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Kapitel XI

Der Kapitän gibt nach

Wir setzten uns, Alan und ich, gegen sechs Uhr zum Frühstück. Der Boden war mit Glasscherben und ekelhaften Blutlachen bedeckt, was mir allen Hunger raubte. In jeder anderen Beziehung jedoch befanden wir uns nicht nur in einer angenehmen, sondern sogar heiteren Lage. Da wir die Offiziere aus ihrer eigenen Kajüte verjagt hatten, waren wir im Besitze alles Getränkes an Bord – sowohl Wein als auch Schnaps – und aller Leckerbissen wie beispielsweise Pöckelfleisch und feine Zwiebacksorten. Dies allein genügte, um uns in gute Laune zu versetzen. Aber das Lustigste daran war, daß die beiden durstigsten Männer, die je aus Schottland kamen (da Herr Shuan nun tot war) jetzt im Vorderdeck des Schiffes abgeschnitten und zu dem verhaßtesten Getränk – nämlich kaltem Wasser – verdammt waren.

»Und verlaß dich darauf,« sagte Alan, »wir werden gar bald von ihnen hören. Man kann einen Menschen vom Kampfe fern halten, aber niemals von seiner Flasche.«

Wir leisteten einander gute Gesellschaft. Alan äußerte sich wirklich sehr herzlich. Auch nahm er ein Messer vom Tisch und schnitt mir einen der Silberknöpfe seines Rockes ab.

»Ich habe sie«, sagte er, »von meinem Vater Duncan Stewart und gebe dir jetzt einen als Talisman für deine Arbeit von heute nacht. Und wo immer du gehst und diesen Knopf vorweist, werden die Freunde Alan Breck's sich um dich scharen.«

Dies sagte er als wäre er Karl der Große und befehle über Armeen. Und wirklich, so sehr ich auch seinen Mut bewunderte, war ich doch stets in Gefahr, über seine Eitelkeit zu lächeln. In Gefahr, sage ich. Denn bei dem Gedanken, welch ein Streit daraus hätte entstehen können, wenn ich meine Haltung nicht bewahrt hätte, müßte ich mich wahrhaftig heute noch fürchten.

Sobald wir unsere Mahlzeit beendet hatten, kramte er so lange im Kasten des Kapitäns, bis er eine Kleiderbürste gefunden hatte. Und dann, nachdem er seinen Rock ausgezogen hatte, fing er an, seinen Anzug genau zu untersuchen und alle Flecken auszubürsten, mit so großer Sorgfalt und Mühe, wie ich sie bisher nur bei Frauen gesehen hatte. Freilich hatte er keinen andern Rock und außerdem gehörte dieser (wie er sagte) einem König und es gebühre ihm daher königlich gehalten zu werden.

Darum, und als ich sah, wie sorgfältig er die Fäden auszupfte an der Stelle, wo der Knopf angenäht gewesen war, maß ich dieser Gabe höheren Wert zu.

Er war noch immer beschäftigt, als Herr Riach uns vom Deck aus anrief und um eine Unterredung bat. Ich kletterte durch das Dachfenster, setzte mich an den Rand desselben und rief mit kühner Stirne, die Pistole in der Hand – obwohl innerlich sehr ängstlich wegen der Glasscherben – zurück und hieß ihn sprechen. Er kam bis an die Ecke der Kajüte und stellte sich auf ein aufgerolltes Tau, so daß sein Kinn in gleicher Höhe war wie das Dach. Einen Augenblick sahen wir einander schweigend an. Herr Riach war, da er wohl während des Kampfes nicht sehr weit vorne gewesen sein dürfte, mit einem unbedeutenden Hieb auf der Wange davongekommen. Aber er sah sehr mutlos und müde aus, da er die ganze Nacht auf den Beinen gewesen war, teils Wache haltend, teils die Verwundeten pflegend.

»Das ist eine üble Geschichte«, sagte er schließlich kopfschüttelnd.

