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XII.

Erst am folgenden Morgen gelang es Frau Baumann, nicht ohne große Schwierigkeiten, sich Eintritt in die Gemächer ihrer Schwiegertochter zu verschaffen. Hatte doch Irma während der kurzen Zeit ihrer Verlobung und damals auf der Hochzeit im Hause ihres Vaters keinen angenehmen Eindruck von der Mutter ihres Gatten empfangen.

Fräulein Forst und Frau Bitterlich gaben sich alle Mühe, Frau Baumann von ihrem Entschlusse, Irma unter vier Augen zu sprechen, abzubringen. Sie taten das weniger, weil sie eine starke seelische Erregung für die junge Frau als Folge eines derartigen Zusammentreffens vermeiden wollten, als vielmehr, weil sie fürchteten, Irma könne Frau Baumann näher treten, und sie selber würden dadurch einen Teil des unumschränkten Einflusses, den sie auf die Herrin von Schloß Schönblick ausübten, verlieren können.

Aber ihr Widerstand half den beiden Frauen nichts. Frau Baumann bestand darauf, daß Heinrich, der Servierdiener, ein von ihr geschriebenes und versiegeltes Briefchen in Irmas eigene Hand abliefere, und die junge, in der Einsamkeit ihres Hofstaates und ihrer Gemächer nach einer Aussprache seit Wochen lechzende Frau las die Worte ihrer Schwiegermutter mit funkelnden Augen, mit der Gier einer Verdurstenden, der man den ersten Becher reinen Quellwassers reicht.

Denn Frau Baumann schrieb:

 

»Liebste Irma!

Ich weiß alles. Ewald hat es mir erzählt. Unter uns, er ist ein Narr und ein Undankbarer, Dich so im Stiche zu lassen und seinen Eigenbrödeleien nachzugehen. Rechne es ihm nicht zu hoch an, er versteht es nicht besser, denn er ist ein Mensch ohne jede Lebenserfahrung. Empfange mich unter vier Augen und schütte mir Dein armes Herz aus, als ob ich Deine leibliche Mutter wäre. Wir Frauen haben doch für all diese Dinge ein ganz anderes Verständnis, als die rauhen Männer. Ich erwarte, von Dir zu einem Besuche in Deinen Zimmern aufgefordert zu werden.

Deine treu sorgende Mutter
Katharina Baumann.«

 

Es dauerte ein paar Stunden, während deren Frau Baumann, Stück für Stück ihres Planes zurechtlegend, in ihrem Zimmer auf Irmas Antwort wartete. Endlich, erst gegen zehn Uhr abends, nachdem der Besuch ohne Ewald im Speisesaal die Mahlzeit eingenommen, überreichte Heinrich der Mutter des Schloßherrn die von Irma geschriebene Antwort:

 

»Ich werde Dich morgen vormittag um elf Uhr erwarten.

Irma.«

 

Kein Schlaf kam in dieser Nacht auf Frau Baumanns Augenlider. Hing doch von dieser Unterredung mit Irma, das sah sie ein, so gut wie alles ab, die ganze Zukunft ihrer selbst und aller ihrer Familienmitglieder.

Ewald, pah, der! Der konnte ja sehen, wie er fertig wurde, wenn er in seinem wahnsinnigen Leichtsinne, sich der Frau, der er alles verdankte, zu entfremden, solch' unüberlegte Schritte tat! Aber Rolf, ihr Liebling, dessen ganze Pläne sich auf dem Reichtum des Bruders aufbauten, Paulchen, von dem man noch nicht wissen konnte, wie sich sein Lebensweg gestalten würde, sie selber, die den Abend ihres Lebens lieber auf Schloß Schönblick, als in einer Dreizimmerwohnung mit der kargen Pension ihres Seligen beschließen wollte, und schließlich Hilde, die den kühnen Plan gefaßt hatte, Seliger, Langs rechte Hand, für sich zu gewinnen und so die Baumanns für unabsehbare Zeiten an das Langsche Bankhaus zu ketten, das alles war plötzlich in Frage gestellt!

