Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

VIII.

Die unerträgliche Hitze des Tages hatte sich gegen Abend ein wenig abgekühlt. Ein erquickender Wind wehte von den nahen Bergen herüber und machte sich von Viertelstunde zu Viertelstunde fühlbarer, je weiter sich das Schimmelgespann mit dem Wagen des hochzeitlichen Paares von der Stadt entfernte.

Wie frohe Verheißung lag es über den in den Glanz der Abendsonne gebadeten Feldern, durch die der herrliche Weg nach Schloß Schönblick führte. Üppig und körnerschwer stand der den Tagen des Reifens entgegengehende Weizen, der breite, weithin schimmernde Streifen durch die grünen Wiesen und die blühenden Kleeäcker zog, und schon beugten sich die Apfelbäume unter der Last der langsam schwellenden, noch grasgrünen Früchte.

Das Jahr stand auf dem Höhepunkte seiner segenspendenden Entfaltung, und alles lebte und jubilierte in tausend Stimmen und Melodien, wohin der Wagen mit dem jungen Paare fuhr.

In raschem Trabe zogen die beiden kräftigen Jucker die zwei jungen Menschenkinder durch all die sommerliche Herrlichkeit, und Ewald wollte es dünken, als hätte sich der heutige Tag eigens ihm und Irma zuliebe mit allen Reizen einer geradezu verschwenderischen Pracht geschmückt.

Immer klarer und deutlicher traten vor seinen Augen die schön geschwungenen Linien seiner heimatlichen Berge, die sich, ein prächtiger Zug am blauen Horizonte, zeigten, hervor: die Berge, die er so oft von der Stadt aus voller Sehnsucht, aber wie ein ihm selber unerreichbares Land der Schönheit und Ruhe, des behaglichen Genusses, betrachtet hatte.

Die von den dunkeln Wäldern bestandenen Hügel winkten und lockten, als bärgen sie in ihrem Schoße eine Fülle ungeahnter, unverstandener und unverdienter Schätze.

Er kannte sie alle mit Namen, diese Höhen und Täler, in deren wunderlieblichstem, von Tannenwäldern umschlossenem, in prächtige, blühende Wiesenmatten und goldene Felder eingebettet, Schloß Schönblick lag.

Als junger Mensch von sechzehn Jahren hatte er einmal zusammen mit einem Freunde einen Ausflug ins nahe Gebirge unternommen. Damals waren sie weite Strecken durch sommerliche Wälder und über grüne Hügel gewandert. Ermüdet und erschöpft waren sie am Abend in dem Schloß Schönblick benachbarten Weltbade angelangt, und damals schon hatte ihn sein Weg an der Besitzung Adolf Langs vorübergeführt.

Wie ein schönes Märchen lebte die Erinnerung an jenen Sommerabend fort in seinem Herzen, da er das wundervolle, von Edeltannen und Silberpappeln beschattete Schloß zum ersten Male in seinem Leben gesehen, und heute plötzlich stieg diese Erinnerung aus seinem Innersten klar und deutlich wieder empor.

Er war so glücklich, so voll Erwartung und Hoffnung, alles, was er erlebt und was ihm mit einem Schlage zuteil geworden, drängte in so verschwenderischer Fülle auf ihn ein, daß er ganz stille und in sich selber versunken, Irmas Hand in der seinen, in den weichen Polstern des Wagens saß und sich davontragen ließ wie in ein fernes Land der Verheißung!

An schmucken Dörfern, auf deren Kirchendächern friedliche Storchenpaare nisteten, an einsamen Gehöften und Hütten, in denen sich ihm an diesem Abend das Glück zu Gast geladen zu haben schien, führte der Weg vorüber.

Dann ging's durch dichten, sommergrünen Wald, und Ewald war es, als sei er der Märchenprinz aus einem Lieblingsbuche seiner Kindheit, den die schöne Prinzessin aus einem seiner unwürdigen Dasein befreit und in ihrem Wagen in ein fernes, goldenes Schloß entführe.