»Es war nicht unsere Wahl«, sagte ich.

»Der Kapitän«, sagte er, »möchte gern mit deinem Freund sprechen. Sie könnten durchs Fenster miteinander reden.«

»Wir wissen ja nicht, ob er nicht neuerlich auf Verrat sinnt«, rief ich.

»Nein, David, sicherlich nicht,« antwortete Herr Riach, »und wenn er auch wollte, ich sage dir die Wahrheit, wir könnten die Leute nicht dazu bewegen, mitzutun.«

»Ist das wahr?« sagte ich.

»Ich werde dir noch mehr verraten,« sagte er, »nicht nur die Mannschaft, auch ich will nicht. Ich bin fertig!« Er lächelte mir zu. »Nein,« fuhr er fort, »was wir wollen ist, ihn los werden.«

Daraufhin beriet ich mit Alan; die Unterredung wurde gewährt und man gab sich gegenseitig das Wort. Aber damit war Herrn Riachs Mission noch nicht erledigt. Er fing nun an, mich mit großer Eindringlichkeit um einen Schluck Schnaps zu bitten und erinnerte mich an alle früheren Wohltaten seinerseits, so daß ich ihm zuletzt ein Zinnkrüglein mit etwa einer Viertel Pinte Branntwein ausfolgte.

Er trank einen Teil davon und trug den Rest mit sich fort, um ihn (vermutlich) mit seinem Vorgesetzten zu teilen.

Ein Weilchen später kam der Kapitän (so wie wir es vereinbart hatten) an eines der Fenster und stand dort im Regen, einen Arm in der Schlinge, ernst und blaß; er sah so alt aus, daß es mir im Herzen leid tat, ihn angeschossen zu haben.

Alan hielt ihm sofort die Pistole vors Gesicht.

»Gebt das Ding weg!« sagte der Kapitän; »habe ich Euch nicht mein Wort gegeben oder sucht Ihr, mich zu beleidigen?«

»Kapitän,« sagte Alan, »ich fürchte, Euer Wort ist leicht gebrochen. Gestern abends habt Ihr gefeilscht und gehandelt wie ein Marktweib und dann mir Euer Wort gegeben und Eure Hand zur Bekräftigung gereicht. Und Ihr wißt selbst genau, was das Ende war. Verflucht mit samt Eurem Wort!« sagte er.

»Gut, gut, Herr,« sagte der Kapitän, »fluchen wird Euch wenig nützen.« (Und wirklich, das war ein Fehler, von dem der Kapitän ganz frei war.) »Aber wir haben über wichtigere Dinge zu sprechen«, fuhr er bitter fort. »Ihr habt meine Mannschaft übel zugerichtet. Ich habe nicht genug Hände übrig, um das Schiff zu bedienen. Und meinem ersten Steuermann, den ich schwer entbehren kann, habt Ihr Euer Schwert in den Leib gerannt; er starb, ohne noch ein Wort zu sprechen. Es bleibt mir nichts übrig, Herr, als in den Hafen von Glasgow zurückzukehren, um neue Leute aufzunehmen. Und dort (mit Verlaub) werdet auch Ihr Leute finden, die besser mit Euch zu reden verstehen dürften.«

»Ja,« sagte Alan, »und wahrlich, ich habe selbst mit ihnen zu sprechen! Ich habe eine nette Geschichte für sie, außer wenn dort niemand englisch versteht. Fünfzehn Matrosen auf der einen Seite, und ein Mann und ein halbwüchsiger Junge auf der anderen! Oh, Mensch, es ist ja erbärmlich!«

Hoseason wurde ganz rot.

