Julius Stettenheim
Wippchen's sämmtliche Berichte, Band 4
Julius Stettenheim

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122 Der Kriegsminister Boulanger.

Herrn Wippchen in Bernau.

Wir haben so lange nichts von Ihnen gehört, daß wir annahmen, Sie hätten Ferien gemacht, seien in die Sommerfrische gegangen und bekümmerten sich nicht weiter um die Außenwelt. Doch glaubten wir gleichzeitig, daß Sie uns hiervon Mittheilung gemacht haben würden, und so schreiben wir Ihnen in der Erwartung, daß unsere Zeilen Sie in Bernau antreffen. Dieselben bezwecken, Sie recht sehr zu bitten, uns recht bald wieder einen Bericht zu senden, obschon wir selbst nicht anzugeben wissen, worüber. Es liegt ja allerdings Mancherlei vor: der Freihafen Batum, die Affaire 123 Edelsheim in Pest, die Verbannung der französischen Prinzen, die bedenklichen Revanche-Symptome bei der Enthüllung des Chanzy-Denkmals in Frankreich u. s. w., aber wir wissen nicht, ob Ihnen diese Ereignisse den wünschenswerthen Stoff entgegenbringen. Wir überlassen Ihnen daher die Wahl irgend einer Ihnen zusagenden Begebenheit, hoffen, recht bald in den Besitz eines interessanten Berichts zu gelangen und grüßen Sie

ergebenst

Die Redaktion.

* * *

Bernau, den 29. Juli 1886.

Als ich gestern den Briefträger, träger als sonst, in der Sommergluth auf meine vier Pfähle zuschreiten sah, da fürchtete ich schon, daß Sie mich aus der wohlverdienten Bärenhaut reißen und wieder in die Arbeit hineinstoßen würden. Sie hatten mich nicht getäuscht: ich soll wieder der Feder fröhnen, obschon der Réaumur die höchste Sprosse seiner Thermometerleiter erklommen hat und mir mit seiner Quecksilberstimme zuruft: »Ruhe aus!« Ja, an den auf den heißen Hund gekommenen Sommertagen überlasse auch ich 124 mich gerne der Erholung und fliehe den Schweiß des Angesichts, in welchem ich jahraus und ein mein Brod esse. Wenn jedes Kind die Schulbank von den Schuhen schüttelt und inmitten seiner Eltern hinauseilt, um sich an dem Strand irgend einer Sommerwohnung von der Unregelmäßigkeit der Zeitwörter zu erholen, soll dann der Kriegsberichterstatter am Pult den Rücken krümmen, statt ihn dem Tintenfaß zu kehren? Wenn auch mein Storch nicht vollständig in Arkadien stand, so beanspruche ich doch eine Nase, aus der mir nicht alle Freuden gehen, und wenn der Zenith unter den goldenen Wagen des Helios kommt, dann will auch ich fern von allen procul negotiis sein. Denn ich bin – verzeihen Sie das harte Wort! – kein Sklave, welcher unablässig unter den Bissen der neunschwänzigen Katze die Zuckerhüte ausgräbt, oder die Baumwolle mit seinen Schweißperlen begießt. Und als also der Sirius allzu senkrecht sich geltend zu machen begann, da stellte ich mein Schreibzeug zur Disposition, spritzte meine Feder wie die Kröte das Gift aus und gab mir ohne Weiteres Ferien. Morgens mit dem ersten Hahn stand ich auf und machte Feierabend. Dann eilte ich in den Wald, und wo ich Büsche entdeckte, da schlug ich mich so seitwärts wie irgend möglich in dieselben. Hier lag ich dann und lauschte dem Nesterbauen der Vögel und war glücklich. Mittags schlich ich wieder nach Hause, stürzte mich in die brandende Badewanne, speiste, griff dann zum Wanderschirm und machte eine Fußtour fürbaß, von der ich so spät 125 heimkehrte, daß ich fast einen doppelten Hausschlüssel brauchte. Dann saß ich noch lange am offenen Fenster und blickte hinauf, wo Luna in stiller Majestät ihren Mondwagen lenkte, bis der Nachtwächter auf drei stand und zu den Posen mahnte.

