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Kapitel XXII

Clunys Höhle

Endlich kamen wir zu einem besonders steilen Wald, der einen felsigen Hang hinankroch, und an einem jähen Abgrund lag.

»Hier ist es,« sagte einer der Führer und wir kletterten den Hügel hinauf.

Die Bäume hingen an dem Abhang wie Matrosen an den Schiffstauen, und die Baumstämme waren wie Leitersprossen, auf denen wir hinaufstiegen.

Ganz oben und knapp an der Grenze zwischen Felsenspitze und Laubwerk fanden wir dieses seltsame Haus, das im Lande unter dem Namen »Clunys Höhle« bekannt war. Einige Baumstämme waren mit einander verbunden und dazwischen noch ein paar Holzpfähle zur Verstärkung in den Boden gesteckt worden, die Erde hinter dieser Barrikade war dann geebnet und als Fußboden flach getreten. Ein Baum, der vom Abhang her in die Höhe wuchs, bildete den natürlichen Mittelpfeiler des Daches. Die Wände aus Ästen und Zweigen und mit Moos bedeckt. Das ganze Haus war eiförmig, halb stand und halb hing es in diesem steilen Dickicht wie ein Wespennest in einem Hagedornbusch.

Innen war es ziemlich geräumig, und fünf oder sechs Menschen konnten bequem darin Obdach finden. Ein vorragender Felsen war sehr schlau als Herd verwendet worden, und da der Rauch gegen eine Felswand von ähnlicher Farbe aufstieg, konnte er von unten nicht gesehen werden.

Als wir vor Clunys Tür kamen, saß er an seinem Felsenkamin und überwachte irgend eine Kocherei. Er war ganz einfach gekleidet, hatte eine gestrickte Nachtmütze über die Ohren gezogen und rauchte eine schmutzige Tonpfeife. Trotz alledem hatte er das Gehaben eines Königs, und es war ein sehenswerter Anblick, als er sich von seinem Platze erhob und auf uns zukam, um uns zu begrüßen. Es war jedesfalls ein seltsamer Ort und ein seltsamer Gastgeber.

Sobald das Essen fertig war, drückte Cluny noch mit eigener Hand eine Zitronenscheibe über die Schnitzel (denn er war mit Delikatessen wohl versehen) und bat uns, zum Speisen einzutreten.

Kaum waren wir mit dem Essen fertig, brachte Cluny ein altes, fettes abgegriffenes Packet Karten heraus, wie man sie in Spelunken zu bekommen pflegt und seine Äugen leuchteten bei dem Vorschlag, Karten zu spielen.

»Herr,« sagte ich, »ich bin sehr müde und was noch mehr bedeutet – da Ihr doch wahrscheinlich selbst Söhne habt, kann ich es Euch ja gestehen – es ist ein Versprechen, das ich meinem Vater gegeben habe.«

»Sprecht nicht weiter, sprecht nicht weiter,« sagte Cluny und wies auf ein Bett aus Heidegras in einer Ecke der Höhle. Trotzdem war er ziemlich unangenehm berührt und sah mich von der Seite an und brummte.

Kaum hatte ich mich auf das Bett gelegt, verfiel ich in eine Art Trance, in der ich beinahe die ganze Zeit meines Aufenthaltes in der Höhle blieb. Manchesmal war ich vollkommen wach und verstand, was um mich vorging; manchesmal hörte ich nur Stimmen oder Leute schnarchen, wie das ferne Rauschen eines Baches. Ich muß auch manchesmal laut gesprochen haben, denn ich erinnere mich, öfters erstaunt gewesen zu sein, weil man mir antwortete.

Alan und Cluny waren beinahe die ganze Zeit bei den Karten und ich weiß, daß Alan anfangs gewonnen haben muß. Denn ich erinnerte mich, daß, als ich mich aufsetzte, ich sie fest bei der Arbeit sah und einen glitzernden Haufen von vielleicht sechzig oder hundert Guineen auf dem Tische. Es war seltsam genug, all diesen Reichtum in einem solchen Felsennest zu finden, das in den Zweigen lebender Bäume hing.

Am zweiten Tage mußte sich wohl das Glück gewendet haben. Gegen Mittag wurde ich, wie gewöhnlich, zum Essen geweckt und lehnte, wie gewöhnlich, jede Nahrung ab, worauf man mir einen Schluck Branntwein gab. Die Sonne schien zur offenen Tür herein und blendete mich. Cluny saß am Tisch und mischte die Karten. Alan stand über mein Bett gebeugt, sein Gesicht war dicht vor meinen fieberschweren Augen und da schien es mir unerträglich groß.

Er bat mich, ich möge ihm Geld borgen.

»Wozu?« fragte ich.

»Ah, nur eben borgen,« sagte er.

