einem weltbekannten Badeorte entfernt. Auf seiner sanft ansteigenden Höhe nahm es sich, aus weißem Mainsandstein erbaut, schmuck und vornehm aus. Aus den hohen Fenstern und von der Altane genoß man einen unvergleichlichen Rundblick auf das nahe Gebirge, dessen auserlesenste Punkte und Höhen durch den grünen Rahmen der hohen Bäume wie das Bild eines großen Künstlers nach dem Schlosse herübergrüßten und seinen Namen rechtfertigten.

Ausgedehnte, hinter den Anlagen und Bäumen des Parkes verschwindende Stallungen und Ökonomiegebäude, Wiesen und Äcker, sowie große Waldparzellen im Gebirge, die Lang Jahr für Jahr zur Abrundung seines herrlichen Besitzes unter der Hand für billiges Geld erstanden hatte, machten Schloß Schönblick schön heute zu einer der wundervollsten und aussichtsreichsten Liegenschaften der ganzen Gegend.

Welchen Zweck Lang mit Schloß Schönblick verfolgte, konnte niemand sagen. Es war eine Laune des reichen Kommerzienrates, keinen in unmittelbarer Nähe seiner Besitzung zu dulden und alles im Umkreise aufzukaufen, was er nur irgendwie in die Hand bekommen konnte. Ob er von einem künftigen Villenviertel in dieser Gegend träumte, ob er der Meinung war, daß die einmal nicht ausbleibende Gebirgsbahn das Gelände um Schloß Schönblick dem großen Verkehr erschließen und den Wert der Grundstücke verzehnfachen werde, man wußte es nicht. Aber das eine stand fest, für das junge Paar würde das Schloß ein idealer Sitz sein, ein Liebesnest, wie es zwei Menschen, die in so schwärmerischer Neigung aneinander hängen sollten, so leicht nicht wieder auf dieser Erde geboten werden konnte.

Im Namen seiner Tochter und nach deren Wünschen hatte Lang, wie er Ewald sagte, alles geregelt, nachdem er sich einigermaßen von dem Erstaunen erholt hatte, daß sein einziges Töchterchen sich den armen Kommis zu ihrem Ehgemahl erkoren. Und als Lang das schöne Wort gesprochen, daß er sich einem Herzensbunde seines einzigen Kindes aus Gründen der Moral niemals widersetzen werde, hatte Ewald wie im Traume den Ausführungen seines früheren Chefs und künftigen Schwiegervaters gelauscht.

Das war alles so märchenhaft, so wundersam, daß die Zahlen, die der Kommerzienrat nannte, die Pläne, die er entrollte, nur wie ein fernes und unverständliches Rauschen und Brausen an Ewalds Ohr schlugen, daß die Bilder, die sich seine eigene Phantasie nach Langs Vorschlägen ausmalte, wie wirre Phantome an seiner Seele vorüberzogen. Nur das eine konnte er sich stündlich klar und deutlich wiederholen: du wirst Langs Schwiegersohn, Irma liebt dich, und alle Not für dich und die Deinen hat nun ihr Ende erreicht.

Der Tag der öffentlichen Verlobung Ewald Baumanns mit Irma Lang war ein Tag ausgelassener Freude für die nächsten Angehörigen des Buchhalters gewesen. Schon sein rasches und unvermitteltes Emporsteigen zum Prokuristen hatte Rolf die Sommerreise nach dem Gute seines Freundes Hasso von Windheim ermöglicht. Nun kaufte sich Frau Baumann ein neues seidenes Kleid, um dem Kommerzienrate in diesem ihre Aufwartung zu machen, und Ewald selber, der sich in dem Kreise seiner Familie wie die nebensächlichste Person der ganzen Handlung vorkam, versprach in einer stillen Stunde dem Schwesterchen die Aussteuer.

Martha war überglücklich. Erst vor wenigen Tagen hatte ihr Schröder mitgeteilt, daß er schon nach den Sommerferien auswärts eine feste Anstellung als Oberlehrer erhalten könne. Er war entschlossen, diese anzunehmen und bei Frau Baumann um die Hand ihrer Tochter anzuhalten. Martha hatte ihn gebeten, noch einige Tage zu warten, da sie mit Ewald erst das Notwendige besprechen wollte. Nun kam dieser unerhörte Umschwung in der Lage ihres Bruders und machte mit einem Schlage alles gut. Mit einem unglaublich hochmütigen Gesichte willigte Frau Baumann, die zukünftige Schwiegermutter einer Millionenerbin, in diese Verlobung mit dem Gymnasiallehrer und überließ Ewald die Sorge für den zukünftigen Haushalt seiner Schwester.

Mit einer unverhüllten Gier in den Blicken hatten Frau Baumann und Rolf am Tage vor des letzteren Abreise nach Schlesien Ewalds Mitteilungen über die Mitgift seiner Braut gelauscht, während sich Paulchen auf die Frage beschränkt hatte, ob er denn von jetzt ab jeden Tag etwas Süßes zum Nachtisch bekomme.

Was Ewald für sich und die Seinen in Aussicht stellte, klang geradezu märchenhaft.

War's da ein Wunder, daß Frau Baumann des Nachts kein Auge mehr schließen konnte ob all des Reichtums und des Glückes, die in so unmittelbare Nähe gerückt waren, und daß sie sich plötzlich in dieser Lage ihrer ältesten Tochter Hilde erinnerte, von der seit ihrem Weggang aus dem Vaterhause als von einer Verlorenen nicht mehr die Rede gewesen?