Friedrich, der seit langen Jahren Kutscher in dem Hause des Kommerzienrates war und der auch heute das junge Paar zu fahren hatte, wunderte sich über das stille Wesen des jungen Herrn, der wie verwunschen an der Seite des schönen Mädchens saß, das nun nach Recht und Gesetz die Seine geworden, und dessen schwarze Glutaugen wohl dazu imstande waren, das Blut eines jungen Menschen in Wallung zu bringen.

Freilich auch er machte sich seine Gedanken. Es mußte doch was Seltsames an sich haben, so über Nacht aus einem armen Schlucker ein Millionär zu werden, und daß ein kaum faßliches großes Glück den Menschen fast ebenso wie ein Unglück trifft, daß Schrecken und Freude ihn überwältigen und der Sinne berauben können, das hatte er einmal in irgendeinem Buche gelesen.

Jetzt fuhr der Wagen die letzte Höhe hinan, die den sich an die Berge anschmiegenden Badeort von der großen in die Stadt führenden Landstraße trennte.

Vor Ewalds Augen lag nun das in grüne und blühende Gärten eingebettete reizvolle Villenstädtchen mit seinen eleganten Hotels und vornehmen Landhäusern, die eines nach dem anderen wie Juwelen, Idylle der Behaglichkeit, des Reichtums und der Schönheit, vor seinen entzückten Blicken emporstiegen.

Dort hinten ragte der altersgraue, schlanke Schloßturm des einstmals souveränen Herrschersitzes, um den sich der herrliche, üppige Garten wie eine große grüne Oase durch das Gewirr der altertümlichen Häuser und Hüttchen dahinzog.

Dann eine kurze Strecke durch eine schattige Allee alter Roßkastanien, und endlich schimmerte das weiße Sandsteinportal von Schloß Schönblick aus dem tiefen Dunkel der Tannen und Pappeln verheißend hervor

»Herrlich, herrlich!« nur dies eine Wort entrang sich Ewalds bebenden Lippen.

Fest umklammert hielt Irma seine heiße Hand, und in ihren Glutaugen blitzte und leuchtete das wundersame Etwas ihres ganzen Wesens, für das er sich keine Erklärung wußte, das ihn in all den Tagen ihres kurzen Brautstandes niemals losgelassen hatte.

»Endlich,« kam es ganz leise, kaum hörbar von ihren Lippen, als der Wagen mit den schweißbedeckten Tieren über den grauen Gartenkies des alten Parkes rollte, in dessen Mitte, von mächtigen Bäumen überragt, das Schloß sich in dem blinkenden Wasser eines großen Teiches spiegelte.

Als der Wagen Schloß Schönblick erreicht hatte, sank die Dämmerung über das Tal. Kein Laut klang den Ankommenden aus dem stillen Hause entgegen, in dessen Fenstern die Lichter wie zu einem zweiten Hochzeitsfeste funkelten und leuchteten.

Friedrich war vom Bocke gestiegen, und öffnete, den Zylinder ehrerbietig in der Hand haltend, den Wagenschlag.

Eine Zofe im weißen Häubchen kam lautlos die große Freitreppe herab und war Irma behilflich, den gelbseidenen Staubmantel, den sie während der Fahrt getragen, abzunehmen.

Als sei es ein Wunder, starrte Ewald auf das Schloß, den Park und den Teich, auf dem zwei weiße Schwäne ihre Kreise zogen, und in dem die Wasserrosen blühten.

Erst jetzt gewahrte er den Gärtner, der sich zusammen mit seiner Familie am Eingang des Schlosses aufgestellt hatte, um den jungen Herrn und dessen Gemahlin zu begrüßen.

Verwirrt stammelte er einige Worte des Dankes und drückte dem Manne die Hand, indessen Irma mit einem gnädigen Kopfnicken einen Strauß aus feuerroten Nelken entgegennahm, den ihr des Gärtners Jüngste mit einem linkischen Knickse überreichte.

In der mit Palmen geschmückten Vorhalle, in deren Nischen vollendete Kopien antiker Meisterwerke aus carrarischem Marmor standen, harrte Emil, der von Lang neuengagierte junge Diener, der Befehle, die der neue Gebieter an ihn zu richten hatte.