»Aber warum?« wiederholte ich, »ich verstehe nicht.«

»Ach David, du wirst es mir doch nicht verweigern?«

Ich hätte es doch getan, wenn ich bei Sinnen gewesen wäre. Aber ich dachte damals an nichts anderes, als sein Gesicht von meinem wegzubekommen und so reichte ich ihm das Geld. Am Morgen des dritten Tages, nachdem wir achtundvierzig Stunden in der Höhle gewesen waren, erwachte ich mit einem ganz freien Kopf, fühlte mich zwar noch sehr schwach, aber ich sah die Dinge in ihrer richtigen Größe und Gestalt. Ich hatte auch Lust zum Essen, stand daher allein vom Bett auf und sobald wir gefrühstückt hatten, ging ich an den Eingang der Höhle, setzte mich draußen im Walde nieder und blieb den ganzen Morgen träumend dort sitzen.

Als ich zurückkam, hatten Alan und Cluny die Karten beiseite gelegt, und der Hauptmann sagte mir, es sei ihm gemeldet worden, daß im Süden alles in Ordnung sei, und es wäre nur die Frage, ob ich stark genug sei zu gehen.

Auf dem Tische sah ich Karten aber kein Geld. Nur einen Haufen kleiner, beschriebener Papiere, alle auf Seiten Clunys. Außerdem sah Allan ganz merkwürdig aus, wie einer, der mit sich nicht ganz zufrieden ist, und ich fing an, einen starken Verdacht zu haben.

»Ich weiß nicht, ob ich so stark bin wie ich sein sollte«, sagte ich und sah Alan an, »aber wir haben nur wenig Geld und einen weiten Weg.«

Alan begann an seiner Unterlippe zu kauen und sah zu Boden.

»David,« sagte er, »ich hab's verspielt; das ist die nackte Wahrheit.«

»Mein Geld auch?« fragte ich.

»Dein Geld auch,« sagte Alan mit einem Seufzer. »Du hättest es mir nicht geben sollen. Ich bin unzurechnungsfähig, wenn ich spiele.«

»Ta-ta-ta«, sagte Cluny. »Es ist ja alles Unsinn. Natürlich bekommst du dein Geld zurück, doppelt soviel, wenn du erlaubst. Es wäre doch komisch, wenn ich es behielte. Man wird doch wohl nicht annehmen wollen, daß ich Herren in eurer Lage hindernd im Wege stehen werde. Das wäre eine komische Geschichte!« rief er und fing an mit hochrotem Gesicht Gold aus seiner Tasche herauszuziehen.

Alan sagte nichts, sondern blickte nur zu Boden.

Unter dem Schutze der Nacht wurden dann Alan und ich über den Loch-Earrocht gesetzt und gingen von dort aus am östlichen Ufer zu einem anderen Versteck, zu dem uns einer von Clunys Leuten führte. Dieser Mann trug unser Gepäck und noch Alan's großen Mantel dazu.

Ich war erst vom Krankenlager aufgestanden, und es hatte sich an unserer Lage nichts geändert, was mich ermutigen oder stärken hätte können. So wanderten wir durch die ödeste Gegend Schottlands, unter bewölktem Himmel und Zwietracht im Herzen.

Lange Zeit sprachen wir kein Wort; gingen mit mürrischen Mienen neben- und hintereinander; ich, zornig und stolz, wobei ich aus diesen beiden sündhaften Gefühlen alle Kraft zu sammeln trachtete, die ich nötig hatte; Alan, zornig und beschämt: beschämt, weil er mein Geld verspielt hatte und zornig, weil ich es ihm übel nahm.

Der Gedanke an eine Trennung ging mir immer mehr im Kopfe herum, und je mehr Gründe ich dafür fand, um so mehr schämte ich mich dieses Gedankens. Es wäre vielleicht eine gute, schöne, edle Tat gewesen, wäre Alan gekommen und hätte gesagt: »Geh! Ich stehe in großer Gefahr und meine Gesellschaft verschlimmert deine Sache nur.« Aber ich konnte mich nicht an den Freund, der mich sicherlich liebte, wenden und sagen: »Du stehst in großer Gefahr, die meine ist nicht so groß; deine Freundschaft ist für mich nur eine Belastung; geh und trage deine Gefahren und Mißgeschicke allein ...« nein, das war unmöglich, und sogar, daß ich heimlich daran dachte, machte mich erröten.

Und doch hatte sich Alan wie ein Kind benommen und (was noch schlimmer ist), wie ein verräterisches Kind. Mir das Geld abzuschwatzen, während ich halb bewußtlos lag, war nicht viel besser als Diebstahl. Und doch stapfte er neben mir her, ohne einen Pfennig in der Tasche, und nach allem, was ich sehen konnte, lustig bereit von dem Gelde zu schmarotzen, das er mich gezwungen hatte, zurückzuverlangen. Natürlich war ich bereit, es mit ihm zu teilen, aber es machte mich wütend, daß er auf meine Bereitwilligkeit rechnete.

