Julius Stettenheim
Wippchen's sämmtliche Berichte, Band 4
Julius Stettenheim

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56 III.

Herrn Wippchen in Bernau.

Ihre Konferenzberichte haben, so weit wir dies beurtheilen können, in unserem großen Leserkreis eine sehr freundliche Aufnahme gefunden, da dieselben sehr ausführlich waren und den Eindruck machten, daß Sie persönlich betheiligt waren oder aus bester Quelle schöpften. Es erschien uns daher nicht richtig, daß Sie plötzlich abbrachen und uns einen Artikel schickten, den Sie »Die Spree-Konferenz am Kongo« betitelten und den wir unmöglich abdrucken konnten. Was sollte denn diese merkwürdige Abschweifung eigentlich bedeuten? Sie erzählen dem Publikum von einer Spree-Konferenz, zu welcher die Vertreter der Negerfürsten Afrikas zusammengetreten sind, um über die Maßregeln zu berathen, welche wegen der Kongo-Konferenz zu ergreifen sein werden. Sie machen eine Anzahl schwarzer Staatsmänner namhaft, (»im 57 Gehfeigenblatt«, wie Sie sich ausdrücken, um den Gegensatz zum Gehrock festzustellen,) welche in Kamerun »im Reichshäuptlingszelt in Hufeisenform« auf der platten Erde sitzen und höchst ernsthaft darüber debattiren, wie Afrika sich den europäischen Mächten und Amerika gegenüber zu verhalten habe. An die Wahrheit dieser Darstellung auch nur entfernt zu glauben, sind die Leser denn doch nicht naiv genug, das werden Sie bei ruhiger Ueberlegung wohl einsehen.

Seien Sie darum so freundlich, sich an das Gegebene zu halten, indem Sie sich ausschließlich mit der Kongo-Konferenz befassen.

Ergebenst

Die Redaktion.

* * *

Bernau, den 4. Dezember 1884.

Des lieblichen Knaben willen, der am ruhigen Bach gelagert liegt, gebe ich Ihnen Recht. Greifen Sie zu, ich gebe es Ihnen gerne. Wozu auch das Tischtuch zwischen uns, das ja genau genommen nichts verschuldet hat, zerschneiden? Ich will nicht eigensinnig sein, um so weniger, 58 als ich überhaupt friedlicher Natur bin, keiner Tänzerin ein Bein krümme, und im Vergleich mit Shylock stets ein Vegetarianer war. So sehr liebe ich meine Mienen denn doch nicht, daß ich auch nur eine einzige verziehe, wenn mir, wie in dem vorliegenden Fall, mit einiger Berechtigung ein Tadel ertheilt wird. Ich sehe ein, daß die von mir am Kongo eröffnete Spree-Konferenz wenig Glauben verdiente. Mit großem Unrecht. Nachdem die nackten Afrikaner die Europäer angezogen haben, kann es ihnen doch Niemand krumm, so muß es ihnen im Gegentheil Jedermann gerade nehmen, wenn sie sich jetzt zusammenthun und empfindliche Rathschläge austheilen. Nichts wäre natürlicher als dies. Von allen Seiten eilte man nach Afrika und schnitt sich ein Stück ab. Portu- und Nachtigal waren die Ersten. Ist Afrika deshalb vogelfrei, weil der deutsche Generalconsul Nachtigal heißt? Jupiter hatte diesmal die Nachtigalmaske gewählt, um die Afrika zu entführen, wie er sich einst der Larve eines Stiers bedient hatte, um Europa zu besitzen und so seiner Lust an Liaisons die Hörner aufzusetzen. Nachtigal kam mit einer Kiste voll Flaggen an, die er überall einpflanzte. Diesen flagranten Besitzergreifungen folgten solche aller anderen Reiche, und eines schönen Tages sah sich ein großer Theil des schwarzen Welttheils von den Fremden auf das Tiefste ergriffen.

Da lag nichts näher als eine Konferenz, und sofort setzte ich eine solche aus den Vertretern aller Küsten und Kasten Afrikas zusammen und eröffnete sie flugs, damit 59 keiner meiner Collegen mir meinen wohlerworbenen Rang ablaufen konnte. Mein wenn nicht blinder, so doch kurzsichtiger Eifer sah aber natürlich wieder einmal nicht, daß Sie schon bereit standen, mir den bekannten Strich, auf dem Sie meine außergewöhnlichen Ideen haben, durch die Rechnung zu machen. Und so habe ich denn einen ganzen Abend damit zugebracht, in den Tag hinein zu schreiben. Also keine Spree-Konferenz am Kongo, sondern nur eine Kongo-Konferenz an der Spree. So sei es denn, aber gerecht ist es gewiß nicht. Das nenne ich eine Göttin der Gerechtigkeit, welche einen zu viel hinter ihre Binde gegossen hat, so daß sie die Sachen nicht mehr nüchtern betrachtet. Ich werde niemals zugeben, daß es Recht ist, für einen Strom eine Konferenz stattfinden zu lassen, sie aber einem andern nicht zu gewähren. Die armen Afrikaner können nun auf gleiches Recht warten, bis sie – verzeihen Sie das harte Wort! – weiß werden!

