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VI.

Im Garten des Waldrestaurants saß Martha Baumann mit ihrer Mutter. Nur der Umstand, daß Rolf, ihr angebeteter Liebling, zusammen mit Hasso von Windheim in den Wald gefahren war, hatte Frau Baumann veranlaßt, bei dieser Hitze den beschwerlichen Spaziergang zu unternehmen. Denn ihren Liebling Rolf in der Windheimschen Equipage bei dem Korso vorbeikutschieren zu sehen, das hatte für Frau Baumann einen derartig verführerischen Reiz, daß sie das Grauseidene angelegt und sich in Marthas Begleitung auf den weiten und staubigen Weg gemacht hatte.

Frau Baumann war heute sehr schlechter Laune, und Martha, die verstohlen nach ihrem Oberlehrer ausschaute, hatte mit der Mutter ihre liebe Not. War doch der erste Juli wieder einmal überschritten, und die Miete eben bezahlt.

Ja, wenn man diese große Ausgabe nicht gehabt hätte, dann wäre es ja gerade mit den monatlichen Einkünften Ewalds und Marthas und mit ihrer Pension gegangen. Aber die Ersten des Vierteljahrs, das waren allemal wahrhaft verhängnisvolle Tage. In den Wochen, die diesen Tagen vorangingen und folgten, kam Frau Baumann aus den ewigen Klagen über Gott und die Welt nicht heraus. Dann bekamen Ewald und Martha die bittersten Vorwürfe zu hören, daß sie so lebensunklug seien. Dann nahm es kein Ende mit den Auseinandersetzungen über das Elend der Beamtenlaufbahnen und der Stellung eines Oberlehrers im besonderen.

In diesem Juli war die Sache für Frau Baumann nun besonders schlimm. Einmal stand noch eine lange Rechnung über die im Winter verbrauchten Kohlen aus, und dann hatte Hasso von Windheim Rolf für die Sommerferien auf das in Schlesien gelegene Gut seines Vaters eingeladen.

Aus Gründen der Sparsamkeit hatten sich Ewald und Martha der Annahme dieser Einladung mit allen Kräften widersetzt. Die Rückfahrkarte nach Hirschberg, in dessen Nähe Windheims Besitzung lag, kostete allein ein schönes Stück Geld, ohne einen Groschen in der Tasche, ohne einen neuen Anzug und tadellose Wäsche konnte man Rolf so ohne weiteres nicht zu den reichen Leuten ziehen lassen.

Zwar hatte der Herr Unterprimaner in der ihm eigentümlichen Weise von einem netten Sümmchen Geld gesprochen, das er sich von seinen Stunden erspart und für diese Reise zurückgelegt habe. Aber Ewald und Martha kannten den Bruder und wußten, daß das nette Sümmchen allein für Schlipse, Zigarren und Glacéhandschuhe draufgehen werde, und daß die eigentlichen Kosten der Reise der mütterlichen, das hieß, ihrer Kasse vorbehalten blieben.

Gerade in den Tagen, die Ewalds Besuche bei Irma Lang vorausgegangen waren, hatte Rolf bei Tische das Gespräch auf diese Sommerreise nach Schlesien gelenkt, und da waren Ewald und er hart aneinander gekommen, so daß die beiden Brüder nach dieser Auseinandersetzung kein Wort mehr miteinander wechselten.

Rolf war der Ansicht gewesen, daß diese Reise gewissermaßen zu der von dem Bruder übernommenen Bestreitung seiner zukünftigen Laufbahn gehöre. Denn ohne Beziehungen zu einflußreichen Leuten könne auch der gescheiteste Mensch heutzutage, vor allem in der Juristenwelt, nicht vorankommen. Wenn er Hasso von Windheim, dessen Vater die Stellung eines Regierungspräsidenten bekleidete, so vor den Kopf stoße, dann sei es mit der schönen Freundschaft, die ihn zu den kühnsten Hoffnungen berechtige, bald aus.

Ewald hatte dagegen gesagt, es sei ein unverantwortlicher Leichtsinn, das sauer erworbene Geld für solche überflüssige Vergnügungen auszugeben, und Martha hatte ihm lebhaft zugestimmt.

Da waren die beiden aber bei Frau Baumann schlecht angekommen. Es sei ihre einzige Hoffnung, daß ihr Rolf einmal ein großer und reicher Mann werde, hatte die Mutter gesagt. Und wenn Ewald und Martha nichts für Rolfs Zukunft übrig hätten, dann werde sie ihm ihre Witwenpension geben, und mit der sollte Rolf zu Windheims fahren, damit die mit dem Sohne des Regierungspräsidenten so glücklich angeknüpfte Freundschaft für Rolfs weiteren Lebensweg auch von Nutzen sei.

