Julius Stettenheim
Wippchen's sämmtliche Berichte, Band 4
Julius Stettenheim

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103 III.

Herrn Wippchen in Bernau.

Es war uns sehr willkommen, daß Sie sich ohne Weiteres der Berichterstattung über den französisch-chinesischen Krieg unterzogen, oder, wie Sie sich ausdrücken, sich »kopfüber, kopfunter« in denselben gestürzt haben. Wir zögerten nur mit dem Abdruck Ihres dritten Briefes, weil Sie Lanson doch zu auffällig als ein zweites Sedan behandeln. An die Stelle Napoleons setzen Sie den französischen Oberstkommandirenden Briere de l'Isle, welcher seinen Degen dem Kaiser von China übergiebt und von diesem nach irgend einer chinesischen Höhe geschickt wird. Sie scheinen den Namen des Kaisers von China nicht zu kennen, nehmen einfach den Namen des bekannten gegen Migräne ausgebotenen Mittels und nennen den Ort Pohohöhe. Auch Bismarck behalten Sie in einem chinesischen Minister bei, indem Sie 104 von demselben erzählen, er habe »nur drei Zöpfe«. Das ist ja allerdings recht pikant, würde aber unser Blatt dem Gelächter der Leser preisgeben, und dies scheint uns doch nicht die Aufgabe der Kriegsberichte zu sein. Wiederholt haben Sie den Tag von Sedan auf die verschiedensten Schlachtfelder verlegt, und es ist wirklich Zeit, daß Sie sich ein anderes Muster aussuchen.

Indem wir Sie um einen anderen Bericht aus China bitten, grüßen wir Sie

ergebenst

Die Redaktion.

* * *

Bernau, den 9. April 1885.

Wenn Sie in meinem Bericht über die Schlacht bei Langson Mancherlei wie eine Rabenmutter ihr Kind auszusetzen haben, so muß ich Ihnen, allerdings nicht ohne bedauerndes mutatis mutandis, – verzeihen Sie das harte Wort! – beipflichten. Die Schlacht bei Sedan fällt mir zu häufig ein, besonders da, wo für Frankreich die eisernen Würfel aus der Rolle fallen, welche dieselben bis zum Jahre 1870 bei den Franzosen gespielt haben. Außerdem kenne ich leider keine Schlacht, welche, wenn man Frankreich 105 ausnimmt, so allgemein beliebt ist wie die bei Sedan. Sie gab unserer Halbkugel eine andere Gestalt, machte es Frankreich unmöglich, Europa nach Belieben unter Ein Zündhütchen zu bringen, und setzte Deutschland in den so lange geträumten Sattel. Dies mag so manche mit der Schlacht bei Sedan angefüllte schwache Seite meiner Manuscripte entschuldigen. Bei meinem Bericht aus China kommt aber noch etwas hinzu. China ist so weit von Europa entfernt, daß man es ein UIltima Thule regis nennen kann, ein Land, welches gewissermaßen unter undurchdringlichen Rosen liegt, ein aus uralter Zopfzeit stammendes Volk, welches uns immer ein fremdes bleiben und sich bei uns stets ausheimisch fühlen wird. Welcher Leser kann also wissen, ob ich bei einem von mir geschilderten Ereigniß der Wahrheit oder der Ente die Ehre gegeben habe, ob ich dem Publikum einen Bären oder eine historische Thatsache aufgebunden habe? Niemand liest bei uns das Hongkonger Tageblatt, den Beobachter am Jang-tsy-kjang, die Pekinger Nachrichten, oder die Theelaube. Ich brauchte also das Respice finem nicht lange zu bedenken, sondern konnte mir die grauen Haare, die Andere sich bei solchen Gelegenheiten wachsen lassen, aus dem Kopf schlagen und mich ohne Weiteres an's Werk machen.

