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Kapitel XXIV

Ende der Flucht: Wir passieren den Forth

Der Monat war, wie ich bereits gesagt habe, noch nicht zu Ende, als ich freigesprochen wurde, meine Reise fortzusetzen. Es war schon in der zweiten Hälfte August, das Wetter wundervoll warm und alle Anzeichen einer guten Ernte zu sehen. Unser Geld war nun auf einen solchen Tiefstand herabgesunken, daß wir vor allem an höchste Eile denken mußten. Denn kämen wir nicht bald zu Herrn Rankeillor oder sollte seine Hilfe, wenn wir hinkämen, versagen, so blieb uns nichts anderes, als Hungers zu sterben. Nach Alans Ansicht mußte der Eifer der Verfolgung nun schon sehr nachgelassen haben und die Grenze längs des Forth, ja sogar die Stirling-Brücke, der Hauptübergang, nur noch mit geringer Aufmerksamkeit bewacht werden.

»Der wichtigste Grundsatz bei militärischen Unternehmungen ist,« sagte er, »dort zu gehen, wo man am wenigsten erwartet wird. Der Forth, das ist unsere Sorge. Du kennst die Redensart: Der Forth bändigt den wilden Hochländer. Wenn wir also versuchen wollten, an der Quelle dieses Flusses vorbeizukriechen und bei Kippen oder Balfour herunterkämen, so würden sie uns gerade dort suchen und festnehmen. Aber gehen wir geradewegs auf die Alte Brücke von Stirling los, ich wette, sie lassen uns unbelästigt durch.«

Die erste Nacht gingen wir also auf das Haus eines Maclarens in Strathire zu einem Freunde Duncans, bei dem wir am einundzwanzigsten des Monats schliefen, und von wo aus wir, bei einbrechender Dunkelheit, wieder für einen weiteren leichten Marsch aufbrachen. Am einundzwanzigsten lagen wir in einem Heidebusch an einer Berglehne im Uam Var, eine Herde Rotwild vor uns; das waren die schönsten zehn Stunden Schlafes, die ich nur je im schönen, warmen Sonnenschein auf beintrockenem Boden genossen habe. In dieser Nacht gelangten wir bis Allan-Wasser und, stromabwärts gehend, kamen wir an den Rand der Hügelkette; da sahen wir das ganze Marschland von Stirling flach wie einen Pfannkuchen zu unseren Füßen liegen, Stadt und Festung auf einem Hügel in der Mitte, und heller Mondenschein auf den Ufern des Forth.

»Jetzt also,« sagte Alan, »ich weiß nicht, ob dir etwas daran liegt – bist du wieder in deinem Heimatland. Wir haben die Grenze des Hochlandes in der ersten Stunde überschritten und, wären wir nur erst jenseits dieses vielgekrümmten Flusses, so könnten wir lustig unsere Mützen in die Luft werfen.«

In Allan-Wasser, nahe der Mündung in den Forth, fanden wir eine kleine, sandige Insel, ganz mit Kletten und ähnlichen niedrigen Stauden bewachsen, die uns, wenn wir uns flach hinlegten, eben verdeckten. Hier schlugen wir unser Lager auf, die Festung Stirling gerade vor unseren Augen, und wir konnten die Trommeln schlagen hören, als einige Soldaten dort vorbeizogen. Schnitter arbeiteten den ganzen Tag in einem Felde auf der einen Seite des Flusses und wir konnten hören, wie sie mit den Schleifsteinen die Sensen wetzten, hörten die Männer miteinander sprechen, ja verstanden sogar manchesmal die Worte. Es war ratsam, still zu liegen. Aber der Sand der kleinen Insel war sonndurchwärmt, die grünen Pflanzen schützten unsere Köpfe, wir hatten genug zu essen und zu trinken, und die Krone all dieser Herrlichkeiten: wir sahen vor uns das Land unserer Rettung.