Vorgestern hatte Frau Baumann ihren Kindern feierlich diese Erklärung zu Rolfs Gunsten abgegeben. Und zum ersten Male in seinem Leben hatte Ewald in diesem Augenblicke auch der Mutter gegenüber die nötige Willenskraft gefunden. Bei Heller und Kreuzer hatte er ihr die notwendigen Ausgaben für das bevorstehende Vierteljahr ausgerechnet. Die Rechnung endigte mit einem Fehlbetrag von mehreren Gulden, die Martha vielleicht durch Überstunden in der Schule, die sie für eine erkrankte Kollegin übernehmen wollte, verdienen konnte.

Für Rolfs Reise war auch nicht ein roter Heller übriggeblieben.

So hatte sich Frau Baumann nach einer heftigen Auseinandersetzung scheinbar in das Unvermeidliche gefunden. Aber Ewald und Martha, ihre beiden Kinder, sah sie fortan mit feindlichen Blicken an, als ob die allein schuld daran wären, daß Rolfs schöne Aussichten schon in ihrer zartesten Blüte geknickt werden mußten.

Vor allem Martha hatte einen schweren Stand bei der Mutter. Seitdem das junge Mädchen die Hand des alternden und verwitweten Kolonialwarenhändlers Krug, der einmal im vorigen Jahre bei Frau Baumann leise angefragt hatte, ausgeschlagen, und die Mutter irgendeine Schwärmerei für einen mittellosen Beamten vermutete, sah sie in der schönen Tochter die Quelle all ihrer Not und all ihrer Sorgen. Denn Krug, der Witwer und Vater von drei nunmehr erwachsenen Kindern war, hatte sich hübsch emporgearbeitet. Er besaß ein großes Mietshaus in der besten Geschäftslage, und der Laden mußte einen großen Gewinn abwerfen, seine Tür ging den ganzen Tag wie ein Taubenschlag.

Herr Krug, bei dem Frau Baumann ein monatliches Abrechnungsbuch hatte, war nach der fehlgeschlagenen Annäherung an Martha sehr zurückhaltend geworden. Ewald selbst hatte dem Kaufmann sein Geld gebracht, und neben den vielen anderen Sorgen war ihm nun auch noch die Aufgabe erwachsen, Krugs Rechnungen durchzusehen und den monatlichen Betrag zu begleichen.

So waren denn auch all die Annehmlichkeiten, die der kleine Haushalt einst durch Krug gehabt hatte, weggefallen, nachdem der Kaufmann einen Korb von Martha bekommen hatte.

Seit jenem Tage waren Frau Baumanns Reden gespickt mit Anzüglichkeiten, wenn sie auf Martha zu sprechen kam, in deren Hand es doch sicher gelegen hätte, durch eine Heirat mit dem in sie bis über die Ohren verliebten Kolonialwarenhändler allem Elend ein Ende zu machen.

An diese fehlgeschlagene Hoffnung mußte Frau Baumann in einem zu denken, als sie nun zusammen mit der wirklich reizenden Tochter an einem Tischchen des Waldrestaurants saß.

Sie hatte sich eine Tasse Kaffee und ein Stück Kuchen geben lassen. Martha trank ein Glas Sodawasser, weil das das Billigste und bei dieser Hitze Erfrischendste war.

»Sieh nur, Martha,« sagte Frau Baumann, das Lorgnon vor die Augen nehmend und die Vorübergehenden dreist musternd, »wie der sich aufputzt, der Beischlag mit seiner Familie. Der hat's verstanden! Er war doch Papas Kollege am Gymnasium und hat den Prinzen in Pension gehabt. Der soll ja klotzig gezahlt haben, so vor zehn Jahren, und dann kamen die anderen vornehmen Pensionäre nach. Jetzt hat er das Haus gekauft, ist pensioniert und besoldeter Stadtrat. Ich glaube, es ist echte Handstickerei das Kleid, das seine häßliche Olga trägt.«

»Ja, es ist Handstickerei, Mama,« antwortete Martha leise. »Aber er hat doch auch nicht alles allein seiner Stellung als Oberlehrer zu danken. Seine Frau soll schon von Haus aus sehr vermögend gewesen sein.«

Da brauste Frau Baumann auf.

