Julius Stettenheim
Wippchen's sämmtliche Berichte, Band 4
Julius Stettenheim

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49 II.

Herrn Wippchen in Bernau.

Wir begreifen wirklich den Eifer nicht, welchen Sie in der Aufstellung von immer neuen Erben des Braunschweigischen Thrones entwickeln. Es wäre sehr liebenswürdig von Ihnen, wenn Sie diesen Gegenstand verließen und dafür die Berichte über die Kongo-Konferenz fortsetzten. Weshalb machen Sie sich so viele Sorge wegen einer sich jedenfalls sehr natürlich entwickelnden Frage? In Briefen und auf Correspondenzkarten überschütten Sie uns mit Nachfolgern des seligen Herzogs, so daß wir deren schon 35 zählen, und Sie lassen es auch nicht an Vorschlägen fehlen, wie das Land anderweitig an den Mann zu bringen sei, und schlagen u. A. vor, Braunschweig demjenigen Fürsten zu überlassen, »welcher die wenigsten Steuern bietet.« Das ist ein 50 unfruchtbares Suchen. Nochmals: Wenden Sie sich wieder der Kongo-Konferenz zu, die doch den Vorzug hat, die Leser zu interessiren.

Ergebenst

Die Redaktion.

* * *

Bernau, den 20. November 1884.

Sie haben mich in Ihrem jüngstgeschätzten Schreiben wieder derart auf den Fuß getreten, daß ich froh sein mußte, mit blauem Hühnerauge davongekommen zu sein. Sie stellen mein Licht, mit dem ich einen Braunschweigischen mehr oder weniger Großherzog suche, geradezu über den Scheffel und ziehen es in das beliebte Lächerliche. Mit Unrecht. Ich sehe einen Thronsessel ungemein leer stehen und suche ihn zu füllen. Das ist des Berichterstatters erste Pflicht, und Sie werden auch keine Zeitungsspalte öffnen, ohne daß Ihnen ein neuer Thronfolger wie ein Grand-Duc ex machina daraus entgegenspringt. Kann es denn anders sein? Die Braunschweiger haben den Landesvater verloren, es sind Waisen, die nicht einmal etwas geerbt haben. Und von der Suppe, die ihnen der Herzog da eingebrockt hat, können sie doch nicht leben. Wahrlich, Sie scheinen nicht zu wissen, was es heißt, Bürger eines Landes zu sein, das 51 keinen Vater hat, der für das tägliche Scepter sorgt und ihre Blöße mit dem Purpur bedeckt. Ein solcher Zustand ist beklagenswerth und unhaltbar, wenigstens – verzeihen Sie das harte Wort! – auf die Dauer. Da hat es Eile, ihnen einen neuen Landesvater oder, wenn nicht einen solchen, so doch wenigstens einen Landesjunggesellen zu geben. Ein Landescurator, wie Braunschweig ihn jetzt in dem Regentschaftsrath besitzt, ist doch nur ein vielköpfiger Nothnagel, an den sich ein Volk unmöglich hängen kann.

Nach meinem Dafür- und Dawiderhalten ist aber ein leer stehender Thron auch etwas recht Gefährliches, denn er erweckt in Jedem, dem der Storch an der Wiege den Landesvater vorgesungen hat und der in Folge dessen auf einen grünen Herrscherzweig zu kommen sucht, das Begehren, ihn zu besteigen. Ich kann es Keinem übelnehmen. Denn es muß herrlich sein, Morgens gleich nach dem ersten Frühstück die Zügel der Regierung zu ergreifen, während des größten Theils des Tages das Staatsschiff durch directes und indirectes Steuern an den Klippen der Zeitströmung vorüberzulenken und Abends, wenn man den Schlafpurpur anzieht und die Stiefel vor die Thür des Thronsaals stellt, sein Haupt wie der Graf Eberhard im Bart in alle Schichten der Bevölkerung legen zu können. Und die Macht als solche hat doch auch etwas Verlockendes. Wie stolz muß der Gedanke machen, daß man Jedem, der uns Gesichter schneiden will, die Scheere confisciren, Jeden, der uns an den Kragen 52 des Hermelins will, zwingen lassen kann, die Faust im Sack und in der Asche zu ballen. Diese Macht zu erlangen, werden sich immer Fürsten finden, welche kalt stehen und sich für einen vakanten Thron erwärmen und die es sich in den Kopf setzen, diesen mit einer Krone zu schmücken. Die Folgen sind nicht abzusehen, und eher, als man glaubt, steht der Bürgermars vor der Thür des weitgeöffneten Janustempels.

Unter solchen Betrachtungen habe ich wie der griechische Tonnendenker in allen Ecken und Winkeln nach einem Manne gesucht, welcher mir geeignet erschien, Braunschweigs Thron auf seine Schultern zu nehmen. Und Sie warfen mir die passendsten Prätendenten massenhaft in den Papierkorb!

Nun wende ich mich allerdings wieder zur Kongo-Konferenz, die ich übrigens, beiläufig bemerkt, bald zu schließen gedenke. Ich habe mir von derselben zwar viel Interessantes versprochen, aber ich glaube, sie hält mein Versprechen nicht.