Diese Älteste, von der Frau Baumann niemals sprach, deren Lebensgang sie aber im geheimen verfolgte, war das Sorgenkind des verstorbenen Vaters gewesen.

Der Hang zur Kunst, den Friedrich Baumann bei seinem Sohne Ewald bekämpft, hatte Hilde nach gut bürgerlicher Ansicht ins Verderben geführt. Nach langen Irrfahrten, auf denen sie Gott weiß was alles erlebt haben mochte, war Hilde Baumann endlich vor wenigen Jahren als Chortänzerin an einem kleinen mitteldeutschen Hoftheater gelandet. Seit dem Tode des Vaters waren die klagereichen, immer wieder in Geldforderungen gipfelnden Briefe Hildes unbeantwortet geblieben, und so hatte die Familie in der Tat seit Jahren nichts mehr von ihr gehört.

Weniger die Sorge um das verlorene Kind, als die Angst, daß Hilde, Gott wußte in welcher Verfassung und mit welchem Anhange, eines schönen Tages wieder auftauchen könne, hatten Frau Baumann dazu veranlaßt, sich von Zeit zu Zeit nach dem Aufenthaltsorte und der Tätigkeit ihrer Tochter zu erkundigen. Sie hatte in Erfahrung gebracht, daß Hilde auch in diesem Jahre an der kleinen Hofbühne wirkte.

Mit keinem ihrer Kinder hatte Frau Baumann in diesen Tagen über die kleine Tänzerin gesprochen. Allein hatte sie sich mit dem furchtbaren Gedanken, vertraut gemacht, daß irgendein Zufall Hilde den durch Ewalds Verlobung plötzlich herbeigeführten Umschwung in der Vermögenslage der Familie verraten, und daß sie eines schönen Tages mit Sack und Pack vor der Tür ihrer Wohnung stehen und Einlaß begehren könne.

Aber Tage und Wochen gingen dahin, ohne daß sie etwas von Hilde hörte, und langsam gab sie sich der Hoffnung hin, daß dieser Kelch glücklich an ihr vorübergegangen sei.

Als Ewald die erste Quartalsrate seines Prokuristengehaltes in Höhe von dreitausend Gulden mit nach Hause brachte, wurde alles, was noch ausstand, beglichen. Der Kolonialwarenhändler, der einst ein Auge auf Martha geworfen, und bei dem immerhin noch ein netter Posten stand, wurde rasch und wohlwollend entlohnt. Die Dreizimmerwohnung wurde zum ersten Oktober gekündigt, und auf das ungestüme Drängen der Mutter hin dem Hauswirte sogar das Vierteljahr von Oktober bis Januar, falls die Wohnung nicht vermietet werden sollte, in Gnaden bewilligt.

Im Hinblick auf die baldige Verheiratung mit Schröder gab Martha ihre Stellung als städtische Lehrerin auf.

Ihre Hochzeit mit dem Gymnasiallehrer ging rasch und ohne weitere Prunkentfaltung vonstatten. Schröder hatte die Anstellung glücklich erhalten. Ewald, dem zukünftigen Schwiegersohne Langs, dem es eine aufrichtige Freude bereitete, die geliebte Schwester ausstatten zu können, gewährte man Kredit, so viel er haben wollte, und schon zu Ende des Juli dampfte das junge glückliche Paar in die neue Heimat ab, da Schröder nach Ablauf der Sommerferien seine neue Tätigkeit zu beginnen hatte und die sauer erworbene Stellung nicht gleich mit einem Urlaub beginnen wollte.

Nicht einmal Rolf war zu der Hochzeit seiner Schwester Martha mit dem Pauker, den er gerne los wurde, aus Schlesien in die Heimat zurückgekehrt.

Frau Baumann war von Herzen froh, von der unbequemen und sparsamen Tochter endlich befreit zu sein. Winkten ihr doch jetzt goldene Tage, und hatte ihr doch Ewald in seiner Gutmütigkeit versprochen, sie nach Ablauf des Mietsvertrages vielleicht der Gesellschaft halber auf das Schloß zu nehmen und Rolf und Paulchen bei einem angesehenen Lehrer in der Stadt in Pension zu geben.

Auch Lang hatte von den in der Stadt umlaufenden Gerüchten gehört, daß er seine Tochter unter allen Umständen in eine christliche Familie einheiraten lassen wollte, und der schlaue Mann zog seine Schlüsse daraus. Er gab diesen Gerüchten Nahrung, um die Nachforschungen nach anderen Gründen der Verheiratung Irmas mit Ewald zu unterbinden. Und so brachte er denn eines schönen Tages bei Tische, als Ewald wie gewöhnlich zusammen mit seiner Braut und ihm in der Villa speiste, die Rede auf die kirchliche Trauung.

Er halte es für selbstverständlich, daß die Frau der Konfession des Mannes angehöre, sagte Lang. Irma habe schon in der Schule den christlichen Religionsunterricht mitgenommen, und es sei das beste, wenn sie sich noch vor der Trauung von dem Pfarrer, der jenen Unterricht erteilt habe, taufen lasse, damit der Einsegnung des Ehebundes in einer christlichen Kirche nichts im Wege stände.