»So bist du auch der Ansicht, daß ein Mann alles nur einer reichen Partie verdanken kann? Eine sparsame und gebildete Frau ist auch ein Kapital. Das hat Papa selbst immer anerkannt.«

Martha erwiderte nichts. Sie kannte die Mutter und wußte, daß jede Entgegnung ihr gegenüber zwecklos sei.

Frau Baumann wurde ganz lebhaft. Die Lage des Waldrestaurants war wundervoll. Wenn man den weiten Weg einmal hinter sich hatte, konnte man sich hier vortrefflich unterhalten, denn an schönen Sonntagnachmittagen war die ganze Stadt da draußen.

»Ist das nicht die Frau Landgerichtsrat Fernbach, die da drüben geht, Martha?« fragte jetzt Frau Baumann. »Ihr Mann soll ja nach Norddeutschland versetzt werden, am Ende nach Berlin. Er ist in Regierungskreisen gut angeschrieben, hat Rolf erzählt. Wie sich diese Norddeutschen geschmacklos kleiden. Das wäre bei uns undenkbar, diese hellgraue Bluse zu dem blauen Rock. Aber Schick hat sie ja trotzdem, sie versteht's zu tragen. Sie soll ja alle Kleider zu Hause anfertigen lassen, von einer Schneiderin, die kaum mehr als die Kost bekommt.«

»Nein, Mama,« erwiderte Martha, »Frau Landgerichtsrat Fernbach macht alle Kleider selber, da sie und ihre drei Kinder von dem Gehalte ihres Mannes samt dem Herrn Landgerichtsrat leben müssen, und ihr Mann doch auch seine eigenen Ansprüche hat.«

»Sie macht sie selber? Das ist nicht möglich,« ereiferte sich Frau Baumann. »Dann allerdings, der Sitz und die Taille. Na, bei dem Wuchs, da steht eben alles gut, wenn ich mich auch mit dieser norddeutschen Farbenzusammenstellung nicht befreunden kann.«

Während Frau Baumann die nun ganz dicht vorübergehende Frau Landgerichtsrat scharf aufs Korn nahm und eingehend durch ihr Lorgnon musterte, schweiften Marthas Augen suchend durch die vorüberflutende Menge. Schröder hatte doch bestimmt versprochen, an diesem Nachmittage im Waldrestaurant zu sein, und noch sah sie ihn nicht.

An seiner Stelle erschienen jetzt zwei junge nach der neuesten Stutzermode gekleidete Herren, die sich würdevollen Schrittes dem Tische der beiden Damen näherten. Es war Rolf in Begleitung seines Freundes Hasso von Windheim.

Dem Anzug Rolfs sah man es freilich an, daß er nicht der gegenwärtigen Saison seine Entstehung verdankte, sondern daß er für den heurigen Sommer aufgebessert war. Aber der Flickschneider, mit dem sich Rolf eigens in Verbindung gesetzt hatte, gab sich redliche Mühe, und es war ihm geglückt, der Kleidung des Herrn Unterprimaners wenigstens die am meisten in die Augen fallenden Tricks einer dernière création der diesjährigen Herrenmode zu verleihen.

»Guten Tag, Mutter, guten Tag, Martha,« sagte Rolf an den Tisch herantretend und den beiden Damen förmlich die Hand küssend. »Ihr kennt ja beide meinen Freund, den Freiherrn Hasso von Windheim? Übrigens eine scheußliche Fülle heute in diesem Ausschank. Es ist doch erlaubt?«

An dem Nebentische waren gerade zwei Stühle freigeworden, deren sich die beiden jungen Leute bemächtigten. Nachdem sie an der Seite der Damen Platz genommen, wandte sich Hasso an Martha:

»Das gnädige Fräulein interessieren sich nicht für Pferde, sonst hätte ich den Damen den Vorschlag gemacht, sich einmal unsere neuen Trakehner anzusehen, Papa hat sie selbst in Ostpreußen gekauft!«

»Ich bedaure wirklich, Herr von Windheim,« lautete Marthas Antwort, »meine Interessen bewegen sich doch in einer ganz anderen Richtung.«

»Du mußt meine Schwester nach Horaz und Tacitus fragen,« warf nun Rolf dazwischen, »die alten Herren aus Rom liegen ihr näher. Man interessiert sich ja immer –«

Unter Marthas vorwurfsvollem Blick brach er rasch ab. Sie fürchtete eine Anspielung auf Schröder, und der strenge Blick ihrer schönen blauen Augen verbot dem vorlauten Bruder jede taktlose Äußerung.

