Julius Stettenheim
Wippchen's sämmtliche Berichte, Band 4
Julius Stettenheim

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8 Der orientalische Frieden.

Herrn Wippchen in Bernau.

Ihr zweiter Bericht aus Madrid zeigt nur zu deutlich, daß der Stoff völlig erschöpft ist. Der öffentliche Lärm hat ruhiger Ueberlegung weichen müssen, und alle Ihre Bemühungen, Interessantes zu melden, scheitern an der vorhandenen Thatsache, an dem alten Erfahrungssatz, daß nichts so heiß gegessen wird, wie es gekocht auf den Tisch kommt. Wir würden nun trotzdem Ihren Bericht als ein sehr kurzweiliges Stimmungsbild zum Abdruck gebracht haben, wenn Sie in dasselbe nicht so bestimmte Nachrichten über die Vermittelungsversuche des Papstes hineingeflochten hätten. Lösten wir diese als unmöglich wieder heraus, so blieb von dem Bericht blutwenig übrig. Aber unmöglich waren diese Nachrichten aus dem Vatikan, sie machten den Eindruck, als bildeten 9 Sie sich ein, der Papst werde Ihre Entscheidung treffen. Es frägt sich indessen, ob abgesehen von jedem anderen Bedenken der Papst überhaupt seine Vorschläge wird anbringen können, nachdem die direkten Verhandlungen zwischen Deutschland und Spanien fast bis zum Abschluß fertig geführt worden sind.

Aller Augen sind augenblicklich auf den Orient gerichtet. Hier bietet sich Ihnen ein ergiebiges Feld, ein Feld, auf dem Sie vor 8½ Jahren Ihre Thätigkeit begonnen haben. Lassen Sie uns von dorther bald von sich hören.

Ergebenst

Die Redaktion.

* * *

Bernau, den 22 October 1885.

Sie scheinen zu glauben, daß die Eier des Columbus dutzendweise auf der Straße liegen, man brauche sie nur aufzuheben. Dies ist aber durchaus nicht der Fall, und wenn ich in meinem jüngsten Bericht die Entscheidung des Papstes in Sachen der brennenden Karolinen bei den eigens zu diesem Zweck erfundenen Haaren herbeiführte, so können Sie daraus ersehen, daß ich in dieser Woche an Stoffen so arm war, 10 daß keine Kirchenmaus Lust gehabt hätte, in meiner Haut zu stecken. Das ist im Leben eines Correspondenten nun einmal nicht anders. Gestern flogen ihm die gebratenen sieben fetten Kühe in den Mund, heute gehen sie ihm aus der Nase, und morgen hat er nur noch mageres Rindvieh im Auge. Er muß also – verzeihen Sie das harte Wort! – zugreifen, und wenn sich ihm das kleinste Rhodus bietet, sofort mit seinem Salta bei der Hand sein. Wenn der Muse Klio viel passirt, wenn ihre Tafel sich unter der Last der Ereignisse beugt, dann braucht sich der Correspondent, selbst wenn er Kahlkopf ist, keine grauen Haare wachsen zu lassen; die Kunst besteht darin, daß er in stillen Zeiten, wenn weit und breit kein Wölkchen die herrschende Ruhe unterbricht, einen Stoff für einen interessanten Bericht wie einen lupus ex machina hervorzaubert. Als Nero auf einem Thurm deklamirte und dies gräßliche Schauspiel mit dem brennenden Rom beleuchtete, da war es wahrlich leicht, mehrere Spalten damit zu füllen, ich glaube aber, daß ein richtiger Correspondent anderen Aufgaben wie kein Kraut gegen den Tod gewachsen sein, kurz, wie ich, auch in ruhigen Zeiten stets mit einem sensationellen Bericht aufwarten muß. Darum sandte ich Ihnen die Entscheidung des Papstes, welche Sie natürlich in den Papierkorb ablehnten.