Willenlos wie in alles sonstige ergab sich Irma auch in diesen Vorschlag des Vaters. Sie schien selig, ihren Ewald bald ganz für sich in Anspruch nehmen zu können, und alles andere mochte ihr daher völlig nebensächlich sein. Und Ewald war froh, daß Lang selber die Rede auf diese Frage brachte, die niemand von den Seinen außer seinem Bruder Rolf zu berühren gewagt.

Der allerdings hatte vor seiner Abreise nach Schlesien eines schönen Mittags hingeworfen, daß die Verbindung seines Bruders mit einer jüdischen Familie für sein Fortkommen als Verwaltungsbeamter gerade nicht günstig sei, und daß man es Irma doch anheimstellen solle, sich vor der Trauung wenigstens taufen zu lassen. Sei sie getauft und heiße sie einmal Baumann, dann würde diese Verwandtschaft bei seinen zukünftigen Vorgesetzten infolge des Reichtums seines Bruders nur noch günstig in die Wagschale fallen.

Da auch die Mutter Rolf beigestimmt hatte, war Ewald froh, daß Lang nun selber diese Angelegenheit zur Sprache gebracht, und daß sie in dem gewünschten Sinne erledigt werden sollte.

Mummers, der Seelsorger der »Gesellschaft«, der einst Irma in der Schule den christlichen Religionsunterricht erteilt hatte, war ein freidenkender Herr. Die Taufe und Trauung im Hause Langs, die nach den Schätzungen von Kennern der Verhältnisse dem amtierenden Pfarrer wohl ein Honorar von dreihundert Gulden einbringen durfte, wollte er sich nicht entgehen lassen.

So willigte er glatter Hand in alle Vorschläge des Kommerzienrates ein. Am Tage vor der standesamtlichen Trauung sollte Irmas Aufnahme in die christliche Gemeinschaft durch die Taufe erfolgen, und drei Tage später die kirchliche Trauung des jungen Paares vollzogen werden. Irma habe ja in der Schule schon einen tiefen Einblick in das christliche Bekenntnis gewonnen, meinte Pfarrer Mummers, und wenn er es für nötig halte, könne die junge Frau ja auch noch nach ihrer Taufe und Trauung ein paar Religionsstunden bei ihm nehmen.

Lang war froh, daß sich die Sache so glatt abgewickelt hatte und drängte nun zur Hochzeit. Schon drei Wochen nach der öffentlichen Verlobung, mitten im Sommer, während sich die »Gesellschaft« schon in den Bädern, an der See und im Hochgebirge befand, wurde die Feier im engen Kreise der Familie abgehalten.

Frau Baumann, die auf ein großes Fest in der kommerzienrätlichen Villa gerechnet hatte, und aus diesem Grunde die Trauung bis zum Beginn der Herbstsaison, wenn alles wieder in der Stadt sein werde, hinausgeschoben wissen wollte, war etwas enttäuscht. Rolfchen brach seinen Aufenthalt auf dem Gute des Herrn von Windheim vorzeitig ab und kehrte in die Heimat zurück.

Das Personal der Firma Lang, das sich von Irmas Verheiratung einen großen Tag versprochen hatte, machte sehr mißvergnügte Gesichter, als Lang die Vermählung auf einen Sonntag legte und so den Feiertag für sein Geschäft einfach umging. Der Buchhalter Lenz brummte etwas von schamlosem Geiz in seinen Bart, und der alte Kassierer meinte, daß in früheren Zeiten doch ein familiäreres Verhältnis zwischen der Familie des Chefs und dessen Angestellten gang und gäbe gewesen wäre.

Aber Lang fragte weder nach Frau Baumann noch nach seinem Personale. Und Ewald war die Art, wie er die Feier veranstaltete, zum Glück gerade recht.

Der bescheidenen Natur des früheren Buchhalters wäre es ein Fürchterliches gewesen, nun mit einem Male inmitten der Börsengrößen und vor seinen früheren Kollegen in einem großen Festsaale als Gegenstand schlechtverhohlener Verwunderung und erheuchelter Beglückwünschung stundenlang stillhalten zu müssen. Er liebte Irma und war der Überzeugung, daß sie einzig eine schon in frühen Jahren zu ihm gefaßte Neigung zu diesem entscheidenden Schritte bewege, da sie in den kurzen Wochen des Brautstandes von Tag zu Tag zärtlicher und anschmiegender geworden war.

Schien es ihm doch in der Tat, als ob das Mädchen Schutz in seinen Armen suche, wenn es den schönen Kopf leise an seine Brust lehnte und die Augen wie zwei unerklärliche Rätsel zu ihm aufschlug.

Gelitten hatte er in diesen Wochen mehr als irgendeiner von allen denen, die ihn beneideten. Gerade in den Tagen dieses kurzen Brautstandes fühlte er, was es für ihn, den in seinem innersten Wesen träumerischen und schwärmerischen Künstler, war, daß er der glückliche Gatte der wunderbaren, seit Jahren angebeteten Jüdin werden sollte, ohne jemals vorher in seinem Leben die Liebe genossen zu haben. Keusch am Leibe und dennoch in den Tiefen seiner Seele von den wildesten Begierden zerrissen, ging und stand er, ein Wonnetrunkener, an ihrer Seite, er, dem sich das letzte Geheimnis seines eigenen Wesens und die höchste Blüte des Genusses in Irmas Besitz, wie er sich ihn ausmalte, erschließen sollte.

