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Kapitel XXVII

Ich gelange in mein Königreich

Alan tobte eine Zeitlang vor der Tür, ohne daß sein Klopfen etwas anderes als den Widerhall im Hause erweckte. Endlich aber konnte ich das Geräusch eines vorsichtig geöffneten Fensters vernehmen und wußte, daß mein Onkel an seinen Beobachtungspunkt gekommen war. Bei der herrschenden Dunkelheit konnte er Alan nur wie einen schwachen Schatten auf der Schwelle sehen. Die drei Zeugen waren seinen Blicken vollkommen entzogen, so daß für einen ehrlichen Menschen kein Grund war, in seinem eigenen Hause zu erschrecken. Trotz alledem betrachtete er seinen Besucher geraume Weile schweigend und als er sprach, klang seine Stimme mißtrauisch.

»Was gibt's« fragte er. »Das ist nicht eben die richtige Stunde für anständige Menschen und mit Nachtvögeln habe ich nichts zu tun. Was führt Euch her? Ich habe ein Gewehr da.«

»Seid Ihr es selbst, Herr Balfour?« erwiderte Alan, einen Schritt zurücktretend und in die Finsternis hinaufblickend. »Gebt acht mit dem Gewehr, das sind abscheuliche Dinger, wenn sie losgehen.«

»Was führt Euch her und wer seid Ihr?« fragte mein Onkel ärgerlich.

»Ich habe keine Lust, meinen Namen ins weite Land hinauszuschreien,« sagte Alan, »aber was mich herführt, ist wieder eine andere Geschichte; das ist mehr Eure Sache als die meine. Und wenn Ihr es gerade wünscht, so bin ich gern bereit es in ein Lied zu fassen und Euch vorzusingen.«

»Und was ist es?« fragte mein Onkel.

»David«, sagte Alan.

»Was war das?« rief mein Onkel mit vollkommen veränderter Stimme.

»Soll ich Euch den vollen Namen nennen?« fragte Alan.

Es folgte eine Pause; dann: »Ich glaube, es wäre besser, ich lasse Euch herein«, sagte mein Onkel zögernd.

»Ich glaube auch«, sagt Alan; »aber die Frage ist nur, ob ich auch hineingehe? Jetzt will ich Euch sagen, was ich glaube. Ich glaube, daß wir eben an dieser Türschwelle über die Sache verhandeln müssen, und es wird hier sein oder überhaupt nicht. Denn Ihr müßt nun einmal einsehen, daß ich ebenso halsstarrig bin wie Ihr selbst und noch dazu aus einer vornehmeren Familie stamme.«

Diese Änderung des Tones machte Ebenezer etwas stutzig; er überlegte eine Weile und sagte dann: »Nun gut, was sein muß, muß sein«, und schloß das Fenster. Aber er brauchte ziemlich lange, um die Stiege herunterzukommen und noch länger, um Schloß und Riegel aufzusperren. Er bereute es wohl und bekam von neuem Angst, bei jeder zweiten Stufe, Stange oder Kette. Endlich jedoch hörten wir die Türangeln knarren und mein Onkel schlich, wie es schien, vorsichtig heraus, und da er sah, daß Alan ein oder zwei Schritte zurückgetreten war, setzte er sich auf die oberste Stufe der Schwelle, das Gewehr in der Hand.

»Und jetzt«, sagte er, »vergeßt nicht, ich habe ein Gewehr, und wenn Ihr einen Schritt näherkommt, seid Ihr so gut wie tot.«

»Das nenne ich eine höfliche Rede«, sagte Alan.

»Nein,« sagte mein Onkel, »aber das ist nicht eben ein vertrauenerweckendes Vorgehen und ich muß daher vorbereitet sein. Und jetzt, damit wir einander verstehen, sagt, was Euch herführt.«