Als Irma bemerkte, daß Ewald dessen fragende Bewegung ganz übersah, sagte sie:

»Wir bedürfen Ihrer an diesem Abend nicht mehr. Lassen Sie noch zwei Flaschen Champagner kalt stellen und, wenn ich klingle, soll die Zofe den Wein bringen.«

Dann nahm sie den Arm, den ihr Ewald reichte und stieg an seiner Seite die Treppe hinauf.

»Ein paar Minuten mußt du mich entschuldigen,« hauchten ihre Lippen, indessen sich eine leichte Röte auf ihrem bislang bleichen Gesichtchen malte.

Er öffnete die Tür zu dem Mittelsalon, von dessen Decke eine schwere Kristallkrone ihr strahlendes Licht verbreitete.

Nun war er allein. Mit sich allein zum ersten Male an diesem ereignisreichen Tage. Und dennoch, auch hier wieder wie im Traume, unfähig, einen klaren Gedanken zu fassen, durchwallt und durchtobt von Gefühlen, aus deren unseligem Wirrwarr sich nur das eine hervorhob, daß er in all den Stunden dieses Tages eine verzweifelt komische Figur abgegeben haben müsse, und daß niemand weniger als er in den Prunk dieses Schlosses, zu diesen automatenhaften Dienern und Zofen passe.

Es dauerte einige Minuten, bis er die erste Überraschung, die ihm Schloß Schönblick bereitete, glücklich überwunden hatte.

Jetzt war er dazu imstande, die Einzelheiten dieses Salons in sich aufzunehmen, von dessen mit seidenen Tapeten überzogenen, in mattem Rot schimmernden Wänden ihn eine auserlesene Sammlung italienischer Landschaften aus schweren Goldrahmen grüßte. Um den zierlichen, aus Ebenholz gedrechselten Tisch, der in reicher Goldbronzeverzierung prangte, standen kleine Fauteuils, die mit mattroter Seide überzogen waren. Ein großes mit einem Eisbärfelle bedecktes Ruhebett gab dem Zimmer einen intimen Charakter und verriet, daß das Ganze als Vorraum zu den im ersten Stockwerke gelegenen Schlafgemächern gedacht war.

Die hohe Balkontür war weit geöffnet und gewährte den Ausblick auf den Park und die am Horizont sich jetzt scharf und schwarz abhebenden sanften Linien der nahen Berge.

Draußen in den Bäumen begann es zu rauschen. Der leichte Abendwind war allmählich stärker geworden, und der ganze Park schien mit einem Male belebt von seltsam flüsternden, klagenden, singenden und lockenden Stimmen, die in den hohen Kronen der Tannen und in den mächtigen Wipfeln der Pappeln ihr Wesen trieben.

Hinter einer leichten Wolke lugte eben die blasse Scheibe des Mondes hervor und sandte nun ihren vollen Glanz über den Teich und den Garten. Am Rande des Wassers erhoben die Frösche ihre Stimme, man vermochte den dumpfen Baß des unbeholfenen Wasserfrosches deutlich von dem hellen Tenor der auf Büschen und Gräsern sitzenden Laubfrösche zu unterscheiden. Lautlos glitten die beiden Schwäne durch die breiten Blätter und die im Mondesglanze leuchtenden Blüten der Wasserrosen, indessen in weiter Ferne aus dem nahen Felde der ängstliche Ruf einer Rebhuhnmutter ertönte, deren Brut gewiß irgendein vierbeiniger Räuber der Nacht umschlich.

Auf dem Balkon brannte Licht. Ein großer Vogel der Nacht, wohl eine Eule, die im Gemäuer eines der Schloßtürmchen nisten mochte, strich dicht an Ewald vorüber und berührte mit ihren Fittichen beinahe seine heiße Stirn.

Wie lebendig, unheimlich, zaubervoll, mit einem Worte unbegreiflich war doch die Sommernacht hier draußen, fern von allen Menschen, und dicht an Irmas Seite!