Das mochte Rolf fühlen, und so benutzte er den günstigen Augenblick, um sich an den gerade vorübereilenden Kellner zu wenden:

»Zwei Pilsener,« rief er diesem zu, »du nimmst doch auch eines, Hasso, und zwei Brote mit Sardellen, man bekommt Durst von dem vielen Staub.«

Martha konnte nicht umhin, einen ängstlichen Blick in ihr Portemonnaie zu werfen. So war das bißchen, das sie mit ihrem Sodawasser gespart hatte, auch wieder hin. Sie kannte die jungen Herren aus der Unterprima, die es mit dem Bezahlen niemals so genau nahmen. Hoffentlich würde Hasso wenigstens so viel Anstand haben, das seine zu begleichen.

Frau Baumanns Augen waren voll Stolz auf ihren Liebling gerichtet.

»Wo ist denn Paulchen,« fragte Rolf, »er wollte doch auch mit von der Partie sein?«

»Der kleine Kurz hat ihn in der letzten Minute abgeholt. Sie machen diesen Nachmittag einen Ausflug nach der Seilermühle, und da bettelte Paulchen, bis ich ihn mitließ.«

»Die Kurzens?« Rolf verzog das Gesicht zu einer unglaublich verächtlichen Miene. Hoffentlich hatte Hasso von Windheim den Namen nicht verstanden. Aber zu seinem Verdrusse nahm der aristokratische Freund das Gespräch sofort auf und fragte:

»Sind das die Zuckerbäckers, gnädige Frau, deren Konrad zusammen mit Paulchen auf Quarta sitzt? Ihr Paulchen scheint ja eine dicke Freundschaft mit dem kleinen Konrad Kurz zu haben?«

Frau Baumann geriet in peinliche Verlegenheit.

»Ja, Herr von Windheim,« lautete ihre Antwort. »Die Kurzens sind doch frühere Nachbarsleute von uns. Da kann man auch nicht so sein und die Leutchen vor den Kopf stoßen.«

»So, so,« meinte Hasso von Windheim.

Rolf ärgerte sich maßlos, daß er selbst durch seine dumme Frage den Anlaß zu dieser peinlichen Auseinandersetzung über den Verkehr seines Brüderchens gegeben hatte! Nun, er würde der Mutter schon zusetzen, daß die ein für allemal ein Machtwort sprach und Paulchen die Besuche im Hause der Zuckerbäckerfamilie untersagte.

Zu seinem größten Schrecken ergriff nun Martha das Wort:

»Ich kann das nicht finden, Mutter,« sagte sie, »daß wir die Leute vor den Kopf stoßen und daß wir bloß aus dieser Rücksicht heraus Paulchen mit Konrad Kurz verkehren lassen. Die beiden Quartaner haben Gefallen aneinander gefunden. Wenn man schon auf Quarta Standesunterschiede machen wollte, wo sollten wir dann hinkommen, die wir in der städtischen Bürgerschule das Kind des Straßenkehrers genau so liebevoll zu behandeln haben wie das des Herrn Schornsteinfegermeisters, der zwei vollbesetzte Mietshäuser in der Altstadt sein eigen nennt?«

»Das gnädige Fräulein sind städtische Lehrerin?« fragte nun Hasso von Windheim interessiert.

Rolf bekam einen glühend roten Kopf. Nach seinen Anschauungen war es unerhört, daß sich eine junge Dame aus guter Familie ihren Unterhalt verdienen mußte, und mit Hasso hatte er niemals über die Stellungen seiner Schwester und seines Bruders gesprochen.

»Das wußten Sie nicht, Herr von Windheim?« sagte nun Martha. »Es ist ein schöner Beruf, in dem ich mich sehr glücklich fühle, und dann, wir sind nicht alle auf Rosen gebettet, man muß sein Brot verdienen, um leben zu können.«

Frau Baumann glaubte diese Äußerung Marthas doch ein wenig einschränken zu müssen, indessen Rolf sein Pilsener auf einen Zug leerte und dann wütend sich ausschließlich mit seinem Sardellenbrot beschäftigte.