Und sie, die schon genossen, die sich einem gewandten Lebemann willen- und widerstandslos in die Arme geworfen, sie fühlte deutlicher als jede andere, was sie, die Braut, als Besitz der Zukunft diesem unverdorbenen Jüngling bedeuten mußte. Sie vermochte kaum die Stunde zu erwarten, in der sie sich ihm in die Arme werfen durfte als sein ehelich Weib, da die einmal wild aufgepeitschten Sinne begierig und unersättlich nach weiterem Genusse verlangten.

Seltsam, wie drückende Schwüle lag es über diesem jugendlichen Brautpaare, da das Weib der wissende und verlangende, die Glut der Sinne mit aller Gewalt niederzwingende, und der. Mann der schwärmende, in ein unbekanntes Land der Sehnsucht ausschauende Teil war.

Ohne es selbst zu ahnen, hatte Lang für seine Zwecke eine vorzügliche Wahl getroffen. Nur die völlige Unerfahrenheit Ewalds, seine mit allen Mitteln des Willens und Verstandes bislang aufrechterhaltene Keuschheit, machten es möglich, daß er in der unter seinen Küssen wollüstig erschauernden Irma das unberührte Mädchen seiner phantastischen Jugendträume sah.

Der von Lang für die Hochzeitsfeier bestimmte Tag kam heran.

Es war ein wundervoller, aber sehr heißer Sonntag zu Anfang des August. Die Stadt war wie ausgestorben, denn schon vor drei Wochen hatten die Sommerferien ihren Anfang genommen, und was sich nicht in der Sommerfrische aufhielt, benutzte den freien Tag zu Ausflügen in die schöne Umgebung.

So wenig Aufsehen wie möglich zu machen, war Langs Wunsch. Auch Ewald war froh, den größten Teil seiner Bekannten in der Ferne zu wissen, da er von den Glückwünschen der ihm jetzt Unterstehenden, aus denen ihm immer die leise Stimme des Neides entgegenklang, gerade genug hatte.

Nur Frau Baumann und Rolf bedauerten es lebhaft, daß die Verbindung ihres Sohnes und Bruders mit der Familie Lang gerade in die stille Zeit fallen mußte. Seitdem es feststand, daß Irma wenige Tage vor der Hochzeit getauft werden sollte, hatte sich Rolf mit der »Mißheirat« gründlich ausgesöhnt.

Es war nicht zu leugnen, neben den hochgeborenen Geschlechtern, denen zum Beispiel sein Freund Hasso von Windheim angehörte, neben dem Offizierskorps und den höheren Beamtenkreisen gab es auch noch einen Finanzadel, der durch die Höhe seiner Einkünfte die Mängel an Geburt und Stellung reichlich wett zu machen wußte.

Die Mutter hatte dem zu der Hochzeit von dem Windheimschen Gut in die Heimat Zurückgekehrten getreulich über Ewalds Vermögenslage berichtet, und Rolf sah seine kühnsten Erwartungen weit in den Schatten gestellt.

Er betrachtete in seinem Inneren die ganze Angelegenheit gerade so, als ob nicht Ewald, sondern er die reiche Jüdin heiraten werde. Kannte er doch seinen Bruder, bei dessen Schwäche und Nachgiebigkeit er bislang alles durchgesetzt hatte! Ob er dabei blieb, Jura zu studieren, überlegte er oft in diesen Tagen. Ein Semester in Bonn oder Heidelberg als Aktiver eines feudalen Korps, das war ja freilich verlockend, und die Aussichten in dem Verwaltungsdienste waren für einen alten Herrn einer solchen Verbindung nicht schlecht.

Aber, ob man als Offizier in einem erstklassigen Regimente nicht schneller zu Ansehen gelangte, wenn einem die nötigen Mittel zur Verfügung standen, das war denn doch die Frage, und eine jährliche Zulage von zwei-, dreitausend Gulden würde ihm Ewald bei seinen Einkünften wohl kaum abschlagen können.

So rechnete Rolf.

In so weite Fernen schweiften Frau Baumanns Gedanken zunächst nicht. Sie ärgerte sich in erster Linie, daß Ewald auf dem Auswohnen der Dreizimmerwohnung bis zum ersten Oktober bestanden hatte, denn sie wäre am liebsten sofort mit ihren Kindern in den vornehmen Westen der Stadt gezogen, damit Ewalds Abschied vom Elternhause aus einer der Mitgift seiner Zukünftigen entsprechenden Behausung vor sich gegangen wäre. Endlich hatte sie in Ewalds Vorschlag eingewilligt unter der Bedingung, daß er sie für die schönen Herbstmonate nach Schloß Schönblick einladen solle, damit sie wenigstens auch zur guten Jahreszeit etwas von seinem Glücke mitgenießen könnte. Schweren Herzens hatte sich Ewald gefügt, nachdem ihm Irma gesagt hatte, daß ja die geräumigen Wohnungen des Schlosses eine getrennte Wirtschaft ermöglichten.

Es war eine Laune des Kommerzienrates, Ewald mit Schloß Schönblick zu überraschen. Deshalb ließ er die Besitzung ganz im stillen instand setzen. Erst am Morgen des Hochzeitstages sollte Irma das Schloß als Geschenk des Vaters und als sichtbares Zeichen dieses großartigen Geschenkes dessen Schlüssel erhalten. Bis dahin sollten die jungen Leute ihre zukünftige Wohnung nicht betreten, so wollte es Lang.

