Julius Stettenheim
Wippchen's sämmtliche Berichte, Band 4
Julius Stettenheim

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36 Die Zusammenkunft der drei Kaiser.

Herrn Wippchen in Bernau.

Mit Bedauern haben wir bis jetzt vergeblich auf Ihre sensationellen Mittheilungen aus Skierniewice, auf Anekdoten, Indiscretionen, Vermuthungen, Gerüchte und ähnliche Kleinigkeiten aus den Tagen der Kaiserbegegnung gewartet. Den einzigen Bericht, den Sie uns sandten, haben wir aus dem einfachen Grund nicht zum Abdruck gebracht, weil Sie sich darauf beschränkten, die Gespräche mitzutheilen, welche die drei Kaiser unter sechs Augen mit einander führten. Derlei liest sich, als seien Sie dabei gewesen und als hätten die hohen Herren kein Geheimniß vor Ihnen gehabt. Selbstverständlich kommen Ihnen dabei die merkwürdigsten politischen Enthüllungen in die Feder, Enthüllungen z. B. über beabsichtigte 37 Kriege und Veränderungen der Landkarte, die geradezu fabelhaft sind: Krieg gegen Amerika, Theilung Englands und der Schweiz und ähnliche Phantasiegebilde. Unmöglich! Das ist doch zu sensationell.

Senden Sie uns die gewünschten Anekdoten und seien Sie gegrüßt

ergebenst

Die Redaktion.

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Bernau, den 1. October 1884.

Mein schöner Bericht! Sie behandeln mich wirklich, als wäre mir ein gelber Schnabel gewachsen und als neigte sich meine Berichterstatter-Laufbahn ihrem Anfang. Es fällt Ihnen nicht ein, daß keiner meiner sämmtlichen Collegen, welche in Skierniewice waren, so wenig wie ich, Ihre ergebene Wenigkeit, einen Platz in der Mitte der drei Kaiser hatte, als dieselben sich unterhielten. Und nun lesen Sie ihre Berichte in den Zeitungen, angefüllt mit Enten, die sich gegenseitig auf die Hacken treten! Meine Collegen konnten natürlich nur vermuthen, denn über das, was beschlossen wurde, haben die Kaiser und Minister selbstredend geschwiegen. So waren sie Alle denn darauf angewiesen, die Köpfe 38 zusammenzustecken und sie sich zu zerbrechen, und sie hatten alle Hände voll zu thun, um aus den Fingern derselben das nöthige on dit zu saugen. Wie konnte es auch anders sein? Sie konnten nur das Schweigen der Minister beobachten, denn Graf Kalnoky hielt den Mund des Herrn von Giers, und Fürst Bismarck drehte erst jedes Wort dreimal im Munde herum, bevor er es nicht laut werden ließ. Die Diplomaten haben eben, wie Talleyrand sagt, die Sprache bekommen, um ihre Gedanken zu verbergen, und es fragt sich jetzt, welchen Gedanken Talleyrand mit diesen Worten verborgen hat. Kurz, es hat den Berichterstattern nichts genützt, daß sie ihre Ohren spitzten, dieselben blieben stumpf, und Alles, was sie veröffentlichten, war – verzeihen Sie das harte Wort! – Combination.

Anstatt aber meiner Gerechtigkeit in diesen und ähnlichen Sätteln zu vertrauen, scheinen Sie zu glauben, ich sei vom Scheitel bis zum Wirbel ein Aufschneidergeselle, ein Mißgethüm, ein Journalist, welcher jeden Tag in denselben hineinschreibt, ein Männchen, welcher nur solche macht. Das ist aber ein Errare, der schon nicht mehr humanum ist, und ich muß, so leid es Ihnen thut, gegen solche Meinung protestiren. Ich kann den Staar, in welchem Sie befangen sind, nur bedauern, daß ich Ihnen denselben stechen mußte. Er mag sich bei Ihnen bedanken!

Einliegend sende ich Ihnen eine Anzahl Anekdoten, damit Sie sehen, daß ich Ihnen selbst das Schwerste nicht 39 nachtrage. Wollen auch Sie den ganzen Zwischenfall mit Schweigen übergehen, so senden Sie mir, da Schweigen Gold ist, höchstens 3, sagen wir: 4 Zwanzigmarkstücke als Vorschuß, dann weiß ich, daß zwischen uns der Status quo wieder ante ist.

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Skierniewice, den 26. September 1884.

W. Skierniewice (sprich: Skierniewice) gehört der Klio an. Nun ist das Städtchen wieder still geworden, so daß man kaum hören kann, daß es 5000 Einwohner zählt und etwas mehr als eine Dampfroßstunde von dem geräuschvollen Warschau entfernt liegt. Das Schloß, in welchem sich die drei Souveräne die Hände geschüttelt haben und dessen Mauern sich unter der Last der an ihnen hängenden Augäpfel der ganzen Welt beugten, ist in das Grün des prächtigen Parkes zurückgesunken, und seine Teppiche dämpfen keine Sohle der Staatsmänner mehr, die auf ihnen dahinschritten. Nun ist – und diese Ansicht ist allgemein verbreitet – Skierniewice wieder Skierniewice.

Heute will ich einige Erinnerungen aus den glänzenden jüngsten Tagen in kurzen Anekdoten, die in Aller Mund sind, aus demselben befreien und allgemein bekannt machen.