So mußte er nun mit einem Male denken, da sein Leben mit all den trüben Erfahrungen einer in bitterer Entbehrung verbrachten Vergangenheit lautlos wie dieser Vogel der Nacht noch einmal an ihm vorüberrauschte.

Das leise Klopfen an der Tür überhörte er. Er stand versunken in den Anblick dieser nächtlichen Zauberlandschaft, als Irmas Zofe lautlos in den Salon schlüpfte und den von ihrer Herrin gewünschten Champagner auf ein kleines Mahagonitischchen zur Seite des mit dem Eisbärfelle bedeckten Ruhebettes niedersetzte. Er stand versunken in diesen Anblick, als die Zofe lautlos, wie sie gekommen war, sich wieder entfernte, und träumte hinaus in diese Sommernacht, die ihm Rätsel über Rätsel in ihrem schwarzen Schoße zu bergen schien.

Da öffnete sich die Seitentüre, und auf der Schwelle des anstoßenden Zimmers stand Irma.

Ein Schlafrock aus cremefarbenen Brüsseler Spitzen umhüllte ihre voll erblühte Gestalt, deren runde, blendend weiße Arme und deren wundervollen Hals das faltenreiche Gewand freigab.

Wie eine Erscheinung aus einer anderen Welt starrte Ewald, keines Wortes, keiner Äußerung seiner Empfindungen mächtig, das junge Weib, das nun das seine war, an. Mit einem Schlage hatte sie in diesem entscheidenden Augenblicke alle seine Sinne gefangen genommen.

Er war verwirrt, fassungslos.

Wie diese Brüsseler Spitzen, als seien sie aus Spinnenfäden gewoben, um die tannenschlanke Figur des schönen Mädchens herniederfluteten.

Etwas Seltsames, von dem er sich in seiner völligen Unerfahrenheit keine Rechenschaft geben konnte, ging in diesem Augenblicke von ihrer Erscheinung aus und peitschte seine in allen Fibern des Körpers schlummernde Leidenschaft zur wilden Lohe empor.

Heute, zum ersten Male in seinem an Entbehrungen so reichen Leben sah er, der plötzlich auf die Höhe des Glückes und Reichtums Emporgehobene, mehr in ihr, die er liebte, als er jemals vorher in seinem Leben in einem Weibe gesehen hatte.

Das lose, flatternde, zarte Gewand verriet die intimsten Einzelheiten des vor seinen Augen in Sinnenlust erschauernden Körpers, der, das fühlte er, bereit war, sich in diesem Augenblicke seinen jäh emporgescheuchten Lüsten zu bieten.

So standen sie sich einander gegenüber in dieser ersten Nacht, da sie sein werden sollte, sein mit der ganzen Wollust ihres Geschlechtes, mit allen Reizen ihrer berückenden, orientalischen Schönheit, inmitten des berauschenden Luxus dieses Schlosses, das ihnen der Vater als Morgengabe zum Hochzeitstage geschenkt hatte.

Wie das unvernünftige und blutgierige Tier, das in den Schlupfwinkeln des Waldes auf seine Beute lauert, kam sich Ewald hier in dem eleganten Salon des Schlosses Schönblick vor.

Und Irma? Wenn er sie so ansah, keiner Äußerung seiner Gefühle fähig, im wilden Kampfe mit sich selber, nur beherrscht von dem einen Wunsche, sie auf das Ruhebett niederzureißen und den bebenden Körper aus den ihn noch neidisch verhüllenden Spitzen zu schälen, damit er ganz sein sei, ganz sein – sie selber hatte so gar nichts von dem ängstlich flüchtenden Wilde an sich, das der Räuber der Nacht im dunkeln Walde umschleicht.

Die Lider halbgeschlossen, den lauernden, unergründlichen Blick der rätselvollen schwarzen Augen auf ihn gerichtet, verharrte sie minutenlang in ihrer Stellung und biß sich mit den scharfen, weißen Zähnen die blutroten Lippen wund.