»Meine Tochter,« meinte Frau Baumann, »hat eine große Liebe zu Kindern, und da doch auch mein seliger Mann Professor und Gymnasialoberlehrer gewesen ist, mag sie auch so was wie eine pädagogische Ader geerbt haben. Schon als Konfirmandin hatte sie den ausgesprochenen Wunsch, sich im Schulfache auszubilden, und Sie wissen, Herr von Windheim, wie sagt doch gleich der Lateiner, Rolf?«

»Du meinst, ›de gustibus non est disputandum‹,« nahm Rolf das Gespräch wieder auf, und als müsse er rasch der Unterhaltung eine neue Wendung geben, fragte er nun: »Hast du denn unseren Pauker Schröder im Wald gesehen, Hasso?«

Martha horchte auf.

Rolf bemerkte die Verlegenheit seiner Schwester. Innerlich tat es ihm wohl, dieser auch eins versetzt zu haben, da sie ihn Hasso gegenüber mit ihrem dummen Lehrerinnenberuf nicht übel in Verlegenheit gebracht hatte.

Ein paar Augenblicke weidete er sich an ihrer Verlegenheit. Dann sagte er: »Na komm, Hasso, es wird deinen Trakehnern zu lange werden. Wir müssen die Damen leider ihrem Schicksal überlassen.«

Hasso von Windheim machte vor Martha eine tadellose Verbeugung, dann sagte er zu Frau Baumann:

»Also Sie wollen uns Rolf wirklich nicht für die Sommerferien anvertrauen, gnädige Frau?«

Gespannt hingen Rolfs Blicke an den Augen der Mutter, die sich nun wieder der runden Ablehnung Ewalds erinnerte und zaghaft meinte:

»Es ist ja noch eine ganze Woche bis zu den großen Ferien, Herr von Windheim, da können wir uns ja Ihre so freundliche Einladung noch reiflich überlegen.«

Ein herrischer Blick aus Rolfs schönen, braunen Augen traf die Mutter, der Blick, den sie an ihrem verhätschelten Söhnchen so liebte und dem sie niemals zu widerstehen vermochte, weil sie in diesem Blicke eine Äußerung von Rolfs Herrschernatur sah.

»Es wird sich ja am Ende doch noch machen lassen, Herr von Windheim,« sagte sie unter dem Einflusse dieses Blickes, und Rolf rief:

»Avanti, Hasso, Zigarre gefällig?« indem er dem Freunde seine reichlich gefüllte Tasche anbot.

Gerade, als die Zigarren brannten, kam Oberlehrer Schröder auf den Tisch zu.

Die beiden Herren Unterprimaner machten sich nun schleunigst aus dem Staube, die eben stolz angebrannten Zigarren ängstlich vor dem Auge des Klassenlehrers zwischen den Fingern verbergend.

»Die Damen verzeihen,« begann Schröder, »die vielen Menschen, ich habe Sie wirklich erst jetzt entdeckt.«

Aber sogleich empfand er diese infolge seiner Offenheit gemachte Bemerkung als einen Fehlgriff.

»Haben Sie uns denn hier erwartet oder gesucht, Herr Doktor,« fragte Frau Baumann in scharfem Tone, »daß Sie uns erst jetzt entdeckt haben?«

Da hatte er eine Dummheit gemacht. Wie zufällig, hatte ihm Martha geschrieben, solle er sich dem Tische der Mutter, die nichts von der heimlichen Verlobung wußte, nähern, und nun spielte ihm seine Ehrlichkeit diesen Streich.

»Aber so nehmen Sie doch Platz, Herr Doktor,« bat nun Frau Baumann. »Sie haben gewiß einen Sonntagsspaziergang gemacht, und da hat sie der Zufall hier in das Waldrestaurant geführt? Ich freue mich aufrichtig, Sie nach so langer Zeit einmal wiederzusehen. Wie sind Sie denn mit meinem Rolf zufrieden?«

Martha kochte innerlich vor Wut. Nicht nur, daß Schröder durch seine unangebrachte Offenheit sie der Mutter gegenüber in eine unangenehme Lage versetzte, nein, nun nahm ihn diese Frau auch noch für sich in Anspruch und benutzte die schöne Stunde, auf die sie sich den ganzen Tag gefreut hatte, zu einer Erkundigung nach Rolfs Fortschritten.

Rolf und immer wieder Rolf, es war zum Verzweifeln. So sehr es Martha wider die Natur ging, sie konnte diesmal nicht anders. Sie gab dem heimlichen Bräutigam unter dem Tische einen kleinen Stoß mit dem zierlichen Füßchen, und wirklich, Schröder besann sich und sagte:

»Aber gnädige Frau, es dürfte sich wohl eine passendere Gelegenheit für die Beantwortung dieser Frage finden. Heute will ich Ihnen nur sagen, daß sich Rolf entschieden gebessert hat, wenn auch das Interesse, das er an den römischen Klassikern nimmt, mir nur ein ganz äußerliches zu sein scheint.«

»Was ja auch wohl für einen zukünftigen Juristen genügt,« erwiderte Frau Baumann boshaft. »Ich möchte nämlich nicht, daß mein Sohn das Los seines Vaters teilte und sich als Oberlehrer durch die Welt schlagen müßte.«

Martha war das Weinen nahe.

