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Kapitel VI

Was sich in Queen's Ferry ereignete

Sobald wir ins Gasthaus gekommen waren, führte uns Ransome eine Treppe hinauf in ein Zimmer, in dem ein Bett stand und das mit einem großen Kohlenfeuer wie ein Backofen geheizt war. Ein großer, dunkler, nüchtern aussehender Mann saß am Tisch dicht neben dem Kamin und schrieb. Trotz der Hitze im Zimmer trug er einen dicken Seemannsrock bis zum Halse hinauf zugeknöpft und eine hohe Pelzmütze, die er bis über die Ohren gezogen hatte; und doch habe ich noch nie einen Menschen gesehen, nicht einmal einen Richter im Gerichtssaal, der kühler oder bedächtiger oder beherrschter ausgesehen hätte als dieser Schiffskapitän.

Er sprang sofort auf und auf uns zukommend, reichte er Ebenezer seine große Hand hin. »Ich bin stolz, Sie begrüßen zu können, Herr Balfour,« sagte er mit einer tiefen, wohlklingenden Stimme, »und froh, daß Ihr noch zu rechter Zeit eingetroffen seid. Der Wind ist günstig und wir warten die Flut ab; heute nacht noch werden wir die alten Kohleneimer auf der Insel Man brennen sehen.«

»Kapitän Hoseason,« antwortete mein Onkel, »Ihr haltet Euer Zimmer schön warm.«

»Es ist eine alte Gewohnheit von mir, Herr Balfour«, sagte der Schiffer. »Mir ist im allgemeinen von Natur aus kalt. Ich habe kaltes Blut, Herr. Weder Pelz noch Flanell – ja Herr, nicht einmal heißer Rum können, was man meine Temperatur nennt, erhöhen. Es ist dasselbe, Herr, mit den meisten Leuten, die im tropischen Meer, wie man sagt, auf dem Roste gebraten wurden.«

»Nun gut, Kapitän,« erwiderte mein Onkel, »wir müssen uns alle drein finden, so zu sein, wie wir geschaffen wurden.«

Aber der Zufall wollte es, daß diese Eigenheit des Kapitäns von großem Einfluß auf mein Unglück war. Denn obwohl ich mir vorgenommen hatte, meinen Onkel nicht aus dem Auge zu lassen, war ich doch einesteils so ungeduldig, das Meer aus der Nähe zu sehen und anderseits so bedrückt von der Enge und Hitze des Raumes, daß ich, als er mir sagte, doch hinunterzulaufen und mich ein Weilchen allein zu unterhalten, dumm genug war, nach seinen Worten zu handeln.

Fort ging ich also und ließ die beiden Männer bei einer Flasche Wein und einer großen Menge von Papieren aller Art. Ich überquerte die Straße vor dem Gasthaus und ging zum Ufer hinunter. So wie der Wind eben blies, schlugen nur Wellchen, nicht viel größer als ich sie auf einem See gesehen hatte, gegen das Ufer. Aber die Kräuter waren mir neu und der Geruch des Seewassers war trotz der großen Entfernung vom offnen Meer salzig und anregend. Auf der Covenant begannen sie die Segel aufzuziehen, die in Bündeln an den Stangen hingen; ich hatte bei all den Eindrücken das Gefühl einer weiten Reise und fremder Länder.

Ich sah auch nach den Matrosen im Boot – große braune Kerle waren es, einige im Hemd, andere in Blusen, andere wieder mit farbigen Tüchern um den Hals, einer hatte ein Paar Pistolen in der Tasche stecken, zwei oder drei hatten derbe Knüppel bei sich und alle hatten sie lange Messer. Ich verbrachte einige Zeit mit einem von ihnen, der weniger schrecklich aussah als seine Genossen und fragte ihn um die Abfahrt des Schiffes. Er sagte, sie wollten, sobald Ebbe eintrete, in See stechen und sprach seine Freude darüber aus, einen Hafen zu verlassen, wo es keine Wirtshäuser und keine Musikanten gäbe; aber all dies begleitete er mit so entsetzlichen Flüchen, daß ich mich beeilte, von ihm fortzukommen.

So verfiel ich wieder auf Ransome, der mir noch der Beste von dieser Bande zu sein schien und der bald aus dem Gasthaus auf mich zugelaufen kam und um ein Glas Punsch rief. Ich sagte ihm, daß ich ihm nichts dergleichen geben werde, denn weder er noch ich seien in einem Alter, in dem man sich so etwas erlauben dürfe. »Aber ein Glas Bier kannst du haben, und zwar gerne«, sagte ich. Er brummte und murmelte etwas über mich, beschimpfte mich auch, aber er war trotz alledem froh, daß er das Bier bekam; und bald saßen wir im ersten Zimmer des Gasthauses an einem Tische nieder und aßen und tranken beide mit gutem Appetit.