Ein, wenn auch nur äußerlich erträgliches Verhältnis zwischen den beiden Ehegatten mußte ohne jede Rücksicht auf Ewalds Schrullen wieder herbeigeführt werden, wenn man weiter auf Langs Millionen, als auf eine Sicherheit der Zukunft ihrer aller, rechnen wollte.

Wer wußte es? Am Ende war Lang selber durch Irma schon von dem Verhalten seines Schwiegersohnes in Kenntnis gesetzt worden, am Ende wartete er nur die Geburt des Kindes, das den Namen Baumann tragen sollte, ab, um in der Zwischenzeit Maßnahmen gegen den Undankbaren und dessen unschuldige Familie zu treffen, Maßnahmen, die eine Scheidung, in der Ewald als der schuldige Teil erklärt werden sollte, herbeiführen könnten!

Dann saßen sie wieder auf dem Trockenen. Schlimmer als vorher. Denn Martha war verheiratet, und Ewald hatte seine Stellung verloren und konnte nach einer neuen suchen. Dann war es aus mit Rolf und mit Paulchen und mit der glänzenden Aussicht, daß Seliger Hilde heiraten werde!

Und das alles, weil sich Ewald in den Kopf setzte, daß er nicht der Vater des zu erwartenden Kindes sei. War das denn überhaupt bewiesen? Ließ sich so was überhaupt beweisen? Gab es nicht Frühgeburten und Siebenmonatskinder, lange und verkürzte Schwangerschaften, und wer weiß was sonst nicht noch alles?

Und wie sie Ewald verstanden, hatte der keinen Beweis, kein Geständnis aus Irmas Munde, nichts, rein nichts, als eine leere Vermutung, einen Schluß, den er selber mit seinem Mangel an jeglicher Erfahrung gezogen hatte.

Und wenn auch! Die Tochter eines Millionärs heiratete man nicht alle Tage. War das Kind in den Augen der Welt dieser Ehe entsprossen, dann hieß es eben Baumann, Ewald war vor dem Gesetz der Vater, und nur der Eigensinn eines übertriebenen, eines wahrhaft krankhaften männlichen Ehrgefühls war dazu imstande, sich und seine ganze Familie und noch dazu einen Vater und dessen Tochter, denen man sein Glück und seine Stellung im Leben verdankte, zugrunde zu richten.

O, wenn sie sich das alles genau überlegte, sie haßte diesen leichtfertigen, undankbaren und gewissenlosen Sohn, der mit der Existenz seiner Angehörigen va banque zu spielen begonnen hatte, anstatt sich stillschweigend in die gegebenen Verhältnisse zu finden und eine Vermutung, die ihn quälte, tief in seinem Busen zu verschließen, wie das hundert andere in der gleichen Lage und an seiner Stelle getan hätten. Gut, daß sie da war, um einzurenken, was eingerenkt werden mußte, und die Wolken, die sich drohend über ihnen allen zusammengeballt hatten, zu zerstreuen.

Zu ihrer Freude traf Frau Baumann, als sie am folgenden Morgen zur festgesetzten Stunde in die Zimmer ihrer Schwiegertochter trat, Irma wirklich allein. Die junge Frau, der die Kennerin weiblicher Zustände die fortgeschrittene Schwangerschaft auf den ersten Blick ansah, lag unter einer weißen Seidendamastdecke auf dem Ruhebette und blätterte gelangweilt in einem französischen Romane, zu dessen eingehender Lektüre sie sich nicht entschließen konnte.

»Du entschuldigst doch, wenn ich nicht aufstehe, Mama,« begann Irma mit matter Stimme.

»Aber ich bitte dich, Irmchen,« sprudelte Frau Baumann hervor, »schone dich nur, Kindchen, liegst du so bequem, und zieht es dir nicht?«

Sie war an Irmas Lager herangetreten und betrachtete aufmerksam Züge und Gestalt der Ruhenden.