Den Geburtstag des Reichskanzlers beging auch ich am Abend vorher durch einen aus mir bestehenden Fackelzug. Mit Lunawerden zündete ich eine Fackel an und zog in 106 meiner Stube, überall mich freudig begrüßend, an dem Portrait des Fürsten vorüber. Die Fackel verlief ungestört auf meinen Rock und ruinirte denselben vollständig, der Qualm schwärzte die ohnedies recht weißen Gardinen, das Publikum sammelte sich auf der Straße, begeistert ein »Da brennt es!« anstimmend, und der mit einem nassen Eimer in meine Stube dringenden Wirthin bot sich ein erschütternder Anblick dar. In einer herzlichen Ansprache berechnete sie den durch meine patriotische Ovation angerichteten Schaden auf 25 Mark, und so muß ich Sie bitten, mir 60 Mark als eine Art Freuden-Vorschuß zu senden, mit dem das Fest einen würdigen Abschluß finden würde.

* * *

Peking, den 7. April l885.

W. »Was ein Würmchen werden will, krümmt sich bei Zeiten«, das ist ein alter Spruch. China scheint ein Würmchen, das an dem Herzen Frankreichs nagt, werden zu wollen. Wer hätte vor noch kaum tausend Jahren geglaubt, daß die Chinesen, eine unter den Culturvölkern zur Mythe wohnende Nation, eines Tages die Franzosen auf das Haupt in die Flucht schlagen würden! Das ist nun geschehen. Die Franzosen, welche glaubten, sie brauchten sich nur zu zeigen, um den Chinesen den Garaus auszublasen, mußten erfahren, daß sie den Chinesen unter sind, und waren gezwungen, sich aus dem Staube zu machen, 107 den die ganze leidige Affaire aufgewirbelt hatte. Kurz, das Unglaubliche ist eingetroffen: die Franzosen haben das Weite gefunden.

In Langson blieb ich nicht lange. Die Franzosen sprachen nur von ihrem Einzug in Peking, und von Morgens bis in den späten Zapfenstreich hinein ward der Pekinger Einzugsmarsch geblasen. Dabei rissen sie die bekannten Venividivici wie im Jahre 1870. Der Chinese sollte nur kommen, hieß es, sie wollten ihm die Harke schon zeigen und dann direkt nach Peking. Ich eilte also nach dieser Hauptstadt, um dem Einzug der Franzosen beizuwohnen.

Die Medaille ließ hier nicht lange auf ihre Kehrseite warten.

Peking war ruhig. Nur ganz vereinzelt grassirte ein Großsprecher, der aber bald von einem Magerthuer oder Kleinmaul darauf aufmerksam gemacht wurde, daß es falsch sei, zu früh zu jubeln. Die Bewohner der riesigen Residenz, welche bekanntlich Yuho-Berlin genannt wird, setzten ein unbegrenztes Vertrauen in die Armee, wußten aber sehr wohl, daß derselben auch einmal das bestgezogene Schwert nicht lächeln könnte. In ihren Pagoden beteten sie zu ihren Abgötzen, diese möchten ihnen den Sieg verleihen, das ist Alles, was sie thaten.

Da kam die Siegesdepesche, und wie von einem Zauberschlag gerührt jubelten die Pekinger auf. Sie zogen singend vor das Schloß des Vicekönigs Li Hung Chang, der im 108 Kreise seiner Minister mit unterschlagenen Beinen – die Beamten unterschlagen hier nur ihre Beine – auf dem Balkon saß, die Zunge herausstreckte und mit dem Kopf nickte, wie man dies an den chinesischen Porzellanfiguren so häufig beobachten kann. Ueberall hudelte man das Lob der Armee. Wer verkrüppelte Füße hatte, eilte auf die Straße und umarmte sich. An jedem Bambus flatterte eine Fahne, und Abends waren alle bunten Lampions festlich erleuchtet.

Die einlaufenden Nachrichten lauten für die Franzosen sehr schlimm. Die Chinesen sitzen ihnen hart auf den Achilleshacken, und wo sich eine neue Schlappe findet, wird sie der grande nation beigebracht.

Morgen verlasse ich Peking, um mir das Pech anzusehen, welches die Franzosen gegeben haben.


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