Das neue Lilaseidene, das sich Frau Baumann zur Hochzeit ihres ältesten Sohnes von der ersten Schneiderin der Stadt hatte anfertigen lassen, lag fertig im Schlafzimmer. Mit einer gewissen Feierlichkeit nahm die Mutter, während sie das neue Kleid anlegte, schon jetzt im Geiste von der alten Dreizimmerwohnung Abschied. Es war ihr, als gälte es heute einen dicken Strich unter die an Sorgen so reiche Vergangenheit zu machen und von mm an ein neues Leben zu beginnen.

Ewald hatte für die Hochzeit zugunsten der Seinen tief in die Tasche greifen müssen und einen ansehnlichen Vorschuß auf sein Gehalt an der Kasse des Kommerzienrates erhoben. Rolf mußte rasch einen funkelnagelneuen Frackanzug haben, den er natürlich in dem ersten Geschäfte bestellte, und auch Paulchen bedurfte schicker Kleider, um sich in der Villa des Kommerzienrates beim Empfang und Diner sehen lassen zu können.

Und noch eins kam dazu. Die Hochzeitsgeschenke wurden in Langs Villa ausgestellt. Da waren wirkliche Kostbarkeiten, wahrhaft fürstliche Angebinde von Irmas Bekannten und Langs Geschäftsfreunden angekommen. So ganz und gar konnte man sich doch nicht lumpen lassen, meinte Frau Baumann. Auch ihre Familie mußte unter allen Umständen bei den Gebern, der Leute wegen, vertreten sein. Und so schenkte denn Frau Baumann ihrem Sohne einen schweren Smyrna für dessen Arbeitszimmer, und Rolf war mit einer vlämischen Standuhr vertreten, die ihm der Uhrmacher bereitwillig auf Rechnung überlassen hatte. Martha sandte aus der Ferne dem geliebten Bruder eine in den ersten Tagen ihrer jungen Ehe trotz allem angefertigte Handarbeit, über die sich Ewald herzlich freute, und von Paulchen gab es ein höchst überflüssiges Dutzend Champagnergläser.

Ewald, der die unbezahlten Rechnungen über diese Geschenke im Wohnzimmer umherliegen sah, sagte kein Wort. Es war ihm nur peinlich, sich das verschmitzte Lächeln Langs vorzustellen, mit dem der diese Geschenke der Mutter und der beiden Brüder, die noch mit dem kommerzienrätlichen Gelde bezahlt werden sollten, betrachten würde.

Kurz vor ein Uhr fuhr man endlich zur Kirche. Das altehrwürdige Gotteshaus füllte sich doch zum guten Viertel mit Neugierigen.

Das waren in erster Linie viele Angestellte des Langschen Hauses mit ihren Frauen und Kindern, bis hinunter zum Auslaufer und Bureaureiniger, die den hohen Chef als christlichen Hochzeitsvater sehen wollten, dann einige Frauen und Mädchen aus dem Volke, die das Kleid der Millionärin zu bewundern kamen und zu wissen begehrten, wie sich die schwarze Jüdin vor dem christlichen Altare ausnehmen werde, endlich in den vordersten Reihen wenige Bekannte der beiderseitigen Familien, die der Zufall doch in der Stadt zurückgehalten hatte.

Lang hatte die üblichen Einladungen zu dem Festakt in der Kirche und zum Empfange in seiner Villa ergehen lassen. Zum Diner hatte er nur ein Dutzend Personen gebeten: einige Verwandte, die er nicht umgehen konnte, die Familie und den Pfarrer.

Unter den rauschenden Akkorden der Orgel betrat der kleine Hochzeitszug die Kirche: Pfarrer Mummers, der wie ein jüdischer Rabbi aussah, gefolgt von dem Brautpaare, dann Frau Baumann an Langs Arm, Rolf mit Hilde, die sich wie durch ein Wunder in allerletzter Stunde zur Hochzeit ihres Bruders doch noch eingestellt hatte, und endlich Paulchen, das zwar etwas verloren, aber dennoch mit Würde hinter den drei Paaren einherschritt.

Trotz aller Vorsicht waren Frau Baumanns Befürchtungen dennoch zur Wahrheit geworden. Am Abend vor dem Hochzeitstage war die kleine Tänzerin von dem mitteldeutschen Hoftheater wirklich der Mutter mit Sack und Pack ins Haus geschneit.

Mit Sack und Pack! Viel war das freilich nicht gewesen, eine Handtasche, ein kläffender Rehpinscher und ein blinder Papagei. Das hatte eine furchtbare Szene gegeben, aber endlich hatte Ewald ein Machtwort zugunsten der seinerzeit aus dem Vaterhause entlaufenen Schwester gesprochen, und Rolf und die Mutter hatten sich fügen müssen. Hilde nahm nun Marthas Platz in dem Schlafzimmer der Mutter ein.

Sie war in der Tat eine reizende Person. Die Schminke des Theaters hatte ihrer Jugend noch keinen Abbruch getan, und die großen dunkelblauen Augen, das reiche blonde Haar, Vorzüge, die sie mit ihrer bescheidenen Schwester Martha gemeinsam hatte, lenkten aller Blicke in der Kirche auf die niemandem bekannte Erscheinung, die Rolf mit einer Miene, als wenn er sich etwas vergäbe, am Arme führte.

Dem Vorspiel der Orgel folgte ein kurzer Gesang des Opernchores, den Lang für diesen Tag mit schwerem Gelde gewonnen hatte. Dann ergriff Mummers in seinem salbadernden Tone das Wort.

