Julius Stettenheim
Wippchen's sämmtliche Berichte, Band 4
Julius Stettenheim

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116 Die griechisch-türkische Krisis.

Herrn Wippchen in Bernau.

Nachdem wir Ihnen, leider lange vergeblich, eine Reihe von Mahnbriefen geschrieben hatten, um Sie zu veranlassen, nicht ganz zu vergessen, daß wir um Berichte aus Ihrer Feder verlegen sind, erhielten wir endlich von Ihnen die Darstellung des ersten Kampfes zwischen den Griechen und Türken. Aber diese Darstellung ist nichts als eine obenein nicht ganz gründliche Bearbeitung der Heldenscene, welche uns die Geschichte als Schlacht bei Thermopylä überliefert hat, nur daß statt der Perser die Türken die Schaar des Leonidas aufreiben. Dieses historische Kapitel 117 scheinen Sie überhaupt zu bevorzugen. Aber, wenn Sie gefälligst bedenken wollen, daß dasselbe jedem Schüler bekannt ist, so dürfen Sie uns nicht zumuthen, es unseren erwachsenen Lesern mit geringen Aenderungen aufzutischen. Wir lassen es daher ungedruckt.

Da mittlerweile der erwartete Conflikt zwischen Griechenland und der Türkei ausgebrochen ist, so werden Sie uns hoffentlich umgehend einen Bericht schicken, aus dem wir Sie bitten, die griechischen Wörter fortzulassen, die jeder halbwegs gebildete Leser doch sofort als eine Buchstabenspielerei erkennen wird. Wenn Sie z. B. in dem oben erwähnten Bericht Alpha-Delta! statt Ade! statt I geh! einfach Jota-Gamma! sagen, wenn Sie ferner erzählen, das Stubenmädchen Mi-Alpha (also Emma) habe Ihnen eine Tasse Teta auf Ihr Zimmer gebracht und, als sie Sie bei der Toilette fand, einen Spiritus asper! also ein Ha! ausgestoßen und sei geflohen, wobei sie gesagt habe, das sei ihr seit einer Delta-Kappa-Delta, d. h. seit einer Dekade nicht mehr vorgekommen, so eignen sich derlei Scherze wohl für den 118 Stammtisch, aber doch keinenfalls für einen ernsten Bericht.

Wir grüßen Sie

ergebenst

Die Redaktion.

* * *

Bernau, den 13. Mai 1886.

So hätte ich abermals tauben Ohren geschrieben und mir einen Papierkorb geholt! Aufrichtig gestanden und gesessen, ich hätte eher geglaubt, daß das lenkbare Perpetuum mobile erfunden würde, als daß Sie sich an dem Engpaß von Thermopylä stoßen könnten. Mit einem Hyperfluß an Worten suchen Sie mir zu beweisen, daß diese Schlacht nichts als ein bunter Hund sei, auf welchen schließlich jeder Schüler komme. Als ob ich das nicht wüßte! Aber gerade aus diesem kühlen Grunde habe ich meinem Bericht diesen Engpaß mit auf die Reise gegeben, und ich kann Ihnen nur versichern, daß ich das Licht bedauere, in welchem Sie sich selbst gestanden haben. Sie haben wieder einmal mit Kanonen auf vermeintliche Feld- und andere Lerchen geschossen.

Denn das Lesepublikum, welches die Thermopylen gewissermaßen mit der Lehrermilch eingesogen hat, hält sich 119 für ungemein gebildet, wenn es etwas liest, was es schon kennt. Ebenso wie Thermopylä ist dem Leser der König Leonidas, der die schönen Hellenen anführte, ein geflügeltes Wort, wie etwa Pegasus. Nichts ist dem Leser so unwillkommen, als der neue Name eines fremden Ortes oder Menschen, und wenn ihm ein solcher bei der Zeitungslektüre begegnet, so prägt er sich denselben aus, um sein Gedächtniß nicht mit unnützem Ballast zu beschweren. Die modernen Menschen sind nun einmal nicht wie die ältesten Griechen, welche sich bekanntlich nicht erinnerten, jemals die Iliade oder die Odysse vergessen zu haben. Sie schüttelten diese beiden viele hexameterlangen Lieder des sechsfüßigen Homer einfach aus dem Stegreif, während wir kaum »die Wacht am Rhein« aus- und einwendig herzusingen wissen. Oder wollen Sie das etwa bestreiten?

