Julius Stettenheim
Wippchen's sämmtliche Berichte, Band 4
Julius Stettenheim

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85 II.

Herrn Wippchen in Bernau.

Sie senden uns einen mächtigen Artikel, überschrieben: »Der europäische Krieg«. Welch einen Wirrwarr richteten Sie an! Wir waren bei der Lektüre selbst einen Augenblick ganz bestürzt und konnten uns kaum von unserem Schreck erholen. Ueberall lassen Sie rüsten und marschiren. Nachdem Sie den zwischen England und Rußland ausbrechenden Krieg als einen vernichtenden geschildert haben, verwickeln Sie alle übrigen Nationen, keine einzige verschonend, in den furchtbaren Kampf, oder constatiren Sie doch wenigstens deren Marschbereitschaft. Wir geben gern zu, daß die Lage an der afghanischen Grenze eine sehr bedenkliche war, aber nun ist ja doch jede Gefahr beseitigt, und am allerwenigsten war die Situation eine solche, daß ganz Europa in Ihrer bekannten energischen 86 Weise in Flammen gesetzt werden mußte. Und wenn dies wirklich erwartet werden konnte, wie wollten Sie den Leser überzeugen, daß ein europäischer Krieg begonnen habe?

Indem wir Ihnen Ihren Bericht wieder überreichen, bitten wir Sie, sich an das Gegebene zu halten, und grüßen Sie

ergebenst

Die Redaktion.

* * *

Bernau, den 23. April 1885.

Der Neid ist eine der sieben Todsünden, welche mir fernliegt. Ich gönne Jedem das Weiße im Auge, zufrieden mit dem Zug, den mich Fortuna aus ihrem Horn thun läßt. Aber um etwas beneide ich Sie doch und zwar – verzeihen Sie das harte Wort! – um Ihre Vertrauensseligkeit. Wenn der Erisapfel etwas weit vom Stamm in den Saal des Peleus fällt, so sehen Sie in demselben keinen dem Frieden hingeworfenen Handschuh, sondern im Gegentheil Nichts, was irgendwie bedenklich wäre. Wenn die Wand, an der Sie schlafen, nicht glüht, dann bekümmern Sie sich nicht eher um die Asche, in welche das Nebenhaus gelegt wird, bis Ihnen das Feuer auf den Nägeln brennt. Ich 87 bin aber nicht aus dem Holz, aus welchem der Strauß geschnitzt ist, der, anstatt zu sehen, was um ihn her vorgeht, den Kopf derart verliert, daß er denselben in den Busch steckt. Das ist der kleine Unterschied zwischen uns Beiden, ich werde von einer argen Mißtrauensseligkeit beherrscht.

Der Konflikt zwischen England und Rußland erschien mir als ein Wink mit der Laternenflinte. Europa tanzte auf einem Damoklesschwert. Kein Mensch konnte sagen, ob der Lärm, den die englische Presse schlug, mit Blindheit geschlagen war, ob nicht die Haare, in welchen sich die beiden Großmächte lagen, ganz Europa ergreifen würden. Schlimm genug sah es aus. Es fehlte nur eine Kleinigkeit, und das Karnickel war fertig, es bedurfte nur eines Casus, und der Belli war allgemein. Der Krieg ist nie so eingekerkert, daß er nicht jeden Augenblick ausbrechen könnte. Das ist nur eine Frage der Zeit, und ich bin von dem Ausbruch eines europäischen Krieges überzeugt, wie vom Amen in der Kirche. Rußland ist wie Homer, von welchem man zuweilen glaubt, er schliefe, weil er nicht brüllt. Dieses ungeheure Reich verfolgt sein Ziel mit unerbittlichem Haß, und wenn es auch heute die Streitaxt in der Tasche ballt, so bin ich doch überzeugt, daß es morgen irgend ein Wässerchen trübt. Heute bonne mine, morgen mauvais jeu, das ist Rußlands Prinzip.

Alle Welt weiß das, nur Sie trauen meinen Ohren nicht. Der Börse z. B. fielen sofort die Papiere in die Hosen, und obschon jetzt die Friedensschalmeier laut werden, 88 so sind ihr doch die Course nicht wieder zu Kopf gestiegen. Sie wissen, daß ich der Börse fernstehe und niemals dahin gehe, um wie Jason das goldene Vließ des Kalbes zu holen. Ich habe kein Geld zu gewinnen, mein Grundsatz ist: Mit Speckuliren fängt man Mäuse, und wenn ich die Baisse nur höre, so halte ich mir schon die Ohren zu. So viel aber verstehe ich von der Börse, daß sie eine jener Mimosen ist, welche bekanntlich ein feines Gefühl für Alles haben, was in der Welt vorgeht. Und so überläßt sie sich denn auch trotz aller Friedensversicherungen nicht der Sicherheit wie ein schwedisches Streichhölzchen.

Uebrigens will ich nicht ungefällig sein, sondern Ihnen hiermit einen europäischen Frieden senden. Möge derselbe erhalten werden, wie ich den Vorschuß zu erhalten hoffe, um den ich Sie hiermit bitte. Ich schlage Ihnen die Summe von 60 Mark vor. Ist es Ihnen zu viel? Mir würde es genügen.

* * *

Pendjeh, den 19. April 1885.

W. Hier bin ich seit einigen Stunden. Seit ich den Storch der Welt erblickte, sah ich noch kein solches Nest wie dieses. Ich wohne, als wäre ich ein glücklich liebend Paar, in der kleinsten Hütte, und habe außer einer Cocosnuß noch nichts geknackt.

Sie haben wohl schon durch den Telegraphen vernommen, daß der anglo-russische Konflikt als beseitigt zu betrachten ist. Der Frieden ist wieder ausgebrochen. Die 89 Russen behalten Pendjeh, das haben die Engländer durch und durchgesetzt, und verzichten auf Herat. Gestern zog General Komaroff hier ein, und seitdem ist es hier von Russen und Engländern so voll, daß kein Schuß zur Erde fallen kann. Die Offiziere beider Armeen dursten Brüderschaft miteinander, denn an Getränk ist nicht zu denken, und hungern Mittags zusammen, trotzdem kommt doch mancher Streit zwischen ihnen vor. Denn die Russen und Engländer sind noch immer nicht einig, wer von ihnen an dem vorgefallenen blutigen Konflikt unschuldig ist. Jeder schiebt sich die Unschuld in die Schuhe, Keiner duldet, daß der Andere die Hände in Unschuld wasche, Niemand will angefangen haben. Der Streit endet gewöhnlich damit, daß ein Afghane herbeigeholt und, so schwarz wie er ist, windelbraun und blau geschlagen wird. Wenn dies indeß geschehen ist, so reichen sich die Engländer und Russen gerührt die Hände, und alles ist vergessen.

Fortwährend treffen neue Truppen von England und Rußland ein, und so ist Aussicht vorhanden, daß der Frieden glorreich zu Ende geführt wird.

Wer hätte das vor vierzehn Tagen gedacht? Wer vor drei Wochen? Damals hing der Himmel voller Kriegsdrommeten, während jetzt die Geigen die erste Violine spielen. Möge es so bleiben!


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