Sobald die Schnitter ihre Arbeit verlassen hatten und die Dämmerung einbrach, wateten wir ans Land und schlugen die Richtung nach der Brücke von Stirling ein, wobei wir bestrebt waren, uns möglichst nahe den Feldern und den Feldzäunen zu halten.

Die Brücke befindet sich dicht unterhalb des Festungshügels. Es ist eine alte, hohe, schmale Brücke mit Zinnen längs der Brüstung, und man kann sich denken, mit welch großem Interesse ich sie mir ansah, nicht nur wegen ihrer historischen Bedeutung, sondern weil sie für Alan und mich buchstäblich den Weg zur Seligkeit bedeutete. Als wir hinkamen, war der Mond noch nicht aufgegangen, einige Lichter brannten längs der Festungsmauer und tiefer unten sah man einige erhellte Fenster der Stadt; aber es war alles vollkommen still und es schien keine Wache auf der Brücke zu stehen.

Ich wollte geradewegs weitergehen, aber Alan war vorsichtiger.

»Es sieht ganz ruhig aus,« sagte er, »aber wir wollen trotzdem noch ein bißchen im Graben liegen und warten, um unserer Sache sicher zu sein.«

So lagen wir ungefähr eine Viertelstunde lang, bald flüsternd, bald still horchend, aber es war kein irdisches Geräusch zu hören als das Waschen der Wellen an den Brückenpfeilern. Endlich kam eine alte Frau mit einem Krückstock vorbeigehumpelt. Erst blieb sie ganz nahe vor uns einen Augenblick stehen, seufzte und klagte ein wenig über den weiten Weg und setzte sich dann wieder in Bewegung, die steile Böschung der Brücke hinauf. Die Frau war so klein und die Nacht so finster, daß wir sie bald aus den Augen verloren und nur mehr, sich allmählich von uns entfernend, den Klang ihrer Schritte, das Aufschlagen des Stockes und von Zeit zu Zeit ihr Husten hören konnten.

»Jetzt muß sie schon drüben sein«, flüsterte ich.

»Nein,« sagte Alan, »ihre Schritte hallen noch hohl auf der Brücke.«

Eben in diesem Augenblick – »Wer da?« rief eine Stimme und wir hörten das Rasseln eines Gewehrkolbens auf den Steinen. Ich vermute, daß der Posten geschlafen hatte, und hätten wir es versucht, wir wären vielleicht ungesehen hinübergekommen. Aber jetzt war er aufgewacht und die Chance vorbei.

»Das geht nicht«, sagte Alan. »Das geht für uns beide nicht, David.«

Und ohne noch ein Wort zu verlieren fing er an, durch die Felder davonzukriechen. Eine Weile später, nachdem wir gänzlich außer Sehweite waren, richtete er sich wieder auf und ging einen Weg in östlicher Richtung weiter. Ich konnte sein Vorgehen nicht begreifen; auch war ich durch diese Enttäuschung so hart betroffen, daß ich nicht sehr geneigt war, mit irgend etwas einverstanden zu sein. Vor wenigen Augenblicken hatte ich mich schon wie ein Märchenheld an Herrn Rankeillors Türe klopfen sehen, um mein Erbe zu verlangen; und jetzt stand ich wieder da, ein wandernder, verfolgter Spitzbube, auf der falschen Seite des Forth.

»Nun?« fragte ich.

»Nun,« sagte Alan, »was willst du? Sie sind nicht so dumm, wie ich glaubte. Wir müssen noch immer über den Forth hinüber, Davie –«

»Und warum gehen wir nach Osten?« fragte ich.

»Tja, aufs Geratewohl eben!« sagte er. »Wenn wir den Fluß nicht übersetzen können, müssen wir sehen, was sich bei der Mündung machen läßt.«

»Ein Fluß hat manchmal eine Furt, die Meerenge an der Mündung niemals«, sagte ich.

