Julius Stettenheim
Wippchen's sämmtliche Berichte, Band 4
Julius Stettenheim

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63 IV.

Herrn Wippchen in Bernau.

Ihr jüngster Bericht hat einen großen Erfolg erzielt. Freilich nicht in der von Ihnen erwarteten Form des Abdrucks, – wir haben ihn, wie Sie wissen, zurückgelegt, – sondern durch den Vortrag am runden Tisch unserer Stammbierhalle. Dahin hatte ihn unser Chefredakteur mitgenommen, dort las er ihn vor und zwar, wie gesagt, unter großer Heiterkeit. Dem Vortrag schloß sich sogar ein Salamander an, den wir Ihrem unerschöpflichen Erfindungstalent gerieben haben. Und allerdings war Ihr Bericht von der Gründung einer Afrikanischen Gesellschaft, an deren Spitze Sie getreten sind, ein höchst burlesker, und es ist recht Schade, daß wir ihn nicht veröffentlichen konnten. Freilich gehört die Gründung einer Afrikanischen Gesellschaft jetzt zu den Lieblingsbeschäftigungen 64 sämmtlicher Kolonialpolitiker, wer aber vermöchte zu glauben, daß die von Ihnen in's Leben gerufene ernst gemeint und nicht eine Satire sei? Daß Sie und die Mitglieder Ihrer Gesellschaft mit geschwärzten Gesichtern und Händen antreten, auf Kameelsätteln anstatt auf Stühlen sitzen und aus hohlen Elephantenzähnen trinken, kann doch unmöglich etwas Anderes als eine Parodie sein. Jedenfalls stellen Sie sich die Afrikanischen Gesellschaften sehr merkwürdig vor, obschon dieselben ernste Vereinigungen bilden und die Kolonisirung und die Ausnutzung der Afrikanischen Westküste erzielen.

Indem wir Sie ersuchen, uns wieder einen Konferenzbericht zu senden, verbleiben wir

ergebenst

Die Redaktion.

* * *

Bernau, den 23. Dezember 1884.

Mein Herz ist milde von H bis Z, und ich sage Ihnen daher, daß ich Ihnen das, was Sie thaten, nicht übel deute. Die Zügel thun mir leid, die ich meiner Phantasie schießen ließ, und ich bedaure nicht, daß meine Afrikanische Gesellschaft als todtgeborenes Kind das Licht der Welt 65 erblickt hat. Es existiren genug Gesellschaften dieser Art, und es ist ja bekannt, daß jeder Ueberfluß ins Wasser fällt. Nur Eines in Ihrem Benehmen setzt mich – verzeihen Sie das harte Wort! – in Erstaunen: daß Sie meine Afrikanische Gesellschaft komisch fanden. Wenn Sie nach dem bekannten Satz: Ex ungue leonem am Clown den Cirkus erkennen, so muß ich Sie doch bitten, in mir keinen solchen zu erblicken, und überhaupt das dictum compositum nicht auf mich anzuwenden. Ich bin kein Komiker, der jeden Augenblick einen kitzlichen Punkt macht und dann wartet, bis das Fell des lesenden Zwerchs erschüttert ist. Ich schreibe nicht, um arme Grillen rücksichtslos zu verjagen, ich arbeite nicht, um Trübsalbläsern die Instrumente wegzunehmen. Eine ultra Posse zu reißen, bin ich nicht verpflichtet, ich könnte auch mit dem besten Willen keine solche schreiben. Ich war daher wie vom Donner auf das Tiefste gerührt, als Sie mir mittheilten, Sie hätten meinen Bericht in einer lustigen Gesellschaft zum Allerbesten gegeben, die derart ausgelassen wurde, daß sie sogar einen unschuldigen Salamander so lange rieb, bis er in das allgemeine Gelächter einstimmte. Nun, das ist ja recht heiter, aber ich bitte Sie allen Ernstes, mich nicht wieder in dieser Weise bloßzustellen. Ich bin keine Venus. Lassen Sie sich dies nicht zweimal sagen.

Doch wir wollen uns über derlei Kleinigkeiten keine grauen Haare wachsen lassen, um uns in denselben zu liegen. Schließlich höhlt ja doch der Wermuthstropfen keinen 66 Stein, den Sie mir in den Weg legen. Ich sende Ihnen den gewünschten Konferenzbericht und führe damit das Ende der Kongo-Konferenz herbei, weil ich das Weihnachtsfest in Ruhe zu genießen gedenke. Mein Wunschzettel, den ich dem Briefträger gab, ist nur klein: ich wünsche mir ein Zwanzigmarkstück vom Jahre 1876, eines vom Jahre 1881 und vier Fünfmarkscheine. Zahlen Sie getrost diesen Vorschuß in beliebigen Münzen auf der Post ein, der Festbriefbote weiß ja Bescheid und bringt mir zeitig die sechs Gegenstände, welche ich dann an mein Tannenbäumchen hänge. Können Sie sich ein hübscheres Spielzeug für einen reifen Mann denken? O, wie beneide ich Sie um das Glück, einem solchen Manne Strahlen der Freude zu entlocken!

* * *

Berlin, den 24. Dezember 1884.

