Julius Stettenheim
Wippchen's sämmtliche Berichte, Band 4
Julius Stettenheim

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Herrn Wippchen in Bernau.

Ihre uns durch eine Correspondenzkarte zugehende Mittheilung, daß Sie die Conferenz in Konstantinopel fallen lassen und sich einem anderen politischen Ereignisse zuwenden wollen, hat uns wenig angenehm berührt. Wir bitten Sie daher, nicht eigensinnig zu sein, und den Gegenstand nicht zu verlassen. Wenigstens nicht sobald, wie Sie dies beabsichtigen. Wir wüßten auch nicht, wohin Sie sich augenblicklich wenden wollten, da nichts anderes vorliegt, was Sie nach unserer Meinung zur Berichterstattung reizen könnte.

Denn wenn Sie uns ferner mittheilen, daß Sie Birma im Auge hätten und beabsichtigten, 23 ausführlich zu beschreiben, wie Sie auf Befehl des Königs Thibo niedergemetzelt worden seien, so können wir dies doch nur als einen verwegenen Scherz auffassen. Wie wollen Sie denn als Niedergemetzelter einen Bericht abfassen? Das Zeitungspublikum scheint uns doch nicht ausschließlich dazu da zu sein, die Münchhauseniaden sensationslustiger Correspondenten zu verdauen!

In Erwartung also eines dritten Berichts aus Konstantinopel grüßen wir Sie

ergebenst

Die Redaktion.

* * *

Bernau, den 19. November 1885.

Sie scheinen gestern – sub entre nous soit dit – aus dem linken Bett zuerst aufgestanden zu sein. Denn außersicher habe ich Sie noch nicht gesehen als durch meine Postkarte. Allerdings wollte ich nach Mandalay, um mich gleich nach dem Ausbruch des Krieges zwischen England und Birma auf Befehl Sr. Majestät des Massenmörders Thibo in eine Blutlache verwandeln zu lassen. Natürlich hätte ich Ihnen, nachdem ich meinen letzten Athemzug gesegnet, im 24 Namen einer meiner Collegen geschrieben, welcher Ihren Lesern klein wie ein Haar meinen Untergang geschildert haben würde. Ein interessanter Bericht! Man hätte mir ein bedauerndes Kopfschütteln nachgeweint, weil ich in der Blüthe meiner grauen Haare in's Jenseits beißen gemußt. Aber nach kaum acht Tagen wäre ich plötzlich wieder aufgetaucht, um meinen Nekrolog in Abrede zu stellen. Abermals ein interessanter Bericht, den Ihr Leserkreis mit solcher Rührung begrüßt hätte, daß man weit und breit ein thränenleeres Auge wie eine Stecknadel gesucht haben würde. Dieses desiderium scheint Ihnen denn doch zu pium gewesen zu sein, denn wider Erwarten haben Sie es mir – verzeihen Sie das harte Wort! – nicht gewährt. Meine Achseln können nichts thun, als mitleidig zucken.

Dem sei nun, wie Sie wollen, aber aus Konstantinopel und der Conferenz schreibe ich Ihnen kein Sterbensberichtchen mehr. Dort passirt nichts. Die Botschafter stehen da wie die Herkulesse zwischen zwei Scheidewegen oder besser: wie die Zündhölzchen zwischen Thür und Angel, weil sie das Bewußtsein haben, daß sie jeden Augenblick auf dem Vulkan, auf dem sie berathen, zu tanzen anfangen können, wenn sie nicht mit der peinlichsten Mutter der Weisheit zu Werke gehen. Denn es läßt sich nicht leugnen, daß der entscheidende Funken bereits mit Einem Fuß im Pulverfaß steht und daß im nächsten Moment das Faß fühlen kann, wie der Boden unter ihm in's Wanken geräth. So scheuen sie denn vor 25 jeder Wand zurück aus Furcht, mit dem Kopf hindurch zu rennen, und wenn sie keine Glacéhandschuhe haben, um etwas mit ihnen anzufassen, so lassen sie eben alles stehen und liegen, wie es geht. Mit einem Wort: sie schlagen lieber zehnmal ein Rad der Zeit, als sie sich entschließen möchten, in die Speichen desselben zu greifen. Dies mag für den europäischen Frieden von Nutzen sein, der sich dadurch genöthigt sieht, ungestört fortzudauern, aber der Berichterstatter kann seine Mühle nur beklagen, da ihr die Conferenz nicht das Wasser reicht, und umsonst sieht er sich selbst nach einem Elephanten um, den er aus einer Mücke machen könnte. Aus diesem kühlen Grunde habe ich beschlossen, Konstantinopel nicht länger rechts liegen zu lassen, sondern mich anderen politischen Ereignissen zuzukehren.

Aber welchen?