»Ja, natürlich, es gibt eine Furt, und noch dazu eine Brücke,« sagte Alan, »aber was nützt es, wenn sie bewacht sind?«

»Gut,« sagte ich, »aber über einen Fluß kann man schwimmen.«

»Ja, wenn man es kann«, antwortete er. »Aber mir kommt vor, als wärest weder du noch ich sehr geübt in dieser Kunst; ich für mein Teil schwimme wie ein Stein.«

»Im Reden nehme ich es nicht mit dir auf, Alan,« sagte ich, »aber ich sehe nur, daß wir das Schlimme noch schlechter machen. Wenn es schwer ist, einen Fluß zu kreuzen, so ist es doch klar, daß es noch schwerer sein müsse, das Meer zu kreuzen.«

»Aber es gibt so was Ähnliches wie ein Boot,« sagte Alan, »oder ich müßte mich sehr täuschen.«

»Ja, und so was Ähnliches wie Geld«, sagte ich. »Aber für uns, die wir weder das eine noch das andere haben, hätten sie ebensogut nicht erfunden werden müssen.«

»Glaubst du?« sagte Alan.

»Ja, das glaube ich«, sagte ich.

»David,« sagte er, »du bist ein Mensch von geringer Erfindungsgabe und noch geringerer Glaubenskraft. Aber jetzt laß mich einmal meinen Verstand auf die Probe stellen, und wenn ich kein Boot erbitten, borgen oder auch stehlen kann, so will ich eines machen.«

»Ich glaube, ich verstehe dich«, sagte ich. »Und was noch besser ist als das: Wenn wir eine Brücke überschreiten, so kann sie nichts verraten, wenn wir aber die Meerenge übersetzen, so steht das Boot auf dem anderen Ufer – irgend jemand muß es doch hingebracht haben – und die ganze Gegend wird in Aufregung sein.«

»Mensch,« schrie Alan, »wenn ich ein Boot mache, so werde ich auch einen dazu machen, der es zurückführt! Und jetzt plag' mich nicht mehr weiter mit deinem Unsinn, sondern geh lieber – denn das ist alles, was du zu tun hast – und laß Alan für dich denken.«

So wanderten wir die ganze Nacht hindurch auf der nördlichen Seite des Marschlandes und kamen gegen zehn Uhr früh sehr müde und hungrig in dem kleinen Flecken Limekilns an. Dies ist ein nahe dem Wasser gelegener Ort gerade gegenüber der Stadt Queensferry, und nur durch den Hope von ihr getrennt. Von den Dächern dort – sowie von zahlreichen anderen Dörfern und Bauernhöfen ringsumher – stieg der Rauch empor. Auf den Feldern wurde geerntet, zwei Schiffe lagen vor Anker und Boote kamen und gingen auf dem Hope. Das Ganze war für mich ein wahrhaft schöner Anblick und ich konnte mich an diesen sanften, bebauten Hügeln und den arbeitenden Menschen auf den Feldern und Schiffen nicht satt sehen.

Trotz alledem stand Herrn Rankeillorts Haus am Südufer und ich zweifelte nicht, daß mich dort Glück und Reichtum erwarteten; ich aber stand hier am Nordufer, in gar erbärmlichen und nicht eben landesüblichen Kleidern, mit drei Silberschillingen in der Tasche – alles, was mir von meinem Reichtum geblieben war – auf meinen Kopf stand eine Belohnung und mir zur Seite ein Geächteter, mein einziger Freund.