W. Die Kongo-Konferenz muß dem Publikum wie das verschleierte Bild mit sieben Siegeln vorkommen. Die Sub rosa, welche über Allem schwebt, scheint undurchdringlich, und oft genug muß der gewissenhafte Berichterstatter glauben, man habe ihm das Trommelfell über die Ohren gezogen, wenn er lauschend keinen Ton aus dem Reichskanzlerpalais laut werden hört. Es ist, als tagten die Diplomaten in einem Schloß, das sie vor dem Munde haben. Ich bin gewiß kein Freund vielen Schwatzens, ja, ich möchte ein Blatt 67 »Das Maul« herausgeben, denn ich wünsche, daß dies Jeder hält. Mir ist der freie Lauf schrecklich, den man der Zunge so gerne läßt, und jeder Tag, in den hineingesprochen wird, ist mir verdorben. Aber das Schweigen, welches ich in der Kongo-Konferenz beobachte, ist mir zu tief, das Volk müßte doch den Diplomaten in die Landkarten gucken können und erfahren, wie sie sie verändern. Ist dies wie in diesem Fall nicht möglich, so wird ihm jeden Augenblick eine andere Fama in's Ohr gesetzt, und man sieht weder eine Thür noch ein Thor, welche den falschen Gerüchten nicht geöffnet sind. Und von Allem, was man haeret, bleibt schließlich ein Semper hängen. Gestern hieß es, die Tage der Kongo-Konferenz seien gezählt, und es hätte sich alsbald bei dieser Gelegenheit ein Bruch ergeben, der dadurch entstanden sei, daß England keinen Schritt zurück oder vorwärts weichen wollte. Heute sagt man, Frankreich lege der Konferenz einen Erisapfel in's Nest, weil es sich bei den Abmachungen für untervortheilt halte. Und morgen wird wohl wieder ein Lauffeuer dem andern die Versicherung zutragen, daß für irgend welche Besorgnisse kein Grund und Boden vorhanden sei und kein Staatsmann dem anderen ein Haar krumm nehme. Das kommt von der Geheimnißkrämerei, die fortwährend den Kußfinger auf den Mund legt.

Zwar ist ein Blaubuch erschienen, aber ein solches Werk kann weder die Glüh-, noch die Bogendunkelheit verscheuchen. Denn das Blaubuch ist in keiner Leihbibliothek zu haben, und 68 die Staatsmänner borgen principiell keine Blaubücher fort. So erfährt denn das Volk über die Verhandlungen nur das, woraus Gott die Welt geschaffen. Das ist doch zu wenig.

Ich darf Ihnen schmeicheln, gut unterrichtet zu sein, denn mir stehen einige zuverlässige Diplomaten offen, welche mir manchen Wink zu hören geben und bei deren Mittheilungen es mir nicht schwer ist, zwischen den Zähnen zu lesen. So traf ich gestern mit mehreren Mitgliedern der Konferenz zusammen, die ich fragte, wie es ihnen gehe. Danke, antworteten sie wie aus Einem Talleyrand, der Fürst ist sehr munter. Damit deuteten die Herren an, daß unser Reichskanzler Alles durch und durchsetze, was er erreichen wolle, während sie nur groß beigeben und froh sein können, wenn das Auge, mit dem sie davonkommen, zufällig ein blaues ist.

Nachschrift am 24. Dezember. Die Kongo-Konferenz ist geschlossen. Die letzte Sitzung war kurz, aber bedeutsam. Der Reichskanzler eröffnete dieselbe, indem er, wie Goethe, des Blaubuchs zweiten Theil vorlegte. Das Werk wurde von den Gesandten förmlich durchblättert. Unter den Aktenstücken sind in möglichster Extenso zu erwähnen:

1. ein Irade der Pforte, in welchem die Türkei sich bereit erklärt, statt einer afrikanischen Provinz baares Geld zu nehmen.

2. Ein Ukas Rußlands, durch welches dieser thönerne Coloß ganz Westafrika beansprucht, weil Sibirien überfüllt 69 sei und er für seine Verbannten ein Terrain zum Elephantenfang brauche.

3. Eine Note Portugals, welches Land noch immer behauptet, sich schon vor Jahrhunderten den Kongo gewünscht zu haben, es bitte also darum. (Antwort wird frankirt erbeten.)

4. Eine Erklärung Englands des Inhalts, daß Afrika den Briten gehöre. Es wird gedroht, daß der Konferenz ein Küstenstrich durch die Rechnung gemacht würde, wenn dem Engländer auch nur ein kleiner Theil der Wüste im Sande verliefe.

Aber das letzte Aktenstück wirkte wie ein Zieten aus heiterem Busch. Es war ein Schreiben des Reichskanzlers mit der Adresse:

Anbei 3 Kisten mit Flaggen
Herrn Dr. Gustav Nachtigal
frei. Afrika W.

Die Gesandten waren starr. Sie blickten sich ganz perplex an und machten ein Fäustchen, in das sich unser Reichskanzler zu lachen schien, obschon er ganz ernst blieb. Sie sahen ein wenig wie Hühner aus, denen man auf die Augen getreten, und man konnte es ihnen an der Nase 70 anmerken, daß ihnen Afrika aus derselben gegangen war. Sprachlos saßen sie da, und diesen Moment benutzte der Reichskanzler, indem er klingelte und sagte: »Da Niemand mehr das Wort verlangt, so schließe ich die Kongoferenz.« Alle verneigten sich und schieden mit einem Hoch auf den Fürsten.

Der Pluvius fiel in Strömen. Die Staatsmänner rollten mit den Equipagen davon. Die Wilhelmstraße versank wieder in den Gott der Glücklichen. So endete diese historische Thatsache, von der unsere Enkel noch auf den Knieen erzählen werden.


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