Julius Stettenheim
Muckenich's Reden und Thaten
Julius Stettenheim

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Unparlamentarisches Diner bei Muckenich.

Das unparlamentarische Diner, welches aus dem Besten, was der Keller nebenan an alten Kartoffeln und Häringen zu bieten vermochte, zusammengesetzt war, bestand aus nahezu sechs Personen. Den Platz zur Rechten des freundlichen Gastgebers hatte der Hauswirth desselben, den zur Linken der Schwiegervater Muckenichs inne. Die Ehrenplätze zu beiden Seiten der ihnen gegenüber sitzenden Frau Muckenich waren dem Armenvorsteher des Reviers und einem hervorragenden Mitgliede des Vereins gegen Bettelei zu Theil geworden. Der Sohn des Hauses war, weil sein Gehrock beim Flickschneider sich befand, am Erscheinen verhindert.

Besondere Aufmerksamkeit besonders bei dem Armenvorsteher erregte die silberne Taschenuhr des 137 Herrn Muckenich, welche man, da der Besitzer bei der letzten Einschätzung zur Staatseinkommensteuer von der ersten in die zweite Stufe versetzt worden war, im Leihhause vermuthete.

Muckenich, obschon er klagte, er könne noch immer das lange Stehen vor dem Bagatellrichter, wenn er wegen kleiner Schulden verklagt sei, nicht vertragen, sah vortrefflich aus und war gut gelaunt. Einmal, als er eine Kartoffel abgepellt hatte, sagte er: »So'ne Kartoffel hat keene Sorge. Wenn ihr det Fell über die Ohren jezogen is, denn is sie damit durch. Unsereinem aber wird es fortwährend abjezogen, un wenn man wat sagt, denn heeßt et: »Dafür nehmen wir aber auch jetzt eine gebietende Stellung in Europa ein!«

Nun sah er seine Gattin an und fragte: »Nehme ick eine jebietende Stellung in Europa ein?«

Man lachte, auch die Dame des Hauses.

Als ihm von allen Seiten Glück zu seinem guten Aussehen gewünscht wurde, äußerte Muckenich: »Nu nee, ick werde nich jut aussehen! Ick habe mir nämlich det Bier abjewöhnt, weil es mir doch zu theuer war. Wenn aber die Steuerermäßigungen auf die neuen Zölle anfangen, denn werde ick mir wieder wöchentlich ein Dutzend Flaschen Wiener Märzen kommen lassen.« Dabei schenkte er sich ein 138 Glas Wasser ein und scherzte: »Jöttertrank aus der Champanke.«

Nun meinte der Schwiegervater Muckenichs, es wäre sehr gut, wenn Muckenich im Sommer eine Reise machen könnte, denn er sei doch von vielem Arbeiten sehr angegriffen. »Ick habe selber schon dran jedacht,« erwiderte Muckenich, »aber det könnte doch bloß eine Jejend sind, wo man zu Fuß, oder mit die Pferdebahn hin kann. Allens andere kostet bei diese Theuerung zu ville. Nach Canossa jehe ick nich,« schloß er, durch welche Versicherung eine außerordentlich freudige Bewegung unter den Anwesenden entstand.

Dann auf den Hartmann-Fall übergehend, äußerte Muckenich: »Der ruhige Bürjer kann bei die schlechten Zeiten jar nich an's Reisen denken, wojejen ein Nihilist jut dran is. Sehen Sie also man bloß den Hartmann. Von Moskau fährt er nach Paris, un von da wird er, mit die Oogen von janz Europa uf sich jerichtet, nach England jeschifft, damit ihm von Rußland keen Jalgen zustoßen kann. Sehen Sie, unsereener dankt Jott, wenn er mal nach Charlottenburg, oder nach Moabit raus kann, un so'n Dynamitfritze fährt in der janzen Welt rum un amüsirt sich, un nachdem er einen Eisenbahnzug in's Jenseit jesprengt hat, erhebt sich ein janzes Volk, damit ihm uf der Reise keen Haar jekrümmt wird. Da fragt 139 man sich: Soll man nu ein ordentlicher Steuerzahler bleiben, oder à la Hartmann eine Muckenich-Frage in die Welt setzen.

Von der neuen Militärnovelle sagte Muckenich: »Warum kommt nu nich mal eine Bürger-Novelle raus, durch welche dat Civilistenheer besser jestellt wird un plötzlich ein Avancement für Kellerbewohner eintritt. Heeßt et denn: Allens für das Militär! oder heeßt et: Allens für das Volk?

Niemand wußte es.

Jetzt kam der Feigen-Kaffee. Puttkamer, warf Muckenich dazwischen, will, dat der Kaffee mit Doppel- f und Doppel- e jeschrieben werden soll. Det er aber richtiger mit 'ne Doppel-Moccabohne jekocht werden müßte un daß det bei die jetzigen Verhältnisse janz unmöglich is, det fällt natürlich so'n Mann wie Puttkamer nich in.

Bei diesen Worten steckte sich Muckenich das Pfeifchen des armen Mannes an.

Frau Muckenich brachte nun den Aschbecher, und die Gäste holten Cigarren hervor und begannen zu rauchen. Als eine derselben einen scharfen Sechsergeruch erzeugte, sagte Muckenich erläuternd: »Det is die sojenannte Assegai, die Cijarre, die der Zulu wegwirft un seinem Feinde zuschleudert.«

Er befahl, ein Fenster zu öffnen, und fuhr fort:

140 »Die neue Wirthschaftspolitik bringt uns um zehn Jahr retour, denn durch die Tabacksteuer sind wir nu wieder bei die Liebescijarre anjelangt, mit die wir in Paris so barbarisch jewirkt haben. Uf det Bild »Le Bourget« hat darum der Maler mehrere deutsche Soldaten roochend darjestellt, was det Fürchterliche erhöht. Was nutzt mich die Cijarre, wenn sie nich Gerold is? Ick rooche Pfeife, weil es mir unmöglich is, heute noch eine jute Cijarre für'n Sechser ufzutreiben, indem ick bei jede noch'n Räucherkerzchen nöthig habe.«

So plauderte Muckenich weiter.

Als die Gäste sich entfernt hatten, blieben Muckenich und seine Gattin allein und bildeten einen kleinen Kreis, in welchem wie gewöhnlich weiter geklagt und von der Zeit gesprochen wurde, in welcher die Lasten des Steuerzahlers noch erträglich waren.

Gegen neun Uhr aber war die Wohnung Muckenichs völlig finster, da die Frau des Hauses mit Rücksicht auf ihr Wirthschaftsgeld das Petroleum zu sparen pflegte.

So endete der schöne Abend.


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