Warum thaten Sie das? Wer konnte wissen, daß das Dokument nicht aus dem Vatikan stammte, sondern vom Schnabel bis zum Schwanz eine Ente war? Es mußte doch 11 erst in das Italienische übersetzt und dann dementirt werden. Bis dahin aber war mein Dokument bereits in allen Zeitungen wie ein Lauffeuer nachgedruckt, hatte viel Staub auf- und abgewirbelt und der Zweck war erreicht. Das ist nun alles zu dem geworden, was Pindar irrthümlich als das Beste erklärt, zu Wasser und lediglich dadurch, daß ich Ihnen den Papierkorb nicht höher hängen kann. So habe ich denn wieder einmal meinen Caviar vergeblich für das Volk geschrieben. Ich fühle, daß dies unhöflich klingt. Doch ich kann nicht anders. Was ein Bückling werden will, krümmt sich bei Zeiten, ich aber habe von meinen Ammenbeinen an stets die Offenheit geliebt und stets den Stier bei den Hörnern und das Kind beim rechten Namen genannt.

Heute sammele ich wieder einmal feurige Kastanien auf Ihrem Haupte und sende Ihnen darüberstehend das, was Sie wünschen. Wie Sie sehen, denke ich nicht daran, den orientalischen Krieg von Neuem herauf zu beschreiben, hoffe vielmehr, daß Mars ein Einsehen haben und nicht ausbrechen wird. Also vor 8½ Jahren war es, als ich für Sie den orientalischen Krieg begann! Wie der Lauf der Zeit verschwindet! Ich möchte in meinem Album eine Erinnerung an diese Jahre errichten und bitte Sie daher um einen Vorschuß von neun neuen Fünfmarkscheinen, welche genau eine Seite füllen würden.

* * *

12 Konstantinopel, den 20. October 1885.

W. So bin ich denn wieder in der Hauptstadt der unterschlagenen Beine, der betäubenden Nargilehs und der krummen Säbel. Gestern ankommend, stieg ich diesmal im kranken Mannhof ab, da ich die übrigen Hôtels, Gasthöfe, Absteigequartiere, Garnis und Ausspänne von Botschaftern in Beschlag genommen vorfand. Dieselben sind sämmtlich auf einen sich hinziehenden Aufenthalt gefaßt. Keiner nimmt an, daß sich der vorhandene gordische Knoten so bald in einen gebildeten Salonmenschen verwandeln wird. Die orientalische Frage – das ist ja gar keine mehr – hat sich verwickelter gestaltet, und ich möchte sie ein Verwickelkind der europäischen Diplomatie nennen. Wenn die Türkei jetzt noch ihre Nase vor der Lunte, die ihr Europa bereiten will, verschließt, so ist die Arme allerdings verloren und ihr nicht mehr unter dieselben zu greifen. Ich möchte das Verhältniß der europäischen Staaten zum türkischen Reich mit dem der Theaterdirektoren zu dem Bühnendichter vergleichen: jeder will ein Stück von ihm haben. Werden die Türken diesem Ansturm wieder und immer widerstehen? Das ist die eigentliche orientalische Frage.

Um so ausfallender ist die Sorglosigkeit des Sultans. Gestern Abend flanirte ich durch die Stadt. Plötzlich weckten mich Unwohlgerüche aus meinen Träumen, ich war nasenscheinlich nach Pera gelangt. Da kam der Sultan dahergefahren, gefolgt von schlechtgerechneten 70 Frauen, mit 13 denen er in das Theater fuhr, wo »die Bastonnade« gegeben wurde. Auf jedem Kutschbock saß ein Eunuche, bereit, Jeden über den Haufen zu verhaften, der es wagen würde, eine der besseren Viertel des Sultans mit einem Selam oder einem ähnlichen zärtlichen Thier zu belästigen. Der Sultan, lang wie eine Winternacht, sah sehr wohl und vergnügt aus und machte den Eindruck, als lebe er wie Allah in Frankreich und sein Staatsschatz sei voll Moses und Mahomeds. Er steckt förmlich seinen Straußenkopf in den Sand, glaubend, nun könne er denselben und seinen Kragen nicht verlieren.