Der Winter ist gekommen, das Eis steht in voller Blüthe, überall wogende Schneefelder, und die Zweige beugen sich unter der Last der reifen Flocken. Lustige Krähenlieder wecken das Echo in den Wäldern, und das Murmeln der Schlittenglocken belebt das stille Thal. Unter den glühenden Strahlen des Ofens blicke ich in die Holz- und Kohlenrechnung und träume von dem kommenden Vorschuß, um den ich Sie bitte. Verwirklichen Sie diesen schönen Traum durch Zusendung von 50 Mark.

* * *

60 Berlin, den 3. Dezember 1884.

W. Ich habe Mancherlei nachzutragen.

Die dritte Sitzung fand am Sonnabend statt und war sehr stürmisch. Portugal ist unersättlich. Sein Appetit wächst der Konferenz über den Kopf, und wie der Löwe, welcher Blut geleckt hat, nun auf jeder Giraffe, welche sich an der Lagune blicken läßt, einen Ritt machen möchte, bis nichts mehr von ihr übrig ist, so verlangt Portugal täglich mehr. Der Marquis de Penafiel behauptete, die Portugiesen seien zuerst in Afrika gewesen, und sie müßten daher das größte Stück bekommen. Die übrigen Konferenzmitglieder murrten, und der Fürst Reichskanzler klingelte, daß er seine eigene Glocke nicht hören konnte. Endlich schaffte er Ruhe und sagte, Portugal käme Allen spanisch vor, es müsse doch wissen, daß Afrika nicht zerstückelt werden, sondern zusammenbleiben und Allen gemeinsam gehören solle. Nun erbat sich der Gesandte das Wort zu einer persönlichen Bemerkung und sagte: »Ich –«. Doch der Reichskanzler unterbrach ihn. »Das ist nicht persönlich,« meinte er, und so war die Tagesordnung erschöpft.

Nach Schluß der Sitzung begaben sich sämmtliche Mitglieder zu einem ihnen zu Ehren stattfindenden Festmahl, bei welchem Mr. Stanley eine Rede halten wird.

* * *

61 Am Montag fand keine Sitzung, sondern nur ein Festmahl statt, bei welchem Mr. Stanley sprach.

* * *

In der Versammlung am Montag wurde ein Schreiben des Herzogs von Cumberland verlesen, in welchem derselbe sich darüber beschwerte, daß er bei der Einladung übergangen worden sei, und bitte er daher, ihm als Gmunden nachträglich einen Stuhl zwischen Grande Bretagne und Italie einzuräumen. Darüber lachte Schweden so, daß es beinahe an das neben ihm sitzende Rußland gefallen wäre, und ebenso schüttelte sich Danemark derartig vor Gelächter, daß ihm Espagne, galant wie immer, den Bauch hielt.

Nach Schluß der Sitzung fuhren sämmtliche Länder zu einem ihnen zu Ehren stattfindenden Festmahl, bei welchem Mr. Stanley das Wort ergriff.

* * *

In der Dienstagssitzung drehte sich die Debatte um das Nigergebiet, welches Frankreich und England so beati sind, als possidentes schon längere Zeit zu besitzen. Natürlich sehen sie in jedem auf der Konferenz vertretenen Reich einen Eindringling, obschon sie ja selber Zweidringlinge sind. Hier könnte also möglicherweise ein Rhodus liegen, wo der Tanz losgeht, besonders für die Franzosen, die ja jedem Knotenschürzen nachlaufen, und auch die Engländer scheinen gewillt, 62 der Shylockung nicht zu widerstehen, indem sie nicht mit sich reden lassen. Ohne Zweifel wird es aber doch der Klugheit des Fürsten Bismarck gelingen, den Ariadnefaden, der allerdings jetzt noch zu einem gordischen Knoten verwirrt ist, zu finden und mit demselben, ein zweiter Theseus, den Minotaurus des Conflikts zu knebeln. Die Schwierigkeit verkennt er allerdings nicht. Einmal zeigte er auf die Landkarte von Afrika und sagte: »Hic Niger est!«

Dann wurde die Sitzung geschlossen, und die Mitglieder begaben sich in einem glänzenden corpore zu einem ihnen zu Ehren arrangirten Festmahl. Als ich dasselbe verließ, sprach Mr. Stanley noch.


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