Ja, Ewald hatte recht, fuhr es ihr da durch den Kopf, soweit konnte Irmas Zustand seit der Hochzeit mit ihrem Sohne noch nicht gediehen sein. Also war doppelte Vorsicht am Platze und doppelte Anteilnahme, wenn sie die Aufgabe, die sie sich hier gestellt, zu ihrer und der Ihren Zufriedenheit lösen wollte.

»Wir sind zu Besuch hier, Irma, auf dem wundervollen Schlosse, Hilde, Rolf, Paulchen und ich. Ewald hatte uns doch für die Herbstferien eingeladen,« begann sie zu plaudern. »Armes Ding, daß du so leiden mußt. Wir Frauen haben eben in der Ehe viel durchzumachen, ich habe das fünfmal in der meinen erfahren.«

Ein lauernder, fragender Blick aus Irmas Augen traf sie bei diesen Worten, ein Blick, aus dem sie nicht recht klug werden konnte, der ihr aber den hinter dieser weißen Stirn schlummernden Gedanken, die Frage zu verraten schien: in welcher Absicht bist du zu mir gekommen? Stehst du auf meiner oder auf seiner Seite? Habe ich in dir eine Bundesgenossin oder eine Feindin zu sehen?

Einige Augenblicke verstummte Frau Baumann. Sie machte sich an den Vorhängen zu schaffen, als wenn sie das grelle Licht der hereinstrahlenden Herbstsonne von Irma fernhalten wollte, und beobachtete während dieser Beschäftigung die junge Frau.

»Laß nur,« wehrte Irma, »ich liebe die Sonne, die Sonne stört mich nicht.«

Frau Baumann ging vom Fenster wieder auf das Lager Irmas zu. Der helle Schein des Lichtes, der auf Leib und Gesicht der Ausgestreckten lag, zeigte ihr nun in aller Deutlichkeit, daß Irma selber in den letzten Monaten ein reichlich Maß seelischer Qualen erduldet haben mußte. Der schmerzliche Zug um die fest zusammengekniffenen Lippen, die tiefen Schatten unter den glänzenden Augen, das scharfe Hervortreten der blauen Adern auf den weißen Schläfen und die Leichenblässe der kleinen Hände, das alles ließ sich nicht so ohne weiteres aus dieser ersten Schwangerschaft erklären, die zwar Beschwerden mancherlei Natur, aber niemals einen solchen körperlichen Zusammenbruch mit sich bringen konnte.

»Was mußt du alles durchgemacht haben, Irma!«

Es schien beinahe, als seien diese Worte Frau Baumanns aus aufrichtigem Mitleid mit dem jungen Wesen, das hier unter ihren Augen sichtlich litt, gesprochen worden. Wenigstens hatte Irma dieses Empfinden. Sie legte die schmale, blasse Hand auf den Arm der neben ihrem Lager sitzenden Frau Baumann und: »Ach ja, Mutter,« kam es von ihren Lippen, »ach ja, so hatte ich mir alles auch nicht gedacht. Hat Ewald mit dir gesprochen? Darf, kann ich offen sein?«

Wieder der lauernde und fragende Blick aus diesen unergründlichen Augen, und dann das feste Aufeinanderpressen der fast blutleeren Lippen, denen schon ein Wort zu viel entflohen war.

Frau Baumann mochte empfinden, daß nun der richtige Augenblick für sie gekommen sei, auch unter Preisgabe des eigenen Sohnes sich Irmas Vertrauen zu gewinnen. So rückte sie näher an ihre Schwiegertochter heran, und deren von dem Ruhebette herabhängendes Händchen streichelnd, sagte sie:

»Wie auch alles sein mag, und wie es zusammenhängt, Irmchen, Ewald ist undankbar. Er ist im Unrecht. Was er vermutet, und was ja vielleicht auch zutreffen mag, hat er mir erzählt, aber, er hätte sich unter allen Umständen mit dir aussprechen sollen und hätte dich nicht hilflos im Stiche lassen dürfen. So sind die Männer immer, wenn es ihnen scheint, als ob es an ihre sogenannte Ehre ginge. Ein Glück, daß ich da bin. Wenn ich hierbleiben darf, und du mit mir zufrieden sein willst, dann will ich dir eine echte und rechte Mutter werden, der du alles anvertrauen und bei der du Trost finden kannst! Sieh mal, Kind, die fremden Leute, die sind doch nichts für dich, wenn sie auch noch so gewissenhaft und schön tun, es bleiben doch immer fremde Leute, die man bezahlt und denen man sein Herz schließlich doch nicht ausschütten kann und darf. Du hast das Unglück gehabt, Irma, schon in frühen Jahren deine Mutter zu verlieren, deine Erziehung haben fremde Leute geleitet, deine Vertrauten sind mehr oder weniger Dienstboten gewesen, das muß jetzt alles anders werden, da du in mir eine Mutter haben wirst. Weiß denn dein Vater alles, weiß er denn schon, wie sich Ewald zu dir gestellt hat?«

Irma, die mit einem Male in eine ganz weiche Stimmung geriet, die bei Frau Baumanns Worten plötzlich ein tiefes Mitleid mit sich selber empfand, antwortete:

»Ich bin in der Stadt gewesen und habe mit Papa gesprochen, er gab mir den Rat, Ewald sich selber zu überlassen, er würde schon den Weg zu mir zurückfinden.«

Frau Baumann schwieg. Tiefe Blässe trat auf ihr Gesicht.

Also doch schon zu spät, fuhr es durch ihren Kopf. Lang wußte alles, er wußte mehr, als sie sich in diesem Augenblicke nur zusammenreimen konnte. Die Gefahr war aufs höchste gestiegen. Wenn sie das Einvernehmen zwischen den Gatten nicht herzustellen vermochte, dann mußte sie am Ende den Kommerzienrat zu Hilfe holen und ins Vertrauen ziehen. Es war entsetzlich!

Nach einer langen Pause sagte sie endlich: »Wir werden ihn dir zurückgewinnen, denn wir müssen. Aber du, liebes Kind, mußt mir dabei hilfreich zur Hand gehen. Hörst du?«

Gespannt lauschte Irma diesen Worten. Ihre großen, schwarzen Augen hingen nun an Frau Baumanns Lippen, als diese fortfuhr:

»Ich kann dir den Vorwurf nicht ersparen, liebe Irma, daß es unklug von dir war, ihn so ruhig seiner Wege gehen zu lassen und zu dulden, nein, wie man mir in der Stadt erzählt hat, zu veranlassen, daß er seinen Geschäften fern blieb. Wenn er sich jetzt wie ein Einsiedler verkriecht und seinen lächerlichen, künstlerischen Plänen nachhängt, dann war das zum großen Teile mit auch deine Schuld. Die Männer an uns zu fesseln und sie dennoch ihrem Berufe nicht zu entfremden, das ist die große Kunst von uns Frauen, auf der mir alle unsere Lebensweisheit zu beruhen scheint.«

»Aber, Mutter,« wandte nun Irma ein, »er selber nahm mir ja alle Möglichkeit, mit ihm zusammenzutreffen, er wich jeder Aussprache mit mir geflissentlich aus.«

Frau Baumann erwiderte auf diesen Einwand ihrer Schwiegertochter nichts. Sinnend blickte sie hinaus nach dem im Lichte der Septembersonne leuchtenden Parke, um dann erst nach langem Überlegen das Wort zu ergreifen:

»So höre denn, Irmchen,« begann sie. »Hier muß alles wieder ins Geleise kommen. Was geschehen ist, gehört der Vergangenheit an und ist nicht mehr zu ändern. Ich für mein Teil frage dich gar nicht danach, wie es geschehen ist und wie es geschehen konnte, denn meine ganze Sorge gehört der Gegenwart und der Zukunft, deinem, eurem Glück, Irmchen, das glaube mir, der Ruhe und dem Frieden, die in dieses schöne Schloß wieder ihren Einzug halten müssen! O, wie dank' ich Gott im Himmel, daß er mich im richtigen Augenblicke, ehe es zu spät war, hieher geführt hat!