Dies waren die zwei Dinge, die mir am meisten im Kopfe herumgingen; und doch konnte ich von beiden kein Wort sprechen, ohne mich der ärgsten Gemeinheit schuldig zu machen. So tat ich das nächst schlechteste, ich sagte garnichts, sah meinen Freund nicht einmal an, außer wenn ich ihm einen bösen Blick zuwarf.

Endlich, als wir ein ebenes Stück Weg vor uns hatten, wo das Gehen keinerlei Schwierigkeiten bot, konnte er es nicht länger aushalten und kam dicht an mich heran.

»David,« sagte er, »das ist nicht die richtige Art, wie zwei Freunde ein so kleines Mißgeschick ertragen sollten. Ich sollte dich um Entschuldigung bitten, und das tue ich hiermit. Und wenn du jetzt noch etwas hast, so tätest du besser, es auch zu sagen.«

»Oh,« sagte ich, »ich habe nichts.«

Er schien etwas verlegen, was mir gemeinerweise angenehm war.

»Nein,« sagte er, und seine Stimme zitterte ein wenig, »aber wenn ich dir sage, es war nicht recht von mir?«

»Ja natürlich war es nicht recht von dir,« antwortete ich kühl, »und du wirst zugeben, daß ich dir niemals einen Vorwurf gemacht habe.«

»Nein, niemals,« sagte er, »aber du weißt ganz gut, daß du Schlimmeres getan hast. Müssen wir uns trennen? Du hast es schon einmal gesagt. Willst du es wieder sagen? Es liegt genug Heide – und Hügelland zwischen uns und den beiden Meeren, David, ich muß gestehen, ich bin nicht gerne dort, wo man mich nicht haben will.«

Dies war wie ein Dolchstoß für mich und schien meine heimliche Untreue bloßzulegen.

»Alan Breck,« rief ich da: »Glaubst du, ich werde dir in deiner größten Not den Rücken kehren? Wagst du es, mir das ins Gesicht zu sagen? Mein ganzes Benehmen würde dich Lügen strafen. Es ist wahr, daß ich beim Moor eingeschlafen bin, aber das geschah aus Müdigkeit, und es ist nicht recht von dir, daß du es mir vorwirfst ...«

»Was ich auch niemals getan habe,« sagte Alan.

»Aber abgesehen davon,« fuhr ich fort, »was habe ich getan, das dich berechtigt, solches von mir zu glauben? Ich habe noch niemals einen Freund im Stiche gelassen, und es ist nicht wahrscheinlich, daß ich bei dir damit anfangen werde. Es gibt Dinge zwischen uns, die ich niemals vergessen könnte, selbst wenn du es könntest.«

»Ich will dir nur das eine sagen, David,« sagte Alan sehr ruhig, »daß ich dir schon lange mein Leben schulde, und jetzt schulde ich dir Geld. Du solltest dich bemühen, mir diese Last leicht zu machen.«

Dies hätte mich rühren sollen und in gewisser Hinsicht tat es das auch, aber nicht so, wie es hätte sein sollen. Ich fühlte, daß ich mich nicht gut benahm, und so wurde ich nicht nur auf Alan böse, sondern auch noch mit mir selbst, und darum wurde ich noch grausamer.

»Du hast verlangt, daß ich sprechen soll,« sagte ich, »gut also, ich will sprechen. Du weißt selbst, daß du mir eine Unannehmlichkeit bereitet hast, und daß ich eine Beschämung hinunterzuschlucken hatte. Ich habe dir keinen Vorwurf gemacht, ich habe die Sache nicht einmal erwähnt, bis du es getan hast. Und jetzt bist du unzufrieden,« rief ich, »weil ich nicht lache und singe, als ob ich mich freuen würde, beschämt worden zu sein. Nächstens werde ich dir noch auf den Knien dafür danken müssen! Du solltest mehr an andere denken, Alan Breck. Würdest du mehr an die anderen denken, würdest du vielleicht auch weniger von dir sprechen. Und wenn ein Freund, der dich liebt, ohne ein Wort eine Beleidigung übergeht, solltest du froh sein, es dabei bewenden zu lassen, statt daraus einen Knüppel zu machen, den du ihm vor die Füße wirfst. Du sagst selbst, daß du Unrecht hattest, dann solltest du nicht hingehen und Streit anfangen.«

»Wohlan,« sagte Alan, »sprechen wir nicht weiter darüber.«

Und wir verfielen wieder in unser vorheriges Schweigen. Als wir unsere Tagesreise vollendet hatten, aßen wir und legten uns schlafen, ohne noch ein Wort mit einander zu sprecht».


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