Nein, sie war nicht das ängstliche Wild des Waldes, das er umlauerte und auf das er pürschte – mußte er in diesem Augenblicke denken. Nein, wie die nach Blut und Lust gierende Löwin kam sie ihm mit einem Male vor, sie, in deren Augen er die Aufforderung las: »Reiß mich nieder in deine Arme!«

Minuten verrannen. Regungslos standen sich die beiden gegenüber.

Durch die hohe Balkontür drang der berauschende Duft dieser Sommernacht herein. Endlich breitete Irma die Arme nach ihm aus und: »So küß mich doch,« kam es in befehlerischem Tone von ihren Lippen.

Der schwere Duft von Heliotrop, der von ihrem Leibe ausging, benahm ihm den Atem. Willenlos sank er in ihre Arme und fühlte nun die scharfen Zähne, mit denen sie sich vorhin die Lippen wund gebissen hatte, auf dem eigenen Munde.

Irmas schweren, sich lässig hingebenden Körper in den Armen, sank er mit ihr, als wenn ihr Wille ihn dorthin gezwungen hätte, auf dem Eisbärfelle des Ruhebettes nieder und fühlte zum ersten Male in seinem Leben einen wogenden Mädchenbusen an seiner Brust.

Ihre Arme ließen nicht locker. Wie mit eisernen Klammern hielt sie seinen Nacken umfaßt, mit den Lippen wieder und wieder seinen Mund suchend, die scharfen Zähne immer tiefer in sein Fleisch beißend, das die entfesselte Wollust dieses Weibes jetzt völlig in Besitz nahm.

Mit zitternden Händen löste Ewald den Gürtel ihres Gewandes. Sie war ja sein, ganz sein, sein Weib!

Das volle Licht der an der Decke des Salons hängenden Krone überflutete die beiden Menschen, und in diesem Lichte gewahrte Ewald die Fieberglut, die sich über Irmas Gesicht ergossen, gewahrte er die alabasterweißen Brüste, die nun unter der Berührung seiner Hände erschauerten, und die marmorgleichen Schenkel des jungen Weibes, das sich in blendender Nacktheit aus der Spitzenflut löste und ihm, eine Aphrodite, entgegenstieg.

Eine wilde Gier erfaßte ihn. Was er noch niemals in seinem Leben besessen hatte, beherrschte seine Sinne mit einem Male. Das Weib, nach dessen Reizen er jahrelang gelechzt hatte, war nun in seiner Gewalt.

Und da er sie zu überwältigen glaubte, fühlte er nicht die brünstige Wollust, mit der Irma seine Berührung suchte, mit der sie auf den Augenblick lauerte, ihn ganz und gar ihr eigen zu nennen, um sich endlich der Gier ihrer schon einmal von einem anderen jäh emporgerüttelten Sinne überlassen zu können.

Seine unverbrauchte Manneskraft, die wilde Leidenschaft, mit der ihn dieser erste Liebesgenuß aufstachelte, schienen wie glühendes Erz durch Irmas Adern zu rinnen.

Er kannte das Weib nicht. Aber dieses da schien unersättlich, schien verzehrendes Feuer, bis er schließlich völlig ermattet sich aus ihrer Umarmung löste, und sie noch einmal in einem glühenden Kusse das Blut seines Mundes trank.

Dann sprang sie auf. Halbnackt wie eine Bacchantin – die schönen Spitzen waren zerrissen und zerknittert – hielt sie ihm den Kelch voll schäumenden Weines entgegen:

»Trinke, trinke,« bebten ihre Lippen, »ich liebe dich, so lieb' ich dich.«

Der kalte Champagner tat ihm wohl. Seine Sinne wurden ruhiger, er war wieder imstande, einen klaren Gedanken zu fassen.

Beschämt schlug er die Augen vor ihr nieder und seine Lippen flüsterten leise: »Irma, hast du mich lieb?«

Ein wehes Schluchzen, das sich plötzlich ganz unvermittelt ihrem Busen entrang, bildete die Antwort auf seine Frage. Verwirrt sah er sie an.