»Nein,« fuhr Alan fort, »das geht also nicht. Ihr müßt mich schon ans Ufer setzen, wie wir es abgemacht hatten.«

»Ja,« sagte Hoseason, »aber mein erster Steuermann ist tot – Ihr wißt selbst, wie es geschah. Keiner von uns anderen kennt die Küste hier, Herr, und sie ist von den Schiffern sehr gefürchtet.«

»Ich lasse Euch die Wahl,« sagte Alan, »setzt mich ans Festland in Appin oder Ardpour oder in Morven oder Arisaig oder in Morar oder kurz wo immer Ihr wollt im Umkreise von dreißig Meilen von meinem Heimatland, außer in einem Lande der Campbells. Das ist eine große Zielscheibe. Verfehlt Ihr die, so müßtet Ihr als Seemann ebenso unfähig sein wie Ihr Euch als Kämpfer erwiesen habt. Seht, meine armen Landsleute müssen in ihren kleinen Fischerbooten von einer Insel zur andern bei jedem Wetter, ja, und sogar auch in der Nacht, was das anbelangt.«

»Ein Boot ist kein Schiff, Herr,« sagte der Kapitän, »das hat keinen Tiefgang.«

»Gut denn, nach Glasgow also, wenn's Euch dahin gelüstet!« sagte Alan. »Wir werden zumindest das Lachen auf unserer Seite haben.«

»Mir ist nicht zum Lachen zu Mute«, sagte der Kapitän. »Aber das alles kostet Geld, Herr.«

»Gut, Herr,« sagte Alan, »ich bin kein Wetterhahn. Dreißig Guineen, wenn Ihr mich an der Küste absetzt und sechzig, wenn Ihr mich nach Linnhe-Loch bringt.«

»Aber seht doch, Herr, wir liegen nur wenige Stunden weit von Ardnamurchan«, sagte Hoseason. »Gebt mir sechzig und ich setze Euch dort ab.«

»Und ich kann dann meine Holzschuhe nehmen und vor den Rotrücken spießrutenlaufen, Euch zu lieb?« rief Alan. »Nein, Herr, wenn Ihr sechzig Guineen haben wollt, verdient sie Euch und setzt mich in meinem Lande ab.«

»Das hieße das Schiff aufs Spiel setzen, Herr,« sagte der Kapitän, »und Euer Leben zugleich.«

»Nehmt's oder laßt es bleiben«, sagte Alan.

»Versteht Ihr überhaupt zu steuern?« fragte der Kapitän stirnrunzelnd.

»Nicht gut,« sagte Alan, »ich verstehe mich besser aufs Kämpfen (wie Ihr ja selbst gesehen habt). Aber ich bin oft genug an dieser Küste abgeholt und abgesetzt worden, um einiges über ihre Lage zu wissen.« Der Kapitän schüttelte noch immer stirnrunzelnd den Kopf.

»Hätte ich auf dieser unglückseligen Fahrt«, sagte er, »weniger Geld verloren, so wollt ich Euch lieber am Stricke baumeln sehen, Herr, ehe ich mein Schiff aufs Spiel setzte. Aber mag es nach Eurem Wunsche geschehen! Sobald ich Seitenwind bekomme (und es kommt einer oder ich müßte mich sehr täuschen) will ich ihn fassen. Aber da ist noch eine Sache. Wir könnten mit einem königlichen Schiff zusammentreffen und sie könnten zu uns an Bord kommen, Herr, ohne mein Verschulden. Sie kreuzen dicht an dieser Küste (Ihr wißt selbst, weshalb). Nun, Herr, für diesen Fall könntet Ihr das Geld zurücklassen.

»Kapitän,« sagte Alan, »wenn Ihr eine Wimpel seht, so ist es Eure Sache, davonzulaufen. Und jetzt, da ich höre, daß ihr im Vorderdeck mit dem Branntwein knapp seid, biete ich Euch einen Tausch an: Eine Flasche Branntwein gegen zwei Eimer Wasser.«

Dies war die letzte Klausel des Vertrages und wurde von beiden Seiten ordentlich eingehalten. So konnten Alan und ich endlich die Kajüte auswaschen und die Erinnerung an jene, die wir erschlagen hatten, los werden, während der Kapitän und Herr Riach wieder in ihrer Art glücklich sein konnten und das hieß soviel wie: trinken.


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