Die Botschafter versammeln sich täglich. Sechs Sitzungen sind damit ausgefüllt worden, daß sie festzustellen suchten, ob sie eine Konferenz, eine Reunion, ein Kränzchen, einen Kongreß, eine Besprechung, ein Stelldichein, oder nur einen einfachen Stammtisch bilden sollten. Endlich entschieden sie sich für eine Reunion.

Aus diesen Sitzungen sind etliche Anekdoten zu melden.

Der deutsche Botschafter wollte eben neben dem Spanier Platz nehmen, als dieser anfing, von den Karolinen zu sprechen. »Nun«, sagte der Deutsche, »beruhigen Sie sich, wir werden uns auseinandersetzen.« Sprach's und setzte sich an die andere Seite des Hufeisens.

* * *

Es hatte sich eine Gruppe aus den Botschaftern Serbiens, Griechenlands, Rumäniens und Bulgariens gebildet, es fehlte weder Tutti noch Quanti. Sie pourparlerten sehr eifrig, 14 als der türkische Botschafter an sie herantrat und sagte: »Meine Herren, was Sie auch von der Türkei haben wollen, ich bitte um Gerechtigkeit.« Und die Herren antworteten wie aus Einer Lippe: »Selbstverständlich, jedem Suum Ihr Cuique!« Der Türke zog seinen Roßschweif ein und entfernte sich nachdenklich.

* * *

Vor einigen Tagen war Ball im »Goldenen Horn.« Der Sultan tanzte mit nur 87 seiner Frauen den ersten Walzer, da sich etwa 45 mit Migräne hatten entschuldigen lassen. Als eine der Frauen des Sultans dem österreichischen Botschafter besonders gefiel und er ihr sehr auffallend den Hof raspelte, trat der Beherrscher des osmanischen Reiches auf ihn zu und schenkte ihm nach orientalischer Sitte diese Dame. Man denke sich die Verlegenheit des Beschenkten, der verheirathet ist! Es blieb ihm nichts weiter übrig, als sie beim Fortgehen dem Diener, der ihn aus der hohen Pforte herausließ, als Trinkgeld zu geben, er nahm sich aber vor, nie mehr eine der Frauen des Sultans schön zu finden.

Der Ball verlief sehr glänzend. Die Türken tanzten in prachtvoll gestickten Pantoffeln. Der Saal war mit 155 Rosenöllampen sehr wohlriechend erleuchtet, und es wurde auf echten türkischen Teppichen getanzt. Als der Sultan dem französischen Botschafter nach Tisch einen Roßschweif verlieh, lehnte dieser mit den Worten ab: »Merci, mein Pferd hat schon einen.« Tableau.

* * *

15 In der Frühstückspause der gestrigen Berathung wurde darüber gesprochen, daß man an Stelle Konstantinopels besser eine Stadt in einem neutralen Lande für die Reunion der Botschafter gewählt hätte. »Ja«, sagte der Vertreter Deutschlands, »der Fürst Bismarck wollte Schaffhausen vorschlagen, aber mit Rücksicht auf die kleinen Balkanstaaten unterließ er es.«

»Und weshalb?« fragten alle Botschafter.

»Nun«, antwortete der Deutsche, »er glaubte, der Rheinfall wäre ihnen fatal.«

Alle lachten herzlich, denn Keiner hatte den Scherz verstanden.

* * *

Man sieht, daß die politische Ausbeute, wenn auch nicht gleich Null, so doch fast gleich ½ ist. Ich muß mich mit beiden Händen in Geduld fassen. In den nächsten Tagen wird aber die Geschichte in den bekannten Fluß kommen, und es wird sich entscheiden, ob die blutigen Würfel fallen oder steigen werden. Hoffen wollen wir, daß Europa nicht abermals in einen unabsehbaren Mars hineingezogen wird.


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