Aber Schröder nahm Frau Baumanns boshafte Bemerkung durchaus nicht persönlich, obwohl sie von Marthas Mutter, die einen wahren Abscheu vor der Verbindung ihrer Tochter mit dem Gymnasialoberlehrer hatte, als ein wirksames Abschreckungsmittel gedacht war.

»Das will ich nicht sagen, gnädige Frau,« antwortete er in aller Ruhe, »auch dem Juristen kann ein innerliches Interesse an den größten der römischen Klassiker von Nutzen sein. Nehmen wir einmal nur Cicero, der einer der ersten forensischen Redner aller Zeiten und Völker war, oder nehmen wir Julius Cäsar, der die Staatskunst wie kein zweiter verstanden hat. Und was Ihre zweite Bemerkung betrifft, so ist ihr verstorbener Herr Gemahl doch auch Gymnasialprofessor gewesen, und die sind es doch wohl in erster Linie, auf deren Schultern die Erziehung unserer akademischen Jugend ruht. Mögen die jungen Herren nun große Ärzte oder Juristen, Theologen oder Philosophen werden, durch die alte Schule der Philologie und durch das Studium der Antike sind sie doch alle einmal hindurchgegangen, und auch der größte Staatsmann wird sich der Stunden erinnern, wo sein Klassenlehrer ihn auf die Ideale eines Plato und eines Horaz hingewiesen hat.«

In jene Begeisterung, die Rolf so gern an ihm verspottete, hatte sich Schröder auch in diesem Augenblicke wieder hineingeredet.

Frau Baumann würdigte ihn keiner Antwort. Mit ihrem Lorgnon musterte sie wieder die Vorübergehenden und überließ Martha diesen unglaublichen Idealisten.

In deren schöne Augen traten die Tränen, sie erriet die geringschätzigen Gedanken der Mutter, und sie liebte diesen Mann!

Er tat ihr leid, von Herzen leid, und zu diesem Gefühle gesellte sich in ihrem Innern die tiefe Zuneigung, die sie ihm entgegenbrachte, schon seit langer Zeit, schon seit jenem Tage, da der Vater noch am Leben gewesen und Schröder als Lehramtskandidat seinen ersten Besuch gemacht hatte.

Wie glich er dem Vater, an dem sie mit aller Kraft ihrer Seele als an einem großen und einsamen, von der eigenen Frau mißverstandenen Manne gehangen! Auch der Vater hatte die krummen Wege des Geldverdienens und der Verwandtenwirtschaft zum Leide der Mutter verschmäht. Er hatte einst jenen Prinzen sitzen lassen, an dem sich der von der Mutter beneidete Kollege so schwer bereichert. Ungerechtigkeit und Parteilichkeit waren dem alten Baumann sein Leben lang fremde Begriffe geblieben, und diese Eigenschaften des Vaters, auf die das kleine Mädchen so stolz gewesen, sie schienen ihr in Schröder wieder aufzuleben, und nicht zum mindesten um dieser Eigenschaften willen liebte sie ihn.

Während die Mutter nach den Leuten schaute und sich um die am Tische Sitzenden nichts kümmerte, fanden sich Marthas und Schröders Hände, und eine Fülle von Zukunftshoffnungen und heiligen Versprechen lag in dem sanften Drucke, mit dem die Rechte des jungen Mädchens Schröders Hand umfaßt hielt.

Der Garten des Restaurants leerte sich langsam.

Schröder rief den Kellner und zahlte. Frau Baumann ließ es ruhig geschehen. Das war ja ganz angenehm, zumal, da die Zeche der beiden Herren Unterprimaner bei den hohen Preisen des Waldrestaurants nach ihren Begriffen nicht ganz unbeträchtlich war.

Dann ging man zu dreien nach der Landstraße, auf der ein prächtiger Wagen nach dem anderen daher gefahren kam. Frau Baumann dachte im stillen:

»Auch diesem erbärmlichen Schröder wird es Eindruck machen, wenn er meinen Rolf in dem Zweispänner an der Seite Hasso von Windheims sieht.«


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