Julius Stettenheim
Wippchen's sämmtliche Berichte, Band 4
Julius Stettenheim

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90 Der französisch-chinesische Krieg.

I.

Herrn Wippchen in Bernau.

Wenn wir auch den Raub, der von den Engländern an dem deutschen Kutter »Diedrich« in der Nordsee begangen wurde, als eine abscheulich barbarische That gebrandmarkt sehen wollen, und wenn wir auch nicht weniger als Sie entrüstet sind, so kann uns doch das Alles nicht veranlassen, Ihnen in der Behandlung dieser Affaire zuzustimmen. Ihr gutes Gedächtniß, um das wir Sie beneiden, verführt Sie, Zampa, den Helden der Herold'schen Oper, als Engländer auferstehen und in der Nordsee seine argen Unthaten erneuern zu lassen. Obschon Sie ihn nicht nennen, so sagt sich der aufmerksame Leser 91 doch gleich, daß der Capitain des englischen Schiffes, dessen Mannschaft den Raub vollführt hat, kein anderer ist, als der Titelheld der genannten romantischen Oper. Wie wäre dies auch anders möglich! Sie befinden sich auf einem der deutschen Kutter, hören den englischen Seeräuber das Lied anstimmen: »Wenn ein Mädchen mir gefällt &c.« und erzählen nun den Roman, der das Libretto der Oper Zampa bildet. Abgesehen davon, daß dies doch im Grunde auch ein Raub ist, – auf literarischem Gebiet ja ein fast allgemeiner Gebrauch, – so ist doch die Umarbeitung eines Operntextes zu einem Kriegsbericht absolut unzulässig.

Warten wir also die Folgen der englischen Piraterie ruhig ab. Gleichzeitig machen wir Sie darauf aufmerksam, daß Frankreich gegen China ernste Schritte zu unternehmen scheint und Ihnen also jedenfalls einen besonderen Stoff bietet.

Ergebenst

Die Redaktion.

* * *

92 Bernau, den 21. August 1884.

Längst habe ich mich daran gewöhnt, daß jeder meiner Kriege, welche ich auf die Tagesordnung setze, von Ihnen mit scheeler Loupe betrachtet wird, daß Sie emsig darin nach einem Wort suchen, um dasselbe klauben zu können, und daß Sie froh sind, wenn Sie eine Frage finden, in die der ganze Artikel gestellt werden kann. Mit einem Wort: jeder meiner Berichte hängt gewissermaßen an einem Haar des Damokles. Diesem Schicksal ist leider auch meine englische Piraterie nicht entgangen, indem Sie behaupten, ich hätte mich an den Text der Oper Zampa gelehnt. Wenn ich dergleichen lese, so weiß ich gleich, wohin die Glocke geschlagen hat, nämlich auf meinen Artikel, der Ihnen unbequem ist, und daß ich mich vergeblich nach dem Hahn umsehen kann, der nach besagtem Artikel kräht. Das ist – verzeihen Sie das harte Wort! – wenig erfreulich.

Ich will also nochmals zum reinen Wein greifen und Ihnen solchen, freilich auf einen heißen Stein, einschenken, um meinen Standpunkt solchen Fragen gegenüber zu präcisiren. Es wird freilich nichts nützen, denn Sie wollen mich, einen Weißen, nun einmal schwarz waschen, und gegen solches Prinzip ist jedes Kraut vergeblich gewachsen.

Die Engländer stechen blindlings in See, da treffen sie einen wohlhabenden deutschen Kutter. Die See ist eisfrei, und dennoch brechen sie ein. Es sind Flatter-, keine 93 Seefahrer, die stehlenden Fußes die Fenster des Kutters eindrücken, hineinsteigen, der Mannschaft das Fell räumen und Alles, was sich auf dem Schiff vorfindet, als gute Prise in die Nase stecken. Hier hängt an einem Enterhaken die Garderobe des Kapitäns, die Neptunichtguts nehmen es, dort ist ein voller Mastkorb, sie schleppen ihn fort. Dabei drohen sie, Jedem das Lebenslicht umzudrehen, der Miene machen würde, sich an den deutschen Bootschafter in London zu wenden. Sie lassen nichts übrig, als die kahlen Segel. So kehren sie noch der deutschen Schiffsmannschaft den Rücken und verlassen dann den Kutter. Das ist Piraterie, Seeraub, eine Gemeinheit! Es wird ja nicht ungestraft bleiben, denn der Krug geht so lange zu Wasser, bis sich die Tugend zu Tisch setzt, doch das gehört ja nicht hierher.

