Julius Stettenheim
Wippchen's sämmtliche Berichte, Band 4
Julius Stettenheim

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44 Die Kongo-Konferenz.

I.

Herrn Wippchen in Bernau.

Besten Dank! Sie denken eben an Alles. Wir halten es für eine gute Idee von Ihnen, die Kongo-Konferenz-Berichte zu schreiben. Allerdings hatten wir beschlossen, uns mit der Scheere zu helfen, speciell in der Erwägung, daß die Presse von den Berathungen der Diplomaten ausgeschlossen sein und sich deshalb gezwungen sehen würde, sich auf Gerüchte, Muthmaßungen, Combinationen und Erdichtungen zu beschränken. Sie können sich indeß leicht denken, mit welchem Vergnügen und welcher Bereitwilligkeit wir Ihre Originalberichte vorziehen. Seien Sie nur so freundlich, recht bald mit denselben zu beginnen.

Ergebenst

Die Redaktion.

* * *

45 Bernau, 6. November 1884.

Ich würde mich vor Lachen mit dem Bade ausgeschüttet haben, wenn Sie mein Anerbieten zurückgewiesen hätten. Und ich habe es, aufrichtig geschrieben, erwartet. Denn wo Sie in letzter Zeit einen Streich auftreiben konnten, da haben Sie ihn mir gespielt und mich so behandelt, daß ich mir wie das Stiefbrödel Ihres geschätzten Blattes vorkam. So haben Sie z. B. meinem Preußisch-Braunschweigischen Bruderkrieg einen jähen Papierkorb bereitet, obschon ich nicht einen einzigen Tropfen Blutes in Strömen fließen oder einen Schuß zwischen den beiden Bundesländern auch nur andeutungsweise fallen ließ. Hatte ich Ihnen etwa ein Scharmützel geliefert? Hatte ich Ihnen gemeldet, daß man in Braunschweig »Nach Berlin!« schrie? Nichts von alledem! Ich hatte nur mit der Gewissenhaftigkeit einer journalistischen Schildwache auf und ab geschildert, wie die Verhältnisse zwischen Preußen und Braunschweig lagen, wie sich dort unter den Füßen der Tänzer ein Vulkan bildete und wie an dem vorhandenen Pulverfaß schon Lunte gerochen wurde. Das war doch wahrlich nicht so gewagt, daß Sie es wie Tropfen auf einem heißen Stein stillschweigend verschwinden lassen mußten. Der Herzog von Cumberland schickte sich an, den Purpur zu besteigen, als ihm, wenigstens nach seiner Auffassung, von Seiten Preußens der Handschuh vor der Nase zugeworfen wurde. Er fühlte, daß er ein Hin- und 46 Herzog geworden war, er hatte sich statt auf den Thron zwischen zwei Stühle gesetzt, sein Gesandter, Herr von Grote, war zwar nach Berlin gekommen, aber unverrichteter Audienz wieder abgezogen. Sein Patent war im kaiserlichen Vorzimmer niedergelegt, und des Herzogs Herrschertraum war entschwunden: ein Landesvater morgana. Er mußte sich sagen: Du hast den Thron abwärts bestiegen, und konnte nichts thun, als sein Gmunden halten. Aber konnte er nicht auch anders sprechen und handeln?

Ohne Zweifel! Er konnte sich entschließen, seine Hinterbeine nicht in den Schooß zu legen, sondern wie Shylock zu sagen: Ich stehe hier auf meinem Pfund Fleisch! Er konnte seinen getreuen Rathgeber Windthorst, diese auf Alles gefaßte Perle, um sich versammeln und Preußen zurufen: Ich will Dir zeigen, was ein Quos ego ist. Und dann standen plötzlich die Lupusse, die Welfen, wieder in fabula, und die Ruhe des Reiches war – verzeihen Sie das harte Wort! – in Frage gestellt. Denn daß das Ausland stets nur auf der Suche nach einem Bein sich befindet, um uns ein solches zu stellen, das ist doch keine Frage, und die herzogliche Hand, welche sich vergeblich nach der Krone Braunschweigs ausstreckte, war ein solches Bein. Wollen Sie mir dies Bein etwa in Abrede stellen?

Dies erwägend, schrieb ich meinen Bericht, den Sie mit der denkbar brevisten manu in den Papierkorb warfen! Ich weiß nicht, was ich dazu sagen soll und schweige daher. 47 Dem Gekränkten ist Schweigen Bedürfniß, und da Schweigen Gold ist, so bitte ich Sie um einen Vorschuß von sechs Kronen. Hoffentlich mit mehr Erfolg als der Exzog von Cumberland.

* * *

Berlin, den 7. November 1884.

W. Seit das Wasser des Riesenstromes Kongo im Munde aller europäischen Völker zusammenläuft, ist es auch das Bestreben derselben gewesen, an den Küstenstrecken einen Fuß zu fassen, dessen Festigkeit nichts zu wünschen übrig ließ. Von der Küste bis in das 7200 Kilometer entfernt schlagende Herz von Afrika hinein, – so rechnet bekanntlich Stanley, – ist das Land reich mit Produkten und ähnlichen Erzeugnissen gesegnet, und jede Großmacht will voll ausgehen. Das Elephantenmaul bietet alljährlich eine üppige Elfenbeinerndte, der Ackerbauer braucht die wogenden Zähne des Dickhäuters nur einzuheimsen. Kupfer und Eisen, Gewürze, Wachs und Gummi sind in einer Masse vorhanden, von der der Volksmund sagt, sie müsse es bringen. Ist es zu verwundern, daß nach einem solchen Wunderland Jeder die Augen ausstreckt?

Hier nun war zu befürchten, daß eines Tages die Haare, in welche sich die Großmächte gerathen könnten, Europa über den Kopf wachsen würden, und in weiser Vorsicht lud daher der deutsche Reichskanzler die Vertreter aller Staaten nach Berlin ein, um in einer Konferenz jede Schlange, welche im Grase lauern könnte, in Berathung zu 48 ziehen und jeder Eris den Apfel rücksichtslos zu entwinden. Hoffentlich gelingt es.

Während ich dieses schreibe, naht das Konferenzmitglied von allen Seiten. Alle Staaten sind vertreten. Jeder will etwas von Afrika haben. Selbst der Vertreter von Monaco ist angekommen. Monaco verlangt nur soviel Land, um einen Tisch für seine bekannten beiden Tanten aufstellen zu können. Auch eine Anekdote wird schon von dem Herrn d'Ecarté – so heißt der Vertreter von Monaco – erzählt. Als er nämlich seine Karte im Reichskanzlerpalais abgegeben hatte, stellte es sich heraus, daß es Coeurbube war.

Die blendend schwarzen Vertreter des Kongogebiets sind gleichfalls eingetroffen, meist nackt gekleidet, so daß im Reichskanzlerpalais eine Garderobe eingerichtet werden mußte, in welcher sie angezogen werden. Alles, was sie auf der Straße sehen, setzt sie in Erstaunen. »Komischer Elephant!« sagte der Vertreter von Kamerun, als er ein Reitpferd sah. Und als der Gesandte von Klein-Popo in dem Glauben, auch hier treibe man noch Tauschhandel, in einem Magazin unter den Linden ein Kistchen Cigarren mit einem Tigerfell bezahlen wollte und ihm dies der Berliner nicht wechseln konnte, gerieth er in solche Außersicherheit, daß er selbst von einem Schutzmann kaum wieder zu beruhigen war.

Ich komme nun zu den Verhandlungen.


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