»Oh, Alan,« sagte ich, »wenn man es bedenkt, dort drüben ist alles, was mein Herz begehrt, und die Vögel fliegen hinüber und die Schiffe fahren hinüber – jeder, der will, kann hinüber, nur ich nicht. Oh, Alan, welch Herzeleid!«

In Limekilns gingen wir in ein kleines Haus – wir erkannten an der Peitsche über der Türe, daß es ein Wirtshaus sei, in dem man auch Pferde wechseln konnte – und kauften ein Stück Brot und Käse von einem freundlichen Mädchen, das dort bediente. Wir nahmen die Sachen mit und wollten sie in einem Wäldchen am Ufer verzehren, das wir etwa eine halbe Meile weit vor uns sahen. Während wir gingen, sah ich immerfort über das Wasser und seufzte dazu. Alan war, ohne daß ich es bemerkt hatte, tief in Gedanken versunken und blieb endlich mitten auf dem Wege stehen.

»Hast du das Mädchen gesehen, von dem wir die Sachen da gekauft haben?« sagte er und tappte auf das Brot und den Käse.

»Ja, natürlich,« sagte ich, »es war ein nettes Mädchen.«

»Meinst du?« rief er, »David, mein Junge, das ist eine gute Botschaft.«

»Um aller Heiligen willen, warum?« fragte ich, »was kann uns das nützen?«

»Ja,« sagte Alan mit einem drolligen Gesicht, »ich hatte eben gehofft, es könnte uns zu einem Boote verhelfen.«

»Wenn du das Gegenteil erwartet hättest, wäre es eher möglich«, sagte ich.

»Das ist alles, was du kannst, siehst du«, sagte Alan. »Ich will ja nicht, daß sich das Mädchen in dich verliebt, sondern daß sie dich bemitleidet, David. Und dazu ist es nicht notwendig, daß sie dich für eine Schönheit hält. Zeig' her«, (und er musterte mich aufmerksam). »Ich wollte, du wärest ein kleines bißchen blässer, aber abgesehn davon, wirst du ganz gut zu meinem Vorhaben taugen – du hast so etwas Gutes, Ohrenhängendes, Lumpen- und Fetzenmäßiges, Klapperdürres an dir. Komm nur geradewegs ins Wirtshaus zurück um unser Boot.«

Ich folgte ihm lachend.

»David, Balfour,« sagte er, »du bist ein sehr komischer Herr in deiner Art und das ist sicher eine sehr komische Rolle für dich. Trotzdem bitte ich dich, wenn dir dein Hals lieb ist (von meinem ganz zu schweigen), so gut zu sein, und diese Sache ernst zu nehmen. Wir müssen ein wenig Theater spielen, was letzten Endes ebenso ernst ist, wie der Galgen es für uns beide ist. Also vergiß dies Letzte nicht und benimm dich danach.«

»Gut, gut,« sagte ich, »es soll geschehen, was du willst.«

Als wir in die Nähe des Dorfes kamen, ließ er mich seinen Arm nehmen und mich darauf stützen, als wäre ich ganz hilflos vor Müdigkeit. Als wir zur Türe des Wirtshauses kamen, schien er mich halb zu tragen. Das Mädchen war sehr verwundert (und mit vollem Recht) über unsere baldige Rückkehr, aber Alan nahm sich keine Zeit, ihr die Sache zu erklären, half mir zu einem Stuhl, bestellte ein Glas Schnaps und gab es mir in kleinen Schlückchen ein; dann brach er das Brot und den Käse an und gab mir davon kleine Bissen zu essen, wie eine Krankenpflegerin. Er tat dieses alles mit so ernster, besorgter, liebevoller Miene, daß er jeden Kenner gefoppt hätte. Kein Wunder, daß das Mädchen von diesem Anblick eines kranken, überanstrengten Burschen mit seinem überaus zärtlichen Genossen gerührt zu sein schien. Sie kam ganz nahe heran und stand, mit dem Rücken gegen den Nachbartisch gelehnt, vor uns.

»Geht es ihm schlecht?« fragte sie endlich.

Alan drehte sich zu meiner größten Verwunderung wütend nach ihr um. »Schlecht?« rief er. »Der hat mehr Hundertmeilen-Märsche hinter sich, als Haare an seinem Kinn, und öfters in der nassen Heide geschlafen als in einem trockenen Bett. Schlecht, sagt sie! Schlecht genug, glaub' ich! Schlecht, fürwahr!« Und er brummte noch weiter, während er mich fütterte, wie einer, der sehr ärgerlich ist.