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Als der Zar eintraf, fragte ihn der ihn begleitende Graf Rostoptschin, ob er die Volksmassen, welche ihn erwarteten, vertilgen solle.

40 O nein, erwiederte milde der Zar, es ist uns im Gegentheil sehr angenehm, wenn es so voll ist, daß keine Bombe zur Erde fallen kann.

Und die Luft erbebte von den brausenden Viväterchen der Volksmenge.

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Sehr interessant war die erste Begegnung der drei Minister. Wenn auch Rußland mit uns auf einem leidlich thönernen Fuß steht, wenn Deutschland auch das Vertrauen verdient, welches man ihm vorenthält, und wenn Oesterreich sich auch dem neuen Bund nur mit Vordergedanken anschließt, so näherten sich die Minister doch noch mit jener Mutter, welche die Weisheit unter ihrem Herzen getragen hat. Als also die erste Begegnung stattfand, sagte Fürst Bismarck Nichts. Ihm antwortete Graf Kalnoky mit einem haustiefen Schweigen, das von v. Giers nur dadurch unterbrochen wurde, daß er kein Wort verlor.

In dieser Weise unterhielten sie sich längere Zeit sehr lebhaft.

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Fürst Bismarck war in der besten Laune. Nach der Parade über die beiden Bataillone trat er auf den Führer derselben zu, drückte ihm die Hand an den Czako und sagte: Gurko, Sie sind der beste Salat.

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41 In sehr liebenswürdiger Weise hatten sich mehrere Könige bereit erklärt, sich schleunigst als Kaiser krönen zu lassen, falls die drei Kaiser wünschen sollten, in größerer Gesellschaft zu sein. Das Anerbieten wurde indeß in höflicher Form abgelehnt. Auch der Prinz Napoleon wollte sich unter dem Titel Napoleon V. auf eigene Kosten die Kaiserkrone aufsetzen und nach Skierniewice kommen. Man sagte aber, daß sein Brief wegen ungenügender Frankatur gar nicht angenommen worden ist.

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Auf der Jagd am 16. September kam es zu einem interessanten Etikettenstreit. Es zeigte sich plötzlich ein prachtvoller etwa Sechszehnender. Welche der drei Großmächte sollte ihn erlegen? In einem Ministerrath wurde nun beschlossen, daß die drei Minister gleichzeitig schießen sollten. Gesagt, geknallt, und da lag der Sechszehnender mit einem von drei Kugeln herbeigeführten Ende mehr. Eine so hohe Ehre war bis dahin wohl noch keinem Hirsch bereitet worden.

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Die drei Minister beriethen über die Abrüstung: von Giers war dagegen, Fürst Bismarck wollte nicht, und Graf Kalnoky hielt die Sache für verfrüht. Nun sollten die Würfel entscheiden. Sie wurden in einem goldenen Becher gebracht. Jeder Minister warf 18, worauf die drei Herren ein Stündchen zur Tagesordnung übergingen.

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42 Als der Zar an einem der zwei Dreikaisertage eine Ausfahrt machte, warf sich ihm Yelva, eine russische Waise, zu Füßen und bat um Gnade für ihren Vater, der zu lebenslänglichem Sibirien verurtheilt war. Derlei Bitten waren zwar streng verboten, doch sagte der Zar, sie solle ihr Anliegen schriftlich einreichen. Da Yelva nicht schreiben kann, so befahl der Zar, sie solle es lernen und schenkte ihr das Geld zu Feder und Dinte. Dann fuhr er davon, indem er mit seinem herrlichen Bariton sein Lied sang: »O selig, o selig, ein Kind noch zu sein!« Dem Wagen folgte ein betäubendes Hurrahgeschrei seiner Unterthanen, die in Massen herbeigeströmt waren, unter ihnen viele Finnen und Lappen, die stundenlang, von zahlreichen Kalmücken belästigt, dastanden, um vor ihrem Landesväterchen in den Staub zu jubeln.

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Die drei Minister trafen sich bei dem Photographen, der sie fragte, wie sie mit der Aufnahme in Skierniewice zufrieden seien. »Das werden wir wissen, wenn die Bilder fertig sind,« antworteten die Lenker der drei Geschicke Europas. Als dann der Photograph zu dem Grafen Kalnoky sagte, er möge ein freundliches Gesicht machen, sah dieser den Fürsten Bismarck an, und sofort machte er eins. Eine neue Garantie für das gute Einvernehmen beider Völker.

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43 Der Zar scheint sehr philosophisch gebildet zu sein. Einmal äußerte er: »Wir sind Wir, sagt Fichte.«

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Das Theater ist klein, es haben etwa 200 Personen Platz. Ich war einer der Wenigen, die bezahlt hatten. Das Publikum war das edelste der Welt. Da war Niemand, der nicht mehrere hundert Ahnen hinter sich hatte. Das Ganze war ein Urwald von Stammbäumen. Dargestellt wurde ein russisches, in's Deutsche übersetztes Ballet. In einer Loge sah ich den Prinzen Demetrius, der mehreren Hofdamen das Süßholz schnitt. Die Massen von Diamanten, mit welchen die echten, in Rußland gefangenen Zobelpelze bedeckt waren, füllten die colossalste Augenweide, die ich je gesehen habe.


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