Was that ich nun? Ich erzählte die Geschichte Zampas und seiner Spießmeister, denn Spießgesellen sind das nicht mehr, ich las den Engländern gründlich den Operntext. War das falsch? Ich sagte nur unter vier Augen: Zampa war längst da, als er in Herolds Musik gesetzt wurde, er ist ein Pirat, die jüngere Generation kennt weder Zampa, noch die Marmorbraut, also paßt er mir wie kaum eine andere Faust auf mein Auge.

Hoffentlich habe ich Sie endlich überzeugt, wie oft Sie meine Berichte mit dem Bade verschütten und über das Ziel hinaus fehlschießen. Trotzdem sende ich Ihnen einliegend den ersten Bericht vom Kriege Frankreichs gegen China. Wie 94 das Reuter'sche Büreau, so bombardire auch ich die Stadt Kelung, obschon überhaupt nicht bombardirt wurde. Aber es liest sich kurzweiliger.

Frankreich fordert 80 Millionen. Um Ihnen ein Bild von der Größe dieser Summe zu geben, bitte ich Sie um einen Vorschuß von 80 Francs. Diese immerhin ansehnliche Summe bildet den millionstel Theil des Geforderten!

* * *

Kelung, den 5. August 1884.

W. Als die Chinesen bei Langson den Vertrag von Tientsin gebrochen hatten und dann thaten, als seien sie es nicht gewesen, schnürte ich sofort von meinen sieben Sachen diejenigen, die zur Reise nach der Insel Formosa nöthig waren. Denn ich sagte mir, daß Frankreich seine Nase nicht vor dem Geschehenen verschließen und dieses nicht ungerochen lassen würde. Und so war es auch. Frankreich dachte nicht daran, auch nur eines seiner Augen zuzudrücken, sondern verlangte, daß China die Scharte, die es den französischen Waffen beigebracht, auch wieder auswetze. China andererseits sah sich genöthigt, Tusche zu bekennen, und rüstete. Nun war die Entscheidung dem Gähnen der Kanonen überlassen.

Die Insel Formosa liegt mitten im Wasser unter einem Breitengrade, der auf 22 bis 25 taxirt wird. Sie ist sehr fruchtbar und herrlich gelegen. Echte Goldfasanen 95 durchschneiden die Luft, Reis, Zucker, Tabak, Thee, Kaffee, kurz, Alles, was man bei und nach Tisch braucht, wächst in Massen und wird von Tigern, Leoparden und Büffeln zerstampft. Im Gebirge finden die Goldgräber viele Steinkohlen und bei der herrschenden Unsicherheit kommt auch Baumwolle in Massen fort. Kurz, Frankreich hat nicht mit Unrecht den festen Fuß dieser Insel gefaßt.

Am 1. dieses Monats kam ich hier, in dem Hafenort Kelung, an. Eben hatte die französische Geschwadron des Admiral Lespès Anker geworfen und verlangte 230 Millionen Francs. Die Stadt hatte diese Summe nicht bei sich und bot eine monatliche Abzahlung von 500 Francs, augenscheinlich, um die Franzosen in die Länge zu ziehen. Frankreich blieb aber unbeugsam und ermäßigte die Forderung auf 80 Millionen. Seien diese nicht bis zum nächsten Morgen bezahlt, so würde das Bombardement beginnen. Die Kelunger waren verzweifelt, sie sangen das alte tragische Nationallied von dem Chinesen, dem's zu Herzen ging, daß ihm der Zopf so hinten hing, er wollte es geändert haben, aber wie er auch sich drehte, es half dem Armen nichts, der Zopf hing ihm hinten. Alles lief in den verkrüppelten Schuhen rathlos durcheinander. Da – am andern Morgen mit dem ersten Hahnenschlage – flogen die ersten Bomben in die Stadt. Wo sie hinfielen, da wuchs, wie überall, Gras und die Bewohner bissen dutzendweise in dasselbe. Das dauerte etliche Tage, die Kugeln kamen in solchen Massen, 96 daß die Straßen kaum zu passiren waren, und die Stadt athmete förmlich auf, als sie heute Vormittag von den Franzosen besetzt wurde.

Nun ist die Insel Formosa in französischen Händen. Selbstverständlich glaubt kein Chinese, daß die Franzosen sie behalten werden, sie sagen in ihrer so schwer zu entziffernden Sprache, Frankreich könne ja sonst auch nicht verlangen, daß das Elsaß nicht deutsch bleibe. Etwas Wahres liegt darin. Ich schließe. Was werden die nächsten Tage bringen? Mir ist es, als müßten alle Nichtfranzosen ausrufen: Ei vae victis!


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