»Er ist noch jung für dergleichen«, sagte das Mädchen. »Viel zu jung«, sagte Alan, ihr den Rücken zukehrend.

»Er sollte lieber reiten«, sagte sie.

»Und wo soll ich ein Pferd für ihn hernehmen?« rief Alan, sich wieder wütend nach ihr umkehrend. »Soll ich es vielleicht stehlen?«

Ich dachte, daß sie uns auf diese Grobheit hin unwillig stehenlassen würde. Sie aber begnügte sich damit, eine Weile nichts zu reden. Mein Freund wußte genau, was er tat; und so einfach er sonst manche Dinge im Leben anpackte, so verschlagen konnte er bei derlei Gelegenheiten sein.

»Ihr braucht es mir nicht erst sagen,« fing das Mädchen endlich wieder an – »ihr seid Leute von Stand.«

»Nun,« sagte Alan, durch diese ungekünstelte Erklärung etwas besänftigt (gegen seinen Willen glaube ich), »und wenn auch? Habt Ihr schon je gehört, daß der Stand den Leuten Geld in die Taschen zaubert?«

Da seufzte sie, als wäre sie selbst irgend eine enterbte, vornehme Dame. »Nein,« sagte sie, »das ist wahr.«

Ich war die ganze Zeit, wütend über die Rolle, die ich zu spielen hatte, und zum Schweigen verurteilt, halb beschämt, halb belustigt dagesessen. Aber jetzt konnte ich aus irgend einem Grunde nicht mehr länger an mich halten und bat Alan, mich nun in Ruhe zu lassen, da ich mich bereits besser fühle. Ich sprach nur mit halber Stimme, denn ich haßte das Lügen; aber meine Verlegenheit paßte gut zu dieser Komödie, denn das Mädchen suchte den Grund meiner Heiserkeit in meiner Krankheit und Müdigkeit.

»Hat er denn kein« Angehörigen?« fragte sie mit tränenvoller Stimme.

»Doch, die hat er«, rief Alan. »Wenn wir nur zu ihnen gelangen könnten! – Angehörige, und noch dazu reiche Angehörige; genug Betten zum Schlafen und Speisen zum Essen, und Ärzte, ihm zu helfen – und hier muß er durch den Kot stapfen und in der Heide liegen, wie ein Bettler.«

»Und warum das?« fragte das Mädchen.

»Meine Liebe,« sagte Alan, »das kann ich dir nicht gut sagen, aber ich weiß etwas anderes, ich werde dir ein Liedchen pfeifen.« Er lehnte sich weit über den Tisch und pfiff leise, kaum hörbar, und doch mit wundervollem Gefühl ein paar Takte von » Charlie is my darling«.

»Pst!« sagte sie und sah über die Schultern zurück nach der Türe.

»Das ist es«, sagte Alan.

»Und noch dazu so jung!« rief das Mädchen.

»Alt genug zum ...« und Alan fuhr mit dem Zeigefinger über seinen Nacken, um anzudeuten, daß ich alt genug wäre, meinen Kopf zu verlieren.

»Das wäre eine Sünde«, rief sie, heftig errötend.

»Und doch wird es geschehen,« sagte Alan, »außer, wenn wir es gescheiter anstellen.«

Bei diesen Worten drehte sich das Mädchen um und lief hinaus und ließ uns allein: Alan in ausgezeichneter Laune wegen der guten Aussichten seines Planes und ich unwillig, ein Jacobite genannt und wie ein Kind behandelt zu werden.