Ich hatte also beschlossen, Ihnen in dem ohne Zweifel zwischen dem Sultan und Sr. Basileus dem König von Griechenland drohenden Kriege nur solche Schlachten zu liefern, welche Ihre werthen Leser bereits in der Schule auswendig gelernt haben, und die sie also mit allen darin vorkommenden Namen heute noch wenigstens oberflächlich kennen So wollte ich der Schlacht bei Thermopylä die bei Salamis und so fort folgen lassen, und Ihr Leserkreis hätte sich wie ein Kind darüber gefreut.

Sie sind – verzeihen Sie das harte Wort! – anderer Meinung, und so werde ich denn gezwungen sein, andere 120 Saiten aufzuziehen und mit Berichten zu füllen. Das wird mir hoffentlich gelingen, wenn ich das Talent dazu habe.

Ja, das Talent. Ein Talent ist circa 6000 Mark. Wenn Sie nun so freundlich wären, mir auch nur 1/60 Talent als Vorschuß zu senden, so wäre ich dem Briefträger, der mir diese Summe bringt, sehr dankbar.

* * *

Athen, den 11. Mai 1886.

W. Wie ein Blitz aus heiter geschütteltem Aegisschild fuhr die Nachricht auf mich nieder, daß die Griechen sich auf den Hinterbeinen gegen die mächtige Türkei erhoben hatten. Ich hatte das vorausgesehen, aber wo ich meinen Prophetenblick laut werden ließ, wurde ich homerisch ausgelacht. Nun steht Europa plötzlich vor dem ausbrechenden Mars und sieht am Horizont einen schwarzen punctum saliens nach dem anderen auftauchen.

Ich bin nach einer beschwerlichen Reise gestern hier angelangt und im »Delphischen Orakel« abgestiegen. Kaum fand ich hier noch auf einem Dreifuß Platz, so überfüllt ist dieses wie jedes andere Hôtel von hellenischen Jünglingen, welche von allen Seiten der Halbinsel herbeieilen, um sich in den geöffneten Janustempel zu stürzen. Alle schwören unaufhörlich, sich nicht eher einen Morpheus zu gönnen, bevor nicht der Türke, den Obolus im Munde, dem Kerberos 121 in die drei Rachen gejagt sei. Wer in dieser Stimmung zum Frieden mahnte, würde sich unzweifelhaft den Tartaros zuziehen.

Die Botschafter und Gesandten haben die Stadt verlassen, als der griechische Minister Delyannis erklärte, auf der türkischen Flotte solle kein Stein auf dem anderen bleiben, und die Danaiden sollten Fürstenblut statt Wassers in ihre Fässer schöpfen, wenn Europa nicht alle seine Forderungen erfülle, das heißt mit anderen Worten, Europa solle erst ein großes Feuer veranstalten, hierauf möglichst viele Kastanien hineinlegen und dieselben dann für Griechenland herausholen. Wie man sieht, ist Delyannis ein Autokrat ersten Ranges, der sich garnicht denken kann, daß Atropos eines schönen Tages den von ihm beschrittenen kriegerischen Pfaden ein jähes Ende mit ihrer Scheere bereiten könnte. Das Schlimmste ist, daß er schon zu weit gegangen ist und, wenn er jetzt die Segel, die er den Türken vorgeschrieben, wieder streichen wollte, vom Regen der Skylla in die Traufe der Charybdis geriethe.

Allzu scharf gespannt, das macht den Bogen eben schartig.

Die Griechen vertrauen leider zu sehr auf das Glück. Sie bilden sich ein, daß, wie einst, ein großer Sieg mit einem waffenstrotzenden Pferd errungen werden kann. Wie aber, wenn das Pferd nicht durchgeht?

Nun, wir werden ja sehen!


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