Julius Stettenheim
Wippchen's sämmtliche Berichte, Band 4
Julius Stettenheim

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109 IV.

Herrn Wippchen in Bernau.

Wir können uns denken, daß Sie wenig Lust haben, sich aus Ihrer Ruhe zu reißen, wir selbst möchten am liebsten in der Sommerfrische von den journalistischen Strapazen ausruhen, welche uns die Redaktion bereitet hat. Indeß ist am allerwenigsten an ein gänzliches Einstellen der Arbeit zu denken, wenn, wie in diesem Augenblick, ein wichtiges Ereigniß die allgemeine Aufmerksamkeit auf sich zieht. Wir geben Ihnen darin Recht, daß das Publikum im Sommer nicht Lust hat, sich mit aufregender Lektüre zu belasten, es vielmehr vorzieht, sich mit den Rubriken »Vermischtes« und »Aus der Gesellschaft« zu beschäftigen, und wir haben Sie deshalb längere Zeit unbehelligt gelassen. Die Ereignisse in Indo-China aber fordern gebieterisch die Wiederaufnahme der Arbeit, und wir bitten 110 Sie daher um einen schleunigen Bericht aus Hué. Wir sind in der größten Verlegenheit. Ihre Sechserkarte: »Ich unterbreche meine Bärenhaut um keinen Preis« wird hoffentlich nicht so ernst gemeint sein.

Wir grüßen Sie

ergebenst

Die Redaktion.

* * *

Bernau, den 16. Juli 1885.

Wenn ich nicht vom Gegentheil überzeugt wäre, so würde ich meinen, Sie seien über- oder – verzeihen Sie das harte Wort! – untergeschnappt, wenn ich daran denke, daß Sie in den Tagen der tropischen sauren Gurke einen Bericht von mir verlangen. Jetzt arbeiten zu müssen, das ist ein Nagel zu meinem letzten Sarge. Der goldene Wagen des Helios liegt brütend auf der Landschaft, dem Quecksilber des Barometers wird der Aufenthalt in der geschlossenen Glasröhre zur Pein, Alles eilt, um den Aeolus an den Meeresufern einzuathmen, oder auf den mit ewigen Gemsen bedeckten Bergspitzen in die Thäler hinabzuschaudern. Der Tagespresse fehlen die Leser, welche jetzt in jeder Nachricht 111 eine Seeschlange vermuthen, die sie am Busen nähren sollen, und froh sind, wenn sie nichts Neues hören. Daher blätterte auch ich eben in dem Eisenbahnfahrplan und überlegte, wohin ich meinen Handkoffer setzen sollte, da kam, ein Brief aus der Maschine, Ihre Aufforderung, einen Bericht aus Anam zu liefern. Ach, ich wäre so gern den Weg aller Flöten gegangen! Statt dessen blüht mir nun das Dintenfaß auf's Neue, und ich bin so außer mir, daß ich nicht weiß. wie ich wieder in die Haut zurückkomme, aus der ich in Folge Ihres werthen Schreibens gefahren bin.

Am liebsten hätte ich nun den Franzosen in Hué den Ganz- und Garaus gemacht, um nicht weiter von der mir etwas fernliegenden chinesischen Affaire belästigt zu werden, indeß höre ich, daß sie im Gegentheil den Anamiten gezeigt haben, was eine Harke ist, obschon sie ihnen den Daumen auf's Auge drückten, und daß Frankreich in diesem Augenblick siegestrunken den Clicquot trinkt, wie er von der Wittwe kommt. Da muß ich denn in den sauren Apfel schreiben auf die Gefahr hin, mich im Laufe des schwülen Sommers noch häufig mit dieser leidigen Angelegenheit zu beschäftigen. Denn daß Frankreich sich hier eine Toga eingebrockt hat, in deren Falten nur der Krieg verborgen ist, und die es nun auslöffeln muß, das unterliegt ja gar keinem leisen Zweifel. Und diese Ueberzeugung macht mich derart rabiat, daß ich mich wie Mignon in das Land wünsche, wo der Pfeffer wächst, und wenn Sie mich jetzt fragen, 112 an welchem Fluß Frankfurt am Main liegt, so sage ich: An der Oder.

Einliegend der Sieg der Franzosen über die Anamiten. Ich habe ihn so kolossal gestaltet, daß der Brief doppeltes Porto kostet. Es ist also vielleicht der erste französische Sieg, von dem das deutsche Reich einen, wenn auch kleinen Nutzen hat.

Mir ist heute nicht wohl. Fragen Sie mich, was mir fehlt, so antworte ich Ihnen, daß ich selbst nicht weiß, wieviel. Darf ich mir was verschreiben, so bitte ich Sie um einen Eßlöffel Vorschuß. Ein solcher wird rund 60 Mark fassen. Es ist wohl das Beste, was man einnehmen kann. Hoffentlich hilft's.