Da fiel es mir ein, daß der Wirt aus derselben Gegend war wie ich, und daß es vielleicht gut wäre, ihn zum Freund zu gewinnen. Ich bot ihm einen Trunk an, wie das in jenen Tagen üblich war, aber er war ein viel zu großer Herr, um bei so armseligen Gästen zu sitzen wie Ransome und ich; er wollte eben das Zimmer verlassen, als ich ihn zurückrief, um ihn zu fragen, ob er Herrn Rankeillor kenne.

»O ja,« sagte er, »und ein gar anständiger Mensch ist er. Und richtig,« sagte er, »wart' Ihr das, der eben mit Ebenezer hereingekommen ist?« Und als ich ja sagte: »Ihr seid doch nicht etwa ein Freund von ihm?« fragte er, womit er nach Art der Schotten meinte, daß ich doch wohl kein Verwandter von ihm sei.

Ich sagte ihm nein.

»Ich dachte es mir«, sagte er, »und doch seht Ihr ein wenig Herrn Alexander ähnlich.«

Ich sagte, es scheine, Herr Ebenezer sei nicht gut angeschrieben in der Gegend.

»Kein Zweifel,« sagte der Wirt, »er ist ein böser, alter Mann und manch einer sähe ihn gern am Stricke baumeln. Jennet Clouston und noch viele andere, die er von Haus und Hof verjagt hat. Und dabei war er einmal ein feiner, junger Kerl. Aber das war, noch ehe das Gerücht über Herrn Alexander aufkam, das war sein Tod sozusagen.«

»Und was war das für ein Gerücht«, fragte ich.

»Na, nur daß er ihn umgebracht hat«, sagte der Wirt. »Habt Ihr nie etwas davon gehört?«

»Und weshalb sollte er ihn umgebracht haben?« sagte ich.

»Weshalb? Ja, eben nur, um den Grundbesitz zu bekommen«, sagte er.

»Den Grundbesitz?« sagte ich, »Shaws?«

»Keinen anderen, soviel ich weiß«, sagte er.

»Ja, Mann!« sagte ich, »ist dem so? War mein – war Alexander der ältere Sohn?«

»'türlich war er das«, sagte der Wirt. »Weshalb denn sollte er ihn umgebracht haben?«

Und dann ging er fort, was er eigentlich von Anfang an hatte tun wollen.

Ich hatte es natürlich schon längst vermutet. Aber vermuten und wissen ist doch etwas ganz anderes, und ich saß da wie betäubt von meinem Glück und konnte es kaum fassen, daß derselbe arme Bursche, der noch vor kaum zwei Tagen verstaubt in den Wäldern von Ettrick herumgestapft war, jetzt einer der Reichen dieser Welt sein sollte und ein Haus und weites Land besäße und – verstünde er nur zu reiten – morgen sein Pferd besteigen könnte. All diese angenehmen Gedanken und noch tausend andere gingen mir im Kopf herum, wie ich da saß und vor mich hinstarrend zum Fenster des Gasthauses hinaussah, ohne zu bemerken, was dort vorging. Ich erinnere mich nur, daß ich plötzlich Kapitän Hoseason erblickte, der unten an der Brücke bei seinen Matrosen stand und mit einer gewissen Autorität zu ihnen sprach. Gleich darauf kam er zurück und schritt auf das Haus zu, ohne jede Spur jener Unbeholfenheit, die sonst Seeleuten eigen ist; er hatte eine große, schöne Gestalt, einen festen, männlichen Schritt und immer noch jenen Ausdruck von Ernst und Nüchternheit im Gesichte, den ich schon früher an ihm bemerkt hatte. Ich zweifelte, ob Ransomes Geschichten über ihn wahr sein könnten; sie paßten so gar nicht zu seiner Erscheinung. Tatsächlich aber war er weder so gut, als er mir erschien, noch ganz so schlecht wie Ransome ihn machte; denn eigentlich war er zwei Menschen zugleich; den besseren ließ er zurück, sobald er sein Schiff betrat.

Einen Augenblick später hörte ich meinen Onkel, der mich rief und traf die beiden zusammen auf der Straße. Es war der Kapitän, der mich anredete, und zwar in einem ernsten Tone, als wäre ich seinesgleichen (was für einen jungen Burschen immer sehr schmeichelhaft ist).