Und wie viel Vorschuß ich wünsche? Sie nehmen mir das Wort vom Munde. Senden Sie mir gefälligst 40 Mark, bescheidener können Sie doch wohl nicht sein.

* * *

Berlin, den 19. November 1884.

W. Als ich in der Stunde der Eröffnung der Kongo-Konferenz in der Wilhelmstraße und zwar im Gehrock – so hatte der Fürst Bismarck auch für die im Wagen Erscheinenden verfügt – erschien, war die Straße – meine 53 Uhr schlug 2 Uhr Nachmittags – gedrängt leer. Nur vor dem Reichskanzlerpalais hatten viele Neugierige derart einen Posto gefaßt, daß sie ihn trotz der kalten Witterung nicht losließen. Allmälig rollten die Vertreter der beiden Halbkugeln heran. Keine Uniform wurde laut, nur die Orden kündeten aus voller Brust an, daß sich hier die Großen und Auserlesenen in Hufeisenform zusammenfanden.

Die Herren begaben sich in den historischen Saal, in welchem im Jahre 1878 der Kongreß abgehalten wurde, einen dauernden Frieden zwischen Rußland und der Türkei herzustellen.

Noch vor dem Beginn der Sitzung zeigte sich der Fürst Reichskanzler als der Staatsmann, dem unter den Diplomaten dieses Planeten der erste Platz gebührt. »Meine Herren«, sagte er klingelnd, »setzen Sie sich nach dem französischen Alphabet«. Und nun rief er: »Abyssinie! Achanties! Afghanistan! Afrique! Albanie! Alger!« und kein »Hier!« ertönte, denn diese Länder waren einfach nicht eingeladen. Nun rief er weiter nach dem Alphabet: »Allemagne!« und setzte mit seinem Lächeln hinzu: »Me voilà!« und so war er denn der Erste. Und Ausrufe der Bewunderung entrangen sich der Brust aller Anwesenden, und die sonst so stolzen Männer ließen kein Knie ungebeugt.

Nun setzte man sich. Da gab es denn allerlei zu ordnen. England wollte neben Deutschland sitzen, indem Sir Malet behauptete, er vertrete Angleterre, müsse also zwischen Allemagne und Autriche-Hongrie Platz nehmen. 54 Aber der deutsche Reichskanzler befahl, er vertrete Grande Bretagne und sitze somit zwischen den zwei Stühlen France und Italie. Ein reizender Einfall. Rußland wollte keiner der Letzten sein und nicht als Russie zwischen Portugal und Suède sitzen, und Graf Kapnist rief: »Ich vertrete den Colosse und zwar den mit thönernen Füßen, also muß ich zwischen Belguique und Danemark placirt werden!« Aber der Fürst wollte nur groß beigeben und zeigte mit stummem Finger, gegen den es bekanntlich kein Löken giebt, auf den Sessel zwischen Portugal und Schweden, worauf der Russe sich fügte. Selbst Amerika hatte ein Aber, Mr. Kasson wollte sich als Amérique neben Allemagne setzen. Der Reichskanzler ergriff indeß das englische Wort und sagte: »Sie vertreten die Etats-unis und haben Ihren Stuhl also zwischen Espagne und France.« Der Gesandte verstummte, schwieg und setzte sich, ohne ein Wort zu reden, sprachlos auf den angewiesenen Platz.

So war denn jedes Einzelnen Wunsch voll und ganz befriedigt, und so wird es hoffentlich auch bis zum Schluß des Kongresses bleiben. In diesem Sinne eröffnete jetzt der Reichskanzler die erste Sitzung mit einer bedeutsamen Rede, die er mit den Worten schloß: »Und nun, meine Herren, eine Bitte betreffs unserer Verhandlungen. Wer von Ihnen einen reinen Mund hat, der halte ihn. Wer Schweigen besitzt, der breche es nicht. Wer sich eines Herzens erfreut, der trage es nicht auf der Zunge!«

55 Es trat dann eine Frühstückspause ein. Neben dem Sitzungssaal befindet sich eine kalte Küche, in welcher die Kongreßmitglieder von den herrlichsten Leckerbissen bedroht waren. Der Fürst Reichskanzler war der liebenswürdigste Wirth, den man sich denken kann. Zu dem englischen Botschafter sagte er: »Greifen Sie zu, Excellenz, die Engländer sind ja bekanntlich große Kongourmands.« Dem Angeredeten blieb vor Lachen fast die Gabel im Putenbraten stecken. Dann reichte der Reichskanzler dem österreichischen Botschafter, Sr. Excellenz dem Grafen Széchényi, eine Schüssel mit den fröhlichen Worten: »Nehmen Sie, Autriche, ich weiß ja, Hongrie thut weh.« Hierauf schenkte sich der Fürst ein Glas Burgunder ein und sagte zu dem französischen Botschafter, Baron de Courcel: »Wenn der Wein auch sehr stark ist, ich werde das Glas mores leeren.« Und er that es, nachdem er mit dem Angeredeten angestoßen hatte.

Ueber den Fortgang der Verhandlungen in meinen folgenden Berichten.


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