* * *

Hué, den 6. Juli 1885.

W. Am 2. bin ich hier angekommen und im goldenen Bambusrohr abgestiegen. Hué (sprich: Hué) liegt an einem hier allgemein bekannten Strom, der zwölf Kilometer weiter in's Meer mündet, und besteht aus einer großen Citadelle mit Bastionen. Hier wohnt der König, der aber, erst fünfzehn Jahre alt, das Regieren nicht aus dem bekannten FF versteht. Sein Kopf ist so schwach, daß er die Krone nur ganz oberflächlich trägt. Wenn er eine Stunde geherrscht hat, so ist er so müde, daß er die Verfassung zuklappen muß und sitzenden Fußes auf dem Thron einschläft. Meist 113 ist er krank und regiert im Bett, wo er dann tagelang weder Gesetze giebt, noch solche nimmt. Er hat das lumen mundi nicht erfunden und scheint seine Nase bekommen zu haben, um sich auf derselben von seinem ersten Minister Nguyen-Van-Tuang (sprich: Nguyen-Van-Tuang) spielen zu lassen. Er ist, um ihn kurz zu fassen, ein Schattenkönig.

Der genannte Minister ist ein Mörder. Ohne Gewissen, hat er doch wenigstens zwei Königs- und mehrere Prinzenmorde auf demselben. Es giebt hier kaum ein Feld, aus dem er nicht schon einen König geräumt, keine Ecke, um die er nicht einen Prinzen gebracht hat. Er schreckt vor keiner Giftflasche zurück. Das arme Volk ist machtlos. Noch nie ist es von diesem Meuchelminister unter's Ohr gehauen worden, stets wird es von demselben mit Händen und Füßen getreten, und dennoch wagt es nicht, das Handwerk des Ministers zu ergreifen und es ihm zu legen. So verthiert die Knechtschaft.

General de Courcy langte am 2. mit mir in Hué an. Den Wind, den er von den Plänen Anams, sich von den Franzosen loszureißen, bekommen hatte, ließ er sich nicht zweimal wehen. Er kam also mit 1,200 Mann, um mit Sr. Excellenz dem genannten Mörder zu unterhandeln. Ohne Erfolg. Kaum aber hatte in der Nacht zum 5. Luna ihr Licht durch die Mondscheibe geworfen, da fiel die anamitische Armee, 30 bis 42,000 Mann stark, über die Franzosen her. Wie Lenore fuhren diese um's Morgenroth 114 aus schweren Träumen und griffen zu den Waffen. Es entstand ein wilder Kampf. Bald stand die Citadelle an mehreren Stellen in Asche. General Courcy hatte von Morpheus' Armen kein Auge schließen lassen, feuerte nun seine Soldaten zu immer neuer Gloire an und bedeckte sich mit deren Ruhm. Die Anamiten flohen schaarenweise, und weise war dies jedenfalls, denn wer nicht entkam, fiel unter den wohlgezielten Hinterladern der Zuaven, die mit dem alten Schlachtruf »à Berlin!« anstürmten. Das Schlachtfeld war nicht sichtbar, so bedeckten es die Leichen der Feinde, und bald war der Verrath derart gerochen, daß es absolut nicht auszuhalten war. Die Anamiten nahmen keinen Pardon, freilich nicht ohne Grund, denn die Franzosen gaben ihnen keinen.

Der königliche Palast blieb unversehrt. Die Pracht, mit welchem derselbe bei meinem Eintritt ausgestattet war, ist eine enorme. Ich war sprachlos und schwieg, wie mir der Schnabel gewachsen war. Es war wie in einem Märchen aus mindestens zweitausend und einer Nacht. Der Hof ist mit Bernsteinspitzen gepflastert, in den Schlafstuben fand ich nur Straußenfederbetten und Schwefelhölzer von Jacaranda, die Toilette wird aus einer Goldwasserleitung gespeist, und auf dem Nachttisch lagen Goldelse, der Goldmensch, Silberstein, der Bauer als Millionär, der Nabob, Goldbaum und ähnliche Werke. In den Salons dieselbe Opulenz. Massive Goldfische tummelten sich in den Aquarien, 115 eine Venus von Milos trug die kostbarsten Kleider, ein Affe suchte und fand auf einem anderen seltene Goldkäfer, und der eiserne Ofen war von Opal. In allen Ecken lagen Silberbarren, und Courcy meinte: »Die Ziffer dieses Betrages wird sich erheblich vermehren, wenn ich auch Goldbarren finde.« Unter den Kunstschätzen nenne ich nur einen von Knaus gemalten Menzel.

Es ist kein Zweifel mehr darüber, daß Frankreich Anam jetzt annektiren muß. Ob aber damit etwas erreicht sein wird? Das Volk wird immer wieder von den Mandarinen aufgestachelt werden. Man soll den Tag nicht vor dem Vorabend großer Ereignisse loben.


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