Was ich im Schlosse in den wenigen Stunden, die ich hier bin, gesehen habe, hat mir nicht gefallen. Hier herrschen die Dienstboten, und in der Wirtschaft geht alles drunter und drüber. Du fühlst dich schwach und elend, du erwartest deine Niederkunft, da ist es begreiflich, daß du die Zügel nicht in festen Händen halten kannst!

Laß mich nur schalten und walten. Hilde und ich werden dir Gesellschaft leisten, werden dir eine treue Schwester und Mutter sein, und du wirst sehen, daß wir alles zu einem guten und glücklichen Ende führen. Nur mußt du dann auf die vielen fremden Menschen, die dich ja doch nur in das Gerede der Leute bringen, Verzicht leisten. Willst du uns zu deiner Unterstützung und Hilfe hier behalten, Irmchen, und mir freie Hand lassen, willst du das? Ich kenne Ewald, du wirst sehen, daß ich ihn dir zurückbringe.«

Noch einen Augenblick zögerte Irma, dann faßte sie die ihr von Frau Baumann dargebotene Hand und antwortete mit schluchzender Stimme:

»Ja, ich will, Mutter. Ich kann ja sowieso dieses Dasein nicht mehr ertragen. Handle du und führe Ewald zurück!«

Nachdem sie die Schwiegertochter auf Stirn und Wangen geküßt hatte, verließ Frau Baumann hochbefriedigt von dem Ergebnisse ihrer Unterredung Irmas Gemächer.

Durch die schattigen Alleen des Parkes begab sie sich sogleich an das Ufer des hinteren, schilfbewachsenen Teiches und ließ sich von einem dort gerade mit dem Mähen des Grases beschäftigten Gärtnerjungen zu Ewalds Pavillon hinüberrudern.

Wie sie erwartet, fand sie den Sohn in dem dürftig ausgestatteten Gemache vor dem Pianino sitzend. Er bemerkte ihr Eintreten nicht. In seine musikalischen Phantasien versunken, schlug er mit der Linken die Akkorde auf den Tasten an und zeichnete mit der Rechten seine Komposition auf ein großes Stück Notenpapier, das er vor sich auf dem Pulte des Instrumentes stehen hatte.

»Ich habe soeben mit Irma gesprochen, sie ist zu einer Versöhnung bereit,« begann Frau Baumann.

»Was willst du hier, Mutter?« brauste Ewald auf. »Wer hat dich über den Teich gerudert? Wer hat dir das Recht gegeben, hier bei mir einzudringen und mich in meiner Arbeit zu stören?«

Frau Baumann blieb ruhig und kalt. Ein unglaublich verächtliches Lächeln war, als Ewald das Wort Arbeit ausgesprochen hatte, um ihre Mundwinkel geglitten.

»Arbeit,« wiederholte sie, »Arbeit? Für diese Vergeudung an Papier und Tinte würde der Kommerzienrat schwerlich einen roten Heller übrig haben. Tue deine Pflicht und erfülle hier deine Aufgabe, für die du gewiß reichlich entschädigt wirst!«

Alles Blut war bei diesen Worten der Mutter aus Ewalds Gesicht gewichen. Eine sinnlose Wut packte ihn.

»Hinaus,« donnerte er mit zitternder Stimme, »hinaus, Mutter, oder ich vergesse, daß du eine Frau und meine Mutter bist, und ich vergreife mich an dir.«

Aber auch dieser Ausbruch seiner Raserei vermochte Frau Baumann, die entschlossen war, ihr Ziel zu erreichen, die die materielle Grundlage, auf der ihre ganze Familie stand, erschüttert sah, nicht aus der Fassung zu bringen.