»Zürnst du mir, Irma,« fragte er leise, und wieder wallte die helle Scham über sein schmales Gesicht.

Da lachte sie hell. Ganz unvermittelt war ihre trübe Stimmung wieder der Ausgelassenheit gewichen.

»Was sollte ich zürnen?« spöttelte sie nun. »Trink' und sei glücklich.«

In einem raschen Zuge leerte er den Kelch, den sie ihm aufs neue bot.

Dann setzten sie sich Hand in Hand auf den Rand des Ruhebettes und er streichelte ihr tiefschwarzes Haar, das sich vorhin gelöst hatte und nun in langen Strähnen über ihren fast ganz entblößten Körper fiel.

»Siehst du, Irma,« begann er nun leise, »all das Glück, der Glanz und der Reichtum, und daß du mein bist, ich kann ja all das noch gar nicht fassen.«

Mit einem Kusse schloß sie ihm den Mund.

Sie schien nicht in der Stimmung, seinem plötzlich hervorbrechenden Ausdruck der Dankbarkeit Gehör zu schenken.

Mit einem raschen: »Trink' und sei glücklich« führte sie den Kelch wieder an die Lippen und reichte ihm das von der Berührung ihres Mundes noch warme Glas.

Ein Schauer schüttelte ihn. Durch die weitgeöffnete Balkontür wehte die kühle Nachtluft von den Bergen her in den hohen Raum, und da sah er erst, daß sie fast nackt war, und fürchtete, daß sie sich erkälten könne.

»Ich will die Tür schließen,« meinte er nun, und der Ton seiner eigenen Stimme kam ihm in diesem Augenblicke ganz seltsam vor.

Es schien ihm, als mache er sich vor ihr lächerlich, daß er in dieser Stunde der höchsten Leidenschaft, der endlichen Erfüllung jahrelangen Sehnens und Wünschens, so alltägliche Worte über die Lippen brachte, und dennoch fuhr er fort: »Ich fürchte, daß du dich erkältest, Irma.«

Da lachte sie wieder hell auf, dieses harte, klingende Lachen, das er nun seit Wochen an ihr gewöhnt war, in dem sich eine seltsame nervöse Überreizung, deren Grund er sich nicht zu erklären vermochte, Luft zu machen schien.

»Und wenn auch,« rief sie, »was liegt am Ende daran? Einmal müssen wir ja doch dran glauben, wenn wir nur vorher gelebt haben!«

Erschrocken sah er sie an.

Und wieder lachte sie in dem gleichen Tone und dann faßte sie seine Hand, und die tiefschwarzen rätselvollen Augen zu ihm aufschlagend, preßte sie mühsam hervor:

»Meinst du nicht auch? Ist diese Stunde nicht des Todes wert? Hättest du Angst, jetzt mit mir zu sterben? Küsse mich, so küß' mich doch!«

Sie hatte sich wieder in seine Arme geworfen und riß ihn nun ungestüm, wild, leidenschaftlich an ihre Brust. Das kostbare Spitzengewand war von ihren Schultern geglitten.

Sie warf es ab und stand nun völlig entkleidet in ihrer wundersamen klassischen Schönheit vor ihm.

Was er vorhin im Rausche seiner männlichen Lüste übersehen, das Ebenmaß dieses Körpers, der Bau dieser Glieder, es trat nun alles deutlich greifbar in dem sanften Lichte der zu ihren Häuptern brennenden Krone vor seine Augen. Und seine fein empfindende Künstlerseele ahnte, daß sie all die Jahre lang den tiefen Schlaf des Entbehrens, der Armut an Schönheit, geschlummert hatte.

Von dem nahen Schloßturm schlug die Uhr Mitternacht.

Ewald schreckte empor. Schon Stunden also hatte dieser tolle Sinnentaumel, in dem Irma kein Genügen zu finden schien, gedauert. Mit glühenden Wangen und leuchtenden Augen lag sie nun wieder in seinen Armen. Ein leises Beben flog um ihre feinen Nasenflügel, als schlürfe sie den Duft seines Körpers in nimmersatten Zügen in sich hinein.