Wenn er ein reiches Paar zu trauen hatte, war sein Text, waren seine Gepflogenheiten stets die gleichen. Den Text entnahm er jedesmal dem Buche Ruth. Er hieß: Dein Volk ist mein Volk, dein Gott ist mein Gott. Während der zweiten Hälfte seiner Traurede, in der er von dem Mädchen sprach, das Vater und Mutter verließ, um seinem Manne anzuhangen, pflegte er in Tränen der Rührung auszubrechen. Die Stammgäste seiner Hochzeitsreden wußten das ganz genau, aber Lang, der vordem noch niemals eine christliche Kirche betreten hatte, ließ sich von Mummers in der Tat hinreißen und dankte ihm nach Beendigung der Feier mit bewegten Worten.

Im stillen berechnete Mummers, daß das Honorar nach diesem Erfolge um mindestens zwanzig Prozent gestiegen sei.

Nach dem Urteile aller Kennerinnen hatte Irma vor dem Altar eine entzückende Figur gemacht und sich vorzüglich benommen. Der von einer Diamantenagraffe in ihrem pechschwarzen Haare festgehaltene jungfräuliche Myrtenkranz hatte weithin wie eine Krone geleuchtet, und das aus schwerem, weißem Seidenatlas in Paris fertiggestellte Brautkleid hatte an das Gewand einer Königin in einer romantischen Zauberoper erinnert.

Nun saß man in kleinem Kreise zum Hochzeitsdiner vereinigt in dem Speisesaale der Villa Lang.

Ewald befand sich wie in einem Traumzustande. Der Mittelplatz an der blumengeschmückten Tafel, den er zur Seite seiner jungen Frau einnahm, gewährte gerade den Blick in das gegenüberliegende Musikzimmer, und immer wieder mußte er an jenen Sonntagnachmittag denken, da er das Lied von Schumann gesungen und dann willenlos in das Netz der schönen Jüdin gegangen war.

Denn auch heute, an seinem Hochzeitstage, wie sehr auch alle seine Sinne nach dem Besitze Irmas brannten, konnte er sich nicht des Gedankens erwehren, daß sie, aus welchem Grunde auch, die Fangarme nach ihm ausgestreckt hatte, und daß er in diesem Handel nicht der siegende, sondern der unterliegende Teil war.

Eben servierten die Diener eine großartige Lachsforelle, an der sich Rolf und Paulchen ein Gütchen taten, als Pfarrer Mummers, im ungeeignetsten Augenblicke, wie er das immer zu tun pflegte, an das Glas klopfte und das Wort zum Toaste auf das junge Paar ergriff.

Der Modeprediger, mit dem Aussehen eines jüdischen Rabbi und dem Benehmen eines Weltmannes, sagte:

»Geliebtes Brautpaar, hochverehrte Anwesende! Nachdem Ihnen in der Kirche aus meinem schwachen Munde der Segen Gottes für Ihren Herzensbund zuteil geworden ist, drängt es mich, Ihnen, Ihren Eltern und allen hier zur frohen Feier Versammelten noch ein paar ehrlich gemeinte Worte zu sagen. Hochzeit!! – – Hohe Zeit –« Mummers räusperte sich, und Rolf benutzte diese Pause, seine volle Aufmerksamkeit der allmählich auf dem Teller kaltwerdenden Lachsforelle zuzuwenden.

»Hochzeit – Hohe Zeit –« begann Mummers noch einmal. »Tag der Freude, dem zwei junge Menschenherzen voll Ungeduld entgegenschlagen. Ein Blick in die Villa des verehrten Gastgebers, meine Herrschaften, zeigt uns, daß wir an dem heutigen Tage die Begründung einer jungen Ehe feiern, von der man wohl unter Anwendung eines Wortes aus der Heiligen Schrift sagen darf: Hier ward nicht auf Sand gebaut.

Gerade in den schweren Zeiten, in denen wir leben, begrüßt ein ernsthaft denkender Mann eine solche aus Liebe geschlossene Ehe, bei der alle Bedingungen für den künftigen Wohlstand des jungen Paares gegeben sind, mit doppelter Freude. Leichtsinnig und in jugendlichem Übermute wird heute so manche Ehe eingegangen, so manche, die nach der kurzen Dauer eines vorüberfliegenden Rausches zur Scheidung oder zu Unglück und Elend führt. Denn die Wahrheit und Klarheit, die Offenheit, meine Herrschaften, sie haben beim Schließen ach wie vieler Ehen gemangelt. Da spricht man viel von Liebe, und es ist doch nichts anderes als Leidenschaft der Sinne gewesen. Da redet man von gesunden und gesicherten Verhältnissen, und im Grunde waren es leere Aussichten, Hoffnungen und schöne Wünsche, die lange, wenn nicht ewig auf ihre Erfüllung warten lassen.

Hier dagegen darf ich mit wahrer Herzensfreude feststellen, daß Offenheit, Ehrlichkeit, Rechtlichkeit, Wahrhaftigkeit und nüchterner Geschäftssinn an der Wiege dieses Herzensbundes gestanden haben, der – Gott gebe es! – dem verehrten Hause Lang ein langes Bestehen und eine köstliche Zukunft gewährleisten wird.