Hierüber will ich nach und nachdenken, hoffend, irgendwo eine ausgegangene Friedenspfeife, einen gefallenen Würfel zu entdecken, um mich sofort darüber herzumachen. Bis dahin will ich dem Leser keine Ente in die Augen streuen, vielmehr mein Pulver, um es nicht nutzlos zu verschießen, in die Sparflinte thun. Geduld also.

So sehr die Tafeln der Klio nun auch stillstehen mögen, die fortlaufenden Ausgaben ruhen sich nicht aus. Zu meinen liebsten Ausgaben gehören die fünf Pfennig, die ich für die Posteinzahlungskarte zu bezahlen habe, welche mir der Briefbote mit dem baaren Gelde bringt. Schonen Sie mich also 26 nicht, wenn ich Sie hiermit um einen Vorschuß von 50 Mark ersuche. Fast hätte ich gesagt: 40.

Nachscriptum. Lupus in Serbien! Bellona aus der Maschine! Eben höre ich, daß Serbien Bulgarien den rothen Hahn auf's Dach erklärt hat. Ich schreibe Ihnen also noch flink aus Sofia oder Nisch.

* * *

Sofia, den 18. November 1885.

W. Wie eine Lauffama durchflog den Balkan die Nachricht, daß der König Milan das kecke Bulgarien und den Fürsten Alexander mit dem Fehdehandschuh überziehen wolle. Der erste Eindruck war ein schrecklicher. Denn man weiß nur zu gut, daß, zumal im Orient, mit jedem schwarzen Punkt am Horizont eine Lawine aus dem Boden aufsteigen kann, welche dann ganz Europa in Flammen setzt.

Gestern kam ich hier an und fand im »Seligen Lieutenant«, einer Art Ausspann, ein Unterkommen. Alle besseren Hotels waren überfüllt, Alles war herbeigeeilt, um zu den äußersten Waffen zu greifen und den Nacken der Serben unter den Fuß zu setzen. Die Bulgaren sind – und das ist das Traurige – sehr kampflustig, und so ist wenig Aussicht vorhanden, daß sich das Kriegsbeil wird ohne Weiteres schlichten lassen.

Der Grund der Kriegserklärung ist bekannt. Die serbischen Truppen hatten keinen Kriegsfuß auf bulgarischen Boden 27 gesetzt, und nun verfügte die bulgarische Regierung, die serbischen Soldaten sollten als Räuber behandelt werden. Alsbald spottete die Aufregung in Nisch jeder Beschreibung, da die Serben sich sagten, daß bei den Bulgaren überhaupt nichts zu stehlen sei, die Serben also wie ehrliche Leute behandelt werden müßten. Als Räuber! Das war entsetzlich. Räuber werden entweder zu langwierigem Wasser und Brod verurtheilt, oder um einen Strick kürzer gemacht, höchstens zu lebenslänglichem Pulver und Blei begnadigt. Ich erinnere nur an Fra Diavolo, der, obwohl ein talentvoller Tenorist, doch der Nemesis in die Musketen lief, von Karl Moor zu schweigen, der selbst durch einen Tagelöhner mit elf Kindern nicht zu retten war. Ich habe nichts dagegen, daß man einen wirklichen Räuber auf den nächsten grünen Zweig bringt, aber falsch ist und bleibt es, die Soldaten einer friedlichen Armee, welche nichts als Aufstellung oder eine Position genommen haben, als Räuber zu behandeln. Das ist eine Injurie, die Niemand auf sich sitzen läßt und die selbst ein Kameel abwerfen wird, und ich kann es den Serben nicht verdenken, wenn sie die aufgebrummten Räuber mit scheelen Ohren angehört haben und nun Revanche schnauben.

Den Fürsten Alexander traf, wie man mir erzählt, die Kriegserklärung, als er gerade mit seinen Ministern Va banque spielte, ein Spiel, das im Orient sehr viel hazardirt wird und bei dem die Spieler häufig keinen Kopf und keinen 28 Kragen in der Tasche behalten. Der Fürst sei, so wird weiter erzählt, aufgesprungen und habe ausgerufen: »Wenn ich nicht Alexander wäre, so möchte ich wohl Diogenes sein!« Gefragt, was er damit sagen wolle, antwortete er: »Dann würde ich den König Milan mit der Laterne suchen und ihn an dieselbe hängen!« Die Minister verbeugten sich starr, sie sahen ein, daß der Mars zwischen Bulgarien und Serbien in's Rollen kam. Und so siegesgewiß ist der Fürst, daß er ausrief: »Auf nach Nisch!« Man warf ein, daß der Zar ihm dies verbieten könnte. Da lachte er: »Wo Nisch ist, hat der Kaiser sein Recht verloren!«

Die Sofiaten sind nicht zu halten, und schon in den nächsten Tagen kann der Balkan in hellsten Flammen stehen. Wer wird verhindern, daß die Asche den ganzen Osten ergreift?

Hoffen wir es.


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