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Kapitel XXVIII

Das Lebewohl

Was mich anbelangte, so war mein Schiffchen nun im Hafen gelandet; aber ich hatte noch Alan, dem ich so sehr verpflichtet war, auf dem Halse. Ich vertraute meine Sorge am nächsten Morgen Herrn Rankeillor an, als wir gegen sechs Uhr vor dem Hause der Shaws auf und ab gingen, vor uns die Felder und Wälder, die vor mir dagewesen waren und jetzt mir gehörten. Während ich von ernsten Dingen sprach, ließ ich meine Blicke über diese schöne Aussicht schweifen und mein Herz hüpfte mir im Leibe vor Freude und Stolz.

Mein Rechtsfreund war über meine Pflicht dem Freunde gegenüber nicht im mindesten im Zweifel: ich müsse ihm, unter welchen Gefahren auch immer, aus dem Lande helfen. Er gab mir noch zwei Empfehlungsschreiben, nahm dann Abschied und machte sich mit Torrance auf den Weg nach Ferry, während Alan und ich uns der Stadt Edinburgh zuwendeten. Als wir über den Pfad schritten, an den Gitterpfeilern und der unvollendeten Türsteherloge vorbei, blickten wir nach dem Hause meines Vaters zurück. Dort stand es, kahl und groß und rauchlos, wie ein unbewohnter Ort; nur in einem der oberen Fenster wackelte der Zipfel einer Nachtmütze hin und her wie der Kopf eines Kaninchens in seinem Bau. Ich hatte bei meiner Ankunft keinen herzlichen Willkommgruß erhalten, wenig Freundlichkeiten erfahren während meines Aufenthaltes dort, aber ich wurde zumindest beobachtet, als ich den Ort verließ.

Wir schritten langsam auf unserem Wege hin, Alan und ich, und hatten weder zum Gehen noch zum Reden Lust. Derselbe Gedanke beschäftigte uns beide, daß der Augenblick unserer Trennung nahe sei, und die Erinnerung vergangener Tage lastete schwer auf uns. Wir sprachen nur davon, was geschehen sollte, und es wurde beschlossen, daß Alan sich auf dem Lande versteckt halten sollte, sich bald hier, bald dort aufhaltend, aber täglich einmal an einem bestimmten Ort kommen sollte, wo ich ihn dann selbst treffen oder eine Botschaft zukommen lassen könnte. Inzwischen sollte ich einen Rechtsgelehrten suchen, einen Appin Stewart, einen Mann also, dem man voll vertrauen könnte, und es sollte dann seine Aufgabe sein, ein Schiff zu finden und Alans Einschiffung mit aller Sicherheit zu bewerkstelligen. Sobald wir dies vereinbart hatten, schienen wir keine Worte mehr finden zu können, und obwohl ich versuchte, mit Alan unter dem Namen Herr Thomson zu scherzen und er mit mir, wegen meiner neuen Kleider und meines Grundbesitzes, konnte jeder leicht merken, daß uns die Tränen näher waren als das Lachen.

Als wir auf die Höhe des Hügels von Corstorphine kamen, blieben wir beide stehen, denn wir wußten beide, ohne daß es eines Wortes bedurft hätte, daß wir an die Stelle gekommen waren, wo sich unsere Wege trennten. Hier wiederholte er mir noch einmal, was wir verabredet hatten: die Adresse des Rechtsanwaltes, die tägliche Stunde, um die Alan gefunden werden konnte, und die Zeichen, die zu geben wären, wenn ihn einer suchen käme. Dann gab ich ihm, was ich noch an Geld hatte (ein oder zwei Guineen von Herrn Rankeillor), damit er in der Zwischenzeit nicht zu hungern brauche, dann standen wir still und sahen schweigend auf Edinburgh nieder.

»Nun lebe wohl«, sagte Alan, und hielt mir seine linke Hand hin.

»Lebwohl«, sagte ich, drückte seine Hand ein wenig und ging den Hügel hinunter.

Keiner von uns sah dem anderen ins Gesicht, auch blickte ich, so lange ich ihn hätte sehen können, nicht ein einziges Mal zurück nach dem Freund, den ich verließ. Aber als ich auf meinem Wege zur Stadt vorwärts schritt, fühlte ich mich so einsam und verlassen, daß ich mich am liebsten am Wegrand hingesetzt und geweint hätte, wie ein kleines Kind.

Es war gegen Mittag, als ich bei West-Kirk und Graßmarket die Straßen der Hauptstadt betrat. Die ungeheure Höhe der Gebäude mit ihren vielen, vielen Stockwerken, die finsteren, niedrigen, gewölbten Häusereingänge, die ununterbrochen Menschen ausspien, die Waren der Kaufleute in den Auslagen, das Gedränge und endlose Durcheinander, der üble Geruch und die seinen Kleider und tausend andere Kleinigkeiten – zu unbedeutend, um ihrer zu erwähnen –, versetzten mich in einen Zustand des Staunens und Entsetzens, so daß ich mich von der Menge hin- und hertreiben ließ. Und doch dachte ich die ganze Zeit nur an Alan, und obwohl man annehmen sollte, daß ich von all den Neuigkeiten sehr entzückt war, hatte ich das Gefühl, als nagte mir etwas an den Eingeweiden, wie Reue nach getanem Unrecht.

Die Hand der Vorsehung führte mich endlich während meines Herumirrens gerade vor die Türe der British Linen Company's Bank.

 

Und hier, auf der Schwelle zu Glück und Reichtum, will der Verfasser für diesmal von David Abschied nehmen. Wie Alan entkam und was der Mord noch für Folgen hatte, mit einer Menge anderer abenteuerlichen Einzelheiten, mag vielleicht noch eines Tages erzählt werden. Das ist jedoch eine Sache, die von der Aufnahme beim Publikum abhängt. Der Verfasser hat eine große Zuneigung, sowohl zu Alan wie zu David gefaßt und würde den größten Teil seines Lebens in ihrer Gesellschaft verbringen, aber mit dieser Vorliebe könnte er leicht allein stehen. Aus Angst davor und damit man sich nicht beklage, daß unlautere Mittel gebraucht worden seien, beeilt er sich mitzuteilen, daß alles gut ging mit den beiden, in dem beschränkten, menschlichen Sinn des Wortes »gut«: Was auch immer ihnen zustieß, so war es keine Schande, und was auch immer mißlang, so sind sie sich doch stets selbst treu geblieben.


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