Und in diesem Sinne, meine hochverehrten Anwesenden, fordere ich Sie auf, mit mir das Glas zu erheben und anzustoßen auf die Zukunft des jungen Paares, die wir nach menschlichem Ermessen als eine wolkenlos glückliche schon heute feiern dürfen.

Herr Ewald Baumann und seine junge Frau Gemahlin, sie leben hoch!«

Lang, der kein Freund von Tischreden war und sich über die Störung beim Genuß der köstlichen Lachsforelle weidlich ärgerte, dankte im stillen seinem Schöpfer, daß diese erste und einzige Ansprache so verhältnismäßig kurz verlief. Nachdem nun das allgemeine Anstoßen mit den Gläsern und Beglückwünschen beendet, wandte er sich an den ihm gegenübersitzenden Pfarrer und meinte:

»Ja, Hochwürden, ich muß Ihnen schon recht geben, auf soliden Verhältnissen baut sich diese Ehe allerdings auf. Aber, um einmal von etwas anderem zu reden, wie wäre es mit einem Gläschen Rauenthaler, ich glaube, wenn ich nicht irre, bei Schiller oder Shakespeare heißt es: Der Abt wählt sich den edeln Firnewein.«

Dann verfiel er über diesen famosen Witz in sein behaglichstes Lachen, zumal, da er sah, daß Mummers diese Art der Anerkennung seiner schönen Rede mit etwas gemischten Gefühlen entgegennahm.

Frau Baumann war mit der Kusine Langs, einer verwitweten Seliger, in eifriger Unterhaltung begriffen. Die korpulente Dame, die einst einen vielbeschäftigten, an Einkommen reichen und schon von Hause begüterten Börsenmakler geheiratet hatte und nun von ihren Renten lebte, strotzte von Brillanten, und Frau Baumann war der Meinung, sie müsse ihr klarmachen, daß sie aus Gründen der feineren Mode keine Edelsteine mehr trage.

Ewald horchte ängstlich hinüber. Er kannte seine Mutter und fürchtete, daß diese, wie das nun einmal ihre Art war, Frau Seliger in ihren heiligsten Gefühlen verletzen würde.

Aber Frau Seliger schien Frau Baumanns Auseinandersetzungen durchaus nicht tragisch zu nehmen:

»Gott,« sagte sie eben, »Gott, Frau Baumann. Mit dem Juwelentragen, das is so e Sach. Hat mer se, dann trägt mer se. Hat mer se nicht, dann trägt mer se ebe nicht. Meine Se nicht auch?«

Auch Rolf hatte das Gespräch der Mutter mit angehört. Er bekam einen roten Kopf. Er hielt etwas auf Takt und konnte sich wütend ärgern, wenn die äußeren Formen des gesellschaftlichen Lebens verletzt wurden. Freilich hier, in diesem jüdischen Hause, dessen Chef doch weiter nichts als ein Emporkömmling aus einer kleinen Lederhandlung in der Breitestraße war, kam es am Ende nicht so genau darauf an. Aber im stillen nahm er sich dennoch vor, der Mutter gelegentlich den Standpunkt klarzumachen.

Am besten von der ganzen Tischgesellschaft unterhielt sich Hilde.

Die kleine, reizende Tänzerin saß zur Seite des jungen Seliger, des einzigen Sohnes des verstorbenen Börsenmaklers. Dieser war erst vor wenigen Wochen aus Paris zurückgekehrt und in das Bankhaus seines Onkels Lang eingetreten.

Harry Seliger war lange Zeit in London und Paris als Volontär in großen Geschäften gewesen und erzählte nun der seinen Worten begierig lauschenden, nach den Genüssen der Weltstädte verlangenden Hilde von seinem Leben und seinen Erfahrungen im Auslande.

Wie fast alle Vertreter der ersten jüdischen Finanzkreise seiner Vaterstadt hatte auch Harry Seliger eine ausgesprochene Vorliebe für das Internationale. Mit den Straßen und Plätzen, den Vergnügungslokalen und Sehenswürdigkeiten der großen Metropole an der Seine, tat er, der der Meinung war, ein tadelloses Französisch zu sprechen, so vertraut, als ob er in einem vornehmen Palaste der Boulevards und nicht in der Stiftgasse das Licht der Welt erblickt hätte.

Eine Fülle von anmutigen und verführerischen Bildern aus dem Leben in Frankreich entrollte er vor der durch den Genuß des schweren Rheinweins lebhaft erregten Phantasie seiner entzückenden Nachbarin, die sich durch Harrys Schilderungen plötzlich von der kleinen Bühne ihres Hoftheaterchens in die große Welt von Nizza und Paris versetzt sah.

Denn eine noch im vergangenen Winter, kurz vor seinem Abschied aus Frankreich unternommene Reise hatte Seliger an die Gestade des blauen Mittelmeers geführt. In Cannes und Nizza, in Mentone und Monte Carlo war der junge und gewandte Jude, dem von Hause reichliche Mittel zur Verfügung standen, gewesen, und eben entrollte er der gespannt aufhorchenden Hilde ein glänzendes Bild von den Eindrücken, die er aus dem herrlichen Monte Carlo mit nach Hause genommen.

»Das sollten Sie einmal sehen, gnädiges Fräulein,« sagte er. » Die Toiletten und der Schick. Wenn ich mir Sie so vorstelle inmitten dieser distinguierten und eleganten Gesellschaft, die das einzige Paris allwinterlich an diese unvergleichliche Küste sendet, in einem Kostüm von Bonnard aus der Rue Rivoli, Donnerwetter!«

Hilde anprostend führte er den mit Rauenthaler gefüllten Römer zum Munde.