In diesem Idyll stört mich Ihr geschätzter Brief, indem er mich wieder an die labora erinnert. In den Sommertagen fühlt man so recht, wie beneidenswerth der Rentier ist, der wie der Hummer oder der Krebs mit der Couponsscheere seine Nahrung findet und nicht nöthig hat, wie ich, den Arbeitgeber seliger als den Arbeitnehmer zu finden.

Ich sende Ihnen einliegend den französischen Kriegsminister, der augen- oder besser ohrenblicklich am meisten en vogue la galère ist. Denn er spielt wirklich mit dem Feuer, welches den Chauvinisten auf den Nägeln zum Sarge des europäischen Friedens brennt.

Eben sprach ich von den Rentiers. Da ergriff mich die Sehnsucht, auch ein solcher zu werden und von 2 Mark Zinsen jährlich zu leben. Senden Sie mir also bitte! einen Vorschuß von 50 Mark, das wäre ja, zu 4% gerechnet, so wenig, wie ich angab.

* * *

Paris, den 27. Juli 1886.

W. Mit vollem Recht heißt Paris die Seinestadt. Denn sie zeigt uns allerdings neben vielen andern Sehenswürdigkeiten immer die Zähne. Aber es sind keine 126 Weisheits-, sondern Forderzähne, die Pariser fordern Elsaß und Lothringen, sie fordern Revanche. Daß sie ohne blaues Auge davonkommen könnten, das bedenken sie leider nicht.

Dies fühle ich, seit ich hier angekommen bin. Das ganze tout Paris spricht von Boulanger (sprich: Boulanger). Ueberall lese ich mit großen Lettern den Namen Boulanger. Meinem Hôtel gegenüber ist ein Bäckerladen, an dessen Scheiben das Wort Boulanger steht. Was in Berlin der Mann mit dem Coaks war, das ist hier dieser Boulanger, man hört keinen anderen Laut. Thiers und Gambetta sind vergessen und vertrunken. Grévy regiert tauben Ohren. Déroulède singt in das Meer der Vergessenheit, ich möchte ihn Déroulethe nennen. Des Ministerpräsidenten Freycinet erinnern sich die ältesten Leute nicht. Die ausgewiesenen Prinzen sind wie in Windhosen verschwunden. Man spricht nur von Boulanger. Boulanger ist eine ganze Löwenheerde des Tages. Der Leierkastenmann dreht sein Lob auf der Orgel, Betrunkene und Säuglinge lallen seinen Namen, Papageien lernen ihn auswendig, der Sturm heult ihn, die Sonne brütet ihn, der Regen plätschert ihn, die Rose duftet ihn, der Philister schüttelt ihn mit dem Kopf, der Droschkenkutscher pfeift ihn vor sich hin.

Das ist ein schlimmes Zeichen. Frankreich ist wie ein Mädchen, es will einen Mann, aber nicht einen, der es heim-, sondern im Gegentheil einen, der es hinausführt gegen Deutschland, und hierzu ist Boulanger wahrlich nicht der Linke. 127 Ich habe ihn heute gesehen. Er trägt immer noch den Arm, den der Senator de Lareinty nicht getroffen hat, in der Binde. Sein Kopf ist offen und macht den Eindruck, als schrecke er vor keiner Wand zurück, er hat einen großen Mund, einen Wagehals, eine feine Spürnase und ein Auge, in das ihm die Herrschaft sticht. Zwar wird Boulanger nicht heute, oder morgen ein neuer Napoleon sein, wie Rom ja auch nicht an einem Tage von den Wölfen gesäugt worden ist, aber wenn eines Tages der Staat einen Streich vertragen kann, dann wird dieser Boulanger ganz gewiß nicht säumen, der Republik das letzte Stündlein um die Ohren zu schlagen.

Und dann? Dann allerdings möchte ich nicht die Ebene sein, welche Boulanger betritt, denn sie wird schief werden und immer schiefer, und ich höre schon den Schlitten klingeln, unter den Frankreich durch einen Krieg mit Deutschland kommt. Der Stein ist im Rollen, – kann es nicht solchen erbarmen, daß Frankreich blind- und taublings in's Verderben rennt?


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