»Also,« sagte Alan, »Ihr, als ein Mann, der die Dinge richtig zu erkennen vermag, werdet wohl zweifellos bemerkt haben, daß ich ein Edelmann aus dem Hochlande bin: Mein Name tut nichts zur Sache, aber das Land meiner Angehörigen liegt nicht sehr weit von der Insel Mull entfernt, von der Ihr sicherlich schon gehört habt. Es scheint, daß in der Gegend ein Schiff gescheitert ist. Am nächsten Tag suchte einer meiner Familienangehörigen längs der Küste angeschwemmtes Holz für sein Feuer; da fand er einen halbertrunkenen Burschen. Er brachte ihn heim und er und einige andere nahmen ihn zu sich; sie versteckten ihn in einem alten, halbverfallenen Schloß, wo er von jenem bis auf den heutigen Tag geblieben ist und meine Leute ein hübsches Stück Geld gekostet hat. Meine Leute sind ein wenig ungebunden und halten sich nicht so genau an das Gesetz wie andere, die ich näher bezeichnen könnte. Und nachdem sie herausgefunden hatten, daß der Bursche von ordentlichen Leuten stammt und Euer leiblicher Neffe ist, Herr Balfour, so baten sie mich, mich an Euch zu wenden und mit Euch über die Sache zu verhandeln. Ich kann Euch gleich voraussagen, wenn wir uns nicht über irgend welche Bedingungen einigen können, so werdet Ihr ihn schwerlich wiedersehen, denn meine Leute«, fügte Alan hinzu, »sind nicht eben wohlhabend.«

Mein Onkel räusperte sich. »Es liegt mir nicht viel daran«, sagte er. »Er war zumindest nicht das, was »man einen braven Burschen nennt und ich habe keine Veranlassung, mich einzumischen.«

»Ja, ja«, sagte Alan. »Ich sehe schon, wo Ihr hinauswollt: vorgeben, daß Euch nicht viel daran liegt, um das Lösegeld herunterzudrücken.«

»Nein,« sagte mein Onkel, »es ist nur die reine Wahrheit. Ich habe gar kein Interesse an dem Burschen und ich werde kein Lösegeld bezahlen, Ihr könnt von mir aus mit ihm machen, was Ihr wollt.«

»Ha, mein Herr!« sagte Alan, »Blut ist doch stärker als Wasser, in des Teufels Namen! Ihr könnt doch anstandshalber Eures Bruders Sohn nicht im Stiche lassen; und wenn Ihr es doch tätet und es würde bekannt, so wäre das für Euren guten Ruf hier in der Gegend nicht eben förderlich, kann ich mir denken.«

»Mein Ruf ist eben nicht der allerbeste hier«, antwortete Ebenezer; »auch wüßte ich nicht, wie es bekannt werden sollte. Durch mich sicherlich nicht, ebensowenig durch Euch und Eure Leute. Das ist also alles unsinniges Geschwätz, mein Lieber«, sagte er.

»Dann wird es wohl David sein, der es erzählen wird«, sagte Alan.

»Wieso«, fragte mein Onkel schnell.

»Na, ganz einfach«, sagt Allan. »Meine Leute würden Euren Neffen sicherlich solange behalten, als sie mit einiger Wahrscheinlichkeit damit ein wenig Silber herausschlagen könnten. Wenn das aber nicht der Fall wäre, dann bin ich ganz überzeugt davon, daß sie ihn laufen ließen, wohin er wolle, wenn er sich nur zum Teufel scherte.«

»Ja, aber eben daran liegt mir auch nicht besonders viel«, sagte mein Onkel. »Darüber wäre ich auch nicht sehr entzückt.«

»Das habe ich mir gedacht«, sagte Alan.

»Und warum?« fragte Ebenezer.

»Nun, Herr Balfour,« antwortete Alan, »nach all dem, was ich erfahren konnte, gab es nur zwei Möglichkeiten: entweder Euch läge etwas an David, dann hättet Ihr wohl dafür bezahlt, ihn zurückzubekommen; oder Ihr hättet gute Gründe, ihn nicht hier haben zu wollen, dann würdet Ihr wohl dafür bezahlen, daß wir ihn behielten. Es scheint, das erste ist es nicht, gut, dann ist es eben das zweite; und ich bin froh, es zu wissen, denn es soll ein hübsches Sümmchen sein für meine Tasche und für die meiner Leute.«

»Jetzt konnte ich Euch wieder nicht folgen«, sagte mein Onkel.

»Nein?« sagte Alan, »also seht her: Ihr wolltet den Burschen nicht zurückhaben; also was wollt Ihr, daß mit ihm geschehe und wieviel wollt Ihr dafür bezahlen?«

Mein Onkel gab keine Antwort, sondern rutschte verlegen auf seinem Platz herum.

»Nun Herr«, rief Alan. »Ihr müßt wissen, daß ich ein Edelmann bin, ich trage eines Königs Namen; entweder Ihr gebt mir eine anständige Antwort, und zwar sofort, oder bei Gott, ich renne Euch drei Fuß Eisen in den Leib.«

»He, Mensch,« schrie mein Onkel und sprang auf die Beine, »so wartet doch eine Minute! Was habt Ihr denn? Ich bin ein einfacher Mann, aber ich will mich bemühen, Euch eine anständige Antwort zu geben, so weit es möglich ist. Aber was sollen Eure groben Reden? In den Leib rennen, sagt Ihr? Und wo bliebe ich mit meinem Gewehr?« brummte er.