Harry Seliger war kein häßlicher Mensch. Eine angenehme Liebenswürdigkeit und eine große natürliche Gewandtheit im Verkehr mit dem andern Geschlechte erhöhten den günstigen Eindruck, den er schon rein körperlich betrachtet machte, und zeichneten seine ganze Persönlichkeit vorteilhaft aus. Und wenn er hätte prahlen wollen, dann hätte er von seinen Eroberungen in Paris und an der Riviera Wunderdinge erzählen können.

Diese Empfindung hatte auch Hilde, als sie jetzt ihr Glas leise mit dem seinen zusammenklingen ließ und in einem etwas melancholischen Tone erwiderte:

»Ach ja, wer so das Glück und das Geld hat, in die Welt hinauszukommen. Unsereiner wird von einem kleinen Theater zum andern verschlagen und muß froh sein, wenn er von seiner Gage gerade das Leben fristen und seine Garderobe bezahlen kann. Aber das große Leben, draußen, wo es wirklich was zu erleben gibt, das kennen wir an unserm Hoftheater nicht.«

»Einer schönen jungen Dame, zumal wenn sie der Bühne angehört, steht die große Welt immer offen,« lautete Harrys Antwort.

Mit einem verliebten Blicke sah er Hilde fest an, und in ihren blauen Augen blitzte es schelmisch auf. Sie hatte ihn verstanden. – Und er sagte sich in seinem Innersten, daß er sich vielleicht doch in Hilde Baumann, die nun die Schwägerin seiner reichen Verwandten Irma geworden war, am Ende verrechnet habe.

Inzwischen hatte Lang dem unliebsamen Gespräch zwischen Frau Seliger und Frau Baumann ein Ende bereitet, indem er sich in seiner ungenierten Art und Weise in die Unterhaltung gemengt und Frau Baumann angeredet hatte. Schon lange hatte er sich im stillen über Frau Baumann amüsiert, über sie, die die luxuriöse Einrichtung seiner Villa nicht genug anstarren konnte und sich dennoch alle Mühe gab, den Anschein zu erwecken, als ob Lachsforellen und Rehrücken alltägliche Nahrungsmittel im Baumannschen Haushalte seien.

»Na, immer zugegriffen, Mutter Baumann,« ermunterte jetzt Lang, als der Diener eben, zwei knusperig gebratene Kapaune auf der Schüssel, hinter Frau Baumanns Stuhl trat und bei ihr den Anfang machte. »Immer zugegriffen, Mutter Baumann, man hat nur einmal in seinem Leben seinen ältesten Sohn so glänzend zu verheiraten.«

Und sie sagte in aller Ruhe:

»Ich danke, Herr Kommerzienrat, aber ich weiß wirklich nicht, ob mir die Kapaune in dieser Zubereitung bekömmlich sein werden. Wir pflegen sie stets à la Toulouse mit einer Champignonsauce zu servieren.«

Lang, dem der schwere Rheinwein schon zu Kopfe gestiegen war, lachte aus vollem Halse und rief dem Diener mit lauter Stimme zu:

»Schenken Sie mal Veuve Cliquot ein, Jean, dann schlucken sich die Kapaune besser, und dann schwimmen sie, wenn sie auch au cresson zubereitet sind.«

»Nein,« wehrte Frau Baumann, »ich kann frappierten Champagner nicht vertragen. Aber wenn Sie die Güte haben, mir eine Flasche mit Kellertemperatur zu bringen, dann trinke ich ein Gläschen.«

Auf einen Wink Langs, der Tränen lachte und sich diese aus den Augen wischte, brachte Jean eine neue Flasche.

Der Kommerzienrat war in der besten Stimmung. Ein Freund der Tafel, liebte er diese Diners im kleinen Kreise, bei denen er sich gehen lassen konnte, und zumal in dieser Gesellschaft, die alle so bescheiden und beglückt taten, mit Ausnahme von Frau Baumann, über die er sich desto gründlicher lustig machte.

Nach dem Diner ließ Lang im Garten den Kaffee servieren. Frau Baumann im Lilaseidenen am Arme, eine dicke Havanna zwischen den Zähnen, promenierte er über die schattigen Wege des kleinen, hinter der Villa gelegenen Parkes, und die Frau an seiner Seite erzählte ihm von einem Onkel ihrer verstorbenen Schwester, allerdings einem angeheirateten, der am Rheine ein Schloß in einem großen Parke besessen, mit dem sich die immerhin hübsche Anlage der Villa Lang nicht im entferntesten vergleichen lasse.

Kurz vor sieben Uhr fuhr ein elegantes Schimmelgespann, das Lang seiner Tochter samt Schloß Schönblick zum Hochzeitsgeschenk gemacht hatte, vor.

Irma hatte sich in ihrem Mädchenstübchen umgezogen und sah nun in dem modernen Straßenkleide entzückend aus.

Gerührt, fast feierlich küßte der weinselige Kommerzienrat seine beiden Kinder auf die Stirn.

Dann zogen die Schimmel an, und in schlankem Trabe ging es dem jungen Glücke, der neuen Heimat zu, die unter hohen Silberpappeln und Edeltannen verborgen wie ein schönes Märchen, ein wahres Liebesnest, des jungen Gebieters und der schönen Herrin wartete.


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