»Du bist krank, mein Kind,« flötete sie jetzt in sanftestem Tone. »Du vergißt dich! Die Aufregungen der letzten Wochen, der Mangel an geeigneter Tätigkeit haben dich nervös überreizt.«

»Ich bin meiner Sinne mächtig,« schrie Ewald aufs neue. »Laß mich, Mutter!« Seine Stimme nahm einen weichen, bittenden Ton an. »Laß mich, laß mir meine Einsamkeit und meine Arbeit, die mich allein retten, die mir allein helfen kann. Bleibt auf dem Schlosse, du und Hilde und Rolf und Paul und wer sonst noch will. Haust zusammen mit Irma, aber laßt mich in Frieden und kümmert euch nicht mehr um mich.«

»Du bist verrückt –« Noch im letzten Augenblicke verschluckte Frau Baumann diese Worte, da sie einsehen mochte, daß sie mit Gewalt und Bitterkeit am Ende doch nicht zum Ziele gelangen würde, und fast schmeichelnd sagte sie jetzt:

»Aber, Ewald, Irma sehnt sich nach dir. Dein Fernbleiben hat ihr schlaflose Nächte bereitet, sie sieht schlecht aus, sie fühlt sich krank, sie reicht dir die Hand zur Versöhnung, und du willst diese Hand zurückstoßen?«

»Sie hätte sich vorher sagen sollen, daß man eine Ehe nicht auf einem Betruge aufbaut, daß man die Ehre und den Namen eines Mannes nicht in den Kot zieht. Und das tut man, wenn man der Meinung ist, man könne Namen und Ehre eines Mannes mit schnödem Gelde bezahlen. Geh' ins Schloß zurück und laß mich hier allein mit meinem Elend, Mutter!«

Aber Frau Baumann blieb. Sie setzte sich auf einen der wackligen Rohrstühle, die der Gärtner in den Pavillon gestellt hatte, und schaute gleichgültig dem Spiele der Libellen zu, die mit großen, goldglänzenden Flügeln über das stille, im Schein der Sonne funkelnde Wasser des Teiches schwebten.

»Du willst nicht freiwillig gehen, Mutter?« fragte Ewald noch einmal.

»Nein,« lautete Frau Baumanns bestimmte Antwort, »nicht eher, als bis du mit mir gehst. Vielleicht änderst du deine Meinung über die Sachlage der Dinge, wenn ich dir sage, daß Irma schon vor Wochen in der Stadt war und mit ihrem Vater gesprochen hat. Lang weiß alles. Er ist von deinem Benehmen unterrichtet. Noch hat er die Hoffnung, daß du von selber zur Besinnung kommen und mit deiner Frau in Frieden leben wirst. Nimm ihm diese Hoffnung, beharre auf deinem lächerlichen Standpunkte mit deiner Ehre und deinem Namen und warte die Zeit ab, bis das Kind geboren ist, und Irma selber von dir loszukommen trachtet. Lang hat die Mittel an der Hand, eine Scheidung zugunsten seiner Tochter durchzubekommen. Wie ich ihn kenne, wird er kein Mittel scheuen, dies zu erreichen, und dann, dann stehst du mit deiner Ehre und mit deiner Arbeit da wie ein Bettler, und wir alle können zugrunde gehen, und das, das will ich nicht.«

Schweigend, in maßlosem Entsetzen war Ewald den Worten der Mutter gefolgt. Er kannte diese Frau, ihren Ehrgeiz und ihren Starrsinn, ihre Rücksichtslosigkeit und ihre Habgier. Etwas Flehendes lag nun in dem Tone seiner Stimme, als er sagte:

»Aber, Mutter, fühlst du denn nicht, daß Irma und Lang durch ihren Betrug mich selber und euch alle mit Kot beworfen und besudelt haben? Dürfen, können wir denn noch in diesem Schlosse leben und uns von seinem Gelde mästen, nachdem wir wissen, aus welchen Gründen er mir seine Tochter zur Frau gegeben hat? Beim Andenken des Vaters, bei der Ehre Rolfs, wenn du denn auf meine Ehre nichts mehr gibst, bei Rolfs Ehre, der doch Offizier werden will, das können wir doch nicht.«