»Pulver und Eure alten Hände wären nur wie die Schnecke gegen die Schwalbe, im Vergleich zu dem blitzenden Stahl in Alans Händen«, sagte der andere. »Ehe Eure zitternden Finger den Hahn gefunden, säße der Griff meines Degens schon an Eurem Brustbein.«

»Ach, Mensch, wer leugnet's denn?« sagte mein Onkel. »Sei's denn, wie Ihr wollt, ich will nichts tun, was Euch ärgert. Sagt mir einfach, wieviel Ihr ungefähr wollt und Ihr sollt sehen, daß wir uns einigen werden.«

»Also wirklich, Herr«, sagte Alan, »ich verlange nichts als klare Abmachungen. In zwei Worten: wollt Ihr, daß der Bursche umgebracht werde oder nicht?«

»Oh, Herr!« rief Ebenezer. »0 du meine Güte! Was ist das für eine Sprache!«

»... umgebracht werde oder nicht?« wiederholte Alan.

»0 nicht, nicht umgebracht!« jammerte mein Onkel. »Wir wollen doch, bitte, kein Blut vergießen.«

»Nun, Herr, wie Ihr wollt,« sagte Alan, »das wird aber teurer kommen.«

»Teurer?« rief Ebenezer. »Möchtet Ihr lieber Eure Hände mit einem Verbrechen besudeln?«

»Na,« sagte Alan, »beides ist ein Verbrechen, und Umbringen ist leichter und schneller und sicherer. Den Burschen versteckt halten wird eine mühsame Sache sein, eine mühsame, heikle Geschichte.«

»Und doch will ich, daß es geschehe«, antwortete mein Onkel. »Ich habe niemals etwas wirklich Sündhaftes getan und werde nicht jetzt damit anfangen, einem wilden Hochländer zuliebe.«

»Seid Ihr aber skrupelhaft«, grinste Alan.

»Ich habe meine Grundsätze«, sagte Ebenezer einfach, »und wenn ich dafür bezahlen muß, so werde ich bezahlen. Und außerdem vergeßt Ihr, daß der Bursche der Sohn meines Bruders ist.«

»Gut, gut,« sagte Alan, »und jetzt zum Preis. Es ist nicht ganz leicht für mich, eine Summe zu nennen. Ich müßte erst einige Kleinigkeiten wissen. Ich müßte zum Beispiel erst wissen, was Ihr Hoseason das erstemal bezahlt habt?«

»Hoseason?« schreit mein Onkel entsetzt, »wofür?«

»Um David zu entführen«, sagt Alan.

»Es ist eine Lüge, es ist eine freche Lüge!« schreit mein Onkel. »Er ist niemals entführt worden. Das war ein Lügner, der Euch das erzählt hat. Entführt? Niemals!«

»Das ist nicht meine Schuld und auch nicht die Eure«, sagte Alan; »auch Hoseasons Schuld ist es nicht, wenn man sich auf ihn verlassen kann.«

»Was meint Ihr?« rief Ebenezer. »Hat Euch Hoseason etwas gesagt?«

»Natürlich, verdammter alter Kerl, woher denn sollt ich's wissen?« schrie Alan. »Hoseason und ich, wir arbeiten zusammen und teilen. Da könnt Ihr selbst sehen, was es für einen Sinn hat zu lügen. Ich muß offen sagen, es war ein Unsinn einen Menschen, wie diesen Seemann, so mit in Eure Privatangelegenheit einzuweihen. Aber dafür ist es jetzt zu spät, und Ihr müßt liegen, wie Ihr Euch gebettet habt. Augenblicklich ist die Frage nur, wieviel habt Ihr bezahlt?«

»Hat er Euch's selbst gesagt?« fragte mein Onkel.

»Das ist meine Sache«, sagte Alan.