»Alan,« rief ich, »ich kann das nicht länger aushalten.«

»Dann wirst du es eben austragen müssen, Davie«, sagte er. »Denn wenn du den Topf jetzt umstürzest, so kannst du vielleicht noch dein eigenes Leben aus den glühenden Kohlen zusammenkratzen, aber Alan Breck ist ein toter Mann.«

Das war so wahr, daß ich nur stöhnen konnte, und sogar mein Stöhnen diente Alans Zwecken, denn das Mädchen hatte es gehört, als sie eben wieder hereingestürzt kam mit einer Schüssel Würste und einer Flasche Bier.

»Armer Kerl!« sagte sie, stellte das Essen vor uns hin und strich mir dann freundlich über die Schulter, als wollte sie mich aufmuntern. Dann sagte sie, wir sollten uns übers Essen machen, es wäre nichts dafür zu bezahlen, denn das Wirtshaus gehöre ihr oder doch wenigstens ihrem Vater, und der wäre für den ganzen Tag nach Pittencrieff gegangen. Wir warteten nicht auf eine zweite Aufforderung, denn Käse und Brot sind nur ein kalter Trost und die Würste dufteten herrlich. Während wir dasaßen und aßen, nahm sie wieder den alten Platz am Nebentisch ein, war tief in Gedanken versunken, runzelte die Stirne und drehte ihre Schürze mit den Händen zu einem Strick zusammen.

Endlich sagte sie zu Alan: »Solltet nicht so schwatzhaft sein, glaub' ich!«

»Ja,« sagte Alan, »aber Ihr seht, ich weiß, mit wem ich spreche.«

»Ich würde euch nie verraten, wenn Ihr das meint.«

»Nein,« sagte er, »Ihr gehört nicht zu den Leuten. Aber ich werde Euch sagen, was Ihr gerne tätet: helfen.«

»Ich könnte nicht«, sagte sie kopfschüttelnd. »Nein, ich könnte nicht.«

»Nein,« sagte er, »aber wenn Ihr könntet?«

Sie antwortete nicht.

»Schau, mein Mädel,« sagte Alan, »es gibt Boote hier, denn ich sah unten am Ufer nicht weniger als zwei, als ich durch den Ort ging. Nun, hätten wir ein Boot zur Verfügung, um im Schutze der Nacht nach Lothian zu gelangen, und einen verläßlichen, verschwiegenen Mann, der das Boot zurückbrächte und die Sache für sich behielte, so wären zwei Seelen gerettet – meine, aller Wahrscheinlichkeit nach – seine, mit tödlicher Sicherheit. Bekommen wir das Boot nicht, so bleiben uns auf dieser ganzen Welt nur noch drei Schillinge, und wohin wir gehen sollen, was wir machen sollen, was es für uns überhaupt noch anderes gibt, als die Stricke des Galgens – ich gebe Euch mein Ehrenwort, ich weiß es nicht! Werden wir das Boot nicht bekommen, mein Mädel? Wirst du in deinem warmen Bett liegen und an uns denken, wenn der Wind im Rauchfang heult und der Regen auf den Dächern peitscht? Willst du beim Scheine des flackernden Feuers am Herde sitzen und dein Essen verzehren und meines armen und kranken Burschen hier gedenken, der im feuchten Moor sitzt und sich vor Kälte und Hunger in die Fingerspitzen beißt? Ob gesund, ob krank – er muß wandern, und wenn ihm der Tod schon im Nacken sitzt, muß er sich noch fortschleppen auf dem weiten Weg; und wenn er sein Ende erwartet auf einem Haufen kalter Steine, wird keiner seiner Freunde bei ihm sein, nur ich und Gott.«

Ich konnte wohl sehen, daß das Mädchen in großer Herzensnot war, als Alan so an ihr Mitleid appellierte. Sie stand in Versuchung uns zu helfen und gleichzeitig in Angst, daß sie vielleicht Übeltätern helfe. Und so entschloß ich mich jetzt, selbst einzugreifen und ihre Bedenken durch einen Teil der Wahrheit zu zerstreuen.

