Julius Stettenheim
Wippchen's sämmtliche Berichte, Band 4
Julius Stettenheim

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II.

Herrn Wippchen in Bernau.

Wir lassen die Gründe nicht gelten, mit welchen Sie es in Ihrem soeben eintreffenden Brief ablehnen, den chinesischen Krieg fortzusetzen. Sie schreiben, es widerstrebe Ihrem Gefühl, den so barbarisch wüthenden Krieg ferner zu bearbeiten und sich mit den von den Franzosen ins Werk gesetzten Blutbädern weiter zu beschäftigen. Abgesehen davon, daß es doch nicht die Aufgabe des Kriegsberichterstatters sein kann, die Kriege zu untersuchen und entweder die blutigen oder die unblutigen zu wählen, so sind Sie doch jedenfalls in der angenehmen Lage, persönlich gar nicht von Barbareien berührt zu werden, sondern nach Belieben blutig oder unblutig sein zu können. Fahren Sie also getrost fort. Wir schätzen Ihr Zartgefühl, das sich gegen das barbarische Auftreten der sich als civilisirt brüstenden 98 Frauzosen empört, bitten Sie aber, zu bedenken, daß Sie sich verpflichteten, indem Sie die Ziffer I. auf Ihren Brief setzten, mindestens einen zweiten folgen zu lassen, und diesen erwarten wir

ergebenst

Die Redaktion.

* * *

Bernau, den 4. September 1884.

Sie wissen, wie viele Kriege ich seit mehr als sieben Jahren unter der Feder hatte, wie manchen Feind ich auf's Papier warf, wie manche Festung ich zum Gegenstand nahm, und daß ich keine namhafte Kriegsfackel anbrennen ließ. Viele Felder tränkte ich mit Blut, manchen Bogen Papier bedeckte ich mit Leichen, und oft genug habe ich die eisernen Würfel kein Auge schließen lassen. Ich that es gern. Nachdem ich dem Krieg eines Tages eine Seite abzugewinnen gewußt, welche meine schwache wurde, sind wir unzertrennlich wie Alpha und Omega. Seit jener Zeit ist mir kein Krieg zu ausgebrochen, kein Schwert zu gezogen, keine Festung zu angegriffen. Aber der Krieg darf nicht barbarisch geführt werden. Ein Homo sum, wie ich nun einmal bin, kann ich mich nie mit etwas Unmenschlichem versöhnen, und selbst im Schlachtgetümmel verlange ich daher, daß die Menschen 99 Menschen bleiben und daß der Soldat keine Hyäne im Tornister trage. Kein Heerführer darf vergessen, daß auch der Feind unter dem Herzen getragen worden ist und daß seine Eltern nicht nur ihn, sondern auch sich einst in der Hoffnung wiegten, Freude an ihm zu erleben. Auch der Feind ist – verzeihen Sie das harte Wort! – ein Mensch, und kein Mensch ist vom Baum geschüttelt, sondern derselbe sucht im Gegentheil erst, wenn er reif ist, auf einen grünen Zweig zu kommen.

Der chinesische Krieg wird aber leider mit einer Grausamkeit geführt, die mir die gesträubten Haare in's Gesicht treibt. Ohne eigentlich erklärt zu sein, ras't Mars dort jeden Roland in den Schatten und vollbringt Wunder der Unmenschlichkeit. Wehrlose Dörfer werden zu oberst gekehrt, Schiffe, welche bereits zu Grund gehen, noch besonders in denselben gebohrt, und selbst Greise, Weiber und Kinder mit dem Blutbade verschüttet. Und Raub und Plünderung sind nicht sicher, begangen zu werden. Admiral Courbet giebt kein Pardon, obschon er es hat, und obenein spotten die Gräuel noch jeder Beschreibung. Dieselben Franzosen, welche in den Jahren 70 und 71 die Deutschen nur Barbaren nannten, obschon dieselben nicht nur alle ihre Festungen, sondern auch jede mögliche Rücksicht nahmen und bewiesen, daß nicht nur die Quarrés der deutschen Soldaten gebildet waren: dieselben Franzosen brechen jetzt in China der Civilisation die Spitze ab, an der sie zu marschiren vorgeben, und wirthschaften gleich tollen Hunnen.

100 Das hat mich indeß nicht abgehalten, das einliegende Bild anfertigen zu lassen. Ich werde Ihnen als himmlischer Reichsbürger neu sein. Auch der Photograph lachte aus vollem Zwerchfell, als ich bei ihm erschien, er hatte wohl niemals einen lebenden Pagoden gesehen; und erst, als ich ihn ärgerlich bat, endlich doch seinen Bauch zu halten, ging er an's Werk. Hier ist es. Finden Sie es nicht sprechend ähnlich, so nehmen Sie es dem Photographen nicht übel, ich spreche eben nicht Chinesisch.

Es wird Herbst. Die Blätter fallen ab. Und da dachte ich, auch für mich würden bei Ihnen acht Blätter abfallen, die man im gemeinen Leben Fünfmarkscheine nennt. Entziehen Sie mir dieses Herbstbild nicht, auch dies hat seine Schönheit.

* * *

Pic-Aigu (Mündung des Min-Flusses), den 29. August 1884.

W. Es geht gleichsam Alles mit Siebenmeilenstiefeln zu. Klio, die Muse der Geschichtstafeln, schreibt so schnell, daß man ihrem ehernen Griffel kaum zu folgen vermag. Seit ich meinen ersten Bericht in den Kasten des Postboots steckte, hat die Flotte Courbet's die chinesische in den Sand gestreckt und die ganze Küste in ein Aschenmeer verwandelt. Alle Tuschfabriken, Theehäuser, Chinasilbergruben, Nankingwerkstätten, Zopfmagazine und Chininhandlungen, kurz, die 102 ganze Industrie des Uferlandes ist vernichtet. Die Batterien des Min-Flusses schossen unter der Kanone und sind zum Schweigen gebracht. Die chinesische Flotte hat in's Seegras gebissen. Die berühmte chinesische Mauer widerstand kaum zehn Minuten, die Feuerschlünde der Franzosen gähnten sie in Trümmer. Die fliehenden Bewohner kamen nicht weit, da sie auf ihren verkrüppelten Füßen nicht ordentlich laufen konnten, sie wurden von den französischen Spitzkugeln eingeholt und zu Dutzenden an den Rand des Orkus gebracht. Die Chinesen dauern mich. Sie sind ein gutes Volk. Noch hat Keiner behauptet, die Franzosen hätten ihnen die Pendulen gestohlen, oder Li-Fong-Pao habe sie verrathen. Sie sind auch durchaus nicht muthlos, denn sie wissen, daß die Franzosen keine Armee an's Land setzen können, um ihnen die Friedenspfeife zu dictiren.

Die Franzosen sind von ihrem Erfolg so berauscht, daß sie sich kaum auf den Beinen halten können. In diesem Zustand reden sie sich ein, daß sie die ganze chinesische Armee in zwei chinesischen Festungen einschließen und den Kaiser am 2. September gefangen nehmen werden. Sie sind wirklich enfants, wie sie sich in der ersten Zeile der Marseillaise nennen.


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