»Gut,« sagte mein Onkel, »mir ist es gleich, was er gesagt hat, er hat gelogen; die Wahrheit ist, bei Gott, daß ich ihm zwanzig Pfund gegeben habe. Aber ich will ganz aufrichtig mit Euch sein: Wenn er den Burschen auf den Karolinen verkauft hätte, wäre es weit mehr gewesen, aber nicht aus meiner Tasche, versteht Ihr?«

»Danke, Herr Thomson, das genügt vollkommen«, sagte der Rechtsanwalt, kam aus seinem Versteck hervor und sprach überaus höflich: »Guten Abend, Herr Balfour.«

Und: »Guten Abend, Onkel Ebenezer«, sagte ich.

Mein Onkel sprach kein einziges Wort, sagte nicht schwarz, nicht weiß, sondern saß auf der obersten Stufe der Schwelle und starrte uns an, wie wenn er zu Stein geworden wäre. Alan nahm ihm das Gewehr weg und der Rechtsanwalt nahm ihn beim Arm, hob ihn von der Stufe auf und führte ihn in die Küche, wohin wir alle folgten, setzte ihn auf einen Stuhl neben den Herd, in dem das Feuer ausgegangen war und nur noch ein wenig Glut brannte.

Wir sahen ihn alle eine Weile lang an und freuten uns unseres Erfolges, empfanden aber doch auch ein wenig Mitleid beim Anblick seines beschämten Zustandes.

»Also kommt, Herr Ebenezer,« sagte der Rechtsanwalt, »Ihr müßt nicht so niedergeschlagen sein, denn ich verspreche Euch, daß Ihr günstige Bedingungen haben sollt. Gebt uns inzwischen den Kellerschlüssel und Torrance wird so gut sein, uns eine Flasche von Eures Vaters Wein zu bringen, zur Feier des Tages.« Dann wandte er sich mir zu und schüttelte mir die Hand: »Ich wünsche Euch viel Freude zu all Eurem Glück, das Ihr, wie ich glaube, wohl verdient habt.« Dann zu Alan mit einem leisen Anflug von Spott: »Herr Thomson, ich spreche Euch meine Bewunderung aus, Ihr habt es wahrhaft kunstvoll gemacht. Nur in einem Punkte konnte ich Euch nicht folgen; soll ich es so verstehen, daß Euer Name James oder Charles oder vielleicht George ist?«

»Und warum sollte es einer von den dreien sein, Herr?« fragte Alan, der eine Beleidigung in der Luft witterte.

»Nur darum, Herr, weil Ihr eines Königs Namen erwähntet,« antwortete Rankeillor, »und da es noch nie einen König Thomson gegeben hat, oder sein Ruhm zumindest noch nie bis zu mir gedrungen ist, so nahm ich an, daß Ihr auf Euren Vornamen anspieltet.«

Das war eben der Stachel, den Alan am schmerzlichsten fühlte und ich muß gestehen, daß er es sehr übel nahm. Er antwortete kein Wort, sondern schritt in den entferntesten Winkel der Küche, wo er sich hinsetzte und schmollte. Erst bis ich ihm nachging und ihm die Hand gab und mich bei ihm bedankte, als den Haupturheber meines Erfolges, fing er erst wieder an, ein wenig zu lächeln und ließ sich endlich dazubringen, sich der Gesellschaft wieder anzuschließen.

Nun hatten wir auch das Feuer wieder angezündet und eine Flasche Wein entkorkt. Ein gutes Nachtmahl kam aus dem Korb, und Torrance, Alan und ich setzten uns dazu, während der Rechtsanwalt und mein Onkel ins Nebenzimmer gingen, um miteinander zu beraten. Sie blieben dort etwa eine Stunde lang eingeschlossen, ehe sie endlich zu einer Verständigung gekommen waren, und mein Onkel und ich schlossen nun ein formelles Übereinkommen, nach welchem mein Onkel sich verpflichtete, Herrn Rankeillor für seine Vermittlung zu entschädigen und mir zwei Drittel des jährlichen Ertrages von Shaws zu bezahlen.

So hatte der Bettelknabe aus dem Märchen endlich heimgefunden; und als ich mich diese Nacht auf die Küchenbank hinlegte, stand ich im Besitze ansehnlicher Güter und eines wohlangesehenen Namens. Alan, Torrance und Rankeillor schliefen und schnarchten in ihren harten Betten, aber mich – der ich so viele Tage und Nächte draußen unter freiem Himmel gelegen hatte, im Schmutz und auf Steinen, oft mit einem leeren Magen und in Angst um mein Leben – mich hatte diese glückliche Wendung meines Schicksals stärker hergenommen, als irgend eine der früheren unglücklichen; ich lag bis zur Dämmerung und sah dem Flackern des Feuers zu und machte Pläne für die Zukunft.


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