»Laß den Vater aus dem Spiele,« zischte sie. »Er ist Zeit seines Lebens ein unpraktischer Mann gewesen, dessen Sarg mit den von dir bei Lang verdienten Kreuzern bezahlt worden ist. Und Rolf? Ich handle für Rolf. Er weiß von der ganzen Sache nichts. Soll ich wieder in das Elend, von meiner Witwenpension mich und Rolf und Paul und schließlich auch noch dich erhalten zu müssen, hinuntersteigen? Denn Lang wird dir nach der Scheidung keinen Posten in seinem Bureau vorbehalten. Soll ein offener Bruch mit Irma, ein Skandal, der in jedermanns Munde sein wird, auch Hildes Glück, die auf Seligers Antrag wartet, unterbinden? Nein und abermals nein! Tu' was du willst, aber das dulde ich nicht. Glaube mir, ich habe die Kraft, durchzusetzen, was ich will. Auch ohne dich, auch gegen deinen Willen werde ich mein Ziel erreichen. Verlaß dich drauf! Ich werde auf Mittel und Wege sinnen, dich zu zwingen, du Undankbarer, du Narr, der mit Millionen wie mit diesem wertlosen Notenpapiere spielt, der das Glück seiner ganzen Familie um einer Schrulle willen mit Füßen tritt. Ich werde handeln, auch ohne dich, gegen dich, verlaß dich drauf.«

Der Zorn flammte auf ihren Wangen. Die Hände hoch erhoben, in drohender Haltung stand sie vor dem Sohn, der plötzlich unter diesen furchtbaren Worten der eigenen Mutter zusammengebrochen war.

Vor dem Gefunkel ihrer in wilder Leidenschaft leuchtenden Augen senkte er den Blick. Er kannte die Mutter, er kannte diese Zornausbrüche, die schon, da er noch ein kleiner Knabe gewesen, dem Vater das Leben vergällt hatten, und vor denen er in den letzten Winkel der Wohnung geflüchtet war. Wie unter Peitschenhieben krümmte sich sein innerstes Wesen, aber die furchtbare Macht der Verhältnisse und der dämonische Zwang, den diese Mutter immer auf alle seine Willensentschließungen ausgeübt hatte, gewannen in diesem entscheidungsvollen Augenblicke den Sieg.

»Laß mich, laß mich allein! Ich will ja alles ertragen, macht, was ihr wollt, aber laßt mich in Frieden,« winselte er wie ein getretener Hund, wie ein Neger, den man an den Pflock schmiedet, und auf dessen schwarzen Rücken die sausenden Schläge der Nilpferdpeitsche niederprasseln.

Und Frau Baumann fühlte die unwiderstehliche Kraft, die fürchterliche Gewalt, die sie über diesen Schwächling hatte, über den Sohn des Mannes, der sein Leben lang nach ihrer Pfeife getanzt hatte.

»Du wirst mit mir zu Irma gehen, du wirst sie in meiner Gegenwart wegen deines lieblosen Benehmens um Verzeihung bitten, du wirst diesen Pavillon und diese Insel und diese Schmiererei lassen, und, wie das deine Pflicht ist, wieder zusammen mit deiner Frau auf dem Schlosse leben, wie das Lang nach Recht und Billigkeit von dir fordern kann!! Und von morgen an wirst du wieder in die Stadt und in dein Geschäft fahren, damit der Kommerzienrat dich wenigstens äußerlich zu seinen Mitarbeitern zählen muß, und du ihm durch die Vernachlässigung deiner Geschäfte nicht eine neue Handhabe bietest. Das alles wirst du tun. Und nun voran!«

Sie hob die Hand, und er stieg in den Kahn und folgte ohnmächtig ihrem Winke, wie er schon als Kind winselnd und zähneknirschend ihr den Willen getan, wenn sie mit der Rute zum Schlage gegen ihn ausgeholt hatte.


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