»Habt Ihr jemals«, fragte ich, »von Herrn Rankeillor in Ferry gehört?«

»Rankeillor, der Notar?« sagte sie, »ja, sicherlich.«

»Nun, zu dem eben will ich gehen«, sagte ich, »und Ihr könnt danach beurteilen, ob ich ein Missetäter bin. Ich will Euch noch mehr gestehen, daß nämlich, obwohl mein Leben durch einen verhängnisvollen Irrtum in Gefahr steht, König Georg keinen treueren Freund in ganz Schottland hat als mich.«

Ihr Gesicht erhellte sich bei diesen Worten, während sich das Alands verfinsterte.

»Das ist mehr als ich verlangt hätte«, sagte sie. »Herr Rankeillor ist ein wohlbekannter Mann.« Und sie hieß uns unsere Mahlzeit beenden, so bald als möglich den Ort verlassen und uns in dem Wäldchen am Ufer verstecken. »Ihr könnt euch auf mich verlassen,« sagte sie, »ich werde schon irgend ein Mittel finden, euch hinüberzuschaffen.«

Da warteten wir nicht länger, schüttelten ihr die Hand, machten mit den Würsten schnell fertig, verließen Limekilns so schnell als möglich und schritten auf jenes Wäldchen zu. Es war nicht groß, ein paar Erlen und Eschen und einige Hagedornbüsche, nicht dicht genug, uns vor den Blicken Vorübergehender auf der Straße oder am Ufer zu verbergen. Doch mußten wir hier liegen bleiben und freuten uns, so gut es ging, des warmen Wetters und der guten Hoffnung auf eine baldige Rettung und machten Pläne, was wir zuerst unternehmen sollten.

Der Tag neigte sich seinem Ende zu; der Abend kam klar und schön; dann wurde es Nacht. In den Häusern und Hütten wurden Lichter angezündet und mit der Zeit wurde eines nach dem andern wieder ausgelöscht. Es war jetzt elf Uhr vorbei, und Ungeduld und Angst plagten uns schon lange, ehe wir das Knirschen der Ruder in den Angeln hörten. Wir sahen hinaus und erblickten das Mädchen, das selbst in einem Boot auf uns zugerudert kam. Sie hatte unsere Sache keinem anvertraut, nicht einmal ihrem Schatz – wenn sie einen hatte – sondern, sobald ihr Vater schlafen gegangen war, hatte sie durch ein Fenster das Haus verlassen, eines Nachbarn Boot gestohlen und war allein zu unserer Rettung gekommen.

Ich war beschämt und wußte keine Worte zu finden, um meine Dankbarkeit auszudrücken; aber sie war nicht minder verlegen bei dem Gedanken, sie anhören zu müssen. Sie bat uns, keine Zeit und keine Worte zu verlieren, und so hatte sie uns gar bald am Ufer von Lothian abgesetzt, uns die Hände geschüttelt und war schon wieder draußen auf dem Wasser, auf Limekilns lossteuernd, ehe noch ein Wort gesprochen worden war, weder über ihre Hilfe noch über unsere Dankbarkeit.

Sogar nachdem sie schon fort war, wußten wir nicht, was sprechen, auch war wirklich nichts gut genug für so viel Freundlichkeit und Güte. Alan stand nur eine lange Zeit am Ufer und schüttelte den Kopf.

»Das ist ein sehr feines Mädel«, sagte er endlich. »David, das ist ein sehr feines Mädel.« Und ungefähr eine Stunde später, als wir am Strand in einer Grube lagen und ich schon ein wenig geschlafen hatte, brach er wieder in Lobpreisungen aus. Ich für mein Teil konnte nichts sagen. Sie war ein so einfaches Geschöpf, daß mein Herz von Reue und Angst erfüllt war: Reue, weil wir ihre Unwissenheit ausgenützt hatten, Angst, daß wir sie in der Lage, in der wir uns befanden, mit in Gefahr verwickelt hätten.


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