Sie hatte die Hand auf sein dichtes blondes Haar gelegt, und während die weichen Strähne durch ihre Finger glitten, stammelte sie:

»Du bist schön und stark und blond, Ewald! Wie mattes Gold schimmert dein Haar in meinen Händen.«

Da riß er das Eisbärfell von dem Ruhebette und deckte mit dem Pelze ihrer beider Blöße. Denn gerade in diesem Augenblicke mußte er seltsamerweise des verstorbenen ernsten Vaters gedenken, und er schämte sich der Orgie, die er hier in den Armen des wundervollen Weibes feierte.

»Höre, Ewald,« begann nun Irma aufs neue, indem sie sich unter dem warmen Pelze um seinen Körper klammerte, »höre, wirst du mich immer lieb haben, schwörst du mir, daß du mich immer lieb haben wirst?«

Sein Kuß war die glühende Bestätigung dieser Frage.

»Immer, immer, mag da kommen, was da will?«

»Immer, immer!!«

Nun sprang sie auf. »Hasch' mich, fasse mich,« rief sie.

Nackt und weiß in ihrer berückenden Schönheit, stand sie jetzt wieder inmitten des Zimmers, unter der leuchtenden Krone, auf dem mattroten Smyrna, die herrlichen Füße, von denen sie die Atlasschuhe gestreift hatte, tief in den wolligen Stoff des Teppichs versenkt.

Und da lag er vor ihr auf den Knien, mit trunkenem Künstlerauge die Linien dieses herrlichen Körpers wieder in sich aufnehmend: die Formen des ersten Weibes, das sich je im Leben vor ihm entkleidet hatte, seines Weibes.

»Bist du bereit, alles für mich zu erleiden und zu tun?« vernahm er da wieder ihre Stimme.

»Alles, alles,« erwiderte er, aufs neue von einem wilden Rausche erfaßt.

»Betest du mich an?« beharrte sie.

»Ich bete dich an, Irma.«

Vor ihrem nackten Leibe lag er auf den Knien zu ihren Füßen, und wie im Spiele setzte sie nun den kleinen alabasterweißen Fuß in seinen Nacken.

Da knirschte er zwischen den Zähnen: »Irma,« in wildem Zorne mit bebender Stimme.

Aber sie, das lose Spiel mit seinem Willen weitertreibend, beharrte auf ihrer Frage:

»Betest du mich an, so daß du vor mir im Staube liegen, so daß du meinen Fuß in deinem Nacken ertragen kannst?«

Er wollte sich erheben. Allein in diesem Augenblicke fühlte er, als sei sie ein Dämon, den Druck ihres Körpers auf seinem Nacken, und das dumpfe Gefühl, daß er sich ja heute ganz in ihre Hände gegeben, daß er von morgen an weder vorwärts noch rückwärts könne, beherrschte ihn mit einem Male.

Aller Widerstand seinerseits schien ihm mit einem Schlage gebrochen. Er fühlte sich willenlos in Irmas Hand. Der Wunsch, seine eigene Persönlichkeit geltend zu machen, erstarb plötzlich in diesem Augenblicke einer furchtbaren Erkenntnis in seiner Seele, da er sich in diesen Räumen sah, die ihr und ihres Vaters Eigentum waren, und da er den Fuß der Herrin immer noch in seinem Nacken spürte.

»Ich bete dich ja an, Irma,« stammelte er.

Da ließ der Druck langsam nach. Irma setzte den Fuß wieder auf den Boden.

»So komm,« sagte sie leise und öffnete die Tür zu dem Nebenraume, dessen verschwenderischer Glanz seine Sinne aufs neue blendete, in dem das große zweischläfrige Prunkbett, das Hochzeitsbett des jungen Paares, noch unberührt bereit stand.

Hier sank er an ihrer Seite nieder. Eine furchtbare Ermattung, wie er sie noch nie in seinem Leben gekannt, hatte sich seiner bemächtigt, und bald verfiel er in einen tiefen, traumlosen, bleiernen Schlaf.


 << zurück weiter >>