»Mein Herr,« sagte er, »eben erzählt mir Herr Balfour eine Menge schöner Sachen von Euch; und mir selbst gefällt Euer Aussehen gar wohl. Es tut mir leid, daß ich nicht länger hierbleibe, wir hätten einander besser kennenlernen können; aber wir wollen die Zeit nützen, so gut es geht. Ihr sollt für eine halbe Stunde an Bord meines Schiffes kommen, bis es Ebbe wird und wir wollen miteinander eine Flasche trinken.«

Nun brannte ich zwar vor Neugierde, ein Schiff von innen zu sehen, mehr als ich es mit Worten zu sagen vermag, aber anderseits wollte ich mich nicht in Gefahr begeben; so sagte ich ihm, daß mein Onkel und ich eine Verabredung mit einem Anwalt hätten.

»Ja, ja,« sagte er, »er hat mir davon erzählt. Aber seht Ihr, wenn Ihr mitkommt, kann Euch das Boot am Stadtende der Brücke absetzen, das ist kaum ein Steinwurf weit von Rankeillors Haus.« Dann beugte er sich plötzlich zu mir nieder und flüsterte mir ins Ohr: »Hütet Euch vor dem alten Fuchs, er hat nichts Gutes im Sinn. Kommt an Bord mit mir, daß ich Euch ein Wort im Vertrauen sagen kann.« Und dann nahm er mich unterm Arm und auf sein Boot zugehend, setzte er laut hinzu: »Also kommt, was soll ich Euch von den Karolinen mitbringen? Jeder Freund von Herrn Balfour kann über mich verfügen. Eine Rolle Tabak? Einen Federschmuck von einem Indianer? Das Fell eines wilden Tieres? Eine Steinpfeife? Eine Spottdrossel, die wie eine Katze miaut? Den Kardinalsvogel, der rot wie Blut ist? – Trefft Eure Wahl und nennt mir Euer Begehren.«

Bei diesen Worten waren wir beim Boot angekommen und er half mir hinein. Ich zögerte keinen Augenblick; ich glaubte (ich armer Narr) einen guten Freund und Helfer gefunden zu haben und freute mich, das Schiff sehen zu können. Sobald wir alle auf unseren Plätzen saßen, wurde das Schiff abgestoßen und fuhr auf dem Wasser dahin! Und vor lauter Freude und Überraschung über diese neue Bewegung, und daß das Boot so tief im Wasser fuhr, und daß das Ufer so anders aussah, und daß das Segelschiff immer größer wurde, je näher wir kamen – verstand ich kaum, was der Kapitän zu mir sprach und mußte ihm nur aufs Geratewohl geantwortet haben.

Sobald wir an der Seite des Schiffes angekommen waren – ich saß dort und bestaunte die Höhe des Schiffes, das wilde Hämmern der Wogen gegen dessen Wände und das lustige Schreien der Matrosen bei ihrer Arbeit – erklärte Hoseason mir, wir beiden müßten die ersten an Bord sein und befahl, daß ein Tau vom Hauptmast herabgelassen werde. Damit wurde ich in die Höhe gezogen und auf Deck gebracht, wo der Kapitän schon bereit stand und auf mich wartete. Er schob seinen Arm gleich wieder unter den meinen. So stand ich eine Weile da, ein wenig schwindlig von all der Unsicherheit rings um mich, vielleicht auch ein wenig ängstlich, aber doch hoch erfreut über all die neuen Eindrücke und den Anblick so vieler fremder Dinge. Der Kapitän zeigte mir die merkwürdigsten Gegenstände, nannte mir ihre Namen und erklärte mir ihre Verwendung.

»Aber wo ist denn mein Onkel?« sagte ich plötzlich.

»Ja,« sagte Hoseason auf einmal spöttisch, »das ist es eben.«

Ich fühlte, daß ich verloren war. Mit aller Kraft riß ich mich los von ihm und lief ans Bollwerk. Da gab's keinen Zweifel mehr; das Boot steuerte auf die Stadt los. Mein Onkel saß am Steuer. Ich stieß einen durchdringenden Schrei aus – »Hilfe, Hilfe, Mörder!« – daß es von allen Seiten widerhallte; mein Onkel drehte sich um und zeigte mir ein Gesicht voll Grausamkeit und Entsetzen.

Das war das letzte, was ich sah. Schon hatten mich starke Hände ergriffen und vom Rande des Schiffes zurückgerissen; jetzt schien mich ein Blitzschlag zu treffen – ich sah Funken sprühen und fiel bewußtlos nieder.


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